Ein wenig mehr Tiefe hätte nicht geschadet
Je älter Kelsey und Michelle werden, umso mehr zeigt sich, wie unterschiedlich die beiden Zwillingsschwestern doch sind. Als Kinder haben sie unendlich viel Zeit miteinander verbracht, waren kaum voneinander ...
Je älter Kelsey und Michelle werden, umso mehr zeigt sich, wie unterschiedlich die beiden Zwillingsschwestern doch sind. Als Kinder haben sie unendlich viel Zeit miteinander verbracht, waren kaum voneinander zu trennen. Doch im Laufe der Jahre zeigen sich ihre unterschiedlichen Charaktere und sie entwickeln sich in unterschiedliche Richtungen. Kelsey ist Sportlerin, sie liebt das Cheerleading und seit drei Jahren auch ihren festen Freund Davis. Michelle ist Künstlerin, sie malt und vergöttert Andy Warhol. Ihre festen Freunde wechselt sie wie ihre Unterhosen, bis sie Peter kennenlernt, in den sie sich verliebt. Doch sie haben nur wenig Zeit, die sie miteinander verbringen können, denn Peter muss als Berufssoldat nach Afghanistan. Und niemand rechnet damit, dass er zwar gesund zurückkehren wird, dass Michelle aber plötzlich bei einem Autounfall stirbt.
Kelsey kann nichts dafür - sie erinnert einfach jeden an ihre Zwillingsschwester. Vielleicht ist es deshalb für ihre Eltern so schwer, den Tod ihrer Tochter zu verarbeiten. Sie kamen mir schon zu Beginn des Buches merkwürdig vor, aber dieser Eindruck verstärkt sich noch nach dem Tod von Michelle, denn sie kümmern sich kaum um Kelsey, laden stattdessen regelmäßig eine Trauergruppe zu sich nach Hause ein und überlassen ihre Tochter vollkommen sich selbst. Das fand ich echt merkwürdig und erst am Ende des Buches zeigt sich, dass sie doch auch in gewisser Weise ihre Aufgabe als Eltern wahrnehmen.
Ich war erleichtert darüber, dass für mich nachvollziehbar geschildert wurde, warum Kelsey Peter nicht die Wahrheit sagt. Es sind verschiedene Gründe, die hierbei eine Rolle spielen. Aber ich bin froh, dass es der Autorin gelungen ist, diese schwierige Situation nachvollziehbar und authentisch zu beschreiben. Und ich bin froh, dass es Gegenstimmen gibt in Form von Kelseys Freundin, die ihr den Kopf wäscht, als sie erfährt, was Kelsey tut. So wird deutlich, in welcher Zwangslage sie sich befindet.
Auch Peters Gefühle werden thematisiert, durch Briefe, die er Michelle schreibt und die Kelsey liest. Dadurch wurden seine Emotionen fast noch greifbarer für mich als Kelseys Gefühle, denn sie hat niemanden, mit dem sie wirklich über ihr Empfinden sprechen kann. Peter dagegen schreibt sich in Afghanistan seinen ganzen emotionalen Ballast von der Seele, wobei er da teilweise sehr ins Kitschige und Schwülstige abdriftet. Vielleicht lag dieser Eindruck aber auch einfach daran, dass Peter unsterblich in Michelle verliebt ist, während Kelsey erst dabei ist, Gefühle für ihn zu entwickeln. Dabei ist sie doch seit drei Jahren mit Davis zusammen. Und eigentlich ist sie doch glücklich mit ihm.
Nicht nur die Beziehung zwischen Kelsey und Peter wird thematisiert, sondern auch Kelseys Beziehung zu ihrer verstorbenen Zwillingsschwester. Denn dadurch, dass sie Peter gegenüber so tun muss, als wäre sie Michelle, lernt sie ihre Zwillingsschwester besser kennen. Die beiden haben sich in den letzten Jahren ziemlich voneinander entfernt und haben aufgehört, sich füreinander zu interessieren. Das ändert sich nun und so findet Kelsey ihren ganz persönlichen und eigenen Weg, um von ihrer Schwester Abschied zu nehmen.
Und als es am Ende so scheint, als wäre alles klar, da hat die Autorin mich doch noch mit einer Wende überrascht, mit der ich so auf keinen Fall gerechnet habe. Das hat mir richtig, richtig gut gefallen, auch wenn es keine positive Wendung war. Aber mir schien das Buch bis dahin zu geradlinig und ich war froh über diesen Schlenker, den die Handlung letztlich noch genommen hat.
Ich war überrascht, als ich gesehen habe, wie dünn das Buch ist. Mit nicht einmal 300 Seiten kam es mir bereits vor dem Lesen zu dünn vor für so eine Geschichte, wie sie der Klappentext versprach. Und tatsächlich blieb mir das Buch stellenweise zu oberflächlich. Zwar werden Kelsey und Peter gut charakterisiert, aber die Gefühle, die sich zwischen ihnen entwickeln, waren für mich nicht nachvollziehbar. Auch gab es im späteren Verlauf der Handlung ein Ereignis, das nur mit wenigen Worten erwähnt und auch danach nicht noch mal thematisiert wird, obwohl es schon ziemlich schlimm war.
Mir hat das Buch dadurch stellenweise zu sehr nur an der Oberfläche gekratzt. Ich wollte gerne tiefer abtauchen, mehr über das Gefühlsleben der Charaktere erfahren.
Mit dem Schreibstil der Autorin habe ich mich auch ein wenig schwer getan. Irgendwie ließ er mich nicht richtig in das Buch abtauchen, ließ eine gewisse Distanz bestehen. Ich empfand die Ausdrucksweise der Autorin stellenweise als zu umständlich, dann stellenweise wieder zu banal. So recht beschreiben kann ich es nicht. Aber letztlich habe ich "Könntest du nur bei mir sein" doch gerne gelesen, auch wenn ich mir etwas mehr Seiten und damit verbunden etwas mehr Tiefgang gewünscht hätte.
Mein Fazit
Lara Avery hat sich für diesen Roman ein krasses Thema ausgesucht, das größtenteils auch zufriedenstellend umgesetzt wurde. Ein wenig mehr Tiefe hätte der Handlung und den Charakteren aber nicht geschadet.