Klug und unaufgeregt, mit einer interessanten Hauptfigur
Der Sticker auf dem Buch preist die Autorin Alex Beer als „preisgekrönt und hochgelobt“. Man mag es einer nicht eingestandenen Misanthropie oder der Charakterschwäche eines grundlegenden Misstrauens gegenüber ...
Der Sticker auf dem Buch preist die Autorin Alex Beer als „preisgekrönt und hochgelobt“. Man mag es einer nicht eingestandenen Misanthropie oder der Charakterschwäche eines grundlegenden Misstrauens gegenüber Lobpreisungen zuschreiben, aber solche Ankündigungen machen mich immer ein wenig skeptisch. In diesem Fall ließ ich mich aber von Herzen gern eines Besseren belehren und kann dem Lob nur beipflichten! „Unter Wölfen“ ist ein kluger, im besten Sinne unaufgeregt erzählter, gleichwohl fesselnder Krimi mit einer ausgesprochen interessanten Hauptfigur, die auf angenehme Weise bekannte Settings und Figuren konterkariert. Und darum geht’s:
Nürnberg, 1942: Isaak Rubinstein, ehemaliger Antiquar und nun, nach der „Arisierung“ seines Antiquariats Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik, erhält einen „Evakuierungsbescheid“ für sich und seine Familie, bestehend aus seinen betagten Eltern, der alleinstehenden Schwester und ihren beiden Kindern. Noch sind es nur Gerüchte, die sich um diese „Evakuierungsmaßnahmen“ ranken, doch insgeheim ahnt jede*r, dass es keine Wiederkehr gibt. In seiner Verzweiflung wendet Isaak sich an seine ehemalige Geliebte, der Kontakte zum Widerstand nachgesagt werden. Clara erklärt sich bereit, Isaak zu helfen, allerdings unter einer Bedingung: Er soll sich als der stramm nationalsozialistische Kriminalbeamte Adolf Weissmann ausgeben, der aus Berlin angefordert wurde, um den Mord an einer bekannten und beliebten Schauspielerin aufzuklären. Sie war pikanterweise die Geliebte des Leiters des sog. Judenreferats, in dessen Räumlichkeiten auch ihre Leiche aufgefunden wurde. Isaak soll die Gestapo infiltrieren und jene brisanten Dokumente beschaffen, die „die“ Konferenz am Wannsee protokollieren. Was weder Isaak noch Clara wissen, ist, dass der echte Adolf Weissmann den Anschlag, der auf ihn verübt wurde, überlebt hat …
Krimis, die während der Nazidiktatur spielen, sind kein Novum. Doch das Besondere an Alex Beers Buch ist, dass es ihr gelingt, gängige Klischees zu umgehen und allen Figuren, auch den zweifellos unsympathischen, eine Tiefe zu verleihen, die sie weniger als Typen denn als Charaktere erscheinen lassen. Isaaks moralischer Zwiespalt, seine zunehmende Angst, enttarnt zu werden, seine Versuche, trotz fehlender kriminalistischer Ausbildung den Fall zu lösen und gleichzeitig Menschenleben zu retten, werden so eindringlich skizziert, dass ich förmlich mit ihm mitgefiebert habe. Dabei lässt die Autorin keinen Zweifel an der Unmenschlichkeit und Monstrosität des Nationalsozialismus, verfällt aber nichtsdestotrotz nie ins Reißerische oder in Effekthascherei.
Große Leseempfehlung an alle, die einen klugen historischen Kriminalroman zu schätzen wissen!