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Veröffentlicht am 11.01.2020

Wie wird eine Mutter geformt?

Jesolo
0

Andrea will keine Kinder, will in der Stadt leben und arbeitet gerne. Und dann ist sie plötzlich schwanger und zieht auf eine Baustelle im Haus ihrer Schwiegereltern mit einem Mann, den sie nicht liebt.

"Jesolo" ...

Andrea will keine Kinder, will in der Stadt leben und arbeitet gerne. Und dann ist sie plötzlich schwanger und zieht auf eine Baustelle im Haus ihrer Schwiegereltern mit einem Mann, den sie nicht liebt.

"Jesolo" liest sich nicht angenehm. Andrea verhält sich frustrierend passiv, treibt dahin, macht im Kopf Listen, dekliniert das ABC der Mutterschaft durch und träumt immer wieder von Wasser und Ohnmacht. Scheinbar wird sie, sobald sie schwanger ist, zum Spielball der Anderen, wird geformt und beeinflusst. Und kann sich nur mit unterschwellig aggressiven Aktionen wehren.

Ich habe selbst keine Kinder, habe aber oft davon gelesen, welchen Einfluss der Partner, Familie, Nachbarn, gesellschaftliche Vorstellungen auf eine Mutter nehmen.

Die Autorin Tanja Raich stellt dies so dar, als sei es unabwendbar. Als werde die Frau schwanger zum Objekt, zur Trägerin eines neuen Lebens, die von Hormonen vernebelt, stumm bleibe.

Aber Andrea ist auch bereits vor der Schwangerschaft unentschieden, hat keinen konkreten Plan für ihre Zukunft, ist mit Georg nicht glücklich. Sie weiß nur, dass sie keine Kinder will, nicht aufs Dorf ziehen will, weiter arbeiten will.

Warum zur Hölle bekommt sie dann das Kind? Die Autorin verrät es nicht.

Ich vermute, die Autorin übergeht dies aus erzählerischen Gründen, um zu verdeutlichen, welche Konsequenzen eine Schwangerschaft haben kann. Aber diese Konsequenzen warten auch auf eine Frau, die sich auf ihr Kind freut. Es kann zu großer Frustration führen, wenn die Frau zwar glückliche Mutter ist, aber nicht von ihrem Mann unterstützt wird, wenn sie aus dem Beruf ausscheidet und nicht weiss, ob die Stelle bei ihrer Rückkehr noch da ist, wenn die Anderen alles besser wissen und sich einmischen.

Ein Kind zu haben, berührt die Partnerschaft, den Beruf, die Unabhängigkeit, das Bild bei Verwandten und Nachbarn. Kindergärtenplätze, Gesetze zum Arbeitsschutz und finanzieller Unterstützung sowie zum Schwangerschaftsabbruch werden relevant.

Frauen müssen sich über ihre Wünsche klar sein, sie äußern und sich mit ihrem Partner einigen. Tut man dies nicht, kann es laufen wie in diesem Roman.

Ein sehr wichtiges Thema!

Veröffentlicht am 11.01.2020

Wie wird eine Mutter geformt?

Jesolo
0

Andrea will keine Kinder, will in der Stadt leben und arbeitet gerne. Und dann ist sie plötzlich schwanger und zieht auf eine Baustelle im Haus ihrer Schwiegereltern mit einem Mann, den sie nicht liebt.

"Jesolo" ...

Andrea will keine Kinder, will in der Stadt leben und arbeitet gerne. Und dann ist sie plötzlich schwanger und zieht auf eine Baustelle im Haus ihrer Schwiegereltern mit einem Mann, den sie nicht liebt.

"Jesolo" liest sich nicht angenehm. Andrea verhält sich frustrierend passiv, treibt dahin, macht im Kopf Listen, dekliniert das ABC der Mutterschaft durch und träumt immer wieder von Wasser und Ohnmacht. Scheinbar wird sie, sobald sie schwanger ist, zum Spielball der Anderen, wird geformt und beeinflusst. Und kann sich nur mit unterschwellig aggressiven Aktionen wehren.

