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Veröffentlicht am 10.01.2020

Weniger wäre mehr gewesen

Schwert und Krone - Zeit des Verrats
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Dem letzten Band der "Schwert und Krone"-Saga habe ich mit Freude 4,5 Sterne gegeben, ihn sehr genossen. Nun war ich besonders gespannt darauf, wie die ersten Jahre von Friedrich "Barbarossas" Herrschaft ...

Dem letzten Band der "Schwert und Krone"-Saga habe ich mit Freude 4,5 Sterne gegeben, ihn sehr genossen. Nun war ich besonders gespannt darauf, wie die ersten Jahre von Friedrich "Barbarossas" Herrschaft geschildert sein würden. Es gibt in der Zeit so viele aufregende Geschehnisse und Entwicklungen. Leider hat mich dieser Band aber doch enttäuscht.

In diesem dritten Band der Saga sind die Jahre von 1152 bis 1157 behandelt - fünf Jahre in über 600 Seiten, das läßt schon auf Detailfreude schließen. Mir war es wesentlich zu viel der Detailfreude. Die Ereignisse um Friedrich selbst sind gewohnt spannend und farbig geschildert, ich war auf den ersten Seiten schon begeistert. Wir sind dabei, wie Friedrich sich in seine neue Rolle hereinfindet, wie er wichtige neue Weggefährten wie Rainald von Dassel kennenlernt und sich seiner ungeliebten Ehefrau entledigt. Wir reisen mit Friedrich nach Italien, erleben kluge Diplomatie und eine Politik des Ausgleichs, andererseits harsches Durchgreifen. Das alles las sich spannend und es ist auch herrlich, bekannte historische Ereignisse in Romanform zu lesen und sie gut umgestzt zu finden.

Leider aber ist für eine Barbarossa-Saga in Band 3 recht wenig Barbarossa drin. Fast hätte man es für eine Wettiner-Saga halten können, denn diese Familie nimmt hier den größten Teil ein. Da gibt es sicher auch interessante Entwicklungen, aber es werden leider auch so viele historisch nicht relevante Familienquerelen berichtet, dass ich mich manchmal eher wie in einer Seifenoper fühlte, nicht wie in einem historischen Roman. Hinzu kommen einige rein fiktive Personen, die für mich nicht durchweg interessant waren und die manchmal die eigentliche Geschichte auch eher unterbrachen. So wird in Italien sehr viel Zeit auf einen Übersetzer verwendet, der weder vorher noch nachher eine Rolle spielt. Es gibt doch ohnehin schon so viele spannende Themen und Geschehnisse, dem Buch mangelt es nicht an Seiten - war es da notwendig, noch so viel Zusätzliches hineinzuquetschen und die Geschichte so zu überfrachten? Ich hatte ohnehin öfter das Gefühl, daß die Autorin die Vielzahl der Charaktere nicht immer gut unter einen Hut bekommt. So haben wir bei den Wettinern den dritte Sohn Dedo, der vielleicht irgendwann einmal eine Rolle spielen wird und deshalb wohl immer mal wieder erwähnt wird. Allerdings tut er nichts, außer übergewichtig zu sein und dafür gehänselt zu werden. Dann haben wir bei den Piasten Jacza und Agatha, die in diesem und dem letzten Band immer nur am Rande vorkamen und zu denen es ebenfalls nicht wirklich eine zu berichtende Geschichte gibt, so daß sie immer mal wieder mit Belanglosigkeiten erwähnt werden, bis sie dann mit Friedrich zu tun bekommen. Durch diese gelegentlichen belanglosen Kapitel, in denen sie in diesem und letzten Band vorkamen, sind sie aber - jedenfalls für mich - nicht hinreichend präsent, um innerhalb dieser sehr vielen Charaktere und Geschehnisse Anteil an ihnen zu nehmen, dafür bleiben sie auch zu blass.
Die hochinteressante Wechselbeziehung zwischen Friedrich und Heinrich, überhaupt den Welfen und Staufen, erfährt dagegen eher stiefmütterliche Behandlung. Friedrichs Erlebnisse in Italien brechen abrupt ab, die sehr aufregende Rückreise wird dann von Friedrich halbherzig in einem kurzen Gespräch geschildert - dabei hätte es so herrliches Material für lebhafte Szenen abgegeben! Dafür führt Friedrich mit seinem Schwager Ludwig, der überhaupt nur einmal auftaucht, ein völlig überflüssiges Gespräch, das nur dazu zu dienen scheint, dessen Beinamen "der Eiserne" so oft wie möglich zu erwähnen. Die Gewichtung stimmte für mich an mehreren Stellen überhaupt nicht.
So wäre in diesem Band weniger mehr gewesen: weniger fiktives Beziehungsgezacker, weniger am Rande vorkommende Nebencharaktere, weniger für die Geschichte nicht wirklich wichtige Handlungsstränge. Mehr Fokussierung auf die spannenden Ereignisse um Friedrich, sowie in Dänemark, die doch nun wirklich genug Stoff hergaben, ohne noch mit so viel Drumherum aufgepolstert zu werden.

