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Veröffentlicht am 03.03.2020

Selten hat ein handlungsfokussierter Genre-Mix so gut funktioniert: ein tolles Debüt!

Four Dead Queens
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Als ich "Four Dead Queens" in der Verlagsvorschau des Piper Verlags entdeckt habe, hatte ich zugegebenermaßen keine großen Erwartungen. Ich habe von dem Buch noch nie etwas gehört, kannte die Autorin nicht ...

Als ich "Four Dead Queens" in der Verlagsvorschau des Piper Verlags entdeckt habe, hatte ich zugegebenermaßen keine großen Erwartungen. Ich habe von dem Buch noch nie etwas gehört, kannte die Autorin nicht und stehe einbändigen Fantasy-Romanen grundsätzlich eher kritisch gegenüber. Doch der "Taschendiebin wird durch Zufall Teil einer königlichen, blutigen Intrige"-Klapptext hatte etwas an sich, dass ich der Geschichte unbedingt eine Chance geben wollte!

Wer meinen Blog treu verfolgt wird wissen, dass ich oft ein Fan der Originalcover bin. Doch hier hat mich der Piper-Verlag vom Gegenteil überzeugt: während auf dem Original nur relativ schlicht vier Kronen zu sehen sind, hat das deutsche Cover ein dunkleres, chaotischeres, detailreicheres Motiv abbekommen, dass so gut zur Geschichte passt, dass ich mich verliebt habe!!! Zusehen ist grauer ein Doppeladler mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Sockel voller Rosen und Blätter. Das grau-schwarze Hauptmotiv hebt sich zwar gut vom schwarzen Hintergrund ab, wirkt aber recht düster und chaotisch. Etwas Farbe bringen die goldene Krone, das goldene Schwert und der haptisch hervorgehobene Titel, der zu den Seiten hin in Funken zu zerstieben scheint. Dabei ist das Cover noch nicht einmal das Beste an der Gestaltung. Richtig toll sind auch die bunte Karte in der vorderen und die von der Autorin selbst gestaltete Steckbriefe der vier Königinnen in der hinteren Leselasche. Außerdem sehr hilfreich fürs Verfolgen der Geschichte ist die kurze Vorstellung jedes der vier Quadranten, Archia, Eonia, Toria und Ludia mit Leitspruch, Königin und Kurzbeschreibung sowie das vorangestellte Gesetz der Königinnen, dessen 15 Regeln auch vor den einzelnen Kapitelanfängen aus der Sicht der Königinnen zu lesen sind. Insgesamt sind die 445 Seiten in 49 Kapitel aufgeteilt, in denen entweder Keralie oder eine der Königinnen erzählen darf.

Erster Satz: "Die Morgensonne ließ die goldene Palastkuppel erstrahlen und überflutete den Concord mit Licht."

Die erste erzählende Protagonistin ist die junge Taschendiebin Keralie, die im Concord, dort wo die vier Quadranten von Quadara aufeinander treffen, reiche Passanten bestiehlt um ihre Waren dann in Mackiels Auktionshaus im dunklen Hafenviertel von Toria zu versteigern. Seit sie nach einem Unfall, für den sie sich selbst die Schuld gibt, mit ihren Eltern gebrochen hat, lebt sie bei ihrem Boss, der gleichzeitig ihr einziger Freund ist. Als sie eines Tages dem Boten Varin sein Comm Case abnimmt, weiß sie noch nicht dass die vier darin enthaltenen Erinnerungschips ihr nichts geringeres als den Mord an den vier Königinnen von Quadara offenbaren und sie und den unglücklichen Boten in eine gefährliche Verschwörung verwickeln wird. Werden es die beiden vom Zufall Verbündeten rechtzeitig zum Palast schaffen? Wer ist der Attentäter? Und was hat Keralies Boss Mackiel damit zu tun?

Parallel zu Keralies aufregender Entdeckung und ihrer Indiziensuche durch verschiedene Quadranten, lernen wir die vier Königinnen Corra, Stessa, Marguerite und Iris kennen, die alle ein Geheimnis mit sich herum tragen und das Gesetz der Königinnen, um das sich alles dreht, in mindestens einer Hinsicht schonmal gebrochen haben. Denn neben ihrer Macht und Verantwortung sind die vier Frauen vor allem eins: Menschen, die sich nach Liebe sehnen. Nachdem wir einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Königinnen erhalten haben, ist es umso schockierender dass wir - wie der Titel und Keralies Entdeckung es schon vermuten lassen - ihre Tode miterleben müssen. Jeweils aus der Sicht er ermordeten Königin bekommen wir ihre letzte Momente und schließlich ihr Ende mit. Dabei beschreibt Astrid Scholte die Morde weder übertrieben grausam noch blutrünstig, doch trotz dass wir uns gedanklich darauf vorbereiten können, sind diese Szenen so lebensecht geschildert, dass sie unter die Haut gehen.

Dies alles ereignet sich vor dem Hintergrund einer gut durchdachten, runden Fantasy-Welt, von der wir aber leider nicht allzu viel zu sehen bekommen. Das ist bei Fantasy-/Science-Fiction-Geschichten mit kompletter neuer Welt sehr ungewöhnlich, da dabei häufig der Hauptaugenmerk darauf liegt, dem Leser zu zeigen, welch tolle Welt man als Autor erschaffen hat. Hier handelt es sich beim Setting mehr um Beiwerk - rundes, sehr spannendes zwar aber trotzdem nicht viel mehr als eine interessante Kulisse für die wirklich wichtigen Geschehnisse. Ein paar Szenen am Hafen von Toria zu Beginn, ein kurzer Spaziergang über die Concorde, ein Aufenthalt in einem Haus in Eonia und natürlich die Haupthandlung im Palast - mehr bekommen wir aber von Quadara leider nicht zu sehen. Auch was die Geschichte rund um die Entstehung des viergeteilten Königreichs anbelangt wurden zwar interessante Punkte angerissen, die Erklärung des Systems, der Lebensumstände in den einzelnen Quadranten und die Identität des Landes werden aber zum Großteil nur oberflächlich gestreift. Etwas mehr Details hätten mich sehr gefreut, der Spannung und dem hohen Erzähltempo aber höchstwahrscheinlich geschadet. Ich kann auf jeden Fall verstehen, dass die Autorin ihre erschaffene Welt hinter der Handlung anstellt, dadurch wirkt das Worldbuilding aber leider ein wenig unfertig - ich bin da von Größen des Genres anderes gewöhnt. Dass man spannende Handlung und grandioses Worldbuilding vereinbaren kann, beweist unter anderem Sarah J. Maas immer wieder (aber ich schweife ab...).


Lässt man den kritischen Unterton beiseite, kann man klar feststellen, dass die Geschichte vor allem von der Handlung lebt und diese auch klar im Vordergrund steht. Die spannende Verschwörung, die verborgenen Geheimnisse des Palasts, die Frage nach dem Tod der Königinnen, der Identität des Attentäters und dessen Verbindung zu Keralie - das sind die wirklich entscheidenden Punkte, die die Geschichte so mitreißend und aufregend machen, nicht die aktuelle Mode in Ludia oder die Einzelheiten der neusten Gentechnik in Eonia. Also auch wenn das Setting an einigen Stellen ausbaufähig ist, einige kleine Löcher in der Handlung existieren, viele Szenen, die ich gerne miterlebt hätte, im Off an uns vorbeiziehen und einige Aspekte nur am Rand thematisiert werden, kann man der Geschichte diese Schnitzer und Oberflächlichkeiten leicht verzeihen, da sie mit den insgesamt sechs verschiedenen Perspektiven und dem dichten Spannungsbogen genug zu tun hat und die Auflösung am Ende alles wettmacht. Ich habe mir lange Gedanken gemacht und mitgerätselt, was hinter den Morden und den Geheimnissen stecken könnte und auch wenn einige Andeutungen klar waren und die wichtigste aller Informationen bis zum Ende unter Verschluss gehalten wird, hätte ich niemals kommen sehen, wie Astrid Scholte ihre einzelnen Fäden zusammenlaufen lässt. An dieser Stell Hut ab!