Ich habe selbst keine Kinder, habe aber oft davon gelesen, welchen Einfluss der Partner, Familie, Nachbarn, gesellschaftliche Vorstellungen auf eine Mutter nehmen.

Die Autorin Tanja Raich stellt dies so dar, als sei es unabwendbar. Als werde die Frau schwanger zum Objekt, zur Trägerin eines neuen Lebens, die von Hormonen vernebelt, stumm bleibe.

Aber Andrea ist auch bereits vor der Schwangerschaft unentschieden, hat keinen konkreten Plan für ihre Zukunft, ist mit Georg nicht glücklich. Sie weiß nur, dass sie keine Kinder will, nicht aufs Dorf ziehen will, weiter arbeiten will.

Warum zur Hölle bekommt sie dann das Kind? Die Autorin verrät es nicht.

Ich vermute, die Autorin übergeht dies aus erzählerischen Gründen, um zu verdeutlichen, welche Konsequenzen eine Schwangerschaft haben kann. Aber diese Konsequenzen warten auch auf eine Frau, die sich auf ihr Kind freut. Es kann zu großer Frustration führen, wenn die Frau zwar glückliche Mutter ist, aber nicht von ihrem Mann unterstützt wird, wenn sie aus dem Beruf ausscheidet und nicht weiss, ob die Stelle bei ihrer Rückkehr noch da ist, wenn die Anderen alles besser wissen und sich einmischen.

Ein Kind zu haben, berührt die Partnerschaft, den Beruf, die Unabhängigkeit, das Bild bei Verwandten und Nachbarn. Kindergärtenplätze, Gesetze zum Arbeitsschutz und finanzieller Unterstützung sowie zum Schwangerschaftsabbruch werden relevant.

Frauen müssen sich über ihre Wünsche klar sein, sie äußern und sich mit ihrem Partner einigen. Tut man dies nicht, kann es laufen wie in diesem Roman.

Ein sehr wichtiges Thema!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.01.2020

Eine junge Frau auf der Suche nach Zugehörigkeit

Irgendwo in diesem Dunkel
0

Natascha Wodin ist das Kind russischer Zwangsarbeiter, die im Krieg nach Deutschland verschleppt wurden.
In ihrem autobiografischen Roman “Sie kam aus Mariupol” hat die Autorin bereits über ihre Mutter ...

Natascha Wodin ist das Kind russischer Zwangsarbeiter, die im Krieg nach Deutschland verschleppt wurden.
In ihrem autobiografischen Roman “Sie kam aus Mariupol” hat die Autorin bereits über ihre Mutter und deren Freitod geschrieben. In “Irgendwo in diesem Dunkel” steht der Vater im Zentrum der Geschichte.

Wodin schreibt über ihre Kindheit in den Häusern der ehemaligen Zwangsarbeiter. Die “Häuser” ist ein abwertender Begriff der Deutschen. Mit denen aus den »Häusern« gab man sich nicht nicht ab. Sie durften nicht ins Schwimmbad, da man sie für dreckig hielt und glaubte, sie würde Krankheiten einschleppen:

»Ich wusste nicht, woran die Frau an der Kasse mich erkannt hatte, aber die Bewohner der Häuser konnten ihre Herkunft nicht verbergen, ihr Äußeres, ihr Verhalten, ihre Art mentaler Geruch gaben sie immer und überall sofort preis.«

In der katholischen Schule kam sie sich ebenso fremd vor:

»Das Nichtdeutschsein war eine Verdammnis auf Erden. Das Nichtkatholischsein war die Verdammnis in Ewigkeit, weil nur die Katholiken in den Himmel kamen.«

Schlicht und schnörkellos und doch eindringlich erzählt Wodin in der Ich-Form von ihrer ersten Verliebtheit und wie der deutsche Junge sie als “Russenlusche” beschimpft. Sie schreibt davon, wie es ist, nicht dazuzugehören, niemanden um Hilfe bitten zu können, keinen Platz für sich zu haben. Als Jugendliche läuft sie von zu Hause weg, schläft in Schuppen, wird vergewaltigt und treibt ihr Kind selbst ab.

