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Veröffentlicht am 21.02.2020

Zunächst einmal: Hallo, Bukarest!

Goodbye, Bukarest
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Zunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt ...

Zunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt und „Goodbye, Bukarest“ somit eine echte Familiengeschichte widerspiegelt, wobei „Familiengeschichte“ auch ein zu starker Begriff ist, denn in diesem Roman wird letztlich nur die Geschichte Brunos, ab Kriegsende, rekonstruiert. Dabei fand ich die Figur der Astrid hier generell weitgehend obsolet und die „Bruchstücke“, die man aus ihrem eigenen Leben mitbekam, völlig überflüssig. Wird in einem sehr populären Lied gefragt, wer denn nun eigentlich Alice ist, kann hier ebenso gefragt werden, wer überhaupt Lech ist. Man kann es sich zwar denken, dass es sich bei um Astrids Partner handelt, aber nichtsdestoweniger spielt Lech letztlich überhaupt keine Rolle für den Buchinhalt. Die „Buch-Astrid“ ist nur insofern von Nutzen als dass sie zwischendrin mal kurz Menschen aufspürt, die ihr mehr über ihren Onkel erzählen können, und dabei letztlich auch bis dahin unbekannte Verwandte trifft. Aber diese Szenen sind so spärlich gesät und eher als kurze Übergänge zwischen den Passagen zu sehen, dass ich sie tatsächlich als unwesentlich und teils sogar als störend empfand; da dachte ich an mancher Stelle: „Ja, Astrid, ist gut; ich will doch gar nix von dir hören. Erzähl lieber die nächste Geschichte eines weiteren Kameraden deines Onkels!“ Zudem fand ich es irritierend, dass immer wieder erwähnt wurde, wie mühsam und langwierig sich die Suche nach Informationen doch gestaltet hatte, während dann, kawumm!, doch wieder ein ganz detaillierter Augenzeugenbericht folgte und alles letztlich so klang als sei es doch gar kein Problem gewesen, Menschen zu finden, die ihr mehr über Bruno erzählen hatten können.
Dieser Rahmen rund um die Geschichte(n) hat für mich einfach nicht so ganz gepasst.

Hingegen habe ich die „Hauptgeschichte“, in der die Lebensgeschichten von Freunden, die Bruno im Kriegsgefangenenlager gefunden hat, wiedergegeben wurden, durch die sich auch Brunos Verbleib rekonstruieren ließ, sehr gerne gemocht; das war wirklich interessant. Zum Einen gibt es meiner Meinung nach nur wenig Belletristik, die sich rund um die Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg dreht und wenn, kenne ich hauptsächlich Literatur, die die Geschichten von gebrochenen Heimkehrern nach Deutschland erzählt, wohingegen in diesem Fall Bruno offensichtlich überlebt und in Osteuropa verblieben ist, ohne je wieder Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen.
Leider wird Brunos eigene Familienproblematik auch in „Goodbye, Bukarest“ nur kurz angeschnitten, seine „Ignoranz“ eher schlecht als recht erklärt und da hier allenfalls seine damaligen Freunde bzw. deren Nachfahren erzählen, wird Bruno demnach also auch eher „aus dritter Hand“ erklärt und klar, das ist dann relativ oberflächlich.
Generell fand ich die Figur des rumänischen Musikers Dinu ohnehin am Faszinierendsten und es hat mir sehr gefallen, dass hier letztlich ein Bogen bis hin zur rumänischen Revolution geschlagen wurde. Ich habe zwar ein gewisses Grundwissen bezüglich Rumäniens und der Ceaușescu-Diktatur gehabt, aber die Lebensgeschichte Dinus machte das alles weitaus greifbarer für mich und diesen Teil fand ich ungemein interessant; vermutlich hätte mir insgesamt auch schon eine Biografie Dinus gereicht, den ich als Figur viel reizvoller als alle anderen erwähnten Personen fand. Da hätte ich gerne auch noch deutlich mehr über seine Zwillingsschwester erfahren und darüber, wie genau sich das Zusammenleben mit Bruno da gestaltet hat. In diesem Teil war Bruno zwar irgendwie da, aber eher als Hintergrundfigur. Am Ende von „Goodbye, Bukarest“ angelangt, habe ich da auch gedacht, dass Astrid zwar viel Spannendes zu hören bekommen hat, der Onkel Bruno aber im Vergleich doch sehr fremd geblieben ist, und zu überlegen begonnen, ob ihr das neuerlangte Wissen in Bezug auf die Historie der eigenen Familie überhaupt eine gewisse Befriedigung hat verschaffen können. Ich hätte an ihrer Stelle vermutlich das Gefühl gehabt, doch auch nur Oberflächlichkeiten über den eigenen Verwandten ans Licht gebracht, aber eine tiefe Verbundenheit zu seinen ehemaligen Kameraden entwickelt, zu haben.