Für die Aufrechterhaltung der packenden Atmosphäre und der unterschwelligen Spannung sorgt auch Astrid Scholtes geradliniger Schreibstil. Sie nutzt anders als ich es von anderen Fantasy-Autoren gewohnt bin, nicht viele Schnörkel oder Details um ihre Geschichte bunt auszuschmücken sondern erwähnt nur das Wichtigste, um uns auf falsche Fährten zu führen, die Protagonisten näherzubringen und uns immer wieder zu fesseln. Passend dazu, dass die Autorin aus der Filmbranche kommt und an der Entstehung von unter anderem "Avatar" und "Happy Feet" mitgewirkt hat, konnte ich mir die Geschichte durch ihren Stil total gut als Film vorstellen. Ein solider Fokus auf die Handlung, ein hohes Erzähltempo, zwei spannende Protagonisten mit der richtigen Balance aus sympathischer Oberflächlichkeit und Tiefe, die Erwähnung von nur den nötigsten Informationen aber trotzdem ein rundes, ansprechendes Setting - die Geschichte hat alles, um einen spannenden Blockbuster daraus zu machen.

Zum Abschluss noch ein paar Worte zu den Protagonisten. Am besten gefallen haben mir nicht Keralie und Varin, sondern die vier Königinnen. Auch wenn wir nicht so viel mit ihnen erleben wie mit Keralie und uns auch bald wieder verabschieden müssen, sind mir die vier Kämpferinnen mit ihren Geheimnissen und der Hingabe für ihr Land, der die vier total unterschiedlichen Frauen verbindet, doch sehr ans Herz gewachsen. Keralie ist eine typische Young-Adult-Protagonistin: kein Unschuldslamm, Altlast, auf Identitätssuche, angetrieben von Schuldgefühlen und ab und zu gerne mal auf dem Holzweg, dabei aber trotzdem immer sympathisch. Vielleicht wären einige Einblicke in Varins Sicht nicht schlecht gewesen, denn leider blieb er für mich ein wenig undurchschaubar und gerade die schnelle Entwicklung seiner Gefühle für Keralie erschien mir vor dem Hintergrund, dass er Eonist ist, etwas unnachvollziehbar.

Diese Kritik aber nur am Rande, denn die Beiden machen mit ihrer Liebesgeschichte zusammen mit den Antagonisten (über die ich aus Spoilergründen leider nicht viel sagen kann) und den Königinnen das Bild eines verrückten Genre-Mix´ komplett: ein paar Science-Fiction-Elemente wie Comm Lines, Comm Chips und genetischer Manipulation, eine Fantasy-Welt, dystopische Hintergründe, ein bisschen Krimi, ein bisschen Abenteuer, ein bisschen Thriller und eine leise Liebesgeschichte - wer hätte gedacht, dass ich diese wilde Kombination mal von Herzen weiterempfehlen würde...


Fazit:


Selten hat ein handlungsfokussierter Genre-Mix so gut funktioniert: Ein mysteriöser Krimi in einer Fantasy-Welt mit Science-Fiction-Konzepten, dystopischen Elementen, politischen Intrigen und verborgenen Geheimnissen umrahmt von einer süßen Liebesgeschichte. Ein tolles Debüt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.02.2020

Rasant, authentisch, undurchsichtig.

Falling Skye (Bd. 1)
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Ich habe mittlerweile seit längerem keine Dystopie mehr gelesen - schlicht und einfach weil mich der immergleiche Aufbau, die vielen auffälligen Parallelen zu anderen Geschichten und die Holzhammer-Gesellschaftskritik ...

Ich habe mittlerweile seit längerem keine Dystopie mehr gelesen - schlicht und einfach weil mich der immergleiche Aufbau, die vielen auffälligen Parallelen zu anderen Geschichten und die Holzhammer-Gesellschaftskritik zunehmenden nerven. Bei "Falling Skye" hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl: nicht nur dass Cover und Klapptext vielversprechend aussahen und ich natürlich meine Psychologie-Kollegin unterstützen musste - die Geschichte hat mich mit ihrem einzigartigen Stil auch von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen.

Das Cover ist mit dem großen, zersplitternden Kristall mit den Leuchteffekten, dem dynamischen, blauen Hintergrund und dem silbern glänzenden Titel ein wahrer Blickfang. Durch die Silhouette des dunkelhaarigen Mädchens und die Skyline von New York im Hintergrund wird dem futuristischen Motiv etwas Bekanntes entgegengesetzt und die feinen geometrischen Linien rund um den Diamanten, die bei genauerem Hinsehen zu erkennenden roten Blutspuren auf dem Kristall, sowie die Reflexionen der Glassplitter runden das Bild gekonnt ab. Schön ist auch dass die 47 Kapitel durch eine Kristallform voneinander getrennt werden. Der Titel ist ein spannendes Sprachspiel, auf das tatsächlich schon in der ersten Szene indirekt Bezug genommen wird


Erster Satz: "Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man genau weiß, was gleich passieren wird - und man das Unausweichliche trotzdem nicht ändern kann."


Wir steigen nämlich mit einem Sturz bei einem von Skyes Laufwettkämpfen ein - eine von vielen Aktivitäten, die sie einen Schritt näher an ihren großen Traum bringen soll: nach der Kristallisierung ein "R" auf dem Handgelenk stehen zu haben um an der Cremonte Universität ihr Wahlfach studieren zu können - Journalismus, wie ihre Mutter, die vor vier Jahren verschwunden ist. In Skyes Leben dreht sich alles um Leistung, Schule, Abschlussprüfungen und die in zwei Jahren anstehende Kristallisierung, die über ihre Zukunft entscheiden wird: ist sie emotional oder rational? Ist sie ein "E" oder ein "R"? Wird sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen können oder sich zu ihrem eigenen Schutz von der Gesellschaft führen lassen? Angesichts so einer wichtigen Entscheidung bleibt kein Platz für Gefühle, schließlich steht für sie genau fest, was sie werden will. Doch dann geht plötzlich alles schief: nicht nur verletzt sie ihren Schwarm Elias und handelt unüberlegt impulsiv sondern wird auch noch zwei Jahre zu früh zur Testung eingeladen wird. Schon auf dem Weg zum Zentrum muss Skye feststellen, dass sie weder ihrem Verstand noch ihren Gefühlen vertrauen darf, wenn sie ihr Leben nicht gefährden soll. Doch wem dann? Dem gutaussehenden, geheimnisvollen Testleiter, der ihr zu folgen scheint und immer wieder hilft? Dem System, dass es sie schon richtig klassifizieren wird? Im weit abgelegenen Zentrum muss Skye dann aber bald feststellen, dass mehr auf dem Spiel steht, als nur ihr "R", denn nächtliche Abtransports, öffentliche Demütigungen und tragische "Unfälle" lassen sie zweifeln, was bei der Kristallisierung wirklich getestet wird: ihr Trait oder ihre Treue...


"Wir werden mit unterschiedlichen Veranlagungen geboren, die darüber entscheiden, was für ein Leben zu uns passt. Das schreibt Cloe Cremonte im Silberstreif und daran habe ich immer geglaubt. Aber einer Führung, die eiskalte Gefühlslosigkeit als rationales Ideal verkauft, kann ich doch nicht treu sein!"