Wodin beschreibt das Zusammenleben mit ihrem strengen Vater, der aus seinem Leben in der Sowjetunion stets ein Geheimnis gemacht hat. Einst hatte sie ihm den Tod gewünscht und nun begegnet sie ihm im Altenheim wieder, halb blind und hilflos. Für ihren Vater ist sie immer noch Übersetzerin, denn die einzigen deutschen Wörter, die er nach 50 Jahren gelernt hatte, sind “brauche” und “brauche nix”.

Welche Freude, als ihr das erste Mal Interesse und Respekt entgegengebracht wird und sie nicht die Andere ist.

Eine berührende Geschichte über das Erwachsenwerden einer jungen Frau in den 60ern, die uns das Schicksal der Millionen von Zwangsarbeitern und ihren Familien in Deutschland näherbringt.

  • Einzelne Kategorien
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.01.2020

Eine junge Frau auf der Suche nach Zugehörigkeit

Irgendwo in diesem Dunkel
0

Natascha Wodin ist das Kind russischer Zwangsarbeiter, die im Krieg nach Deutschland verschleppt wurden.
In ihrem autobiografischen Roman “Sie kam aus Mariupol” hat die Autorin bereits über ihre Mutter ...

Natascha Wodin ist das Kind russischer Zwangsarbeiter, die im Krieg nach Deutschland verschleppt wurden.
In ihrem autobiografischen Roman “Sie kam aus Mariupol” hat die Autorin bereits über ihre Mutter und deren Freitod geschrieben. In “Irgendwo in diesem Dunkel” steht der Vater im Zentrum der Geschichte.

Wodin schreibt über ihre Kindheit in den Häusern der ehemaligen Zwangsarbeiter. Die “Häuser” ist ein abwertender Begriff der Deutschen. Mit denen aus den »Häusern« gab man sich nicht nicht ab. Sie durften nicht ins Schwimmbad, da man sie für dreckig hielt und glaubte, sie würde Krankheiten einschleppen:

»Ich wusste nicht, woran die Frau an der Kasse mich erkannt hatte, aber die Bewohner der Häuser konnten ihre Herkunft nicht verbergen, ihr Äußeres, ihr Verhalten, ihre Art mentaler Geruch gaben sie immer und überall sofort preis.«

In der katholischen Schule kam sie sich ebenso fremd vor:

»Das Nichtdeutschsein war eine Verdammnis auf Erden. Das Nichtkatholischsein war die Verdammnis in Ewigkeit, weil nur die Katholiken in den Himmel kamen.«

Schlicht und schnörkellos und doch eindringlich erzählt Wodin in der Ich-Form von ihrer ersten Verliebtheit und wie der deutsche Junge sie als “Russenlusche” beschimpft. Sie schreibt davon, wie es ist, nicht dazuzugehören, niemanden um Hilfe bitten zu können, keinen Platz für sich zu haben. Als Jugendliche läuft sie von zu Hause weg, schläft in Schuppen, wird vergewaltigt und treibt ihr Kind selbst ab.

Wodin beschreibt das Zusammenleben mit ihrem strengen Vater, der aus seinem Leben in der Sowjetunion stets ein Geheimnis gemacht hat. Einst hatte sie ihm den Tod gewünscht und nun begegnet sie ihm im Altenheim wieder, halb blind und hilflos. Für ihren Vater ist sie immer noch Übersetzerin, denn die einzigen deutschen Wörter, die er nach 50 Jahren gelernt hatte, sind “brauche” und “brauche nix”.

Welche Freude, als ihr das erste Mal Interesse und Respekt entgegengebracht wird und sie nicht die Andere ist.

Eine berührende Geschichte über das Erwachsenwerden einer jungen Frau in den 60ern, die uns das Schicksal der Millionen von Zwangsarbeitern und ihren Familien in Deutschland näherbringt.

