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Veröffentlicht am 27.12.2016

Schicksalsträchtige Familiengeschichte

Die Frau des Juweliers
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Juliet Winterton ist „Die Frau des Juweliers“ im gleichnamigen Buch von Judith Lennox. Doch die Erzählung dreht sich nicht nur um sie, sondern es ist die Geschichte der Familie Winterton in der Zeit von ...

Juliet Winterton ist „Die Frau des Juweliers“ im gleichnamigen Buch von Judith Lennox. Doch die Erzählung dreht sich nicht nur um sie, sondern es ist die Geschichte der Familie Winterton in der Zeit von 1938 bis Ende 1966. Solch ein Herrenhaus auf dem Land ist auch Marsh Court, das Zuhause von Juwelier Henry Winterton in dem Juliet sich bald nach ihrem Einzug wohlfühlt. Anders dagegen sieht es in ihrer Ehe mit Henry aus.

Juliet ist 19 Jahre als sie den 17 Jahre älteren Henry in Kairo zum ersten Mal trifft bei dem Versuch eine wertvolle Perlenkette zu verkaufen um ihre finanziellen Nöte zu mildern. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen und heiraten bereits nach kurzer Zeit. Juliet folgt ihrem Ehemann nach Marsh Court und stellt schnell fest, dass Henry zwar im Beruf erfolgreich ist, aber ganz bestimmte Ansichten hat. Er wird schnell wütend, rügt sie wenn sie gegen Konventionen verstößt und möchte, dass sie sich mit ihrer Meinung nach seiner eigenen richtet. Familienmitglieder und Freunde von Henry sind stets gern gesehene Gäste und auch Juliet sind sie meistens angenehm. Ein erstes Kind lässt nicht lange auf sich warten und der 2. Weltkrieg steht bevor. Henry arbeitet viel und lange. In diesen einsamen Stunden zu unsicherer Zeit sehnt sie sich nach Vertrauen, Verständnis und Liebe und glaubt all das bei einem verheirateten Freund von Henry zu finden. Doch der Familienzusammenhalt steht immer im Vordergrund. Juliet ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ihr Geliebter ein dunkles Geheimnis birgt, das sich erst Jahre später auch ungewollte Auswirkungen auf sie selbst haben wird.

Judith Lennox erzählt die Geschichte in zeitlicher Reihenfolge aus einer allwissenden Sicht. Beginnend im Oktober 1939 schreitet die Erzählung zunächst zügig vorwärts. Die Not und das Leid im Weltkrieg werden auf wenigen Seiten thematisiert, jedoch hat auch die Familie Winterton die Einschränkungen zu spüren. Schnell erholt sich danach das Geschäft und die Kinder wachsen heran. Am Anfang des Buches findet der Leser eine Übersicht über die wichtigsten Charaktere und ihre Zugehörigkeit zu den Geschwistern Wintertons und den befreundeten Familien. Die Autorin dehnt ihre Erzählung auf die nun heranwachsenden Kinder der Familie aus und im weiteren Verlauf des Lesens war mir die Auflistung des Öfteren hilfreich. Einerseits ist es einfach, alle Nachkommen innerhalb der Familie zu beschäftigen, aber andererseits ist es schwierig, die Führungspositionen zu besetzen. So ergeben sich Neid, Hass und Missgunst, die sich im Folgenden durch die weitere Schilderung ziehen.

Etwa 2/3 der Erzählung spielt in den 1960er Jahren. Juliet reift zwar im Laufe der Jahre an ihrer Aufgabe, schafft sich Freiräume und engagiert sich beruflich und ehrenamtlich, doch ihr fehlen die nötigen Argumente und die Durchsetzungskraft um Streitigkeiten in der Familie beizulegen. Judith Lennox hat einen sehr leicht zu lesenden Schreibstil und eine realistische Darstellungsfähigkeit. Ihre Charaktere haben Ecken und Kanten, vor allem beharren die Mitglieder der Familie Winterton gerne auf ihrer eigenen Meinung. Den äußeren Schein zu wahren avanciert sehr hoch bei ihnen.