Nachdem wir kurz in Skyes Alltagswelt eingeführt werden, die sich im Grunde nicht groß von unserem Leben unterscheidet bis auf dass die USA in die "Gläsernen Nationen" umbenannt worden sind und die Klassifizierung der Gesellschaft nach Traits für Frieden und Gerechtigkeit sorgen soll, wandelt sich die lockere Atmosphäre schon bald und nimmt Thriller-artige Züge an. Erschien Skyes Leben zuvor noch recht harmlos wie das eines normalen Teenagers, häufen sich bald Indizien dafür, dass sie in einem maroden, korrupten System lebt, dass sich unter dem Deckmantel einer zukunftsorientierten, perfekten Gesellschaft versteckt. Denn neben den Tests auf verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen wie Neurotizismus, Verträglichkeit, Extraversion, Zielstrebigkeit und Temperament (die ersten drei gehören tatsächlich zu den "Big Five" der Persönlichkeit) gibt es außerdem ein rätselhaftes Ranking, eine "Gläserne Stunde" in der die Mädchen ihre Geheimnisse verraten müssen und lückenlose Überwachung. Wozu das alles, wenn doch die Tests klar die Traits herausarbeiten sollen? Bald wird dem Leser klar, dass hinter der Testung noch viel mehr steckt als die Kategorisierung der Jugendlichen und hinter der gläsernen Fassade viele Abgründe lauern. Diskriminierung, Sexismus, Diktatur, Gleichschaltung der Medien und Zensur - statt üble Auswüchse zu vermeiden hat die neue Ordnung noch viel mehr hervorgerufen. Zusammen mit Skye geraten wir in einen rasanten, undurchsichtigen Strudel aus Ereignissen, der ihre Welt komplett über den Haufen wirft.


"Ich bin nicht nur das zielstrebige Mädchen, das Probleme logisch löst. Ich bin nicht nur die ehrgeizige Wettkampfsportlerin, die ihrem Erfolg alles andere unterordnet. Ich bin auch das Mädchen, das in den See springt, wenn jemand in Gefahr ist - ohne über die Strömung nachzudenken. Das Mädchen, das Alexander vertraut, obwohl nichts dafür spricht außer einem Gefühl. Ich bin nicht nur rational. Und seltsamerweise löst diese Feststellung keine Panik mehr in mir aus, sondern Trotz. Warum muss ich mich für eine der Seiten entscheiden?"


Beim Lesen merkt man bald, dass die junge Autorin Psychologie studiert. Nicht nur weil ihre Protagonisten im Matheunterricht über Regressionsgeraden und die Methode der kleinsten Quadrate reden, sondern auch weil ihre spannend konzipierte Gesellschaft, Skyes einfühlsame Identitätssuche, der besondere Fokus auf die Gruppendynamik der Mädchen, die abgekarteten Manipulationen und durchdachten Kampagnen der Kristallisier Wissen über menschliches Verhalten, Erleben und vor allem auch über soziale Beeinflussung erkennen lassen. Auch ihr einfühlsamer, häufig auf den Punkt treffender Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Zwar ist das Erzähltempo durch den genauen Blick auf Skyes Gedanken- und Gefühlswelt während der Tests und das Miteinbeziehen von einer kleinen Portion Teenie-Drama nicht so hoch, wie es das vielleicht hätte sein können, dennoch brodelt die Spannung geradezu und ich konnte das Buch zu keinem Zeitpunkt aus der Hand legen.

Skye ist als Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin sehr liebenswürdig und definitiv ein Sympathieträger, auch wenn sie zu Beginn sehr systemkonform, in gewisser Weise naiv und mit ihrer Zielstrebigkeit und erzwungener Emotionslosigkeit kalt wirkt. An ihrem Mitgefühl, ihrer Impulsivität wenn andere in Gefahr sind und an ihrer Leidenschaft, mit der sie sich, ihre Werte und ihre Freunde verteidigt, merkt man jedoch schnell, dass sie nicht so emotionslos und rational ist, wie sie vorgibt zu sein. Auch in anderen Charakteren täuschen wir uns zu Beginn und müssen im Verlauf der Geschichte bestellen, dass der erste Eindruck trügen kann: die kalte Jasmine lässt hinter ihre Fassade blicken, der perfekte Elias verliert sich in seiner Konformität, die emotionale Luce verbirgt ein großes Geheimnis, der schwächliche Colin packt geheime Skills aus, der geheimnisvolle Testleiter Alexander entpuppt sich als Skye wichtigster Verbündeter und auch ihre Eltern erscheinen vor dem Hintergrund der Kristallisierung plötzlich in einem ganz anderen Licht... Einen besonderen Einblick bekommen wir durch die zweite Erzählperspektive, die durch eine andere Schriftart optisch hervorgehoben wurde, die das Innenleben von Alexander/Hunter beschreibt. Leider bleibt er erstmal eine recht eindimensionale Randfigur, die vor allem die Spannung steigern und die Handlung vorantreiben soll. Auch die Liebesgeschichte schöpft ihr Potential nicht aus - so kommt Skyes plötzliche Verliebtheit fast aus dem Nichts und konnte von mir nicht ganz nachvollzogen werden. Ich habe aber die Hoffnung, dass er sich im zweiten Teil zu einer genauso eindrücklichen Persönlichkeit entwickelt wie Skye.


"Pass auf dich auf", flüstere ich, bevor ich mich abwende. Irgendwo unter dieser Festung aus Glas verbirgt sich ein Geheimnis, für das Menschen sterben müssen. Und wir werden es finden."


Bevor ich meine Lobeshymne abschließe, muss ich noch einen Kritikpunkt anbringen: an einigen Stellen wirkt die sonst so runde Handlung etwas unrealistisch. Beispielsweise scheint Alexander der Einzige zu sein, dem Skyes Fehltritte auffallen, außerdem manipuliert er immer wieder die Ergebnisse oder das ganze System, ohne dass es jemandem auffällt. Seine Verbindung zu Skye ist so offensichtlich, dass sie die anderen Mädchen damit aufziehen aber von den Testleitern merkt keiner etwas? Und trotz der vollkommenen Überwachung und neuster Technik finden die Protagonisten immer ein Schlupfloch, sich zu unterhalten? Man kann sich in den Aufgaben so nach seinem Wunsch-Trait verhalten, dass die Testung beeinflusst wird und das obwohl alle physischen Parameter genauestens aufgezeichnet werden? Für mich war die Darstellung von Überwachung und neuer Technik auf der einen Seite und Nachlässigkeiten und Schlupflöcher auf der anderen Seite ein wenig unglaubwürdig.

Leider musste ich zudem in der Hälfe feststellen, dass die Grundidee nicht ganz neu erschien. Tests zur Kategorisierung der Persönlichkeit, Konfrontation mit Ängsten in Simulationen, ein geheimer Komplott hinter den Kulissen, eine Liebesbeziehung zu einem Testleiter/Ausbilder … wen erinnert das auch ein bisschen an "Die Bestimmung"? Etliche erschütternde Geheimnisse, Tod, Verrat, Angst und mehrere überraschende Wendungen später musste ich mein Urteil dann aber nochmal überdenken. Denn die wahre Agenda, die sich hinter der Kristallisierung verbirgt ist wahrhaft gut durchdacht, glaubwürdig, authentisch und ABSOLUT EKELHAFT! Was wirklich hinter alldem steckt, hätte ich niemals erraten und vor der Art und Weise, wie die Autorin und hier überrascht und es noch schafft, eine subtile Botschaft an die Enthüllung zu hängen, hat mich wirklich beeindruckt! Von der großen Wendung abgesehen ist das Ende sehr offen und weckt vor allem die Spannung auf den nächsten Teil, der leider erst im Herbst 2020 erscheint. Ich werde auf jeden Fall weiterlesen und freue mich schon sehr auf die Fortsetzung!


