"Erste-Liebe-Story" eines Jedermanns
Sweet Sorrow"Ewig Zweiter" ("The Understudy") von David Nicholls ist eins der lustigsten Bücher, die ich je gelesen habe. Also habe ich seinen schriftstellerischen Werdegang weiterverfolgt. "Zwei an einem Tag", das ...
"Ewig Zweiter" ("The Understudy") von David Nicholls ist eins der lustigsten Bücher, die ich je gelesen habe. Also habe ich seinen schriftstellerischen Werdegang weiterverfolgt. "Zwei an einem Tag", das als Bestseller sehr gehyped wurde, hat mir noch ganz gut gefallen, auch wenn es mir stellenweise zu süßlich war.
"Drei auf Reisen" habe ich ausgelassen. Jetzt also "Sweet Sorrow".
Das Thema eines englischen Durchschnittsschülers (mit dem Allerweltsnamen Charlie Lewis, Jahrgang 1979), der nach dem Schulabschluss seiner großen Liebe begegnet und mit ihr in einer Laientheateraufführung von "Romeo und Julia" spielt, klang, als wäre es genau auf Nicholls zugeschnitten. Schließlich ist der Engländer ausgebildeter Schauspieler und hat auch als solcher gearbeitet. Dies merkt man an der Shakespeare-Rezeption, die im Buch allgegenwärtig ist und natürlich an der realitätsnahen Darstellung des Probenprozesses der Schauspieltruppe.
Nicholls ist ein Meister der Romantik des Augenblicks, der leisen Wehmut des Vergangenen und wenn es darum geht, die alltäglichen Niederlagen und kleinen Freuden des Lebens genau zu beschreiben. Fast jeder hat ja irgendwo in seiner Vergangenheit diesen einen Sommer, diese eine - erfüllte oder unerfüllte - große Liebe. Damit und mit seinem "Jedermann-Durchschnitts-Protagonisten" Charlie bietet das Buch ein breites Identifikationspotenzial für eine große Leserschaft.
Der Roman ist aus der Perspektive des älteren Charlie geschrieben, der kurz vor der "unspektakulären" Hochzeit mit seiner Langzeitfreundin steht, die ohne Drama, Strände und weiße Pferde stattfinden soll. Wenn es aber nach der augenzwinkernden Meinung seiner Verlobten Niamh gehen soll, sollte sie - für den gewissen Kick - mit Charlies "Julia", deren “Romeo” er nicht oder nur abseits der Bühne war, stattfinden: Fran Fisher.
Den Hauptteil von “Sweet Sorrow” nimmt also die Rückblende auf den Sommer des Jahres 1997 ein, in dem Charlie aus Zufall auf Fran trifft und trotz Talentfreiheit Mitglied der Schauspieltruppe wird. Die Probleme, die Charlie in seinem Elternhaus, das nach dem Auszug von Mutter und Schwester nur noch eine Wohnung ist, die er mit seinem glücklosen Musiker-Vater teilt, beschäftigen, nehmen auch einen großen Raum der Erzählung ein.
Den feinen und intelligenten Humor von "Ewig Zweiter" fand ich durchaus an einigen Stellen wieder. Das Problem des Buches ist allerdings, dass die Handlung sich im Kreis bzw. um
sich selbst dreht. Meiner Meinung nach könnte man ganze Kapitel streichen, ohne etwas Wesentliches aus Charlie Lewis' wichtigstem Sommer verpasst zu haben. Man hat vor allem ab der Mitte des Buches das Gefühl, die Handlung würde stagnieren. Es wird alles viel zu detailliert beschrieben, Dialoge und Konversationen erscheinen zunehmend redundant. Irgendwann hat jeder verstanden wie sich ein Haufen Jugendlicher in ihrem kurzen Sommer der Freiheit zwischen Schulabschluss und Uni oder Berufsleben aufführt. Man muss es nicht bis ins Kleinste zerkauen wie die Pille auf der Party im Hobbykeller, die Charlie und seine neuen Freunde sich dort teilen.
Das Drama des Buches ist nicht das geniale von Shakespeare, sondern die Tatsache, dass es über 500 Seiten hat. Um aus "Sweet Sorrow" selbst zu zitieren: "Drei Sterne von fünf".