In all den Jahren wird auch Familie Winterton von einigen Schicksalsschlägen getroffen. So konnte ich beim Lesen Anteil nehmen an Freude und Leid der Familienmitglieder. Gehörten sie in den 1930er Jahren einem herrschaftlichen Stand an so wurden sie im Laufe der Zeit zu einer erfolgreichen Familie mit Geschäftssinn, die bodenständig ist und sich den Sinn für die Realität bewahrt. Das Geheimnis im Rahmen der Affäre Juliets baut zum Ende der Geschichte noch einmal Spannung auf. Der Schluss erscheint mir in Bezug auf das Unternehmen zwar ein wenig unrealistisch, aber den meisten Lesern wird er gefallen. Mir hat der Roman gut gefallen und daher empfehle ich ihn gerne weiter.

Veröffentlicht am 15.12.2016

Eine liebevoll erzählte familiäre Geschichte

Willkommen in der unglaublichen Welt von Frank Banning
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„Willkommen in der unglaublichen Welt des Frank Banning“ ist Alice Whitley im gleichnamigen Buch von Julia Claiborne Johnson. Sie ist 24, hat einen Collegeabschluss in Buchhaltung und bildender Kunst, ...

„Willkommen in der unglaublichen Welt des Frank Banning“ ist Alice Whitley im gleichnamigen Buch von Julia Claiborne Johnson. Sie ist 24, hat einen Collegeabschluss in Buchhaltung und bildender Kunst, ist technisch versiert und hat sich mit diversen Jobs weitere Fähigkeiten erworben, unter anderem hat sie an einer Privatschule unterrichtet. Als Leser lernte ich sie an der Seite der Titelfigur im Prolog des Romans während einer Fahrt mit dem Bus kennen. Bereits in diesem kurzen Abschnitt beschreibt die Autorin einige der Eigenheiten von Julian Francis, kurz Frank genannt und machte mir auf diese Weise Lust darauf, den 9-jährigen Jungen näher kennenzulernen. Gemeinsam mit Alice ist er auf dem Weg zum Krankenhaus um seine Mutter, die berühmte Schriftstellerein M.M.Banning, zu besuchen. Sie wurde dort zur psychiatrischen Beobachtung eingeliefert kurz nachdem es in ihrem Haus gebrannt hatte. Dieses tragische Ereignis wird auf dem Cover des Buchs in leichter Form umgesetzt. Doch Frank ist nicht der typische Skateboarder wie er auf der Rückseite zu finden ist, doch dazu später mehr.

Nur ein einziges Buch hat Mimi unter ihrem Pseudonym M.M. Banning bisher geschrieben und veröffentlicht. Damit sie ihr Leben und das von Frank weiterhin finanzieren kann ist es notwendig, dass sie endlich einen zweiten Roman schreibt. Ihr Verleger unterstützt sie dabei, indem er ihr seine eigene rechte Hand Alice als Hilfe für Sekretariatsarbeiten aber auch zur Haushaltsführung und Betreuung ihres Sohnes schickt. Rasch merkt Alice, dass Frank nicht so ist wie andere Kinder seines Alters. Er hasst T-Shirts und Jeans und kleidet sich stattdessen in Stoffhosen, Sakkos und Anzügen nach der Mode entsprechender Filmstars. Immer wieder ist die Rede von Filmen, von denen mir einige bekannt waren. Nach meinem Geschmack hat die Autorin diesem Thema einen zu großen Raum gegeben. Für das Zusammenleben mit Frank hat er eigene Regeln aufgestellt. Er darf nicht ohne vorherige Genehmigung von ihm angefasst werden. Das Gleiche gilt für Dinge die ihm gehören. Doch manches Mal wirkt er so schutzbedürftig, dass seine Regeln nicht einfach einzuhalten sind.