Veröffentlicht am 09.01.2020

Hochspannend und mit vielen Denkanstößen

Du bist genug
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In der Fortsetzung von "Du musst nicht von allen gemocht werden" beantwortet der Autor folgende Frage:
"Wie lässt sich die Liebe im Leben finden? Und was ist die größte Wahl, die man treffen muss, um glücklich ...

In der Fortsetzung von "Du musst nicht von allen gemocht werden" beantwortet der Autor folgende Frage:
"Wie lässt sich die Liebe im Leben finden? Und was ist die größte Wahl, die man treffen muss, um glücklich und zufrieden zu sein?"

Es geht um Machtkämpfe, Anerkennung, Manipulation, Religion, Selbstverletzung, Stalking, Partnerschaften, Gemeinschaft, Wut, Wettbewerb und Demokratie.

Es sind drei Jahre vergangen und der junge Mann ist zu dem Philosophen zurückgekehrt. Inzwischen hat er als Lehrer gearbeitet und ist mit seinem Versuch, die Lehren Adlers umzusetzen, bei seinen Schülern gehörig auf die Nase gefallen.
Entsprechend wütend startet das Gespräch zwischen beiden. Der Lehrer wirft dem Philosophen vor, dass die Psychologie Adlers nur theoretisches Geschwätz sei und dem Alltag nicht standhalte.

Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert, denn wir kennen es doch alle, dass in Selbsthilfebüchern Gelesenes ermutigend und hoffnungsvoll klingt und man dann enttäuscht ist, wenn man bei der Umsetzung nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt.

Der junge Mann brachte plausible Einwände und konkrete Erlebnisse aus seinem Schulalltag vor, und ich war höchst gespannt, was der Philosoph darauf antworten würde.

Der Autor schilderte daraufhin fünf Stadien von problematischem Verhalten, die man als Lehrer, Eltern oder Vorgesetzter kennen sollte.

Während des Dialogs wurden die im ersten Buch eingeführten Konzepte wie "Trennung der Aufgaben" und "Schädlichkeit von Lob und Tadel" nochmals erläutert und ergänzt durch "Vertrauen" und "Respekt".

"Auf dieser Welt gibt es zwei Dinge, die man nicht erzwingen kann, egal, wie viel Macht man hat. (…) 'Respekt' und 'Liebe'".

Berechtigterweise fragte der junge Mann, ob denn nicht das totale Chaos ausbrechen würde, wenn er aufhören würde, die Schüler zu ermahnen.

"Respekt ist ein Ball, der nur von der Person zu Ihnen zurückkommt, der Sie ihn zugeworfen haben. Das ist, als ob man einen Ball gegen eine Mauer werfen würde. Wenn Sie ihn werfen, kommt er vielleicht zu Ihnen zurück. Aber es passiert gar nichts, wenn Sie nur die Mauer ansehen und brüllen: «Gib mir den Ball!»"

Das Gespräch führt die beiden über die Ursache des fehlenden Respekts bis hin zu Selbständigkeit und Liebe, die laut Adler eine aktive Entscheidung ist.

Der Dialog richtet den Blick immer wieder weg von "Die bösen Anderen und "Ich Armer" zu "Was kann ich jetzt tun?". Eine konstruktive Einstellung, die aus der Passivität ins Handeln führt.

Ich habe viele Situationen aus Schule, Beruf, Familie oder Partnerschaft wiedererkannt und kann sie nun besser verstehen.

Es ist keine leichte Lektüre. Sich ihr und damit den eigenen blinden Flecken zu stellen, bedeutet Mut.

Was ich kritisch sehe, ist die Aufforderung, zu geben. Gerade Menschen, die sich nicht gut abgrenzen können oder zu idealistisch sind, könnten sich verausgaben oder ausgenutzt werden.

Ein Buch für Leser, die sich weiterentwickeln möchten und sich nicht scheuen, sich auch unbequeme Tatsachen anzuschauen.
Nur Mut!