Insgesamt habe ich „Goodbye, Bukarest“ aber wirklich gerne gelesen; die erzählten Lebensgeschichten waren eben sehr interessant und auf gewisse Art und Weise auch jeweils miteinander verbunden, obschon sie doch sehr unterschiedlich waren, und vor allem Leser, die gerne von wahren Menschen lesen, quasi von Otto Normalbürger in (mehr als) schwierigen Zeiten, werden an diesem Buch bestimmt Freude haben!
Mein großer Kritikpunkt liegt halt einfach darin, dass für mich grad in Bezug auf Bruno, der hier eigentlich als roter Faden dient, überhaupt keine besondere Tiefe erreicht wurde und er als Dreh- und Angelpunkt im Grunde genommen knallhart an die Wand gespielt wurde; in Bezug auf ihn hatte ich doch eindeutig mehr erwartet, weswegen ich letztlich in meiner persönlichen Wertung einen Stern abziehe.


[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 01.02.2020

Bedrückend.

Rückkehr nach Birkenau
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Vor über 20 Jahren war es mir vergönnt, Fred Schwarz, einen Holocaust-Überlebenden und als solcher Autor der Autobiografie „Züge auf falschem Gleis“ (ebenfalls sehr lesenswert!), kennenlernen zu dürfen, ...

Vor über 20 Jahren war es mir vergönnt, Fred Schwarz, einen Holocaust-Überlebenden und als solcher Autor der Autobiografie „Züge auf falschem Gleis“ (ebenfalls sehr lesenswert!), kennenlernen zu dürfen, wobei diese Begegnung auch heute noch in mir widerhallt, zumal er sehr, sehr offen von seinen Erfahrungen berichtete. Auch Fred Schwarz war letztlich nach Auschwitz-Birkenau gebracht worden und nachdem ich seine Autobiografie nun auch schon kannte und seit unserem Aufeinandertreffen tatsächlich bereits wiederholt gelesen habe, war mir damit ja bereits eine männliche Perspektive vertraut und da war ich nun, auch völlig unabhängig des Gedenktags zur Befreiung Auschwitz‘ , doch neugierig, wie ein weibliches Opfer die damaligen Geschehnisse und Verhältnisse im Lager, eben grad auch in den Baracken, in denen die Frauen untergebracht waren, aus eben seiner Sicht schildern würde.
An „Rückkehr nach Birkenau“ hat mich zunächst der doch eher geringe Umfang verblüfft; als mein eReader mir prompt deutlich unter einer Stunde voraussichtliche Lesezeit anzeigte, überlegte ich schon, ob mein eBook womöglich nur unvollständig sei – ich bin zwar durchaus in Schnellleser, aber die Anzeige erschien mir da zunächst doch seltsam. Sie war allerdings korrekt.
Im Vergleich war „Züge auf falschem Gleis“ da doch ein ziemlicher Schinken gewesen, aber wie gesagt: das Erscheinen jener Autobiografie ist inzwischen knapp über 20 Jahre her; Fred Schwarz dürfte kaum älter und auch kaum jünger als Ginette Kolinka gewesen sein, als er und vermutlich eben auch sie in Birkenau interniert waren; und mir ist aufgefallen, dass Ginette Kolinka an mehreren Stellen erwähnte, dass sie an dieses oder jenes keine Erinnerung mehr habe, während Fred Schwarz in seinem Buch generell sehr detailliert berichtete. Da habe ich dann nun doch überlegt, ob dieser Unterschied in der vergangenen Zeit begründet liegt, ob Frau Kolinka Ende der 90er eben auch noch mehr von damals im Bewusstsein hatte, oder ob sich bei ihr nun generell längst eine Art verdrängender Schutzmechanismus ausgebildet hatte, der sie sich gewisse Traumata nicht weiter ins Gedächtnis rufen ließ.