Alice ist die Ich-Erzählerin des Romans. Bisher lebte sie in einer kleinen, spärlich eingerichteten Wohnung in Brooklyn. Das Haus von Mimi und die Umgebung von Los Angeles bieten ihr eine nie gekannte Freizügigkeit. Doch sowohl Mimi wie auch Frank stehen ihr zunächst zurückhaltend gegenüber. Auf Mimi lastet der Druck, ein Buch möglichst bald fertig zu schreiben und Frank zeigt Anzeichen dafür, dass er seine Mutter vermisst, während sie sich zum Schreiben in ihr Arbeitszimmer zurückzieht. Insgesamt erschien Mimi mir sehr kühl im Auftreten und sie ist mit der Erziehung ihres Sohnes und dem gleichzeitigen Schreiben eines Buchs völlig überfordert. Alice fällt es daher schwer, deren Vertrauen zu gewinnen und die abneigende Haltung der beiden aufzubrechen.

Mimi und Frank leben zurückgezogen in ihrem Haus, das von einer Mauer umgeben ist und Frank ist Mimis einziger Lebenssinn. Sie unterstützt die Exzentrik ihres Sohns unter anderem damit, dass sie ihm die gewünschte Kleidung kauft und die Einhaltung seiner Regeln unterstützt. Sie agiert in dem guten Glauben Frank dadurch ein schönes Leben zu gestalten. Warum sie so handelt wird deutlicher als sie Alice von ihrer eigenen Kindheit und Jugend erzählt.

Frank konnte mit der Zeit meine Sympathie erlangen, denn er erscheint zwar manchmal neunmalklug, aber er kann genauso charmant auf seine ganz eigene Art sein. Er ist ein guter Beobachter. Seine auffällige Kleidung wirkt auf seine Mitschüler befremdend, so dass dies sicher mit ein Grund ist, dass er keinen Freund hat. Frank liebt enge Räumlichkeiten, eventuell weil sie ihm Schutz bieten vor erstaunten Blicken von anderen. Durch die faktische Betrachtungsweise von Frank und der Art wie er diese Fakten wieder gibt kommt es zu zahlreichen Situationen mit, aus seiner Sicht, ungewolltem Humor. Bewusst verzichtet Julia Claiborne Johnson Franks offensichtliche Störung zu benennen. Dadurch unterbleibt eine automatische Stigmatisierung und er hat die Möglichkeit zwar seine Eigenheiten auszuleben, aber sich dennoch ohne Einschränkungen seinen zukünftigen Platz im Leben zu sichern.

Der Roman zeigt auf eindrückliche Weise, dass bereits Kinder sehr verschiedenartig sind, wir Individualität akzeptieren sollten und durch diesen Prozess auch lernen können, sie wert zu schätzen. Zum Schluss erwartete mich als Leser noch eine überraschende Wendung. Frank konnte dadurch nochmals ein paar Sympathiepunkte bei mir hinzugewinnen. Gerne empfehle ich diese liebevolle, familiäre Geschichte weiter.

Veröffentlicht am 06.12.2016

Komplexer, gut konstruierter Thriller

Totenfang
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Der forensische Anthropologen Dr. David Hunter ermittelt im Buch „Totenfang“ von Simon Beckett zum fünften Mal. Der Fall zu dem er hinzugezogen wird führt ihn in die Backwaters, einem Flussmündungsgebiet ...

Der forensische Anthropologen Dr. David Hunter ermittelt im Buch „Totenfang“ von Simon Beckett zum fünften Mal. Der Fall zu dem er hinzugezogen wird führt ihn in die Backwaters, einem Flussmündungsgebiet in Essex. Die Wetterlage spült ihm Unerwartetes vor seine Füße, so dass der Titel des Thrillers zum Programm wird. Besonders gut finde ich die Aufmachung des Buchs. Obwohl die letzte Ermittlung an der Dr. Hunter beteiligt war schon ein paar Jahre zurückliegt hat das Cover eine ähnliche Aufmachung wie die bisherigen Bände der Reihe.

