„Das Imperium aus Asche“ bleibt, wenn Menschen und Drachen um die Vorherrschaft über die Welt kämpfen. Anthony Ryans Abschlussband feuert aus allen Rohren und lässt es richtig krachen. Ich hatte große Sorge, dass er diese Trilogie mit seinem letzten Streich in der Art vergeigen würde, wie ihm die Trilogie „Das Lied des Blutes“ entglitten ist; übrigens auch in einer großen, welterschütternden Schlacht. Hier aber - so viel vorweg - ist ihm ein ordentlicher Abschluss geglückt, der trotzdem seine Schwächen hat.
Über drei Bände erstreckt sich der Plan des Weißen Drachen, sich mit den von ihm unterjochten Drachenvölkern zum Herrscher der Welt aufzuschwingen. Zunächst sind bei der Lektüre auf die Beobachtungen dreier Point-of-View-Charaktere angewiesen, die Zeugen der erwachenden Drachenrevolte sind. Die Agentin Lizanne, der Seeoffizier Hilmore und der findige Gesetzlose Clay decken die Geheimnisse nach und nach auf und lassen auch die Ordnung der Welt durch ihre Augen erstehen. Ryan hat diese Welt fein konstruiert und diese Konstruktion als einen der beiden Handlungsmotoren der Trilogie fit gemacht: Zwei Großreiche streben nach der Vorherrschaft - ein feudaler Überwachungsstaat versus einen unmenschlichen Turbokapitalismus. Dieser Motor funktioniert mit dem Treibstoff der menschlichen Schwächen Gier, Machtlust, Heimtücke und Verrat. In den Kapiteln, in denen der Drache nicht das Sagen hat, bestimmen diese allzumenschlichen Triebe die Handlung und führen zum Zusammenbruch der Systeme. Das ist auch deshalb so charmant zu lesen, weil Ryan damit ein Wesensmerkmal guter Literatur gelingt, nämlich das Menschliche im anderen Kontext - hier der Fantasywelt - deutlicher werden zu lassen. Kapitalismuskritik an den Machthabern auf Drachisch lautet so: „Sie sind die wahre Monster. In ihrer Gier haben sie einen ganzen Kontinent zuschanden gerichtet […].“ (S. 54)
Der andere Motor der Geschichte ist der weiße Drache und sein bedingungsloses Streben nach Herrschaft. Im ersten Band schienen sich die Drachen nur zu wehren, immerhin ist ihr Blut der Stoff, mit dem die Steampunkwelt der Trilogie angetrieben wird, katalysiert und in Kraft verwandelt durch die „Blutgesegneten“. Im zweiten Band enthüllte der Weiße seine Pläne und unterjochte die Menschen nicht allein durch Drachenzähne, sondern vor allem dadurch, dass er sei in seelenlose Zomies verwandelt. Mittels eines Kristalls verwandelte er ihr Äußeres ins Echsische der „Verderbten“, ihr Inneres in einen borg-artigen Ameisenzustand, in dem alle von allen alles wissen und von Einzelnen - nicht zuletzt dem Weißen selbst - willenlos kommandiert werden können. Einblick in diesen Kollektivalptraum gewährt der vierte Point-of-View-Charakter Siron, der nicht irgendein „Verderbter“ ist, sondern zum taktischen Generalstab der Drachen gehört. Spätestens hier zerbrach die Vorstellung einer Allegorie der sich wehrenden ausgebeuteten Natur, die es Leid ist, zur Ressource der technisierten Welt degradiert zu werden. Es ist schade, dass Ryan diesem Motor eine Vorgeschichte gegeben hat, die sich vollständig im dritten Band als banal enthüllt. Nichtsdestotrotz funktioniert der Motor der Geschichte, indem der Turbo eingeschaltet wird und die Drachen in die Schlacht ziehen.
Wirkte zunächst der Drachenplot komplexer, ist es am Ende doch die menschliche Welt mit ihren widerstreitenden Interessen, die im Abschlussband noch eine komplexere Erzählung gewährleistet.
Die Stärke der Trilogie und erst recht des dritten Bandes liegt in der rasanten Erzählung, der actioneichen Handlung und den farbeneichen Schilderungen der Szenen. Auch die Grundkonstruktion der Trilogie ist brillant erdacht.
Die Schwäche liegt ebendort: in der Geschwindigkeit der Erzählung. Gerade der Abschlussband verzeichnet weitestgehend auf Figurenzeichnungen zugunsten handlungsgetriebener Action. Ganz in Blockbustermanier werden die einmal eingeführten Helden der Geschichte nicht weiterentwickelt, sondern verharren gleichsam auf ihren Gefechtspositionen. Hatte man mehr erwartet, schleicht sich leichte Enttäuschung ob der vertanen literarischen Chancen ein. Die Perspektive verschiebt sich vom Kampf „Mann gegen Drache“ auf die Schlacht „riesige Menschenheere gegen wahnwitzige Drachenscharen und Zombieheere“. Dass hierbei auch die Waffen immer mehr Distanz gewinnen - bis hin zum Bombenabwurf - entzieht dem Kampf die direkte Attraktivität und abstrahiert zum mechanisierten Töten. Die Zentren der Erzählung ballen sich um Lizanne aufseiten des Widerstandes und um Siron aufseiten des Drachenheeres und sind spannend. Clays und Hilmores Mission verfolgt die heikle Aufgabe, zum Kern der Geheimnisse vorzustoßen (ist das am Ende nur eine Waffe?).
„Das Imperium aus Asche“ ist meines Erachtens ohne die Vorgängerbände unverständlich, die auch deshalb unbedingt vorher gelesen werden müssen, weil Ryan darauf verzichtet, eingeführte Figuren weiterzuzeichnen, wenn sie ihren Platz gefunden haben.
Unter dem Strich ist die „Memoria Draconis“ eine gelungene, actionreiche Trilogie mit großem Potenzial und hohem Popcornkoeffizienten.
3,5 von 5 verbrannten Drachenschuppen.