Im Falle von „Rückkehr nach Birkenau“ fand ich den Aufbau nun allerdings leicht sonderlich; Ginette Kolinkas Bericht ist achronologisch: Zu Beginn des Büchleins befindet sie sich bereits in Gefangenschaft und auf dem Weg ins KZ (auch wenn ihr das erst später bewusst wird), erst später gibt es einen relativ abrupten Zeitsprung zurück zum Zeitpunkt der Verhaftung, der so plötzlich kam, dass ich kurz verdattert war, wieso sie plötzlich so einfach aus dem Lager entlassen worden sein sollte, ehe ich eben realisierte, dass ich grad von der ursprünglichen Verhaftung las und auch die Zeit nach der Befreiung wird eher beiläufig; Vieles erfährt man eher zwischen den Zeilen; erwähnt. Letztlich wird nur auf den Fakt, dass sie sich nach Jahrzehnten bereiterklärt hat, Schüler zur heutigen Gedenkstätte zu begleiten, genauer hingewiesen – da sie diesen ersten Besuch als völlig surreal empfand und sich immer noch mit der gegenwärtigen Situation schwertut, da das Gelände heute so „sauber und still“ sei, dass das so klar nicht das Auschwitz sei, das sie erlebt hatte, und was dereinst völlig isoliert und abgeschottet da lag, grenzte nun an ein Wohngebiet, in dem Kinder fröhlich spielten. Das fand ich einen sehr wichtigen Punkt: Unsere späteren Generationen sind nun häufig völlig erschüttert, wenn wir nur schon die in Gedenkstätten umgewandelten Konzentrations- und Arbeitslager besuchen, die uns das Grauen verdeutlichen sollen, ohne dass sie uns tatsächlich auch nur annähernd das damalige Martyrium der Inhaftierten widerspiegeln können…
„Rückkehr nach Birkenau“ als Haupttitel ist angesichts des Inhalts eher ein wenig verfehlt; tatsächlich konzentriert sich die Geschichte sehr stark auf Ginette Kolinkas Leben in Birkenau, da ist der Untertitel „Wie ich überlebt habe“ weitaus treffender und noch passender wäre wohl nur noch „Dass ich das überlebt habe!“
Natürlich ist dieser persönliche Erfahrungsbericht zutiefst erschütternd, wer würde angesichts der Thematik auch Anderes erwartet haben? Generell fand ich diese weibliche Perspektive nun auch eine hervorragende Ergänzung zur männlichen Perspektive, die Fred Schwarz mir bereits geboten hatte; bestimmt werde ich auch „Rückkehr nach Birkenau“, wider das Vergessen, noch ein ums andere Mal lesen und ich gebe ehrlich zu: So manches Mal war ich auch froh, wenn Ginette Kolinka einräumte, sie könne sich an bestimmte Begebenheiten nicht weiter erinnern, wenn eine solche Schilderung ganz bestimmt alles Andere als erleichternd gewesen wäre.
Letztlich ziehe ich einen Stern in der Gesamtwertung ab, da mich zwischendrin eben der zeitliche Ablauf doch kurz sehr irritiert hat, würde diese Lektüre aber definitiv dennoch jedem dringend ans Herz legen!



[{Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 18.11.2019

In der Kürze läge mehr Würze

Das Geheimnis von Shadowbrook
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„Das Geheimnis von Shadowbrook“ erinnerte mich eingangs von der Atmosphäre und dem Stil her ein wenig an DuMauriers „Rebecca“, wobei sich der Roman recht schnell mehr in Richtung des Thrills aus „Schrei ...