Seit den Geschehnissen im vierten Teil der Serie „Verwesung“ ist kein ganzes Jahr vergangen. Dr. Hunters Arbeitsvertrag mit der Universität läuft in wenigen Wochen aus, eine Verlängerung ist ungewiss. Als ihn Detective Inspector Lundy aus Essex anruft und um Mithilfe bei der Untersuchung einer Leiche bittet, überlegt er nicht sehr lange und verspricht sein sofortiges Kommen. Im Mündungsgebiet eines Flusses wurde ein Körper gesichtet, der nun an Land gebracht werden soll. Die Leiche ist bereits stark verwest, aber es besteht ein bestimmter Verdacht, wer es sein könnte. Die Kleidung deutet auf Leo Villiers hin, einem Mann knapp über 30 Jahre aus wohlhabendem Haus, der vor einigen Monaten verschwunden ist. Dr. Hunter erhält die Informationen, dass Leo Villiers kein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte. Außerdem unterhielt er wahrscheinlich ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, die noch vor seinem eigenen Verschwinden als vermisst gemeldet wurde.
Der Funde der Leiche zieht einige Fragen nach sich: Hat Leo Villiers sich selbst gerichtet oder wurde er ermordet? Ist die verschwundene Frau ebenfalls tot und wenn ja, wer hat sie umgebracht? Noch bevor Dr. Hunter mit der Analyse des Materials beginnen kann wird ein Fuß angeschwemmt, der definitiv nicht zu dem bisherigen Fund passt …

Das Buch kann ohne Kenntnisse der vorigen Bände gelesen werden. Zu Beginn geht der Autor kurz auf die Vergangenheit von Dr. Hunter ein und leitet vom vorigen Buch zur Gegenwart über. Ich habe mich als Leser darüber gefreut, Dr.Hunter zunächst in seiner heimatlichen Umgebung zu begegnen, bevor er zu einem neuen Fall gerufen wurde. So konnte ich verfolgen, wie sich die Atmosphäre veränderte. Das Flussmündungsgebiet ist wenig besiedelt, Straßen werden häufig überschwemmt oder sind bei Flut manchmal gar nicht mehr zu erkennen, es regnet viel. Die Umgebung sorgte bei mir für ein Gefühl des Unwohlseins und auch Dr. Hunter hat sich dort nicht gerne aufgehalten. Unerklärbar verschwundene Personen und eine Familie bei der die Familienmitglieder immer wieder gereizt reagieren tragen ihren Teil zu einer düsteren, unheilvollen Stimmung bei.

Zunächst läuft die Story eher ruhig ab und der Leser wartet an Dr. Hunters Seite darauf, dass die allgemeine Annahme über die Identität des ersten Fundes bestätigt wird. Der forensische Anthropologe gerät derweil in missliche Situationen. Andererseits entwickelt er am Rande des Geschehens ein Gefühl der tieferen Zuneigung für eine der handelnden Personen. Ich habe ihm gerne ein wenig privates Glück gegönnt und gehofft, dass ihn seine Gefühle nicht täuschen werden und die betroffene Person sich nicht als Mordbeteiligte herausstellen würde. Über eine weite Strecke läuft die Handlung eher schleppend bis es durch eine überraschende Wendung einen deutlichen Spannungsanstieg gibt, der bis zum Ende gehalten wird.

Der Autor konnte mich mit seiner Figur des Dr. Hunter auch im vorliegenden Fall wieder überzeugen. Am Rande vermittelt er einiges Wissen über die Arbeit des forensischen Anthropologen zur Identifizierung von Skeletten und Knochen. Die Charaktere des Buches sind neben dem Protagonisten Menschen mit Ecken und Kanten, die in dem wenig besiedelten Gebiet der Flussmündung zurechtkommen müssen.

„Totenfang“ ist in der Reihe der Dr. Hunter-Bände meiner Meinung nach nicht unbedingt der Beste, aber dennoch ein komplexer, gut konstruierter Thriller den es sich zu lesen lohnt. Ich hoffe auf baldige Fortsetzung.

Veröffentlicht am 18.11.2016

Zurück in die Vergangenheit

Wir Kassettenkinder
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„Wir Kassettenkinder – Eine Liebeserklärung an die Achtziger“ von Stefan Bonner und Anne Weiss ist kein trockenes Geschichtsbuch mit einer Faktensammlung historischer Daten, sondern vollgepackt mit liebenswerten ...

„Wir Kassettenkinder – Eine Liebeserklärung an die Achtziger“ von Stefan Bonner und Anne Weiss ist kein trockenes Geschichtsbuch mit einer Faktensammlung historischer Daten, sondern vollgepackt mit liebenswerten und weniger angenehmen Erinnerungen der beiden Autoren an die Zeit von vor etwa 30 Jahren. Für mich ich das Jahrzehnt verbunden mit Abitur, Studium, Ausbildung und Heirat, also ganz schön bewegt.