Ein weiterer Kritikpunkt, den ich schon zum Vorgängerband hatte und der hier noch stärker wurde, waren die ständigen Wiederholungen und Erklärungen des Offensichtlichen. Zu Beginn erfahren wir, daß Friedrich nun neue, junge Leute um sich schart. Die Zeiten ändern sich, eine neue Generation übernimmt. Das ist nicht schwer zu verstehen, wird uns aber im ersten Teil des Buches alle paar Seiten erneut mitgeteilt. Die Scheidung Eleonore von Aquitaniens und die damit verbundenen Gerüchte werden uns auch gleich mehrfach mitgeteilt, ebenso der Mord am Schwager Albrecht des Bären. Dann zwei fast gleichlautende Sätze über/von Ludwig, der angeblich nur noch in Rüstung herumläuft. Friedrich sagt, als er davon erfährt: "Im Gambeson und Kettenhemd? Das wird meiner Schwester nicht gefallen." 35 Seiten später sagte Ludwig zu Friedrich: "Sie (also Friedrichs Schwester) würde deutliche Einwände erheben, wenn ich mich in Kettenhemd und Gambeson zu ihr legte."
Auf Seite 494 über Heinrichs Frau Clementia: "Bald darauf war sie wieder schwanger geworden. Und noch ein drittes Mal. Zwei Töchter. Kein Sohn mehr." - Eine halbe Seite später: "Zumal Clementia keinen Jungen mehr gebar."
Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele und zumindest mich stören solche ständigen Wiederholungen beim Lesen sehr und ich frage mich auch, wie diese zustandekommen.

Ein kleinerer Kritikpunkt, der leider aber auch mit jedem Band etwas anstrengender wird, ist die etwas pubertierende Denkweise der meisten Charaktere. Immer wieder erfahren wir, daß die Männer auf Gespielinnen zurückgreifen, alle scheinen bei Ehen ausschließlich ans Bett zu denken, wir erfahren auch, daß Friedrich beim Anblick seiner neuen Ehefrau ständig, auch in wichtigsten politischen Augenblicken, von Begehren erfasst wird. Das ist schön für ihn, aber für uns nicht wirklich relevant, jedenfalls nicht in der Häufung.

So hab ich einerseits die Geschehnisse um Friedrich "Barbarossa" mit Vergnügen gelesen, fand den Handlungsstrang um den gestürzten dänischen König ausgesprochen spannend, da ich davon noch gar nichts wusste und erfreute mich auch im dritten Band daran, wie Geschichte lebendig wurde. Andererseits aber gab es einfach zu viele Wiederholungen und zu viele Szenen, die ich nicht interessant fand. Der vierte Band ist ein gutes Stück dünner. Ich hoffe sehr darauf, daß er sich wieder auf die Stärken der Reihe konzentriert und weniger überfrachtet daherkommt.

