Profilbild von cosmea

cosmea

Lesejury Star
offline

cosmea ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit cosmea über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.03.2020

So viel Leid und Schuldgefühle

Hör mir zu, auch wenn ich schweige
0

Maggie und Frank sind seit 40 Jahren ein Paar. Innige Liebe verbindet sie, dennoch beginnt der Roman mit Maggies Selbstmordversuch. Wie konnte es so weit kommen? Frank hat seit sechs Monaten nicht mehr ...

Maggie und Frank sind seit 40 Jahren ein Paar. Innige Liebe verbindet sie, dennoch beginnt der Roman mit Maggies Selbstmordversuch. Wie konnte es so weit kommen? Frank hat seit sechs Monaten nicht mehr mit ihr gesprochen. Während sie im Koma auf der Intensivstation liegt, soll er zu ihr sprechen, um sie zurückzuholen. Er erzählt ihr und damit dem Leser die Geschichte ihrer Beziehung. Frank wird von Schuldgefühlen gequält, weil er etwas getan hat, was er seiner geliebten Frau nicht erzählt hat. Bis fast zum Schluss wiederholen sich gefühlte dreißigmal die Hinweise auf die eine Wahrheit, die er ihr noch sagen muss, bevor es zu spät ist. Dadurch wird eine gewisse Spannung aufgebaut. Dann gibt es einen Cliffhanger, denn just in dem Augenblick, wo er sprechen will, schicken ihn die Ärzte aus dem Zimmer. Danach begegnen wir durch einen Wechsel der Erzählperspektive Maggies Sicht der Dinge. Frank findet Maggies an ihn adressiertes Tagebuch und erfährt ebenfalls vieles, was er nicht gewusst oder anders eingeschätzt hat. Seine Gedanken zu dem Gelesenen finden ebenfalls Aufnahme in die Erzählung.
Der Leser fragt sich zunehmend, wie viel Leid und Schuldgefühle ein Mensch ertragen, eine Beziehung zwischen Mann und Frau überstehen kann. Im Mittelpunkt steht die Tochter Eleanor, auf die das Paar 15 Jahre gewartet hat. Sie entgleitet ihnen zusehends aus zunächst unbekannten Gründen und sie können nichts dagegen tun, dass sie sie schließlich verlieren. Es wird eine Vielzahl von Themen behandelt: Unfruchtbarkeit, postnatale Depression, Drogenabhängigkeit, Selbstverletzung, sexueller Übergriff, Selbstmord. Für Frank und Maggie kommt es wirklich knüppeldick. So glücklich ist die Ehe also trotz aller Liebe nicht, zumal sie von Anfang an Geheimnisse vor einander haben bis hin zur völligen Sprachlosigkeit zur Zeit des Suizidversuchs. Ich konnte mich mit den Charakteren nicht wirklich identifizieren, obwohl die Darstellung berührt. Mir ist das aber vor allem zum Ende hin zu sentimental und melodramatisch. Der Roman hat mir insgesamt weniger gut gefallen, als ich erwartet hatte.

Veröffentlicht am 29.12.2019

Ein großes Verwirrspiel

Slow Horses
0

“Slow Horses“, Mick Herrons im Original bereits 2010 erschienenen Roman ist der Auftakt einer Serie um den in Ungnade gefallenen ehemaligen Spion Jackson Lamb. Er ist der Chef einer ebenfalls ausrangierten ...