"Meine Wut macht mich mutiger, als ich bin. "In Wirklichkeit geht es doch bloß darum, dass ihr Angst vor uns habt." Ich trete näher an den Konsiliar heran, der nicht viel größer ist als ich selbst. "Denn Sie irren sich: Frauen wurden keine Rechte gegeben - sie haben sie sich genommen. Und wir werden sie uns zurückholen, wenn man uns dazu zwingt."




Fazit:


Ein treffsicherer Schreibstil, eine liebenswürdige Protagonistin, ein glaubwürdiges, böses System mit Realitätsrelevanz, eine feministische Botschaft, etliche spannende Wendungen und eine atmosphärische Spannung machen dieses Debüt zu einem wirklichen Dystopie-Highlight. Rasant, authentisch, undurchsichtig: eine Mischung aus psychologischer Spannung, Gesellschaftskritik und Teenie-Drama.

Veröffentlicht am 13.02.2020

Rasant, authentisch, undurchsichtig

Falling Skye (Bd. 1)
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Ich habe mittlerweile seit längerem keine Dystopie mehr gelesen - schlicht und einfach weil mich der immergleiche Aufbau, die vielen auffälligen Parallelen zu anderen Geschichten und die Holzhammer-Gesellschaftskritik ...

Ich habe mittlerweile seit längerem keine Dystopie mehr gelesen - schlicht und einfach weil mich der immergleiche Aufbau, die vielen auffälligen Parallelen zu anderen Geschichten und die Holzhammer-Gesellschaftskritik zunehmenden nerven. Bei "Falling Skye" hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl: nicht nur dass Cover und Klapptext vielversprechend aussahen und ich natürlich meine Psychologie-Kollegin unterstützen musste - die Geschichte hat mich mit ihrem einzigartigen Stil auch von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen.

Das Cover ist mit dem großen, zersplitternden Kristall mit den Leuchteffekten, dem dynamischen, blauen Hintergrund und dem silbern glänzenden Titel ein wahrer Blickfang. Durch die Silhouette des dunkelhaarigen Mädchens und die Skyline von New York im Hintergrund wird dem futuristischen Motiv etwas Bekanntes entgegengesetzt und die feinen geometrischen Linien rund um den Diamanten, die bei genauerem Hinsehen zu erkennenden roten Blutspuren auf dem Kristall, sowie die Reflexionen der Glassplitter runden das Bild gekonnt ab. Schön ist auch dass die 47 Kapitel durch eine Kristallform voneinander getrennt werden. Der Titel ist ein spannendes Sprachspiel, auf das tatsächlich schon in der ersten Szene indirekt Bezug genommen wird


Erster Satz: "Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man genau weiß, was gleich passieren wird - und man das Unausweichliche trotzdem nicht ändern kann."


Wir steigen nämlich mit einem Sturz bei einem von Skyes Laufwettkämpfen ein - eine von vielen Aktivitäten, die sie einen Schritt näher an ihren großen Traum bringen soll: nach der Kristallisierung ein "R" auf dem Handgelenk stehen zu haben um an der Cremonte Universität ihr Wahlfach studieren zu können - Journalismus, wie ihre Mutter, die vor vier Jahren verschwunden ist. In Skyes Leben dreht sich alles um Leistung, Schule, Abschlussprüfungen und die in zwei Jahren anstehende Kristallisierung, die über ihre Zukunft entscheiden wird: ist sie emotional oder rational? Ist sie ein "E" oder ein "R"? Wird sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen können oder sich zu ihrem eigenen Schutz von der Gesellschaft führen lassen? Angesichts so einer wichtigen Entscheidung bleibt kein Platz für Gefühle, schließlich steht für sie genau fest, was sie werden will. Doch dann geht plötzlich alles schief: nicht nur verletzt sie ihren Schwarm Elias und handelt unüberlegt impulsiv sondern wird auch noch zwei Jahre zu früh zur Testung eingeladen wird. Schon auf dem Weg zum Zentrum muss Skye feststellen, dass sie weder ihrem Verstand noch ihren Gefühlen vertrauen darf, wenn sie ihr Leben nicht gefährden soll. Doch wem dann? Dem gutaussehenden, geheimnisvollen Testleiter, der ihr zu folgen scheint und immer wieder hilft? Dem System, dass es sie schon richtig klassifizieren wird? Im weit abgelegenen Zentrum muss Skye dann aber bald feststellen, dass mehr auf dem Spiel steht, als nur ihr "R", denn nächtliche Abtransports, öffentliche Demütigungen und tragische "Unfälle" lassen sie zweifeln, was bei der Kristallisierung wirklich getestet wird: ihr Trait oder ihre Treue...


"Wir werden mit unterschiedlichen Veranlagungen geboren, die darüber entscheiden, was für ein Leben zu uns passt. Das schreibt Cloe Cremonte im Silberstreif und daran habe ich immer geglaubt. Aber einer Führung, die eiskalte Gefühlslosigkeit als rationales Ideal verkauft, kann ich doch nicht treu sein!"


Nachdem wir kurz in Skyes Alltagswelt eingeführt werden, die sich im Grunde nicht groß von unserem Leben unterscheidet bis auf dass die USA in die "Gläsernen Nationen" umbenannt worden sind und die Klassifizierung der Gesellschaft nach Traits für Frieden und Gerechtigkeit sorgen soll, wandelt sich die lockere Atmosphäre schon bald und nimmt Thriller-artige Züge an. Erschien Skyes Leben zuvor noch recht harmlos wie das eines normalen Teenagers, häufen sich bald Indizien dafür, dass sie in einem maroden, korrupten System lebt, dass sich unter dem Deckmantel einer zukunftsorientierten, perfekten Gesellschaft versteckt. Denn neben den Tests auf verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen wie Neurotizismus, Verträglichkeit, Extraversion, Zielstrebigkeit und Temperament (die ersten drei gehören tatsächlich zu den "Big Five" der Persönlichkeit) gibt es außerdem ein rätselhaftes Ranking, eine "Gläserne Stunde" in der die Mädchen ihre Geheimnisse verraten müssen und lückenlose Überwachung. Wozu das alles, wenn doch die Tests klar die Traits herausarbeiten sollen? Bald wird dem Leser klar, dass hinter der Testung noch viel mehr steckt als die Kategorisierung der Jugendlichen und hinter der gläsernen Fassade viele Abgründe lauern. Diskriminierung, Sexismus, Diktatur, Gleichschaltung der Medien und Zensur - statt üble Auswüchse zu vermeiden hat die neue Ordnung noch viel mehr hervorgerufen. Zusammen mit Skye geraten wir in einen rasanten, undurchsichtigen Strudel aus Ereignissen, der ihre Welt komplett über den Haufen wirft.


"Ich bin nicht nur das zielstrebige Mädchen, das Probleme logisch löst. Ich bin nicht nur die ehrgeizige Wettkampfsportlerin, die ihrem Erfolg alles andere unterordnet. Ich bin auch das Mädchen, das in den See springt, wenn jemand in Gefahr ist - ohne über die Strömung nachzudenken. Das Mädchen, das Alexander vertraut, obwohl nichts dafür spricht außer einem Gefühl. Ich bin nicht nur rational. Und seltsamerweise löst diese Feststellung keine Panik mehr in mir aus, sondern Trotz. Warum muss ich mich für eine der Seiten entscheiden?"


