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Veröffentlicht am 01.06.2020

Das sechste Massensterben

Leben
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Täglich gibt es neue schreckliche Nachrichten über das Artensterben, die Wildtiere im Kruger Nationalpark, Antilopenherden in Südafrika und Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb. Jeden Tag werden es mehr ...

Täglich gibt es neue schreckliche Nachrichten über das Artensterben, die Wildtiere im Kruger Nationalpark, Antilopenherden in Südafrika und Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb. Jeden Tag werden es mehr Arten, jeden Tag schreitet das Sterben schneller voran. Gleichzeitig treten bei Menschen eigenartige Ausfallerscheinungen auf. Betroffene fühlen sich plötzlich müde, sind körperlich nicht mehr leistungsfähig, als wären sie über Nacht zehn Jahre älter geworden.

In diesem Schreckensszenario entwirft Uwe Laub seinen spannungsgeladenen Thriller. In drei Teilen, die jeweils in kurze Kapitel unterteilt sind, treten die Protagonisten, Mark Brenner, Fabian Nowak sowie Davina DeBoni auf die Bühne der Ereignisse. Die Cliffhanger zwischen den Kapiteln fand ich äußerst gelungen.

Mark Brenner ist dabei der undurchsichtige Typ mit dem Hang zum Nervenkitzel. Rasante Autofahrten gehören genauso zu seinem Repertoire wie das Hacken von Hochsicherheitsrechnern. Seine Figur ist ein wichtiger Spannungslieferant für den gesamten Thriller.
Davina DeBoni, die Wissenschaftlerin mit Leib und Seele, erforscht für die Industrie Flora und Fauna im Amazonasgebiet. Als Expertin für die Tropen ist sie zwar dem Dschungel gewachsen, gerät jedoch in die Alles zermahlenden Interessenräder zweier Konzernriesen. Der Respekt und die Demut, mit der Davina der schon längst gefährdeten Natur gegenübertritt, brachten ihr meine volle Sympathie ein.
Mit der eher langweiligen Hauptfigur, Fabian Nowak, wurde ich erst relativ spät warm. Er hat mir zunächst einfach zu viel Trübsal geblasen.

Mir hat der Thriller super gefallen. Die gesponnenen Fäden wurden zum Ende hin wieder ordentlich zusammenführt. Einzig für die sterbende Tierwelt hätte ich mir noch einen Hoffnungsschimmer gewünscht. Schliesslich hatte das Artensterben zu Beginn des Thrillers einen gewichtigen Platz eingenommen. Insgesamt wirkt die Geschichte für mich mit den thematisierten Ungeheuerlichkeiten gerade in diesen Zeiten, wo wir uns mit Covid-19 auseinandersetzen müssen, sehr glaubwürdig. Unterstützend erklärt uns Uwe Laub in seinem Nachwort die Anknüpfungspunkte der Geschichte, die tatsächlich aktuell genau so vorhanden sind. Da bleibt kein Zweifel.
Gern empfehle ich die Lektüre.

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Veröffentlicht am 14.04.2020

Im Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern

Die Detektive vom Bhoot-Basar
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Ein überdurchschnittlich farbenfrohes Cover rahmt die Geschichte von Jai und seinen Freunden Faiz und Pari ein, die in einem Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern in einer Stadt in Indien wohnen. ...

Ein überdurchschnittlich farbenfrohes Cover rahmt die Geschichte von Jai und seinen Freunden Faiz und Pari ein, die in einem Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern in einer Stadt in Indien wohnen. Das Bunte passt ziemlich gut zu dem, was wir klischeehaft dank Bollywood mit Indien verbinden. Erst auf den zweiten Blick lässt sich erkennen, dass das abgebildete Jungengesicht nicht unbedingt Glückseligkeit ausstrahlt.

Die anfängliche positive Stimmung des Covers geht auch beim Lesen schnell verloren, weil der Roman uns eben nicht mit singenden und tanzenden Darstellern ablenkt, sondern ehrlich von den Missständen im Land berichtet. Es geht um verschwundene Kinder sowie um scheinbar willkürlich plattgemachte Bastis, um Armut und Korruption, um Verschleierung der Machenschaften der Mächtigen und damit letztlich auch um verspieltes Vertrauen in Staat, Medien und Polizeigewalt.

Das Besondere an der Geschichte sind die drei Erzählperspektiven, die uns erlauben, die Lebensumstände vor Ort durch Kinderaugen zu betrachten. Die meiste Zeit begleiten wir den neunjährigen Jai als Ich-Erzähler bei seinen Ermittlungen, die er beginnend mit der Entführung des ersten Kindes nach dem Vorbild des TV-Serien-Detektivs Byomkesh Bakshi startet. In einer zweiten von außen betrachtenden Erzählweise wird den verschwindenden Kindern vorher noch ein Kapitel gewidmet. Als dritte Perspektive kommen Geschichten, die „EUCH DAS LEBEN RETTEN“ werden, zum Einsatz. Das sind märchenhafte Erzählungen um Figuren wie Mental und Straßen-ki-Rani, die den Kindern Hoffnung schenken sollen.