„Das Geheimnis von Shadowbrook“ erinnerte mich eingangs von der Atmosphäre und dem Stil her ein wenig an DuMauriers „Rebecca“, wobei sich der Roman recht schnell mehr in Richtung des Thrills aus „Schrei in der Nacht“ von Mary Higgins Clark bewegte, wobei ich diese beiden Romanen sehr schätze: Sie zählen eindeutig zu meinen literarischen Dauerfavoriten – so hatte ich dann auch recht schnell sehr hohe Erwartungen, was „Das Geheimnis von Shadowbrook“ anging.
Letztlich habe ich es als gutes Buch empfunden, auch wenn es sich nicht in die Reihe besagter Dauerfavoriten einreihen konnte: Ich hatte auf eine klare 5-Lektüre spekuliert, erhalten habe ich eine –für mich- glatte 4-Geschichte.

Eingangs fand ich Clara einen sehr einzigartigen, spannenden Charakter; durch die Glasknochenkrankheit war sie eigentlich fast vollständig inhäusig aufgewachsen, so dass sie kaum in Berührung mit der Außenwelt kam und auch nicht „klassisch“ sozialisiert wurde, da sich ihre Kontakte eben sehr auf die Personen in ihrem nächsten Umfeld beschränkten, die sie krankheitsbedingt buchstäblich in Watte packten. Claras erste Ausflüge vor die eigene Haustür ließen mich an eine Touristin denken, die unvorbereitet, aber neugierig, eine ihr völlig fremde Kultur entdeckt. Dabei scheint Clara auch nicht in den Zeitgeist zu passen; die Haupthandlung setzt kurz vor Beginn des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ein und wäre Clara gesund gewesen, hätte man sie vermutlich bei den Suffragetten finden können: Sie scheint sehr modern, sehr selbstsicher, schon recht feministisch, was sicherlich auch daran liegt, dass sie als Kind und Jugendliche keine gesellschaftstypische Mann/Frau-Unterscheidung kennengelernt hat. Da sie zuhause allerdings das „Goldene Kind“ gewesen zu sein schien, um das sich alles drehte und dem man da quasi alles möglich zu machen versuchte, war ihr Konfliktpotential aber auch eher in die Richtung ausgeprägt, dass sie sich stur an sich selbst festbiss, bis die Gegenseite zermürbt war – ab einem gewissen Punkt fand ich Clara einfach nicht mehr herrlich selbstbewusst, sondern teils entnervend dickköpfig. Während ich anfangs noch bereit war sie aufgrund ihrer Art zu idolisieren, würde ich einen Charakter wie sie letztlich lieber nichtmals in meinem weiteren Umfeld gewusst haben. Irgendwann empfand ich sie als anstrengend distanzlos und hatte das Gefühl, dass sie zwar erkannte, aber absolut nicht respektierte, wenn sie einem Anderen zu sehr in dessen „persönlichen Tanzbereich“ eindrang. Teils war sie in meinen Augen also viel zu aufdringlich. Hauptsächlich hat dann auch die Figur der Clara den einen letzten Stern zur Höchstwertung für mich hinweggenommen, wozu auch beitrug, dass eingangs ständig die Intensität ihrer Krankheit hervorgehoben wurde, die damit einhergehenden Risiken, dass sie sich quasi ständig einen Knochen brach, wenn sie sich nur einmal um sich selbst drehte, aber spätestens ab ihrer Reise nach Shadowbrook war die Krankheit kaum mehr ein Problem und wurde nur noch einmal thematisch ordentlich verbraten; ansonsten war sie plötzlich nicht mehr gefährdet als Otto Normalverbraucher, der sich höchstens mal was aus Schusseligkeit raus verletzt. Das kam mir doch bald irgendwie spanisch vor.

