Ein Leben wie kein anderes
Dieser Rezension muss ich vermutlich eines ganz klar voraus stellen: Bevor ich dieses Buch gelesen habe, hatte ich keine Ahnung, wer Billy Graham ist. Das muss für viele unvorstellbar sein, denn schließlich ...
Dieser Rezension muss ich vermutlich eines ganz klar voraus stellen: Bevor ich dieses Buch gelesen habe, hatte ich keine Ahnung, wer Billy Graham ist. Das muss für viele unvorstellbar sein, denn schließlich war sein Wirken in den letzten hundert Jahren kaum zu übersehen. Allerdings möge man auch bedenken, dass ich zu dem Zeitpunkt, als Billy Graham aus dem öffentlichen Dienst zurück trat, eingeschult wurde. Ich bin die Generation danach, die keine Ahnung hat und erst durch Bücher dieses Phänomen erleben kann.
Mit das im Kopf versteht man vielleicht, wie sehr mich dieses Buch begeistert hat. Auch wenn es ironisch klingt war es für mich revolutionär – auch wenn es die Strömung seit bald 70 Jahren gibt. Aufgewachsen in einem sehr konservativen, evangelisch-lutherischen Haushalt habe ich über „die Evangelikalen“ (auch beliebt: „Hallelujas“) immer nur eher abwertendes gehört. Sie wären verklärt und würden alles durch die rosarote Brille sehen, gleichzeitig die Bibel an einigen Stellen zu wörtlich nehmen und nicht kritisch denken. (Was leider in meiner Umgebung auch nur all zu sehr zutrifft und dadurch mein Bild geprägt hat. Viele weigern sich, zum Arzt zu gehen, weil sie an Heilung allein durchs Gebet glauben und die Kleidungsrichtlinien wirk(t)en auf mich oft steinzeitlich.) In den letzten Monaten habe ich dann, durch amerikanische Blogger, mehr über die Szene gelernt – und es war nicht alles so schlimm, wie ich gedacht hätte. Trotzdem hat mich der evangelikale Glaube abgeschreckt. Und dann habe ich dieses Buch gelesen. Ich wurde dadurch nicht missioniert, aber die Einblicke, die Hanspeter Nüesch in seine und Billy Grahams Sichtweise des Glaubens gewährt haben mich tief berührt und vieles davon lässt sich auch auf mein eigenes Leben anwenden. Aber worum genau geht es in diesem Buch?
Anhand der Bibliographie und der zitierten Werke in „Ruth und Billy Graham – Das Vermächtnis eines Ehepaars“ lässt sich nur erahnen, wie viele Bücher bereits über dieses Thema geschrieben wurden. Warum also das Rad neu erfinden? Der Autor hat das ambitionierte Ziel, nicht nur das Leben der beiden einzelnen Personen, sondern ihr gemeinsames Wirken zu beschreiben und gleichzeitig die Wichtigkeit dieser Zusammenarbeit hervor zu heben. Gleichzeitig teilt er das Buch in 11 Abschnitte, die die unterschiedlichen Aspekte des Wirkens der Grahams beleuchten. Spannend für mich war dabei, dass er auch versucht, eine Verbindung zu unserem heutigen Leben herzustellen. Welche Rolle spielen Ruth und Billy Graham im 21. Jahrhundert?
Das Buch ist sehr unterhaltsam und gleichzeitig fundiert geschrieben. Statt einem belehrenden Textblock ähnelt es mehr einer Geschichte, die mit Anekdoten, Zitaten, Berichten von eigenen Begegnungen mit Graham und Bildern angereichert ist, so dass einem beim Lesen absolut nicht langweilig wird. Die Abschnitte liefern viele Impulse für das eigene Glaubensleben und regen zum Nachdenken an. An vielen Stellen sind die Beiden absolute Vorbilder, wobei trotzdem Raum für eigene kritische Gedanken bleibt.
Interessant an diesem Werk fand ich vor allem seine Ehrlichkeit – Nüesch macht Ruth und Billy Graham nicht zu unfehlbaren Heiligen sondern zeigt sie als Menschen mit Macken und Fehlern. Auch kritische Stimmen werden nicht ausgeblendet, verschiedene theologische Denkweisen erhalten, neben den Ansichten der Grahams, ihren Raum und am Ende inspiriert ihre Haltung Andersdenkenden gegenüber: Man begegnet sich mit Respekt. Dass selbst katholische Würdenträger ihre Arbeit wertgeschätzt haben zeigt, dass es sich hier nicht um eine evangelikale sondern um eine allgemein christliche Mission handelt(e).
Was bleibt also als Fazit? Ich kann das Buch nur jedem empfehlen - egal ob mit oder ohne Vorwissen über das Leben der Grahams. (Raum für eigene, tiefere Nachforschungen bleibt so oder so.) Es ist, trotz allem, erfrischend und regt dazu an, den eigenen Glauben noch einmal neu zu betrachten. Ich kann nicht jede der Aussagen mit „Ja und Amen“ unterschreiben, aber ich denke, darum geht es auch gar nicht. Das Leben der Grahams war bereichernd und ich denke, dass es für jeden eine Inspiration bereit hält.