Lobend zu erwähnen ist auch hier wieder die gute Ausstattung mit Karten und Stammbäumen, sowie die schlicht-elegante Einbandgestaltung, die den gebundenen Ausgaben dieser Serie eigen ist und mir wesentlich besser gefällt, als die leicht angekitschten Taschenbuchtitelbilder.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.11.2019

Ungewöhnliche Reise durch Nürnbergs Geschichte

Dürer und die Fratze des Teufels
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"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten ...

"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten mit - bis auf einen Fall - fiktiven Verbrechen verbunden. Da der Hauptteil der Geschichten im 15. Jahrhundert liegt, begegnen uns einige Personen mehrfach, auch Orte oder Bauwerke kommen immer wieder vor, was uns auf angenehme Weise in dieses Nürnberg eintauchen läßt. Stadt und Leute werden einem durch das Buch hindurch immer vertrauter.

Das Titelbild ist gut gelungen, es zeigt im Hintergrund die Frauenkirche am Hauptmarkt - der Hauptmarkt ist einer der Orte, die uns im Buch immer wieder begegnen. Davor dann Dürer; farbig, aber von den Farbtönen her zum Hintergrund passend, so daß es harmoniert. Kleine Zeichen wie ein Blutsfleck oder Kratzer in einer Türe zeigen das Kriminalfallmotiv gut an. Die Schrift ist ebenfalls sehr ansprechend und paßt zum Thema und der im Buch behandelten Zeit.

Jeder Geschichte ist eine Kurzbiographie der historischen Person nachgestellt, die hier der Fokus ist. Das ist eine gute Kombination, manchmal ist auch die Inspiration für die Geschichte in dieser Kurzbiographie erwähnt. Ein wenig irritiert war ich, daß die Kurzbiographie Albrecht Dürers und die Kurzbiographie Agnes' Dürers sich widersprechende Aussagen enthalten. Manche der Biographien sind arg knapp geraten, aber überwiegend sind sie informativ und reichern die Fiktion der Geschichten mit Fakten an. Ich habe hier einiges gelernt.

Die Geschichten sind von der Qualität unterschiedlich und im Gesamten war ich doch ein wenig enttäuscht, wie viele Geschichten für meinen Geschmack stilistisch und/oder inhaltlich zu wünschen übrig ließen - es waren einige dabei, die ich nur mit 2 Sternen bewertet hätte. Hier war es oft so, daß die Dialoge gestelzt und unnatürlich wirkten oder Hintergrundfakten ungeschickt eingebaut wurden. Zwei Geschichten haben für mich inhaltlich keinen Sinn ergeben und in einer - eigentlich recht guten - Geschichte ist ein dicker Logikfehler. Ein Thema wurde gleich in zwei Geschichten verwendet, die teilweise inhaltlich fast gleich sind.
Dem stehen aber auch einige ausgezeichnete Geschichten gegenüber, die sich angenehm lesen, unerwartete Wendungen bieten, historische Fakten elegant einflechten und uns Interessantes über Bauwerke oder Wahrzeichen vermitteln. Hier stachen für mich besonders "Der Nachtgiger", "Die Entführung der Reichskrone" und "Feuerzungen" heraus. Eine erfrischend originelle Idee macht "Ein feiger Anschlag" ebenfalls zu einer flotten Lesefreude. Insgesamt sind die 20 Geschichten also ein sehr durchwachsenes Vergnügen, was ich schade finde. Der Logikfehler, die widersprüchlichen Informationen und so manch gestelzter Dialog hätte vermieden werden können. Wenn ich jeder Geschichte eine Einzelsternebewertung gebe und daraus den Durchschnitt ziehe, ergeben sich 3,3 Sterne.