Zu Beginn der Ermittlungen durch die Detektive vom Bhoot-Basar, die Freunde Jai, Pari und Faiz, wirkt alles noch sehr spielerisch, ein Straßenhund wird als Spürhund engagiert, Leute auf den Basar werden befragt. Obwohl für den Leser dieses „Spiel“ mit gewisser Leichtigkeit rüberkommt, ist das Verschwinden der Kinder doch bitterer Ernst und die kleinen Detektive merken gar nicht, welcher Gefahr sie sich aussetzen.

Meine Lieblingsfigur war übrigens nicht Jai, sondern Pari. Pari ist ein aufgewecktes, intelligentes Mädchen, das immer einen Tucken schneller reagieren kann als Jai und spontan die richtigen Entscheidungen trifft. Sie weiß sehr genau, welche Rolle sie als Erwachsene in der Gesellschaft spielen wird, lässt sich aber im hier und jetzt nicht von Jai herumkommandieren. Jai bleibt in meinen Sympathiewerten hinter Pari zurück, weil er unbedingt der Chef des Teams sein will, seine Freunde eigentlich zu Assistenten degradieren möchte. Jai ist es auch, der unzählige Male die Serie seines Vorbilds Byomkesh Bakshi konsumiert hat und gleichzeitig am wenigsten die Ermittlungs-Methoden im richtigen Moment parat hat. Die Kombination aus dieser Tolpatschigkeit und des Chef-sein-Wollens führt bei mir zu Abzügen in der B-Note, auch wenn ich Jai insgesamt eigentlich ganz gern mag.

Bis auf einen kleinen Hänger im Mittelteil erzählt uns Deepa Anappara einen spannenden Krimi, der uns ganz nebenbei die gern ausgeblendeten Abgründe der armen Bevölkerungsschichten Indiens an die Oberfläche holt. Ich habe „Die Detektive vom Bhoot-Basar“ gern bei ihren Ermittlungen begleitet und empfehle die Lektüre. Man sollte allerdings einiges aushalten können und sich nicht von den leuchtend bunten Farben des Covers in die Irre führen lassen.

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Veröffentlicht am 23.02.2020

So lustig kann die Kita sein

Ei, Ei, Ei! Die Maus hilft aus
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Die Maus liegt auf der faulen Haut als die Amsel ihr auf der Suche nach einem saftigen Wurm in den Schwanz pickt. Voll im Brüte-Stress klagt die Amsel der Maus ihr Leid. Spontan übernimmt die Maus die ...

Die Maus liegt auf der faulen Haut als die Amsel ihr auf der Suche nach einem saftigen Wurm in den Schwanz pickt. Voll im Brüte-Stress klagt die Amsel der Maus ihr Leid. Spontan übernimmt die Maus die Eier. Weil auch andere Vogelmamis einmal Zeit für sich benötigen, dauert es nicht lange bis eine richtige Vogel-Kita entsteht.

Die Texte sind auch für kleine Kinder gut zu verstehen und nicht zu lang. Vermutlich ist gerade deswegen die Geschichte interessant für sie. Mein Kind wollte zunächst lieber toben, anstatt sich eine Geschichte anzuhören. Ich las trotzdem. Mit jeder Seite rückte mein Kind dichter an mich heran, um alles mitzubekommen und nichts zu verpassen. Die Geschichte ist gerade so spannend, dass sie den Kindern keine Angst macht, gleichzeitig ihre Neugierde befriedigt.

Die Zeichnungen von Kathrin Schärer sind angenehm in natürlichen Farben gehalten. Alles wirkt, als wäre es mit viel Liebe und Hingabe mit Buntstiften gezeichnet worden. Die einzelnen Vogelarten sind realistisch abgebildet, lassen sich also in der Natur wieder erkennen. Es fehlt nicht an Niedlichkeit, wodurch sofort der Funke überspringt.

Insgesamt gibt es eine Menge zu entdecken. Somit wird es auch bei wiederholten Vorlesungen bestimmt nicht langweilig.

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Veröffentlicht am 27.01.2020

Wie wissen wir, dass wir wissen, was wir wissen

Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!
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Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um das Buch von Carmen-Francesca Banciu zu bewerten. Es wird zwar als Roman bezeichnet und im Gesamtkontext fühlt sich das Gelesene auch irgendwie romanhaft ...

Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um das Buch von Carmen-Francesca Banciu zu bewerten. Es wird zwar als Roman bezeichnet und im Gesamtkontext fühlt sich das Gelesene auch irgendwie romanhaft an, trotzdem erinnert die Aufbereitung des Textes eher an einen tiefgründigen, nachdenklichen Poetry-Slam. Dabei ist die Dichtkunst auf einem hohen Level unterwegs.
Kurz vor dem Ableben ihres Vaters lässt Maria-Maria die Vergangenheit mit ihren Eltern und deren Gefährten, Genossen und Geliebten, Revue passieren. Dabei reflektiert sie die eigene, von außen eingeschränkte Beziehung zu ihrem Vater. Unter dem Leitspruch,
„Erst kommt das Vaterland, die Partei
Die Arbeit, die Pflichten
Danach kommt die Familie“,
ist nicht viel Platz für die Tochter, die besser ein Sohn hätte sein sollen. Nur so ist auch die mangelhafte Würdigung der bisherigen Lebensleistung von Maria-Maria durch den Vater zu begreifen:
„Nichts kannst du, nichts wird aus dir
Niemand wird dich heiraten
Pflegte Vater mir früher zu sagen
Jetzt sagt Vater zu mir
Was kannst du, kannst du überhaupt etwas“
Maria-Maria sinniert hoch philosophisch über das Leben ihres Vaters mit Partei und Geliebten, hinterfragt die Wirkung dessen auf die Mutter und sich selbst. Zudem setzt sie sich mit dem Entfallen des Systems und der plötzlichen Bedeutungslosigkeit des Vaters für die Gesellschaft auseinander.
Für mich hat Carmen-Francesca Banciu das linientreue, sozialistische Leben mit seiner besonderen Leistungsorientierung sehr gut eingefangen. Die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs einhergehenden Ängste und Verluste stellt sie angemessen dar ohne zu glorifizieren. Dabei bringt sie auf den Punkt, was selten gewürdigt, vermutlich nicht einmal wahrgenommen wurde. Die Lebenswahrheit der Menschen war quasi über Nacht eine Neue.
Ich empfehle das Buch allen, die sich wirklich ein wenig mit sozialistischer Vergangenheit auseinandersetzen möchten, und bereit sind, sowohl auf Fließtext als auch fast ganz auf Satzzeichen zu verzichten.

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Veröffentlicht am 11.01.2020

Schnitzeljagd

Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück
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Im New Jersey und New York von 1915 ermittelt Constance Kopp als erster weiblicher Deputy. Kaum ernannt, steht ihre Ernennung auch schon wieder in Frage. Zu allem Übel entwischt ihr der Sträfling Dr. Von ...

Im New Jersey und New York von 1915 ermittelt Constance Kopp als erster weiblicher Deputy. Kaum ernannt, steht ihre Ernennung auch schon wieder in Frage. Zu allem Übel entwischt ihr der Sträfling Dr. Von Matthesius, ein übler Betrüger, und eine wilde Jagd beginnt.

Zunächst hatte ich meine Mühen, die Gepflogenheiten und die Rollenbilder von 1915 im Rahmen eines Kriminalromans hinzunehmen. Eine Ermittlerin mit langen, schweren Röcken, die sich auf einen Verbrecher wirft, um ihn zu stellen, ist mit heutigen Augen betrachtet schon eine gewagte Vorstellung. Doch mit der Zeit wurde der Widerspruch zwischen ihrer Keuschheit und Vorsicht dem anderen Geschlecht gegenüber auf der einen Seite und ihrem draufgängerischem Mut in Gefahrensituationen auf der anderen Seite zu dem situationskomischen Grundgerüst, das diesen Krimi ausmacht.

Constance Kopp mochte ich insgesamt ganz gern, weil sie sich in kein Raster pressen lässt. Ihr ist zwar stets bewusst, wie sie sich verhalten sollte, wie sie leben sollte, Constance setzt sich jedoch regelmäßig über alle Regeln hinweg. Neben diesem Charakterzug rechne ich es ihr hoch an, dass sie sich und ihre beiden Schwestern allein durchbringt. Sie achtet auch auf eine möglichst respektable Beschäftigung ihrer Schwestern.

Den Sheriff konnte ich ebenfalls gut leiden. Er wollte Constance als ersten weiblichen Deputy einstellen, obwohl er dafür Repressalien kassieren musste. Einzig zweifelte ich an seiner Motivation dazu. Selbst wenn es nirgends im Buch bestätigt wird, hatte ich durchgehend das Gefühl, der verheiratete Sheriff wäre verliebt in Constance. Constance selbst hegt ähnliche Gefühle für ihn. So ermitteln sie gemeinsam stets in Begleitung von Scham und Zurückhaltung.

„Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück“ ist aus meiner Sicht kein Kriminalroman im Reinformat. Vielmehr sind Elemente de Komödie und des historischen Romans mit eingemischt. Trotzdem hat sich die Lektüre für mich gelohnt. Auf Basis eines nicht zu anspruchsvollen Textes konnte ich bei der Verfolgung von Constances Abenteuern prima entspannen. Dafür stand allerdings das Locken des Lesers auf eine falsche Fährte stark im Hintergrund.

Fazit: Wer einen reinen Krimi oder gar Thriller sucht, ist hier falsch. Mit etwas Genreflexibilität kann man mit Constance Kopp recht spaßig unterwegs sein.

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