Beim Lesen merkt man bald, dass die junge Autorin Psychologie studiert. Nicht nur weil ihre Protagonisten im Matheunterricht über Regressionsgeraden und die Methode der kleinsten Quadrate reden, sondern auch weil ihre spannend konzipierte Gesellschaft, Skyes einfühlsame Identitätssuche, der besondere Fokus auf die Gruppendynamik der Mädchen, die abgekarteten Manipulationen und durchdachten Kampagnen der Kristallisier Wissen über menschliches Verhalten, Erleben und vor allem auch über soziale Beeinflussung erkennen lassen. Auch ihr einfühlsamer, häufig auf den Punkt treffender Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Zwar ist das Erzähltempo durch den genauen Blick auf Skyes Gedanken- und Gefühlswelt während der Tests und das Miteinbeziehen von einer kleinen Portion Teenie-Drama nicht so hoch, wie es das vielleicht hätte sein können, dennoch brodelt die Spannung geradezu und ich konnte das Buch zu keinem Zeitpunkt aus der Hand legen.

Skye ist als Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin sehr liebenswürdig und definitiv ein Sympathieträger, auch wenn sie zu Beginn sehr systemkonform, in gewisser Weise naiv und mit ihrer Zielstrebigkeit und erzwungener Emotionslosigkeit kalt wirkt. An ihrem Mitgefühl, ihrer Impulsivität wenn andere in Gefahr sind und an ihrer Leidenschaft, mit der sie sich, ihre Werte und ihre Freunde verteidigt, merkt man jedoch schnell, dass sie nicht so emotionslos und rational ist, wie sie vorgibt zu sein. Auch in anderen Charakteren täuschen wir uns zu Beginn und müssen im Verlauf der Geschichte bestellen, dass der erste Eindruck trügen kann: die kalte Jasmine lässt hinter ihre Fassade blicken, der perfekte Elias verliert sich in seiner Konformität, die emotionale Luce verbirgt ein großes Geheimnis, der schwächliche Colin packt geheime Skills aus, der geheimnisvolle Testleiter Alexander entpuppt sich als Skye wichtigster Verbündeter und auch ihre Eltern erscheinen vor dem Hintergrund der Kristallisierung plötzlich in einem ganz anderen Licht... Einen besonderen Einblick bekommen wir durch die zweite Erzählperspektive, die durch eine andere Schriftart optisch hervorgehoben wurde, die das Innenleben von Alexander/Hunter beschreibt. Leider bleibt er erstmal eine recht eindimensionale Randfigur, die vor allem die Spannung steigern und die Handlung vorantreiben soll. Auch die Liebesgeschichte schöpft ihr Potential nicht aus - so kommt Skyes plötzliche Verliebtheit fast aus dem Nichts und konnte von mir nicht ganz nachvollzogen werden. Ich habe aber die Hoffnung, dass er sich im zweiten Teil zu einer genauso eindrücklichen Persönlichkeit entwickelt wie Skye.


"Pass auf dich auf", flüstere ich, bevor ich mich abwende. Irgendwo unter dieser Festung aus Glas verbirgt sich ein Geheimnis, für das Menschen sterben müssen. Und wir werden es finden."


Bevor ich meine Lobeshymne abschließe, muss ich noch einen Kritikpunkt anbringen: an einigen Stellen wirkt die sonst so runde Handlung etwas unrealistisch. Beispielsweise scheint Alexander der Einzige zu sein, dem Skyes Fehltritte auffallen, außerdem manipuliert er immer wieder die Ergebnisse oder das ganze System, ohne dass es jemandem auffällt. Seine Verbindung zu Skye ist so offensichtlich, dass sie die anderen Mädchen damit aufziehen aber von den Testleitern merkt keiner etwas? Und trotz der vollkommenen Überwachung und neuster Technik finden die Protagonisten immer ein Schlupfloch, sich zu unterhalten? Man kann sich in den Aufgaben so nach seinem Wunsch-Trait verhalten, dass die Testung beeinflusst wird und das obwohl alle physischen Parameter genauestens aufgezeichnet werden? Für mich war die Darstellung von Überwachung und neuer Technik auf der einen Seite und Nachlässigkeiten und Schlupflöcher auf der anderen Seite ein wenig unglaubwürdig.

Leider musste ich zudem in der Hälfe feststellen, dass die Grundidee nicht ganz neu erschien. Tests zur Kategorisierung der Persönlichkeit, Konfrontation mit Ängsten in Simulationen, ein geheimer Komplott hinter den Kulissen, eine Liebesbeziehung zu einem Testleiter/Ausbilder … wen erinnert das auch ein bisschen an "Die Bestimmung"? Etliche erschütternde Geheimnisse, Tod, Verrat, Angst und mehrere überraschende Wendungen später musste ich mein Urteil dann aber nochmal überdenken. Denn die wahre Agenda, die sich hinter der Kristallisierung verbirgt ist wahrhaft gut durchdacht, glaubwürdig, authentisch und ABSOLUT EKELHAFT! Was wirklich hinter alldem steckt, hätte ich niemals erraten und vor der Art und Weise, wie die Autorin und hier überrascht und es noch schafft, eine subtile Botschaft an die Enthüllung zu hängen, hat mich wirklich beeindruckt! Von der großen Wendung abgesehen ist das Ende sehr offen und weckt vor allem die Spannung auf den nächsten Teil, der leider erst im Herbst 2020 erscheint. Ich werde auf jeden Fall weiterlesen und freue mich schon sehr auf die Fortsetzung!


"Meine Wut macht mich mutiger, als ich bin. "In Wirklichkeit geht es doch bloß darum, dass ihr Angst vor uns habt." Ich trete näher an den Konsiliar heran, der nicht viel größer ist als ich selbst. "Denn Sie irren sich: Frauen wurden keine Rechte gegeben - sie haben sie sich genommen. Und wir werden sie uns zurückholen, wenn man uns dazu zwingt."




Fazit:


Ein treffsicherer Schreibstil, eine liebenswürdige Protagonistin, ein glaubwürdiges, böses System mit Realitätsrelevanz, eine feministische Botschaft, etliche spannende Wendungen und eine atmosphärische Spannung machen dieses Debüt zu einem wirklichen Dystopie-Highlight. Rasant, authentisch, undurchsichtig: eine Mischung aus psychologischer Spannung, Gesellschaftskritik und Teenie-Drama.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2020

Charmant, humorvoll, besonders!

Love Challenge
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Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige ...

Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige Mängel hinwegsehen wollte. Dieser zweite Teil, auf den ich mich jetzt schon seit Wochen gefreut habe, nimmt dieselben Zutaten wie Band 1 - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass die Protagonistin Esme an ihre eigene Mutter angelehnt ist, die sich aus dem Nichts nach der Einwanderung von Vietnam in die USA mit mehreren Kindern vier erfolgreiche Restaurants aufgebaut hat und es nur durch Arbeit und ihre eigene Willenskraft zu etwas gebracht hat. Und in jeder Seite der Geschichte spürt man den Respekt der Autorin für diese unglaubliche Leistung und so scheinen beide Komponenten der Geschichte direkt aus dem Herzen der Autorin zu kommen: sie erzählt zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, ist aber gleichzeitig auf einer tieferen Ebene eine Liebeserklärung an ihre Mutter, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.


"Sie war auf keine Weise beeindruckend, die man sehen oder messen konnte, aber sie hatte dieses Feuer. Sie spürte es. Das war ihr Wert. Sie würde für ihre Familie kämpfen. Und sie würde für sich selbst kämpfen. Weil sie zählte."


Das Cover ist wie Band 1 ein wirklicher Hingucker! Diesmal ist der Hintergrund nicht grau sondern apricot und die kunstvollen Blumen und Ranken heben sich in Weiß-, Orange-, Grün- und warmen Gelbtönen ab. Der Titel glänzt in Türkis und der Autorentitel ist verschnörkelt. Besonders nett ist auch, dass in den Leselaschen der Broschierten Ausgabe wieder ein Interview mit der Autorin abgedruckt ist und die Blüten der Gestaltung auch innerhalb des Buches die Kapitelanfänge zieren. Mit der Gestaltung passt der zweite Teil der "Kiss, Love & Heart"-Reihe wunderbar zu seinem Vorgänger, hat aber durch die andere Farbgebung eine eigene, tropischere, fruchtigere Note, die gut zu Esme und Khai passt.