Die Autoren erzählen in der Wir-Form und aus der Erlebnissicht von Kindern beziehungsweise Jugendlichen, halt so wie die beiden es damals erlebt haben. Allerdings blicken sie in erwachsener Weise vor allem auf die politischen und geschichtlichen Hintergründe. Stefan Bonner ist im Bergischen Land aufgewachsen und Anne Weiss in Bremen. Bis auf einige Randbemerkungen beziehen sich die Erfahrungen daher auf Westdeutschland.

Das Buch gliedert sich nach einer kurzen Einführung in vier Kapitel. Im ersten Kapitel dreht sich alles um den ganz normalen Schulalltag verbunden mit der Freizeitgestaltung durch Bücher und Spiele. Das nächste Kapitel stellt den Leser vor Augen welche sorglosen Jahre die 1980er für Kinder und Jugendliche waren. Die Autoren widmen sich dem damaligen Fernsehprogramm, schildern den Ablauf eines typisch deutschen Urlaubs mit Kindern und die Gestaltung des Weihnachtsfests. Im dritten Kapitel geht es um Politik und Zeitgeschichte. Der verstörteste Moment und völlig unerwartet war sicherlich der Reaktorunfall von Tschernobyl. Ich persönlich erinnere mich sehr gut an den Morgen an dem ich ins Büro kam und von meiner Kollegin davon erfuhr. Umweltaktivismus und Friedensbewegung waren große Themen der Dekade. Der letzte Teil widmet sich der technischen Entwicklung. Schlagwörter hierzu sind Walkman, Videorekorder, Spielekonsole und die dafür benötigten titelgebenden Kassetten.

Das Buch ist in einem leicht lesbaren Plauderton geschrieben. Immer wieder fließen Werbesprüche in ihre Schilderung ein. Wenn auch ihre Ausführungen nicht abschließend sein können, so habe ich mich doch gerne mit in die
damalige Zeit nehmen lassen. Die 1980er waren eine intensive Zeit für mich verbunden mit vielen Erinnerungen an schönen und leider auch negativen Erlebnissen. Ausgelöst durch das Gelesene blitzten immer wieder Szenen in meinen Gedanken auf, wie es bei mir im Vergleich zu dem im Buch geschilderten gewesen ist. Und natürlich kannte ich auch den überwiegenden Teil der genannten Musik- und Filmtitel wie auch der Fernsehsendungen.

Das Buch ist nicht nur für den Leser eine Zeitreise in die 1980er sondern bietet auch eine ideale Gesprächsgrundlage zwischen Jung und Alt oder auch für einen gemeinsamen Rückblick, ebenfalls als Geschenk bestens geeignet.

Veröffentlicht am 16.11.2016

Ein Roman der betroffen macht und nachwirkt

Die Nachtigall
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Zwar beginnt das Buch „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah im Jahr 1995 in Oregon/USA, doch die Handlung des Romans spielt zum größten Teil kurz vor und während des zweiten Weltkriegs in Frankreich. Es ...

Zwar beginnt das Buch „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah im Jahr 1995 in Oregon/USA, doch die Handlung des Romans spielt zum größten Teil kurz vor und während des zweiten Weltkriegs in Frankreich. Es ist die Geschichte zweier Schwestern, Vianne und Isabelle Rossignol. Der Nachname bedeutet übersetzt „Nachtigall“ und hat dem Buch einerseits den Titel gegeben, andererseits ist er der Spitzname für Isabelle in ihrer Rolle als Fluchthelferin im Zweiten Weltkrieg. In kurzen Zwischenkapiteln, die im Jahr 1995 spielen, erzählt die Autorin dem interessierten Leser, was die Familienmitglieder in den Jahren nach dem Krieg erlebt haben.