Da die Idee gut ist, die Gestaltung ansprechend und ich viel gelernt habe, vergebe ich 3,5 Sterne.

Veröffentlicht am 06.11.2019

Toll ausgedacht, für meinen Geschmack zu langatmig erzählt

Der Lehrmeister (Faustus-Serie 2)
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Als große Verehrerin Goethes und seines Fausts lese ich immer gerne andere Faustadaptionen. Da mir der Schreibstil von Oliver Pötzsch im ersten "Henkerstochter"-Band ausnehmend gut gefallen hat, war ich ...

Als große Verehrerin Goethes und seines Fausts lese ich immer gerne andere Faustadaptionen. Da mir der Schreibstil von Oliver Pötzsch im ersten "Henkerstochter"-Band ausnehmend gut gefallen hat, war ich also sehr neugierig, wie er das Thema umsetzt.

Den ersten Band dieser Faust-Dilogie habe ich nicht gelesen, was aber dem Verständnis keinerlei Abbruch tat. Wenn Informationen aus dem ersten Band relevant waren, wurden sie hinreichend (wenn auch oft wiederholend - was "damals in Nürnberg" geschah, erfahren wir um die zwanzigmal) erläutert. Die Leser der zweiten Bandes so gut in die Geschichte einzuführen gelingt nicht jedem Autor und das hat mir gefallen.

Es sind als kleine Goethe-Hommage immer wieder Zitate aus Faust I und II eingestreut, die in einem Anhang auch noch einmal aufgelistet werden. Sonst fand ich - abgesehen von gewissen Grundstrukturen - weder den Goethischen noch den historischen Faust sehr in der Geschichte wieder. Das äußere Rahmenwerk paßt, aber dem Wesen Fausts fehlte mir meistens das Faustische. Er sagt auf Seite 605: "Ich bin der alte Johann, nicht der kluge Faustus." Das ist zwar nicht ernst gemeint, aber es ist doch ein wenig der Eindruck, den ich auch immer wieder hatte. Das war aber, sobald ich mich geistig von meiner Faust-Vorstellung gelöst habe, nicht störend oder unerfreulich, denn Oliver Pötzsch präsentiert hier eine ganz ausgefeilte Geschichte, die wahre Geschichte mit bekannten und unbekannten Theorien vermischt, historische und fiktive Personen aufeinander treffen läßt und dies alles zu einem im positiven Sinne komplexen Ganzen werden läßt.

Die historische Recherche, die in dieses Buch geflossen ist, läßt sich wohl nicht ansatzweise ausmalen. Hier steckt Arbeit und Herzblut drin und das merkt man. Soweit ich das beurteilen kann, ist die Recherche ausgezeichnet, ich fand mir Bekanntes gut beschrieben und habe Neues erfahren und teilweise auch nach dem Lesen weitere Informationen dazu gesucht. Die historischen Charaktere passen sich gut in diese fiktive Geschichte ein. Überhaupt ist die Charakterentwicklung im Buch durchweg gelungen. Die Charaktere sind vielschichtig, manche führen uns erfolgreich hinters Licht, anderer bleiben zwiespältig und es gibt manche Überraschung. Sogar absolute Nebenfiguren sind sorgfältig ausgearbeitet, selbst wenn sie nur in einer Szene auftauchen.