Wieder ist die Geschichte abwechselnd aus der personalen Er-Perspektive der beiden Protagonisten erzählt, wodurch der Leser wieder von Beginn an in alle Geheimnisse und verborgenen Gefühle der beiden eingeweiht ist. Man weiß also genau, was man zu erwarten hat, sobald man die ersten Seiten umblättert. Man weiß, worauf die Geschichte hinauslaufen wird, man kennt das altbekannte Schema und durchschaut die Protagonisten schnell. Aber das ist vollkommen in Ordnung, denn nichtsdestotrotz eroberte die Geschichte mein Herz. Es gibt hier kein Rätselraten, keine unvorhergesehenen Wendungen, keine großen Überraschungen sondern einfach nur eine prickelnde, unterhaltsame, etwas andere Liebesgeschichte, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.


Erster Satz: "Khai sollte eigentlich weinen."


Als erstes lernen wir im kurzen Prolog Khai kennen, den wir ja im ersten Teil schon flüchtig getroffen haben, da er mit Michael befreundet ist. Er befindet sich gerade auf einer Beerdigung, der Beerdigung seines besten Freundes um genau zu sein, und findet heraus, dass er nicht lieben kann. Denn wenn er nicht so trauert wie die anderen Gäste, muss doch sein Herz aus Stein sein, oder nicht? Um diese Meinung zu ändern und ihren Jungen endlich zu verheiraten hat sich seine Mutter auf den Weg gemacht um in Vietnam eine geeignete Braut für ihn zu suchen. Fündig wird sie ausgerechnet auf einer Toilette eines Hotels in Ho-Chi-Minh und wir lernen unsere Protagonistin Esme kennen. Als mittellose Putzkraft, die zusammen mit ihrer kleinen Tochter, ihrer Mutter und ihrer Großmutter in einem Ein-Zimmer-Apartment wohnt und auf dem Boden schläft erscheint sie auf den ersten Blick sehr anders und rief in mir eine Art kleinen Kulturschock hervor. Ihren Wunsch, nach einer Chance, einer Perspektive, etwas auf ihrem Leben zu machen, der sie antreibt dem Deal, den Khais Großmutter ihr vorschlägt, zuzustimmen, erscheint hingegen sehr nachvollziehbar und so begleiten wir unsere Protagonistin auf dem Weg in ein neues Land, ein neues Leben, eine neue Liebe...


"Sein Name, Khải, bedeutete Sieg, aber so wie er es sagte, flach, ohne Betonung, bedeutete es öffnen. Das war genau das, was sie tun musste. Er war verschlossen, und sie musste ihn öffnen. Ihrer Erfahrung nach machte man das, was man öffnen wollte, erst sauber, damit man sehen konnte, womit man es zu tun hatte, und danach bearbeitete man es wirklich hart. Esme war nicht in vielen Dingen gut, aber sie war gut im Saubemachen und Hartarbeiten. Sie konnte es schaffen. Vielleicht war sie dafür gemacht."


Auch wenn auf der reinen Handlungsebene häufig nicht besonders viel passiert - die beiden leben zusammen, arbeiten und gehen ab und zu auf eine Hochzeit - sorgt Helen Hoangs lockerer, packender Schreibstil dafür, dass es keine Sekunde langweilig wird und man es kaum schafft, sich loszureißen. So habe ich die Geschichte an einem einzigen Nachmittag gelesen und mich komplett in der Handlung und den Gefühlen der Protagonisten verloren. Dabei schafft die Autorin immer eine angenehme Balance zwischen düsteren Gedanken und lustigen, sarkastischen Dialogen, sodass ich - ständig schniefend, schmachtend oder grinsend - von meinem Umfeld etwas schräg angesehen wurde (vielen Dank dafür, Helen). Ebenfalls litt ich durch das Suchtpotential der Geschichte leider an einem typischem In-einem-Rutsch-durchlesen-und-danach-ärgern-dass-man-es-so-schnell-gelesen-hat-Dilemma (ebenfalls vielen Dank dafür, Helen ^^). Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. So schafft sie den Spagat zwischen zuckersüßem Märchen-Flair und Bitterkeit der Realität, sodass die Geschichte locker und leicht daherkommt.


"Sie war erneut gekommen, um ihn zu suchen. Niemand suchte nach ihm. Alle wussten, dass er allein sein wollte. Nur dass es nicht immer so war. Manchmal war er aus Gewohnheit alleine. Manchmal kostete es Mühe, sich von der wachsenden Leere in seinem Inneren abzulenken."


Besonders toll ist die Dynamik zwischen den beiden Protagonistin dargestellt, die beide auf ihre Art im Umgang mit dem anderen gehandicapt sind. Während Khai durch seinen Autismus eine andere Sicht auf die Welt und Menschen hat und ihm deshalb viele Dinge entgehen und er andere ohne Absicht verletzt, ist Esme in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen und muss sich deshalb an eine neue Sprache, eine andere Art zu Leben und Khais besondere Eigenarten gewöhnen. Wie die Beiden immer wieder aneinander vorbeireden und sich in seltsame Situationen und Missverständnisse manövrieren ist zugleich witzig und liebenswert. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass die beiden wunderbar zusammenpassen und sich am Ende auch finden werden, ist es sehr spannend zu verfolgen, wie Khai seine Befürchtung, er könne niemanden lieben und Esme ihre Komplexe, nicht schlau, gebildet, reich oder schön genug für ihn zu sein, überwindet. Etwas gestört hat mich, dass Khai von Anfang an einen total sexualisierten Blick auf Esme hat und sie das gar nicht zu kümmern scheint (ja gut, es ist vielleicht scheinheilig das zu sagen weil es bei dieser Art von Büchern normalerweise immer andersrum ist und der männliche Love-Interest nur als Objekt der Begierde dargestellt ist) aber das hat für mich nicht wirklich gepasst, vor allem weil sich Esme als unabhängige Frau versteht und Khai eigentlich nicht oberflächlich angelegt ist.


"Sie lag in seinen Armen, wandte sich an ihn, vertraute ihm, genau wie damals, als sie den Albtraum gehabt hatte. Es war furchteinflößend. Es war wundervoll. (…) Innerhalb eines Augenblicks veränderte sich alles. Der Wind wurde zu Samt, und die einzigen Geräusche waren das Pochen seines Herzens und das Rauschen seines Bluts. Die Farben wurden strahlender und tanzten. Das Grün ihrer Augen, das Gelb ihres Shirts, das Blau des Sommerhimmels, all das ließ das Rosa ihres Mundes aufleuchten."


Davon abgesehen hatte ich das Gefühl, zwei sehr runde Charaktere kennengelernt zu haben. Besonders genial ist, dass die Protagonistin hier nicht "verwestlicht" angelegt ist, wie die meisten anderen Protagonistinnen des Genres. Stattdessen ist sie jemand, auf den ich (und das ist wirklich traurig, falsch und ich schäme mich, dass erkennen zu müssen) wahrscheinlich im echten Leben herabgeschaut hätte: schlechte Schulbildung, alleinerziehende Mutter und keinerlei Selbstachtung. Dennoch schleicht sie sich mit ihrer strahlenden, direkten Art sofort ins Herz des Lesers und zwingt einen dazu, die Vorbehalte gegenüber ihr fallen zu lassen. Denn wie sie trotz ihrer fehlenden Bildung, der Sprachbarriere, der kulturellen Hürden und der Verantwortung für ihre Familie ein eigenes Ziel, Träume, den Wunsch nach Unabhängigkeit und eine tiefe Stärke in sich selbst entdeckt, ist wirklich beeindruckend. Sie arbeitet hart und kämpft zielstrebig für ihre Zukunft, hat aber gleichzeitig Prinzipien und geht unglaublich liebevoll mit den Menschen um, die ihr am Herzen liegen. Dabei ist sie erstaunlich modern und auf eine unaufdringliche Art und Weise clever, sodass sie bald zu einer der natürlichsten Power-Frauen wird, von der ich jemals gelesen habe.