“Slow Horses“, Mick Herrons im Original bereits 2010 erschienenen Roman ist der Auftakt einer Serie um den in Ungnade gefallenen ehemaligen Spion Jackson Lamb. Er ist der Chef einer ebenfalls ausrangierten Gruppe von Agenten, die entweder einen Auftrag vermasselt haben oder ehrgeizigen Kollegen bei ihren Karriereplänen im Weg standen. Sie arbeiten im Slough House, einem heruntergekommenen Gebäude, wobei „arbeiten“ nicht ganz der passende Begriff ist. Sie sind nicht mehr im aktiven Dienst, sondern müssen untergeordnete Tätigkeiten ausführen, wie Müll sichten oder Telefonate transkribieren. Die Behörde will Kündigungen vermeiden, die Ex-Agenten stattdessen dazu bringen, dass sie irgendwann frustriert von selbst gehen. Es gibt keine Freundschaften im Slough House, und die von dem übergewichtigen Widerling Jackson Lamb geschaffene Atmosphäre trägt nicht dazu bei, dass sich dort irgendjemand wohlfühlt. Während der junge River Cartwright einen zwielichtigen Journalisten observiert, wird ein junger Engländer mit pakistanischem Hintergrund von einer rechtsnationalen Splittergruppe entführt und soll nach Ablauf von 48 Stunden vor laufender Kamera enthauptet werden. Die Aktion ist als Racheakt für die Bombenanschläge in der Londoner U-Bahn im Juli 2005 gedacht. Werden Polizei und Geheimdienst den jungen Mann rechtzeitig finden?
“Slow Horses“ ist ein raffinierter, nicht leicht zu lesender Roman mit einer Vielzahl von Personen und Schauplätzen und ständig wechselnder Erzählperspektive. Hier gibt es kein Schwarz und Weiß, nur eine Vielzahl von Intrigen. Es ist nicht einmal klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. In der Geheimdienstzentrale des M15 - Regent´s Park - verfolgt jeder egoistisch die eigenen Ziele, hat stets den eigenen Aufstieg auf der Karriereleiter im Blick. Geht ein Einsatz schief, wird grundsätzlich ein anderer zum Sündenbock gemacht. Die ausgemusterten Agenten im Slough House sehen diesen Fall als Chance, ins Leben zurückzukehren und endlich wieder das zu tun, wofür sie ausgebildet sind. Jackson Lamb und seine Leute verändern sich unter dem Druck der Ereignisse und handeln solidarisch.
Es ist schade, dass unter der geschilderten Komplexität streckenweise die Spannung leidet. "Slow Horses" ist dennoch ein interessanter, lesenswerter Roman. Spionageromane können zweifellos heutzutage nicht mehr so aussehen wie bei Graham Greene und John le Carré.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Wie kann man nicht mehr leben wollen?

Laufen
0

In Isabel Bogdans neuem Roman “Laufen“ geht es um eine Frau, die ihren Partner verloren hat, nachdem sie zehn Jahre zusammen waren. Sie kommt über den Verlust nicht hinweg, gequält von Trauer, Wut, dass ...

In Isabel Bogdans neuem Roman “Laufen“ geht es um eine Frau, die ihren Partner verloren hat, nachdem sie zehn Jahre zusammen waren. Sie kommt über den Verlust nicht hinweg, gequält von Trauer, Wut, dass er sie zurückgelassen hat und Schuldgefühlen, weil sie es nicht hat kommen sehen. Ihr Lebensgefährte litt unter Depressionen, und als alles besser zu werden schien, hatte er lediglich beschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die namenlose Ich-Erzählerin bekommt Hilfe von ihrer Freundin Rike und deren Mann und Kindern und ihrer Therapeutin. Rückhalt findet sie auch in dem Orchester, in dem sie Bratsche spielt und in ihrem Quartett. Weil alles nicht hilft, beginnt sie nach langer Pause wieder mit dem Lauftraining, was ihr anfangs sehr schwerfällt. Sie hatte gehofft, dass sie durch die körperliche Anstrengung den Kopf frei bekommt, weil laufen so schön stumpf ist, aber das passiert nicht. Die Gedanken kreisen unaufhörlich. Sie lässt immer wieder dieselben Dinge Revue passieren. Auf diese Weise erfahren wir alles über sie: über die letzte Zeit mit dem Lebensgefährten. Ihr miserables Verhältnis zu seinen Eltern und ihre Unfähigkeit, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen. Wir atmen sogar mit ihr.
Die Geschichte ist thematisch und auch sprachlich-stilistisch sehr einseitig. Wenn man die Ausgangssituation kennt, passiert nicht mehr viel Neues. Spannend ist das nicht. Auch das Ende ist absehbar, nachdem schon der Klappentext verraten hat, dass sie ihr Leben wieder in den Griff bekommt. Bogdans neuer Roman hat mir längst nicht so gut gefallen wie “Der Pfau.“

Veröffentlicht am 18.08.2019

Alles Gute hat sein Ende

Letzte Rettung: Paris
0

In Patrick deWitts neuem Roman “Letzte Rettung: Paris“ geht es um eine sehr ungewöhnliche Mutter-Sohn-Beziehung. Frances Price, seit etwa 20 Jahren verwitwet und mit 65 noch immer eine sehr attraktive ...

