„Gottes Werk und Teufels Beitrag“ – der epische Roman von John Irving, verfilmt und in ein Theaterstück umgewandelt, ist John Irvings sechster Roman. Und ein internationaler Erfolg.
Homer Wells ist anders als die übrigen Kinder, vom Leiter liebevoll „Prinzen von Maine, Könige von Neuengland“ genannt, im Saint Cloud’s Waisenhaus. Nach vier gescheiterten Adoptionsversuchen erlaubt ihm Dr. Larch daher zu bleiben – unter der Bedingung, dass er im Waisenhaus mit angeschlossener Entbindungs- und Abtreibungsstation bei Gottes Werk – dem Entbinden – und bei Teufels Beitrag – dem Abtreiben – assistiert. So wird er schon bald zu einem fast ebenso geübten Arzt wie sein Mentor. Doch sein Leben steht Kopf, als eines Tages die gleichaltrige Candy und ihr Freund Wally vor der Tür stehen, mit denen Homer sich schnell anfreundet, und Dr. Larch ihn dazu drängt, mit den beiden fortzugehen. Doch St. Cloud’s bleibt immer Bestandteil seines Lebens, so wie alles, was er dort gelernt hat.
In wenigen Büchern kann man sich so treffend, so fließend und übergangslos in einer fremden Welt zurechtfinden, wie in diesem. Die Landschaftsbeschreibungen, angefangen von den Farben, den Gerüchen und den Geräuschen, bis hin zu den komplexen Zusammenhängen und der Entstehung der Umgebung, geben dem Leser das Gefühl nicht bloss eine Beschreibung zu hören, sondern wirklich und wahrhaftig am Geschehen teilzuhaben. Während man auf den ersten 150 Seiten das Gefühl hat, zuhause zu sein, verliert man dieses Heimatgefühl mit Homers Aufbruch, als er zum ersten Mal den gefängnisartigen Mauern des Waisenhauses entflieht. Doch statt dem heranwachsenden Mann erkennen zu lassen, dass seine Bestimmung dort liegt, wo er am meisten gebraucht wird, bildet die Geschichte über 15 Jahre Schlaufen und Kurven, bis man als Leser doch nicht mehr überrascht wird.
Irving spricht, wie immer, das ganze Spektrum an Emotionen beim Leser an. Sein Humor entsteht meist durch die Betrachtung ziemlich alltäglicher Dinge aus einem besonderen Blickwinkel oder durch ein gehäuftes Auftreten und die Interaktion wunderlicher Persönlichkeiten.
Die Charaktere sind detailreich ausgeschaffen, in wenigen Abschnitten erfährt man vor allem von den Hauptpersonen ganze Lebensgeschichten. Ganze Seiten sind gefüllt mit Erinnerungen und Fragmenten aus ihrem Leben, sodass man zwangsläufig irgendwann die Herkunft von irgendjemandem durcheinanderbringt. Und genau dort liegt das Problem: Irving beschreibt den Protagonisten schon zu Anfang seines Buches, unterstreicht seine Charakterzüge bloss mit seinen Handlungen und bald scheinen sich die vorherigen Erkenntnisse nur noch zu wiederholen. Homer weiss vom ersten Moment an, wo er sein will – und ist sich auch am Schluss noch sicher. Candy dagegen scheint von ihrem ersten Auftritt an unentschlossen, und kann sich auch am Ende noch nicht entscheiden. So nutzen sich die Charaktere trotz ihres grandiosen Profils irgendwann ab.
Während man durch das erste Drittel des Buches nur so fliegt, stockt die Handlung im Zweiten, scheint nicht mehr richtig in Fahrt zu kommen. Zu viel Bekanntes wird berichtet, zu wenig Neues – man verliert schon bald das Interesse. Im letzten Drittel könnte man dank der irrwitzigen Handlung der Figuren wahrhaft wütend werden. Die Bereitwilligkeit von Homer Wells, das Glück anderer Menschen hinter das seine zu stellen, es sogar zu zerstören, um selbst glücklich werden zu können, und es dann doch nicht zu werden, hält einen davon ab sich mit ihm identifizieren, ein Teil des Buchen sein zu wollen. Ein Finale, oder wenigstens eine Aussprache am Schluss, gibt es nicht. Stattdessen endet „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ohne Ausblick, abrupt, dass man froh ist, es beendet zu haben.
Sowohl Gottes Werk, die Geburtshilfe, als auch Teufels Beitrag, die Abtreibung, spielen eine große Rolle, dazu kommt die gesellschaftliche Stellung der Frau, sowie ihre Selbstbestimmung. Der Roman reicht mit seiner Vorgeschichte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und endet Mitte des 20. Jahrhunderts. Detailliert werden die Verhältnisse, besonders in der Gynäkologie und auch die Abtreibungspraxis in dieser Zeit geschildert. Schon aufgrund der Zeit, in der Irving seine Geschichte angesiedelt hat, verlangt er seinen Lesern viele Vorkenntnisse aus altertümlicher Sprache und wissenschaftlichen Ausdrücken ab. Wer mit diesem Buch in die englische Literatur einsteigen möchte, sollte sich auf einiges gefasst machen.
Doch es geht auch darum, sich „nützlich zu machen“, seinem Leben einen Sinn zu geben und auch einmal die Regeln zu brechen. Noch viele weitere Themen werden behandelt, manche nebenbei, die man fast überliest, andere so in den Vordergrund gerückt, dass man sie gar nicht übersehen kann.