Und Khai… Khai ist toll, auch wenn man ihm wegen seiner Unwissenheit, seiner Tollpatschigkeit und seiner Unbeholfenheit im Umgang mit anderen oftmals gerne etwas an den Kopf geworfen hätte. Er ist nicht so perfekt wie sein Romanvorgänger Michael, glaubt selbst ein Herz aus Stein zu haben, ist manchmal sehr unsensibel, verletzt Esme alle Nase lang und hält seine Gefühle für sie für eine "Sucht" aber genau das macht ihn so natürlich. Er ist nicht der strahlende Held der Geschichte (diesen Part übernimmt Esme für ihn) sondern die unsichere, süße Identifikationsfigur, die sich an jedem Klischee vorbei in unser Herz schleicht. Apropos Michael: als kleiner schöner Bonus dürfen wir hier seine und Stellas Hochzeit miterleben


"Liebst du mich auch? Vielleicht nur ein bisschen." Ihm wurde kalt. Nicht diese Frage. Warum hatte sie diese Frage gestellt? Er konnte ihr alle Dinge geben, die sie wollte, eine Green Card, echte Diamanten, seinen Körper, aber Liebe? Herzen aus Stein liebten nicht."


Das Ende hat dann leider ein bisschen etwas von einer romantischen Komödie (ihr wisst schon, die üblichen "Flughafen-Renn"- und "Hochzeit-auf-den-letzten-Drücker-Verhinderungs"-Szenen...) und war mir definitiv zu überstürzt. Dennoch will ich noch ein kurzes Hoch auf die Autorin aussprechen, dass sie von einem typischen Prä-Happy-End-Breakdown abgesehen und die Lösung einer durchgängigen Problematik vorgezogen hat. So wird die Geschichte trotz Kitsch am Ende sehr schön abgerundet und ich kann mich auf Band 3 freuen!



Fazit:


Dieser zweite Teil verarbeitet dieselben Zutaten wie "Kissing Lessons" - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als nur eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Helen Hoang erzählt hier zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, hat hier aber gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an ihre Mutter geschrieben, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.

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Veröffentlicht am 26.01.2020

Charmant, humorvoll, besonders!

Love Challenge
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Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige ...

Der erste Teil der Reihe - Kissing Lessons - stürzte mich in einen typischen Herz-Kopf Widerspruch. Mein Leseherz war verliebt und wollte eindeutig mehr, während mein kritischer Verstand nicht über einige Mängel hinwegsehen wollte. Dieser zweite Teil, auf den ich mich jetzt schon seit Wochen gefreut habe, nimmt dieselben Zutaten wie Band 1 - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass die Protagonistin Esme an ihre eigene Mutter angelehnt ist, die sich aus dem Nichts nach der Einwanderung von Vietnam in die USA mit mehreren Kindern vier erfolgreiche Restaurants aufgebaut hat und es nur durch Arbeit und ihre eigene Willenskraft zu etwas gebracht hat. Und in jeder Seite der Geschichte spürt man den Respekt der Autorin für diese unglaubliche Leistung und so scheinen beide Komponenten der Geschichte direkt aus dem Herzen der Autorin zu kommen: sie erzählt zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, ist aber gleichzeitig auf einer tieferen Ebene eine Liebeserklärung an ihre Mutter, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.


"Sie war auf keine Weise beeindruckend, die man sehen oder messen konnte, aber sie hatte dieses Feuer. Sie spürte es. Das war ihr Wert. Sie würde für ihre Familie kämpfen. Und sie würde für sich selbst kämpfen. Weil sie zählte."


Das Cover ist wie Band 1 ein wirklicher Hingucker! Diesmal ist der Hintergrund nicht grau sondern apricot und die kunstvollen Blumen und Ranken heben sich in Weiß-, Orange-, Grün- und warmen Gelbtönen ab. Der Titel glänzt in Türkis und der Autorentitel ist verschnörkelt. Besonders nett ist auch, dass in den Leselaschen der Broschierten Ausgabe wieder ein Interview mit der Autorin abgedruckt ist und die Blüten der Gestaltung auch innerhalb des Buches die Kapitelanfänge zieren. Mit der Gestaltung passt der zweite Teil der "Kiss, Love & Heart"-Reihe wunderbar zu seinem Vorgänger, hat aber durch die andere Farbgebung eine eigene, tropischere, fruchtigere Note, die gut zu Esme und Khai passt.

Wieder ist die Geschichte abwechselnd aus der personalen Er-Perspektive der beiden Protagonisten erzählt, wodurch der Leser wieder von Beginn an in alle Geheimnisse und verborgenen Gefühle der beiden eingeweiht ist. Man weiß also genau, was man zu erwarten hat, sobald man die ersten Seiten umblättert. Man weiß, worauf die Geschichte hinauslaufen wird, man kennt das altbekannte Schema und durchschaut die Protagonisten schnell. Aber das ist vollkommen in Ordnung, denn nichtsdestotrotz eroberte die Geschichte mein Herz. Es gibt hier kein Rätselraten, keine unvorhergesehenen Wendungen, keine großen Überraschungen sondern einfach nur eine prickelnde, unterhaltsame, etwas andere Liebesgeschichte, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.


Erster Satz: "Khai sollte eigentlich weinen."


Als erstes lernen wir im kurzen Prolog Khai kennen, den wir ja im ersten Teil schon flüchtig getroffen haben, da er mit Michael befreundet ist. Er befindet sich gerade auf einer Beerdigung, der Beerdigung seines besten Freundes um genau zu sein, und findet heraus, dass er nicht lieben kann. Denn wenn er nicht so trauert wie die anderen Gäste, muss doch sein Herz aus Stein sein, oder nicht? Um diese Meinung zu ändern und ihren Jungen endlich zu verheiraten hat sich seine Mutter auf den Weg gemacht um in Vietnam eine geeignete Braut für ihn zu suchen. Fündig wird sie ausgerechnet auf einer Toilette eines Hotels in Ho-Chi-Minh und wir lernen unsere Protagonistin Esme kennen. Als mittellose Putzkraft, die zusammen mit ihrer kleinen Tochter, ihrer Mutter und ihrer Großmutter in einem Ein-Zimmer-Apartment wohnt und auf dem Boden schläft erscheint sie auf den ersten Blick sehr anders und rief in mir eine Art kleinen Kulturschock hervor. Ihren Wunsch, nach einer Chance, einer Perspektive, etwas auf ihrem Leben zu machen, der sie antreibt dem Deal, den Khais Großmutter ihr vorschlägt, zuzustimmen, erscheint hingegen sehr nachvollziehbar und so begleiten wir unsere Protagonistin auf dem Weg in ein neues Land, ein neues Leben, eine neue Liebe...


"Sein Name, Khải, bedeutete Sieg, aber so wie er es sagte, flach, ohne Betonung, bedeutete es öffnen. Das war genau das, was sie tun musste. Er war verschlossen, und sie musste ihn öffnen. Ihrer Erfahrung nach machte man das, was man öffnen wollte, erst sauber, damit man sehen konnte, womit man es zu tun hatte, und danach bearbeitete man es wirklich hart. Esme war nicht in vielen Dingen gut, aber sie war gut im Saubemachen und Hartarbeiten. Sie konnte es schaffen. Vielleicht war sie dafür gemacht."


