Zunächst einmal: Hallo, Bukarest!
Goodbye, BukarestZunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt ...
Zunächst einmal habe ich beschämenderweise sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Buchfigur Astrid, die hier auf der Suche nach ihrem unbekannten Onkel Bruno ist, mit der Autorin übereinstimmt und „Goodbye, Bukarest“ somit eine echte Familiengeschichte widerspiegelt, wobei „Familiengeschichte“ auch ein zu starker Begriff ist, denn in diesem Roman wird letztlich nur die Geschichte Brunos, ab Kriegsende, rekonstruiert. Dabei fand ich die Figur der Astrid hier generell weitgehend obsolet und die „Bruchstücke“, die man aus ihrem eigenen Leben mitbekam, völlig überflüssig. Wird in einem sehr populären Lied gefragt, wer denn nun eigentlich Alice ist, kann hier ebenso gefragt werden, wer überhaupt Lech ist. Man kann es sich zwar denken, dass es sich bei um Astrids Partner handelt, aber nichtsdestoweniger spielt Lech letztlich überhaupt keine Rolle für den Buchinhalt. Die „Buch-Astrid“ ist nur insofern von Nutzen als dass sie zwischendrin mal kurz Menschen aufspürt, die ihr mehr über ihren Onkel erzählen können, und dabei letztlich auch bis dahin unbekannte Verwandte trifft. Aber diese Szenen sind so spärlich gesät und eher als kurze Übergänge zwischen den Passagen zu sehen, dass ich sie tatsächlich als unwesentlich und teils sogar als störend empfand; da dachte ich an mancher Stelle: „Ja, Astrid, ist gut; ich will doch gar nix von dir hören. Erzähl lieber die nächste Geschichte eines weiteren Kameraden deines Onkels!“ Zudem fand ich es irritierend, dass immer wieder erwähnt wurde, wie mühsam und langwierig sich die Suche nach Informationen doch gestaltet hatte, während dann, kawumm!, doch wieder ein ganz detaillierter Augenzeugenbericht folgte und alles letztlich so klang als sei es doch gar kein Problem gewesen, Menschen zu finden, die ihr mehr über Bruno erzählen hatten können.
Dieser Rahmen rund um die Geschichte(n) hat für mich einfach nicht so ganz gepasst.
Hingegen habe ich die „Hauptgeschichte“, in der die Lebensgeschichten von Freunden, die Bruno im Kriegsgefangenenlager gefunden hat, wiedergegeben wurden, durch die sich auch Brunos Verbleib rekonstruieren ließ, sehr gerne gemocht; das war wirklich interessant. Zum Einen gibt es meiner Meinung nach nur wenig Belletristik, die sich rund um die Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg dreht und wenn, kenne ich hauptsächlich Literatur, die die Geschichten von gebrochenen Heimkehrern nach Deutschland erzählt, wohingegen in diesem Fall Bruno offensichtlich überlebt und in Osteuropa verblieben ist, ohne je wieder Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen.
Leider wird Brunos eigene Familienproblematik auch in „Goodbye, Bukarest“ nur kurz angeschnitten, seine „Ignoranz“ eher schlecht als recht erklärt und da hier allenfalls seine damaligen Freunde bzw. deren Nachfahren erzählen, wird Bruno demnach also auch eher „aus dritter Hand“ erklärt und klar, das ist dann relativ oberflächlich.
Generell fand ich die Figur des rumänischen Musikers Dinu ohnehin am Faszinierendsten und es hat mir sehr gefallen, dass hier letztlich ein Bogen bis hin zur rumänischen Revolution geschlagen wurde. Ich habe zwar ein gewisses Grundwissen bezüglich Rumäniens und der Ceaușescu-Diktatur gehabt, aber die Lebensgeschichte Dinus machte das alles weitaus greifbarer für mich und diesen Teil fand ich ungemein interessant; vermutlich hätte mir insgesamt auch schon eine Biografie Dinus gereicht, den ich als Figur viel reizvoller als alle anderen erwähnten Personen fand. Da hätte ich gerne auch noch deutlich mehr über seine Zwillingsschwester erfahren und darüber, wie genau sich das Zusammenleben mit Bruno da gestaltet hat. In diesem Teil war Bruno zwar irgendwie da, aber eher als Hintergrundfigur. Am Ende von „Goodbye, Bukarest“ angelangt, habe ich da auch gedacht, dass Astrid zwar viel Spannendes zu hören bekommen hat, der Onkel Bruno aber im Vergleich doch sehr fremd geblieben ist, und zu überlegen begonnen, ob ihr das neuerlangte Wissen in Bezug auf die Historie der eigenen Familie überhaupt eine gewisse Befriedigung hat verschaffen können. Ich hätte an ihrer Stelle vermutlich das Gefühl gehabt, doch auch nur Oberflächlichkeiten über den eigenen Verwandten ans Licht gebracht, aber eine tiefe Verbundenheit zu seinen ehemaligen Kameraden entwickelt, zu haben.
Insgesamt habe ich „Goodbye, Bukarest“ aber wirklich gerne gelesen; die erzählten Lebensgeschichten waren eben sehr interessant und auf gewisse Art und Weise auch jeweils miteinander verbunden, obschon sie doch sehr unterschiedlich waren, und vor allem Leser, die gerne von wahren Menschen lesen, quasi von Otto Normalbürger in (mehr als) schwierigen Zeiten, werden an diesem Buch bestimmt Freude haben!
Mein großer Kritikpunkt liegt halt einfach darin, dass für mich grad in Bezug auf Bruno, der hier eigentlich als roter Faden dient, überhaupt keine besondere Tiefe erreicht wurde und er als Dreh- und Angelpunkt im Grunde genommen knallhart an die Wand gespielt wurde; in Bezug auf ihn hatte ich doch eindeutig mehr erwartet, weswegen ich letztlich in meiner persönlichen Wertung einen Stern abziehe.
[Ein Rezensionsexemplar war mir, via Vorablesen, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]