In Patrick deWitts neuem Roman “Letzte Rettung: Paris“ geht es um eine sehr ungewöhnliche Mutter-Sohn-Beziehung. Frances Price, seit etwa 20 Jahren verwitwet und mit 65 noch immer eine sehr attraktive Frau, hat lange gebraucht, bis sie ihrem Sohn Malcolm, Anfang 30, eine Mutter sein konnte. Jetzt bindet sie ihn an sich, lässt ihn nicht erwachsen werden und duldet keine andere Frau in seiner Nähe. So hat sie auch seine reizende Verlobte Susan vertrieben. Nach seiner Vorgeschichte ist Malcolm ohnehin zu keiner normalen Beziehung zu seinen Mitmenschen fähig. Frances hat ihr gesellschaftliches Ansehen seit langem verspielt, seit sie ihren toten Mann in der Wohnung liegen ließ, ohne Ärzte oder Behörden zu verständigen und zu einem Skiwochenende aufbrach. Inzwischen hat sie auch das geerbte Vermögen verschleudert und alles verloren. Mit dem Geld aus Verkäufen von Wertgegenständen aus der letzten Wohnung ziehen Mutter und Sohn in das Apartment von Frances´ Freundin Joan in Paris. Sie nehmen den Kater Kleiner Frank mit, die Inkarnation des verstorbenen Gatten.
In Paris sammelt Frances allerhand Exzentriker um sich: einen Privatdetektiv, der das Medium Madeleine wiederfindet, mit dem Malcolm auf der Überfahrt eine kurze Affaire hatte, einen Weinhändler, einen Arzt. Das Medium stellt den Kontakt zu dem Toten her.
Der Roman ist teilweise Gesellschaftskomödie, Satire auf das inhaltsleere Leben der Superreichen, aber zum Teil auch eine Reihung von absurden Begebenheiten und skurrilen Figuren. Nicht immer ist das witzig, weil der Tod als Thema eine wichtige Rolle spielt und immer präsent bleibt. Der deutsche Titel suggeriert, dass es eine Rettung gibt. Tatsächlich bedeutet der Originaltitel "French Exit“ jedoch, dass jemand abrupt Kontakt und Kommunikation abbricht und wie ein Geist aus dem Leben anderer Menschen verschwindet. Mir hat das Buch in der zweiten Hälfte nicht mehr so gut gefallen. Die Frage, was uns der Autor mit dieser Geschichte sagen will, wüsste ich nicht zu beantworten.

Veröffentlicht am 18.08.2019

Eine ganz besondere Familiengeschichte

Otto
0

Otto ist ein pensionierter Ingenieur, inzwischen sehr krank und pflegebedürftig. Er muss mehrfach ins Krankenhaus. Als er überlebt und nach Hause entlassen wird, stellen seine Töchter Timna und Babi eine ...

Otto ist ein pensionierter Ingenieur, inzwischen sehr krank und pflegebedürftig. Er muss mehrfach ins Krankenhaus. Als er überlebt und nach Hause entlassen wird, stellen seine Töchter Timna und Babi eine ungarische Haushaltshilfe ein, die – wenn sie vorübergehend in ihre Heimat zurückfährt von Ottla aus Siebenbürgen vertreten wird. Ansonsten sind seine Töchter für den alten Mann zuständig, und zwar Tag und Nacht. So gehört sich das in einer jüdischen Familie. Otto stammt aus Kronstadt in Siebenbürgen und spricht ein sehr gewöhnungsbedürftiges Deutsch. Er war ein reicher Mann, bis er im Krieg alles verlor und vom rumänischen Staat nie entschädigt wurde. Später ging er nach Haifa und in den 70er Jahren nach Deutschland. Inzwischen lebt er seit langem in München. Da seine Mutter – Omama – in Haifa lebte, fuhr die Familie dort jedes Jahr hin.
Otto ist eine sehr dominante Persönlichkeit und fordert ein, was ihm – wie er meint – zusteht. Allerdings finde ich nicht, dass er ein so unsympathisches Ekel ist, wie im Klappentext beschrieben. Auch wenn er noch so schwierig ist, wird er von Timna und Babi geliebt, nicht gehasst. Der größte Teil des Romans besteht nicht aus dem täglichen Umgang mit den Töchtern und dem Personal, sondern aus Geschichten über die Familie, die nicht chronologisch berichtet werden. Otto hat nämlich an Timna, seine Lieblingstochter mit einer „schönen Bitte“ den Wunsch herangetragen, ein Buch über die Familie zu schreiben. Ottos schönen Bitten widersetzt man sich tunlichst nicht, und so sammelt die Tochter Anekdoten, die sie zum Teil schon oft gehört hat, teilweise aber noch nicht kennt. Es geht um Ottos Eltern und Großeltern, sein Überleben des Holocaust, seine Ehe mit Elisabeth und Ursula – Mutter von Timna und Babi –, Kontakte zu alten Freunden aus Siebenbürgen. Das wird zum Teil sehr witzig erzählt, einmal wegen Ottos sehr eigenwilliger Handhabung der deutschen Sprache, teils weil die typischen Klischees bedient werden, z.B. Ottos extreme Sparsamkeit und Fixierung auf Geld. Zu den witzigen Begebenheiten gehört auch die Tatsache, dass er an seinen Arbeitsplatz technische Geräte und sogar Vorhänge stiehlt und sich bei seiner Pensionierung noch einmal richtig eindeckt.
Nachdem ich mich an Sprache und Romanstruktur gewöhnt hatte, hat mir der Roman über Ottos ereignisreiches Leben gut gefallen. Dana von Suffrins Buch entführt den Leser in eine andere Welt.