Zudem war dafür, dass der Roman im Deutschen „Das Geheimnis von Shadowbrook“ heißt, jenes Geheimnis irgendwie hintergründig. Es sollte spuken, Clara war überzeugt, dass es keine Geister gibt und daher eine rationale Erklärung für die stattfindenden Phänomene geben müsse, aber zum Einen war der Spuk eher von der ganz simplen, langweiligen Sorte und zum Anderen war ich mir bald auch nicht mehr sicher, ob das Haus überhaupt noch ein Geheimnis in sich bergen würde – grad das letzte Viertel des Romans war dann doch eher zäh, wie ich fand; es zog sich sehr in die Länge und da fand ich die Auflösung schließlich auch reichlich unspektakulär. Für mich wurde da aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Das war enttäuschend, zumal die Mauern Shadowbrooks in der Geschichte des Hauses definitiv einige sehr krasse Dinge zwischen sich hatten stattfinden sehen. Insgesamt dennoch ein nettes Drama, das aber auch gut auf ein paar Seiten weniger hätte untergebracht werden können.


[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 02.11.2019

Brandheißes Thema!?

Sieh mich an
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In diesem Fall finde ich den englischen Originaltitel „Scars like Wings“ einmal mehr sehr viel besser, weil passender, und einfacher als den gewählten deutschen Titel „Sieh mich an“, der mich zum Einen ...

In diesem Fall finde ich den englischen Originaltitel „Scars like Wings“ einmal mehr sehr viel besser, weil passender, und einfacher als den gewählten deutschen Titel „Sieh mich an“, der mich zum Einen sehr an den Kinsella-Titel „Schau mir in die Augen, Audrey“ (den ich im Vergleich zum Originaltitel „Finding Audrey“ übrigens auch nicht allzu gelungen finde) erinnert und der zum Anderen von seinem eigenen Untertitel „Jeder hat Narben. Manche sind nur besser zu sehen.“ erschlagen wird. Zudem bezieht sich „Scars like Wings“ auf ein Gedicht des kanadischen Poeten Atticus, der via Instagram berühmt geworden ist, wobei sich vor Allem dieser Ausdruck „Scars like Wings“ wie ein roter Faden durch die komplette Handlung zieht. Das war mir in der deutschen Fassung nun ein wenig zu beiläufig dargestellt (ich habe tatsächlich auch das englischsprachige Original neben der deutschen Übersetzung gelesen, und diese Referenz wirkte in der englischen Version sehr viel eindrücklicher).