Auch wenn auf der reinen Handlungsebene häufig nicht besonders viel passiert - die beiden leben zusammen, arbeiten und gehen ab und zu auf eine Hochzeit - sorgt Helen Hoangs lockerer, packender Schreibstil dafür, dass es keine Sekunde langweilig wird und man es kaum schafft, sich loszureißen. So habe ich die Geschichte an einem einzigen Nachmittag gelesen und mich komplett in der Handlung und den Gefühlen der Protagonisten verloren. Dabei schafft die Autorin immer eine angenehme Balance zwischen düsteren Gedanken und lustigen, sarkastischen Dialogen, sodass ich - ständig schniefend, schmachtend oder grinsend - von meinem Umfeld etwas schräg angesehen wurde (vielen Dank dafür, Helen). Ebenfalls litt ich durch das Suchtpotential der Geschichte leider an einem typischem In-einem-Rutsch-durchlesen-und-danach-ärgern-dass-man-es-so-schnell-gelesen-hat-Dilemma (ebenfalls vielen Dank dafür, Helen ^^). Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. So schafft sie den Spagat zwischen zuckersüßem Märchen-Flair und Bitterkeit der Realität, sodass die Geschichte locker und leicht daherkommt.


"Sie war erneut gekommen, um ihn zu suchen. Niemand suchte nach ihm. Alle wussten, dass er allein sein wollte. Nur dass es nicht immer so war. Manchmal war er aus Gewohnheit alleine. Manchmal kostete es Mühe, sich von der wachsenden Leere in seinem Inneren abzulenken."


Besonders toll ist die Dynamik zwischen den beiden Protagonistin dargestellt, die beide auf ihre Art im Umgang mit dem anderen gehandicapt sind. Während Khai durch seinen Autismus eine andere Sicht auf die Welt und Menschen hat und ihm deshalb viele Dinge entgehen und er andere ohne Absicht verletzt, ist Esme in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen und muss sich deshalb an eine neue Sprache, eine andere Art zu Leben und Khais besondere Eigenarten gewöhnen. Wie die Beiden immer wieder aneinander vorbeireden und sich in seltsame Situationen und Missverständnisse manövrieren ist zugleich witzig und liebenswert. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass die beiden wunderbar zusammenpassen und sich am Ende auch finden werden, ist es sehr spannend zu verfolgen, wie Khai seine Befürchtung, er könne niemanden lieben und Esme ihre Komplexe, nicht schlau, gebildet, reich oder schön genug für ihn zu sein, überwindet. Etwas gestört hat mich, dass Khai von Anfang an einen total sexualisierten Blick auf Esme hat und sie das gar nicht zu kümmern scheint (ja gut, es ist vielleicht scheinheilig das zu sagen weil es bei dieser Art von Büchern normalerweise immer andersrum ist und der männliche Love-Interest nur als Objekt der Begierde dargestellt ist) aber das hat für mich nicht wirklich gepasst, vor allem weil sich Esme als unabhängige Frau versteht und Khai eigentlich nicht oberflächlich angelegt ist.


"Sie lag in seinen Armen, wandte sich an ihn, vertraute ihm, genau wie damals, als sie den Albtraum gehabt hatte. Es war furchteinflößend. Es war wundervoll. (…) Innerhalb eines Augenblicks veränderte sich alles. Der Wind wurde zu Samt, und die einzigen Geräusche waren das Pochen seines Herzens und das Rauschen seines Bluts. Die Farben wurden strahlender und tanzten. Das Grün ihrer Augen, das Gelb ihres Shirts, das Blau des Sommerhimmels, all das ließ das Rosa ihres Mundes aufleuchten."


Davon abgesehen hatte ich das Gefühl, zwei sehr runde Charaktere kennengelernt zu haben. Besonders genial ist, dass die Protagonistin hier nicht "verwestlicht" angelegt ist, wie die meisten anderen Protagonistinnen des Genres. Stattdessen ist sie jemand, auf den ich (und das ist wirklich traurig, falsch und ich schäme mich, dass erkennen zu müssen) wahrscheinlich im echten Leben herabgeschaut hätte: schlechte Schulbildung, alleinerziehende Mutter und keinerlei Selbstachtung. Dennoch schleicht sie sich mit ihrer strahlenden, direkten Art sofort ins Herz des Lesers und zwingt einen dazu, die Vorbehalte gegenüber ihr fallen zu lassen. Denn wie sie trotz ihrer fehlenden Bildung, der Sprachbarriere, der kulturellen Hürden und der Verantwortung für ihre Familie ein eigenes Ziel, Träume, den Wunsch nach Unabhängigkeit und eine tiefe Stärke in sich selbst entdeckt, ist wirklich beeindruckend. Sie arbeitet hart und kämpft zielstrebig für ihre Zukunft, hat aber gleichzeitig Prinzipien und geht unglaublich liebevoll mit den Menschen um, die ihr am Herzen liegen. Dabei ist sie erstaunlich modern und auf eine unaufdringliche Art und Weise clever, sodass sie bald zu einer der natürlichsten Power-Frauen wird, von der ich jemals gelesen habe.

Und Khai… Khai ist toll, auch wenn man ihm wegen seiner Unwissenheit, seiner Tollpatschigkeit und seiner Unbeholfenheit im Umgang mit anderen oftmals gerne etwas an den Kopf geworfen hätte. Er ist nicht so perfekt wie sein Romanvorgänger Michael, glaubt selbst ein Herz aus Stein zu haben, ist manchmal sehr unsensibel, verletzt Esme alle Nase lang und hält seine Gefühle für sie für eine "Sucht" aber genau das macht ihn so natürlich. Er ist nicht der strahlende Held der Geschichte (diesen Part übernimmt Esme für ihn) sondern die unsichere, süße Identifikationsfigur, die sich an jedem Klischee vorbei in unser Herz schleicht. Apropos Michael: als kleiner schöner Bonus dürfen wir hier seine und Stellas Hochzeit miterleben


"Liebst du mich auch? Vielleicht nur ein bisschen." Ihm wurde kalt. Nicht diese Frage. Warum hatte sie diese Frage gestellt? Er konnte ihr alle Dinge geben, die sie wollte, eine Green Card, echte Diamanten, seinen Körper, aber Liebe? Herzen aus Stein liebten nicht."


Das Ende hat dann leider ein bisschen etwas von einer romantischen Komödie (ihr wisst schon, die üblichen "Flughafen-Renn"- und "Hochzeit-auf-den-letzten-Drücker-Verhinderungs"-Szenen...) und war mir definitiv zu überstürzt. Dennoch will ich noch ein kurzes Hoch auf die Autorin aussprechen, dass sie von einem typischen Prä-Happy-End-Breakdown abgesehen und die Lösung einer durchgängigen Problematik vorgezogen hat. So wird die Geschichte trotz Kitsch am Ende sehr schön abgerundet und ich kann mich auf Band 3 freuen!



Fazit:


Dieser zweite Teil verarbeitet dieselben Zutaten wie "Kissing Lessons" - zwei liebenswerte Protagonisten, ein kulturelles Durcheinander, Anziehungskraft und Autismus und ein gesellschaftliches Gefälle als Hindernis - macht aber definitiv mehr daraus als nur eine amüsante, unterhaltsame Liebesgeschichte. Helen Hoang erzählt hier zum einen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe wenn man (wie sie selbst) Autist ist, hat hier aber gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an ihre Mutter geschrieben, an die Stärke und den Mut von Immigranten, die in einem fremden Land ihren eigenen Amerikanischen Traum schaffen.

Charmant, humorvoll, besonders!

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