Selten hat ein handlungsfokussierter Genre-Mix so gut funktioniert: ein tolles Debüt!
Four Dead QueensAls ich "Four Dead Queens" in der Verlagsvorschau des Piper Verlags entdeckt habe, hatte ich zugegebenermaßen keine großen Erwartungen. Ich habe von dem Buch noch nie etwas gehört, kannte die Autorin nicht ...
Als ich "Four Dead Queens" in der Verlagsvorschau des Piper Verlags entdeckt habe, hatte ich zugegebenermaßen keine großen Erwartungen. Ich habe von dem Buch noch nie etwas gehört, kannte die Autorin nicht und stehe einbändigen Fantasy-Romanen grundsätzlich eher kritisch gegenüber. Doch der "Taschendiebin wird durch Zufall Teil einer königlichen, blutigen Intrige"-Klapptext hatte etwas an sich, dass ich der Geschichte unbedingt eine Chance geben wollte!
Wer meinen Blog treu verfolgt wird wissen, dass ich oft ein Fan der Originalcover bin. Doch hier hat mich der Piper-Verlag vom Gegenteil überzeugt: während auf dem Original nur relativ schlicht vier Kronen zu sehen sind, hat das deutsche Cover ein dunkleres, chaotischeres, detailreicheres Motiv abbekommen, dass so gut zur Geschichte passt, dass ich mich verliebt habe!!! Zusehen ist grauer ein Doppeladler mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Sockel voller Rosen und Blätter. Das grau-schwarze Hauptmotiv hebt sich zwar gut vom schwarzen Hintergrund ab, wirkt aber recht düster und chaotisch. Etwas Farbe bringen die goldene Krone, das goldene Schwert und der haptisch hervorgehobene Titel, der zu den Seiten hin in Funken zu zerstieben scheint. Dabei ist das Cover noch nicht einmal das Beste an der Gestaltung. Richtig toll sind auch die bunte Karte in der vorderen und die von der Autorin selbst gestaltete Steckbriefe der vier Königinnen in der hinteren Leselasche. Außerdem sehr hilfreich fürs Verfolgen der Geschichte ist die kurze Vorstellung jedes der vier Quadranten, Archia, Eonia, Toria und Ludia mit Leitspruch, Königin und Kurzbeschreibung sowie das vorangestellte Gesetz der Königinnen, dessen 15 Regeln auch vor den einzelnen Kapitelanfängen aus der Sicht der Königinnen zu lesen sind. Insgesamt sind die 445 Seiten in 49 Kapitel aufgeteilt, in denen entweder Keralie oder eine der Königinnen erzählen darf.
Erster Satz: "Die Morgensonne ließ die goldene Palastkuppel erstrahlen und überflutete den Concord mit Licht."
Die erste erzählende Protagonistin ist die junge Taschendiebin Keralie, die im Concord, dort wo die vier Quadranten von Quadara aufeinander treffen, reiche Passanten bestiehlt um ihre Waren dann in Mackiels Auktionshaus im dunklen Hafenviertel von Toria zu versteigern. Seit sie nach einem Unfall, für den sie sich selbst die Schuld gibt, mit ihren Eltern gebrochen hat, lebt sie bei ihrem Boss, der gleichzeitig ihr einziger Freund ist. Als sie eines Tages dem Boten Varin sein Comm Case abnimmt, weiß sie noch nicht dass die vier darin enthaltenen Erinnerungschips ihr nichts geringeres als den Mord an den vier Königinnen von Quadara offenbaren und sie und den unglücklichen Boten in eine gefährliche Verschwörung verwickeln wird. Werden es die beiden vom Zufall Verbündeten rechtzeitig zum Palast schaffen? Wer ist der Attentäter? Und was hat Keralies Boss Mackiel damit zu tun?
Parallel zu Keralies aufregender Entdeckung und ihrer Indiziensuche durch verschiedene Quadranten, lernen wir die vier Königinnen Corra, Stessa, Marguerite und Iris kennen, die alle ein Geheimnis mit sich herum tragen und das Gesetz der Königinnen, um das sich alles dreht, in mindestens einer Hinsicht schonmal gebrochen haben. Denn neben ihrer Macht und Verantwortung sind die vier Frauen vor allem eins: Menschen, die sich nach Liebe sehnen. Nachdem wir einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Königinnen erhalten haben, ist es umso schockierender dass wir - wie der Titel und Keralies Entdeckung es schon vermuten lassen - ihre Tode miterleben müssen. Jeweils aus der Sicht er ermordeten Königin bekommen wir ihre letzte Momente und schließlich ihr Ende mit. Dabei beschreibt Astrid Scholte die Morde weder übertrieben grausam noch blutrünstig, doch trotz dass wir uns gedanklich darauf vorbereiten können, sind diese Szenen so lebensecht geschildert, dass sie unter die Haut gehen.