Die Beschreibungen sind detailreich, was einerseits dazu beiträgt, daß wir viel über diverse Orte und Lebensumstände erfahren. Andererseits führt diese Detailfreude auch oft zu Zähigkeit. Die Langatmigkeit des Buches hat mir das Lesevergnügen leider ganz erheblich beeinträchtigt. Es geht noch recht flott los, dann aber fließt die Geschichte wie ein schlammiger breiter Fluß oft träge dahin. Wir erfahren Grübeleien (gerne auch mehrfach), theoretische Diskussionen, ausufernde Beschreibungen oder Dialoge, die die Handlung nicht weiterbringen. Hatte ich am Anfang noch das "Oh, noch ein Kapitel, ich muß wissen, wie es weitergeht"-Gefühl, habe ich später oft mitten im Kapitel mit dem Lesen aufgehört. Richtig gebannt war ich nur selten und während mir sonst beim Lesen die Seiten immer zu schnell dahinschwinden, dachte ich hier oft "Oh, erst auf Seite x." Der erste Showdown nach etwa 2/3 des Buches brachte endlich Tempo in die Geschichte, wird aber leider dann von einem besonders zähen letzten Drittel abgelöst, in dem ich anfing, Seiten zu überfliegen. Am Ende folgt der finale Showdown, der mir teilweise zu überzogen, aber auch zu langatmig war. Insofern muß ich zugeben, daß ich trotz ausgefeilter Geschichte und toller Charaktere froh war, das Buch zu Ende gelesen zu haben.

Ein weiterer Punkt, der mich richtiggehend geärgert hat, waren die zahlreichen Wiederholungen, die ich bei einem so versierten Autor und renommierten Verlag in dieser Fülle nicht erwartet hätte. Einige Beispiele:
1. Seite 186: "Die Stadt heißt Amboise." - Seite 198: "Die Stadt, in der Leonardo wohnte, hieß Amboise." - Seite 225: "...und das war Leonardo da Vinci, der in Amboise Wohnte."
2. Die Thematik der Kaiserwahl angesichts des Todes Kaiser Maximilians, die beiden Hauptkontrahenten und alles, was damit zusammenhängt, wird uns immer und immer wieder erklärt (sogar im Nachwort erfahren wir es erneut), oft fast gleichlautend.
3. Daß und wen Karl und Greta lieben, erfahren wir auch immer und immer wieder. Daß jemand, der die Charaktere zuerst enttäuscht, ihnen dann geholfen hat, wird uns auf wenigen Seiten vier oder fünfmal mitgeteilt, obwohl wir ohnehin dabei waren. Auch sonst wird uns das Geschehen oft noch einmal zusammengefaßt, manchmal sogar innerhalb von wenigen Seiten aus verschiedenen Gesichtspunkten. Das fiel mir insbesondere auf Seite 618 und 621 auf, als wir uns bekanntes Geschehen noch zweimal zusammengefaßt finden.
4. Das letzte Drittel des Buches findet zwei Jahre nach den vorherigen Geschehnissen statt. Daran erinnern uns die Charaktere dann auch unablässig. Dies sind nicht einmal alle Stellen. Seite 538: "der zwei Jahre lang gedauert hatte!", Seite 546: "Zwei Jahre lang war...", Seite 556: "In den letzten zwei Jahren...", "...das vor ungefähr zwei Jahren...", Seite 557: "Außerdem sind mittlerweile zwei Jahre vergangen.", S. 566: "In den letzten zwei Jahren war.", S. 589: "Zwei Jahre lang hatte er sie nicht gesehen", S. 621: "Über zwei Jahre war es nun her..." usw.

Ein wenig wiederholend fand ich auch die häufig mehr oder weniger unerwartet hervorbrechenden Feinde. Es gibt viele ähnliche Szenen von Kämpfen mit Banditen, Soldaten des Königs, Soldaten des Papstes, dunklen Wesen. Auch der heimtückische Überfall mit Bewußtloswürgung oder Betäubung eines oder mehrerer Protagonisten, der/die dann als Gefangene wieder zu Bewußtsein kommen, wurde mit drei-/viermal für meinen Geschmack zu oft genutzt.

Schlußfolgerungen über manche Charakterentwicklungen werden uns nicht selbst überlassen, sondern erklärt, obwohl sie aus der Handlung verständlich sind. Auch einfache Schlußfolgerungen werden uns erklärt, so zB wird an einer Stelle Lärmempfindlichkeit erwähnt, worauhin ein Protagonist auf die Idee kommt, einen Heidenlärm zu verursachen. Das ist einfach zu verstehen, liegt zeitlich auch nah beisammen, und trotzdem wird uns noch erklärt: "Der Gedanke war ihm gekommen, als die Lärmempfindlichkeit erwähnt wurde" (sinngemäß zitiert).