Zwischen den Schwestern gibt es einen Altersunterschied von 10 Jahren. Isabelle war erst fünf Jahre alt, als ihre Mutter starb. Vianne hat sich schon sehr früh in einen Mann verliebt, den sie später auch heiratete. Ihr Vater ist ein Buchhändler in Paris und an der Erziehung seiner Kinder völlig desinteressiert. Doch auch Vianne ist überfordert damit, sich um ihre kleine Schwester zu kümmern, die daher überwiegend im Internat aufwächst. Sie widersetzt sich immer wieder den Regeln des Schullebens und wechselt daher häufiger ihren Aufenthaltsort. Als der Krieg beginnt, wird der Ehemann von Vianne eingezogen, der kleine Ort in Frankreich von den Deutschen besetzt und ein Hauptmann der Wehrmacht wird bei ihr einquartiert. Isabelle ist zu dieser Zeit wieder einmal von der Schule verwiesen worden. Als die Lage sich immer mehr zuspitzt, wird sie ihrer Rebellenrolle weiter dadurch gerecht, dass sie sich dem Widerstand anschließt, auch gegen den Willen des Mannes den sie bei der Résistance kennengelernt hat. Gibt es für die Liebe der beiden eine Zukunft und wird Vianne nach dem Krieg weiter ein Leben an der Seite ihres Ehemanns führen können?

Vor allem Isabelle wurde in ihrer Kindheit nicht mit Liebe verwöhnt. Nach dem Tod der Mutter ist der Vater hilflos mit den Kindern überfordert und Vianne steckt als Jugendliche in der Selbstfindungsphase. Eine Heimat findet sie auf diese Weise nicht und Vertrauen aufzubauen, ist auch schwierig. Ohne Schulabschluss sucht sie nach einer Tätigkeit, die ihr Anerkennung bringen kann, mit dem Ziel sowohl ihrem Vater wie auch ihrer Schwester zu beweisen, dass sie nützlich ist und den Respekt der beiden verdient hat. Die Tätigkeit für die Widerstandsgruppe ist ihr eigener Kampf dafür, als erwachsen zu gelten und selbstbestimmt leben zu dürfen obwohl sie noch minderjährig ist.

„Die Nachtigall“ ist eine sehr emotional ergreifende Geschichte. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs erzählt Kristin Hannah das Schicksal von Vianne und Isabell stellvertretend für so viele Frauen, die zu Hause auf ihre Lieben gewartet haben, die ihren Kriegsdienst abzuleisten hatten. Sie versuchten den Alltag weiterzuleben wie bisher, doch die ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wurden immer weiter beschränkt von der deutschen Wehrmacht, die im Laufe der Zeit selbst in kleinsten Dörfern Einzug hielt.

Die Autorin hat die historischen Daten zum Roman gut recherchiert. Doch ihr Fokus bleibt auf den beiden Frauen, sie nutzt leider nicht die Möglichkeit der Geschichte von Randfiguren wie Rachel, der jüdischen Freundin von Vianne, eine größere Bedeutung zu geben. Für mich blieb beispielweise fraglich, womit Rachel und ihre Kinder in den Kriegstagen ihren Hunger gestillt haben. Auch einige andere Stellen waren ein wenig verschwommen dargestellt. In gewissen Situationen reagierten sowohl Vianne und Isabelle sehr impulsiv. Ich hätte den beiden an manchen Stellen aus ihrer Erfahrung heraus ein besonneneres Vorgehen zugestanden. Nichtsdestotrotz konnte mich der Roman in seinen Bann ziehen.

Obwohl ihr Roman sehr gefühlvoll geschrieben ist, wertet Kristin Hannah nicht über gute oder schlechte Eigenschaften der deutschen Besatzer. So neutral wie möglich schafft sie es, die Unterdrückung der Franzosen darzustellen und gesteht dennoch den Deutschen Menschlichkeit zu, die sich ihrer ausführenden Rolle als Befehlsempfänger bewusst sind.

Kristin Hannah gibt den französischen Frauen, die ihren Dienst für das Vaterland im Zweiten Weltkrieg auf ihre ganz eigene Weise geleistet haben mit diesem Roman ein Gesicht. Ihre Schilderung machte mich zunehmend betroffen und wird sicher noch sehr lange nachwirken. Das Buch ist definitiv eine Leseempfehlung!