Insgesamt habe ich den Roman „Sieh mich an“ aber sehr gerne gemocht; klar, die Thematik ist wichtig und groß – wenn ich auch mit einigen Punkten leicht gehadert habe: Zum Einen fand ich es unglaubwürdig, dass Ava an ihrer neuen Schule prompt auf Piper trifft, die nicht nur in derselben Therapiegruppe wie sie ist, sondern ganz zufällig ebenfalls just erst bei einem Autounfall schwere Verbrennungen nebst einer – hoffentlich nur temporären- Lähmung erlitten hat. In ihrer Rolle als Außenseiter ist Ava also vom ersten Schultag an nicht ganz so verloren wie sie zuvor geglaubt hat. Die Figur der Piper ist zwar wesentlich für die Geschichte, aber ich kam nicht umhin, ständig zu denken, dass die Handlung auf gewisse Weise doch auch impliziert, dass Ava total angeschmiert gewesen wäre, hätte es da keinen weiteren Schüler mit massiven Verbrennungen gegeben. In Bezug auf Piper fand ich es zudem schwierig, dass sie jene Schule vor dem Unfall schon besucht hatte und da zu den populären Schülerinnen gehört hatte; dass sich Piper von ihrer früheren Clique fernhält, war auf gewisse Weise nachvollziehbar, aber ich hatte ansonsten nicht das Gefühl, dass sie an der Schule überhaupt bekannt gewesen wäre. Im Roman wirkt sie völlig unsichtbar unter all den Mitschülern, mit denen sie eigentlich seit Jahren bekannt sein sollte, und das, obschon Piper mit ihrem neuen Erscheinungsbild sehr offensiv auftritt und sich generell eher extrovertiert gibt.
Dass Piper dennoch auch zu kämpfen hat, wird von Anfang an unterschwellig klargemacht, denn Ava weist ab und an beiläufig daraufhin, dass ihre Therapeutin nicht müde wird zu erklären, dass es einen Durchbruch darstellt, im Verlaufe der Therapie einen massiven Zusammenbruch zu erleiden. Auch Ava, die sich von massivsten Verbrennungen gezeichnet nun eher unfreiwillig in der Welt „da draußen“ wiederfindet, nachdem sie sich auf eine „Probewoche Schule“ eingelassen hat, steuert selbst reichlich überfordert auf einen solchen zu: Und was an dieser Stelle eher negativ und dramatisch klingt, drückt letztlich eigentlich lediglich den Moment der finalen Selbstidentifikation dar. Ava fühlt sich nach dem Brand monströs und alleine, kapselt sich dabei aber auch nach außen hin völlig ab, weil sie nicht länger das Gefühl hat, dass in der äußeren Hülle noch sie selbst steckt. (So wie Piper sich in ihrem Körper nach dem Unfall ebenfalls als „wer anders“ darstellt.) Angesichts der Thematik ist es natürlich kaum verwunderlich, dass letztlich erkannt werden soll, dass die Optik nicht den Menschen definiert und dass man trotzdem noch man selbst sein kann, auch wenn tragische Umstände verursachen, dass man plötzlich und unerwartet in einem scheinbar gänzlich fremden Körper steckt.
Positiv fand ich, dass die Handlung hier „normal“ endet; es gibt kein Wunder, es ist nicht Kitsch as Kitsch can: Das Buch endet authentisch. Mit einem gewissen Maß an (Selbst)Bewusstsein ohne dass es klingt als gäbe es künftig keine Vorurteile, Ängste, Probleme… mehr. Es ist ein Plädoyer für Toleranz und Akzeptanz, egal ob man sich nun eher mit den „offensichtlich“ Vernarbten identifiziert (positiv fand ich übrigens, dass in der Therapiegruppe auch Patienten anwesend waren, deren Narben kleiner waren, weil sie sich z.B. als Kleinkind verbrannt hatten und eben über ihre Kindernarben hinausgewachsen waren, oder deren Narben sich leicht verstecken ließen, wobei Wert daraufgelegt wurde, dass da eben keine Abwertungen stattfanden) oder mit denen, die ihnen begegnen. Insgesamt ist das ein Jugendroman, der das Kleine-Prinzen-Credo „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ verdeutlicht, und den ich trotz meiner kleinen Kritikpunkte sehr gerne gelesen habe. In der Tat war ich ein wenig traurig, als ich am Ende angelangt war. Definitiv nicht nur dann lesenswert, wenn man noch über jugendliches Alter verfügt!


[Ein Rezensionsexemplar war mir unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]

Veröffentlicht am 28.08.2019

Viel Hype um (etwas) Weniger!

Drei
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Noch ehe ich „Drei“ zu lesen begann, war ich tatsächlich auch schon an drei verschiedenen Stellen verlagsseitig darum gebeten worden, bitte jedweden Spoiler zu vermeiden, wenn ich von diesem Roman erzähle ...

Noch ehe ich „Drei“ zu lesen begann, war ich tatsächlich auch schon an drei verschiedenen Stellen verlagsseitig darum gebeten worden, bitte jedweden Spoiler zu vermeiden, wenn ich von diesem Roman erzähle – letztlich wird auch der Klappentext mit „Der Sensationsbestseller aus Israel, über den man eigentlich nichts verraten darf. Spoiler-Gefahr!“ eingeläutet, wobei mich das alles schon ein wenig verwunderte, denn der Diogenes-Verlag ist immerhin nicht grade dafür bekannt, die gaaaaaaanz große Werbemaschinerie anzuschmeißen und zu Übertreibungen zu neigen bzw. Sachen aufzubauschen.
Um es vorwegzunehmen: Ich fand „Drei“ soweit gut, ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen, aber „sensationell“ würde ich ihn nun nicht nennen. Wenn dann noch wer zitiert wird, der sagt, dass es rund um „Drei“ einen Hype gibt, als ginge es um die nächste Staffel Game of Thrones: Dann weiß ich auch nicht. Vielleicht ist Mishani in Israel so etwas wie Fitzek in Deutschland: Ich weiß es nicht. Der GoT-Vergleich hinkt in meinen Augen jedenfalls gewaltig; und zwar so sehr, dass das Hinkebein eigentlich schon amputiert ist.