All dieses "Füllmaterial" fand ich unnötig und auch störend, es trug zudem auch zur o.e. Langatmigkeit bei. So ist die Geschichte zwar definitiv sorgfältig und intelligent ausgedacht, es gibt viele überraschende Wendungen. Es ist beeindruckend, wie nach und nach die einzelnen Puzzleteile zusammenfinden, wie geschickt kleine Hinweise eingestreut wurden, wie die vielen offenen Fragen alle aufgelöst wurden. Erfreulich finde ich auch, daß den Progatonisten keine bequemen Zufälle zur Hilfe kamen. Man merkt auf jeder Seite, wie viel Hingabe in das Buch geflossen ist, wie sorgfältig hier gearbeitet und konzipiert wurde. Ich hätte dieses so intelligent konzipiert Werk auch sehr gerne genossen, nur waren mir die bereits dargelegten Störfaktoren zu zahlreich und zu erheblich und haben mir die Lesefreude zu sehr beeinträchtigt.

Veröffentlicht am 28.10.2019

Informative, teils etwas geschwätzige Kulturreise

Die Verfeinerung der Deutschen
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In "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor ...

In "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor der Entwicklung der Lebensart in Deutschland und das von der Germanen bis in die heutige Zeit. Seinen Hauptfokus legt er auf das Kulinarische, aber auch Kunst, allgemeine Lebensart, sich ändernde Meinungen finden hier ihren Platz.

Die Ausstattung des Buches gefällt mir außerordentlich. Es ist gebunden, mit einem dezent-ansprechenden Titelbild. Das Papier fühlt sich angenehm hochwertig an, mehrere schwarz-weiß Abbildungen in guter Qualität finden sich im Buch, zwei Bereiche mit ebenfalls qualitativ guten Farbabbildungen vervollständigen die ansprechende Gestaltung.

Der Text liest sich überwiegend gut, manchmal etwas zu langatmig. Insbesondere die ersten beiden Kapitel (die immerhin 86 Seiten einnehmen), die eine Einführung und einen Gesamtüberblick geben, sind oft zäh und ein wenig geschwätzig. Als ich diese las, bereute ich meine Entscheidung für das Buch ein wenig, weil es nicht zum Punkt kam und nicht die Informationen bot, die ich erwartete. Solche geschwätzigen Passagen ohne wirklichen Inhalt gab es im Laufe des Buches auch leider immer wieder. Da werden dann thematisch nicht relevante Gedankengänge vor sich hingeplaudert oder schwärmerische Spaziergänge durch Venedig beschrieben - alles etwas zu wortreich, zur substanzlos. Auch die längeren philosophischen Exkurse waren nicht ganz mein Fall.

Größtenteils aber bietet "Die Verfeinerung der Deutschen" eine unterhaltsame Mischung aus Informativem und Unterhaltsamem. Der Autor stellt uns einige kulinarische Besonderheiten vor, wie den Moselwein, das Bamberger Rauchbier, berichtet von deren Geschichte, stellt heutige Menschen vor, die diese Traditionen pflegen. Das ist oft sehr interessant, auch wenn ich die Verzückung über die barbarisch gewonnene Gänsestopfleber in einem Buch über Verfeinerung ziemlich fehl am Platze finde. Manchmal, gerade im letzten Kapitel über das heutige Berlin, verliert sich der Autor aber auch zu sehr in seinen Restaurantbeschreibungen. Ich muß nicht unbedingt en detail wissen, wie jedes Feinschmeckerrestaurant in Deutschland eingerichtet ist, welche Farbe die Sitzbezüge haben, und auch Auflistungen von Speisekarteninhalten sind nicht unbedingt informativ, wenn man nicht ein Restaurant in der beschriebenen Stadt sucht.