Dies alles ereignet sich vor dem Hintergrund einer gut durchdachten, runden Fantasy-Welt, von der wir aber leider nicht allzu viel zu sehen bekommen. Das ist bei Fantasy-/Science-Fiction-Geschichten mit kompletter neuer Welt sehr ungewöhnlich, da dabei häufig der Hauptaugenmerk darauf liegt, dem Leser zu zeigen, welch tolle Welt man als Autor erschaffen hat. Hier handelt es sich beim Setting mehr um Beiwerk - rundes, sehr spannendes zwar aber trotzdem nicht viel mehr als eine interessante Kulisse für die wirklich wichtigen Geschehnisse. Ein paar Szenen am Hafen von Toria zu Beginn, ein kurzer Spaziergang über die Concorde, ein Aufenthalt in einem Haus in Eonia und natürlich die Haupthandlung im Palast - mehr bekommen wir aber von Quadara leider nicht zu sehen. Auch was die Geschichte rund um die Entstehung des viergeteilten Königreichs anbelangt wurden zwar interessante Punkte angerissen, die Erklärung des Systems, der Lebensumstände in den einzelnen Quadranten und die Identität des Landes werden aber zum Großteil nur oberflächlich gestreift. Etwas mehr Details hätten mich sehr gefreut, der Spannung und dem hohen Erzähltempo aber höchstwahrscheinlich geschadet. Ich kann auf jeden Fall verstehen, dass die Autorin ihre erschaffene Welt hinter der Handlung anstellt, dadurch wirkt das Worldbuilding aber leider ein wenig unfertig - ich bin da von Größen des Genres anderes gewöhnt. Dass man spannende Handlung und grandioses Worldbuilding vereinbaren kann, beweist unter anderem Sarah J. Maas immer wieder (aber ich schweife ab...).
Lässt man den kritischen Unterton beiseite, kann man klar feststellen, dass die Geschichte vor allem von der Handlung lebt und diese auch klar im Vordergrund steht. Die spannende Verschwörung, die verborgenen Geheimnisse des Palasts, die Frage nach dem Tod der Königinnen, der Identität des Attentäters und dessen Verbindung zu Keralie - das sind die wirklich entscheidenden Punkte, die die Geschichte so mitreißend und aufregend machen, nicht die aktuelle Mode in Ludia oder die Einzelheiten der neusten Gentechnik in Eonia. Also auch wenn das Setting an einigen Stellen ausbaufähig ist, einige kleine Löcher in der Handlung existieren, viele Szenen, die ich gerne miterlebt hätte, im Off an uns vorbeiziehen und einige Aspekte nur am Rand thematisiert werden, kann man der Geschichte diese Schnitzer und Oberflächlichkeiten leicht verzeihen, da sie mit den insgesamt sechs verschiedenen Perspektiven und dem dichten Spannungsbogen genug zu tun hat und die Auflösung am Ende alles wettmacht. Ich habe mir lange Gedanken gemacht und mitgerätselt, was hinter den Morden und den Geheimnissen stecken könnte und auch wenn einige Andeutungen klar waren und die wichtigste aller Informationen bis zum Ende unter Verschluss gehalten wird, hätte ich niemals kommen sehen, wie Astrid Scholte ihre einzelnen Fäden zusammenlaufen lässt. An dieser Stell Hut ab!
Für die Aufrechterhaltung der packenden Atmosphäre und der unterschwelligen Spannung sorgt auch Astrid Scholtes geradliniger Schreibstil. Sie nutzt anders als ich es von anderen Fantasy-Autoren gewohnt bin, nicht viele Schnörkel oder Details um ihre Geschichte bunt auszuschmücken sondern erwähnt nur das Wichtigste, um uns auf falsche Fährten zu führen, die Protagonisten näherzubringen und uns immer wieder zu fesseln. Passend dazu, dass die Autorin aus der Filmbranche kommt und an der Entstehung von unter anderem "Avatar" und "Happy Feet" mitgewirkt hat, konnte ich mir die Geschichte durch ihren Stil total gut als Film vorstellen. Ein solider Fokus auf die Handlung, ein hohes Erzähltempo, zwei spannende Protagonisten mit der richtigen Balance aus sympathischer Oberflächlichkeit und Tiefe, die Erwähnung von nur den nötigsten Informationen aber trotzdem ein rundes, ansprechendes Setting - die Geschichte hat alles, um einen spannenden Blockbuster daraus zu machen.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zu den Protagonisten. Am besten gefallen haben mir nicht Keralie und Varin, sondern die vier Königinnen. Auch wenn wir nicht so viel mit ihnen erleben wie mit Keralie und uns auch bald wieder verabschieden müssen, sind mir die vier Kämpferinnen mit ihren Geheimnissen und der Hingabe für ihr Land, der die vier total unterschiedlichen Frauen verbindet, doch sehr ans Herz gewachsen. Keralie ist eine typische Young-Adult-Protagonistin: kein Unschuldslamm, Altlast, auf Identitätssuche, angetrieben von Schuldgefühlen und ab und zu gerne mal auf dem Holzweg, dabei aber trotzdem immer sympathisch. Vielleicht wären einige Einblicke in Varins Sicht nicht schlecht gewesen, denn leider blieb er für mich ein wenig undurchschaubar und gerade die schnelle Entwicklung seiner Gefühle für Keralie erschien mir vor dem Hintergrund, dass er Eonist ist, etwas unnachvollziehbar.
Diese Kritik aber nur am Rande, denn die Beiden machen mit ihrer Liebesgeschichte zusammen mit den Antagonisten (über die ich aus Spoilergründen leider nicht viel sagen kann) und den Königinnen das Bild eines verrückten Genre-Mix´ komplett: ein paar Science-Fiction-Elemente wie Comm Lines, Comm Chips und genetischer Manipulation, eine Fantasy-Welt, dystopische Hintergründe, ein bisschen Krimi, ein bisschen Abenteuer, ein bisschen Thriller und eine leise Liebesgeschichte - wer hätte gedacht, dass ich diese wilde Kombination mal von Herzen weiterempfehlen würde...
Fazit:
Selten hat ein handlungsfokussierter Genre-Mix so gut funktioniert: Ein mysteriöser Krimi in einer Fantasy-Welt mit Science-Fiction-Konzepten, dystopischen Elementen, politischen Intrigen und verborgenen Geheimnissen umrahmt von einer süßen Liebesgeschichte. Ein tolles Debüt!