Was verrät der Klappentext vom Roman? Drei Frauen suchen Unterschiedliches und finden denselben Mann; keine Frau verrät ihm alles, er verrät auch keiner alles. Warum diese Geheimnisse tatsächlich essentiell sind, wird erst zum Ende des Romans im Gesamten hin deutlich – in „Drei“ werden die Geschichten der verschiedenen Frauen übrigens nacheinander erzählt; grob gerechnet macht jeder der drei Teile auch ca. 110 Seiten des Romans aus, das ist also sehr gleichmäßig. Gefühlt schien mir der erste Teil aber am Längsten zu sein: Hier trifft man auf Orna, deren Mann sie und den gemeinsamen Sohn zugunsten einer anderen Frau, mit der er nach Nepal gezogen ist, verlassen hat und die sich nun langsam ans Online-Dating heranwagen will, weil sie selbst auch endgültig diesem „Scheidungstief“ entkommen will, in dem sie bislang alleine für sich gekämpft hat, während ihr Sohn Eran längst psychologische Hilfe in Anspruch nimmt. Da fragte ich mich eigentlich noch die ganze Zeit, worauf diese Geschichte eigentlich nun hinauslaufen würde, was da nun so „ohjehmine, ach du meine Güte, Spoilergefahr, Spoilergefahr – Spoilergefahr!!!“ sein sollte und dann endete dieser Strang mit einem richtig fetten Knall. Was war denn das?! (Klar, die Spoilergefahr.)
Relativ fassungslos fuhr ich dann mit dem Lesen des zweiten Teils fort – da wusste ich ja schon, worin in Ornas Fall das Mysterium gelegen hatte und da wurde es dann spannend, weil man zum Einen damit rechnete, dass auch dieser Erzählstrang auf ein ähnliches Ende zulaufen würde und zum Anderen aber noch mit einem alternativen Schluss rechnete: Mishani würde es doch nicht nochmals derart knallen lassen? Nein, ich spoilere nicht und mit dem dritten Teil wurde also das große Finale eingeläutet: Frau Nummer Drei betrat die Bühne – und „Drei“ endete schließlich damit, dass ich irgendwann „Oh!“ dachte, weil es schon ein klitzekleines bisschen mindf****mäßig war.

Ich schrieb bereits, dass ich „Drei“ sehr gerne gelesen habe, aber: Den Hype, den es um diesen Titel geben soll, kann ich nach wie vor nicht recht nachvollziehen, und gehe tatsächlich davon aus, dass der im (mutmaßlichen) Ruhm des Autors und weniger in dieser Erzählung begründet ist. Der erste Teil schien mir eben länger als die Anderen zu sein, und auch etwas zäher, wobei die Geschichte der zweiten Frau auch vor Allem deshalb spannender war, weil man die Geschichte der ersten Frau, die „denselben Mann gefunden“ hatte, ja bereits kannte, und ihre Person zudem auch hier noch ab und an durchschien.

„Drei“ ist ein eher ruhig wirkender Roman, der quasi plötzlich explodiert; die Dramatik bleibt dabei bis dahin immer sehr unterschwellig und das ganze Erscheinungsbild des Romans sehr literarisch. Der Diogenes-Verlag hat hier seine altbewährten Pfade auch nicht verlassen; das ist so ein Roman, wie man ihn dort auch im Verlagsprogramm erwarten würde; mir war Dror Mishani als Autor bislang völlig unbekannt, aber meiner Meinung nach ist „Drei“ definitiv ein Buchtipp für alle Leser, die beispielsweise die Werke von Ian McEwan schätzen. An dessen Stil hat mich die Gangart von „Drei“ nämlich durchaus erinnert.



[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]