Der geschichtliche Teil ist gut lesbar und schafft es, viele Informationen angenehm zu präsentieren. Wir bekommen einen geschichtlichen Überblick, der dann mit den kulturellen, lebensartlichen Entwicklungen verbunden wird. Das klappt hervorragend, man kann viele Entwicklungen durch den geschichtlichen Zusammenhang besser einordnen, erfährt unterhaltsame Details, die in geschichtlich orientierten Büchern oft nicht enthalten sind. Auf die ausführlichen Listen von Lebensmitteln, die in einer bestimmten Epoche gegessen wurden, hätte ich verzichten könnten, denn wer liest schon eine halbe Seite Lebensmittelauflistungen? Manchmal hätte dem Autor ein wenig Neutralität wohl getan, gerade im Kapitel über Preußen mußte ich öfter den Kopf schütteln, weil der Autor keine Gelegenheit ausläßt, zu urteilen und tendenziös zu schreiben. Auch bei Punkten, bei denen ich inhaltlich zustimmen würde, fand ich den teils polemischen Schreibstil unpassend. Seine persönliche Abneigung gegen Christopher Clarks Buch über Preußen sei ihm unbenommen, muß aber nicht bei jeder Gelegenheit erwähnt werden. Einem Sachbuch steht Sachlichkeit wesentlich besser.

Im Großen und Ganzen enthält "Die Verfeinerung der Deutschen" aber viel Lesenswertes, viel unterhaltsam Dargebrachtes, viel Informatives. Mit hat diese Reise durch die deutsche Kulturgeschichte trotz einiger Wermutstropfen Spaß gemacht und ich habe auf vergnügliche Weise Neues gelernt und Bekanntes neu gelesen.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Lebhafte, berührende Geschichte im gewöhnungsbedürftigen Schreibstil

Der Besuch des Leibarztes
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"Der Besuch des Leibarztes" erzählt die wahre Geschichte des Johann Friedrich Struensee, der Ende des 18. Jahrhundert bemerkenswerte Reformen in Dänemark einführte, letztlich aber den Machtspielen am dänischen ...

"Der Besuch des Leibarztes" erzählt die wahre Geschichte des Johann Friedrich Struensee, der Ende des 18. Jahrhundert bemerkenswerte Reformen in Dänemark einführte, letztlich aber den Machtspielen am dänischen Königshof zum Opfer fiel. Als ich zum ersten Mal über diese tragischen Geschehnisse las, war ich geradezu erschrocken über die Zustände am Königshof, die Skrupellosigkeit einiger der Agierenden und die Ereignisse, die sich als Material für einen opulenten Roman geradezu anbieten. So war ich auf die Umsetzung dieses Romans natürlich sehr gespannt.

Diese Ausgabe ist Teil der Fischer Taschenbibliothek, die ich aufgrund ihrer ansprechenden Gestaltung generell sehr erfreulich finde. Auch "Der Besuch des Leibarztes" ist gelungen - im ungewöhnlich kleinen Buchformat der Reihe, mit einem hochwertigen festen Einband und einem dezenten Titelbild. Haptisch angenehmes Papier und ein Lesebändchen vervollständigen die schöne Ausgabe.

Der Schreibstil Per Olov Enquists ist gewöhnungsbedürftig, einige Aspekte fand ich nicht sehr angenehm. Er beginnt das Buch mit der Phase zehn Jahre nach Struensees Hinrichtung, beschreibt uns Personen und Geschehnisse lebendig, greift hierzu auch auch zeitgenössische Quellen zurück. Das geschieht im Buch häufig - inwiefern diese Quellen authentisch sind, läßt sich mangels Quellenangaben für mich nicht nachvollziehen, ich gehe aber davon aus, daß sie authentisch sind, und letztlich ist es ein Roman, kein Sachbuch. Sie komplementieren den Romantext sehr gut, wenn sie auch teilweise zu ausführlich wiedergegeben werden. Diese lebendige Schilderung am Buchanfang wird dann allerdings von recht langatmigen theoretischen Exkursen und Überlegungen abgelöst. Auch dies zieht sich durch das Buch. Einerseits sind wir durch farbige Erzählungen und gut dargestellte Charaktere ganz nah am Geschehen dabei, ich fühlte mich beim Lesen oft regelrecht in die Schauplätze hineinversetzt. Andererseits ergeht sich der Autor nur zu gerne in lange theoretische Passagen, die oft langweilig sind und das Geschehen zäh unterbrechen.

Nach jenem ersten Teil geht der Autor in der Geschichte zurück und berichtet ab dann chronologisch von der Kindheit des dänischen Königs Christian bis zur Hinrichtung Struensees. Es gelingt hier sehr gut, Christian, der geisteskrank war und so zur Marionette der Machtgierigen am Hofe wurde, eindringlich und echt darzustellen. Wir erleben einen Jungen, später einen jungen Mann, der an der erbarmungslosen Erziehung bei Hofe unbeschreiblich leidet, der so gerne alles richtig machen möchte, aber das Rüstzeug dafür nicht hat und der trotz seiner Krankheit - die allen wohl bekannt ist - in die Rolle des von Gott gesandten absoluten Herrschers gesteckt wird. Sein Leid wird beeindruckend vermittelt und wirft ein klares Licht darauf, wie all diese Ereignisse möglich waren. Auch seine Frau Caroline Mathilde, eine englische Prinzessin, die Opfer der machtpolitischen Heiratsentscheidungen europäischer Königshäuser wird, wird von Enquist zum Leben erweckt. Ihre Ängste, ihre Einsamkeit und Sehnsüchte, stellen sich deutlich dar. Die seltsame Beziehung dieser beiden gezwungenen Eheleute ist ebenfalls sensibel dargestellt. Es ist meines Erachtens die größte Stärke dieses Buches, uns diese historischen Persönlichkeiten so menschlich nahezubringen. Struensee schließlich, der zum verhängsnisvollen Dritten in dieser unglücklichen Konstellation werden wird, gewinnt ebenfalls farbige Kontur, die - soweit ich das ermessen kann - mit der historischen Person gut übereinstimmt.

Während also Charakterzeichnung und Atmosphäre stilistisch gelungen sind, stören nicht nur die oben erwähnten theoretischen Exkurse das Lesevergnügen. Auch die zahlreichen Wiederholungen haben mir gar nicht zugsagt. Sie sind als Stilelement beabsichtigt, das merkt man, aber sie sind kein erfreuliches Element, sind überflüssig, anstrengend. Auch die Faszination des Autors mit dem männlichen Unterleib nimmt manchmal überhand. Inwieweit es zur Geschichte beiträgt, wenn man bei manchen Szenen genauestens über jede Bewegung des männlichen Geschlechtsorgans informiert wird und die Notwendigkeit der ständigen Auslebung des Geschlechtstriebs des Königsvaters, des Fortpflanzungsaktes des Königs ausführlich und immer wieder besprochen und erwähnt wird, bleibt dahingestellt. Ich fand es so detailliert eher ermüdend und unnötig.

So war ich beim Lesen hin- und hergerissen. Einige Szenen sind so tiefgehend berührend, daß ich ganz begeistert war. Viele Szenen sind so zäh und überflüssig, daß ich nur den Kopf schütteln konnte. Insgesamt ist der Schreibstil nicht unbedingt mein Fall. Allerdings ist die Geschichte um Struensee, Christian und Caroline so lebhaft geschildert, wird uns so nahegebracht, ist historisches Geschehen so farbig echt geworden, daß ich froh bin, das Buch gelesen zu haben.