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Veröffentlicht am 16.11.2020

Eine sehr spezielle, tabulose Erinnerung an die Nachkriegszeit

Omama
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Wenn es um die Zeit nach dem Krieg geht, erinnere ich mich an Erzählungen meiner Großeltern, die damals geflüchtet sind, sich vor den Russen versteckt haben und sich auch heute noch über jeden Kriegsfilm ...

Wenn es um die Zeit nach dem Krieg geht, erinnere ich mich an Erzählungen meiner Großeltern, die damals geflüchtet sind, sich vor den Russen versteckt haben und sich auch heute noch über jeden Kriegsfilm aufregen können. Erinnerungen sind da sehr individuell und speziell, manchmal etwas schärfer, gewaltiger, trauriger oder auch traumatischer.
In "Omama" erzählt die Kabarettistin Lisa Eckhart nun leicht biografisch, ganz schön überspitzt von ihrer Großmutter Helga und eben solchen Erinnerungen. Dieser Roman ist dabei so eine Aneinanderreihung verschiedener Anekdoten und Lebensabschnitte, die von ihrer Großmutter und deren Schwester erzählen. Teils moralisch hinterfragend, schmunzelnd, ungläubig oder einfach nur kopfschüttelnd begibt sich der Leser auf einen wahrlichen Ritt durch alle Bereiche, in denen Eckharts Protagonisten von Angst und Russen getrieben, aufreizend um Anerkennung buhlen oder eben auch skurrilen Ideen Folge leisten. In wie weit das nun alles der Wahrheit entspricht oder im Stile Eckharts bewusst polarisierend aufgearbeitet wurde, sei mal dahingestellt. Das was jedoch sicher ist, ihre Omama hatte ein sehr, sehr aufregendes Leben.

"Es mangelt weiß Gott nicht an Autoren, die sich an der eigenen Familie vergehen. Das Leben schreibt nämlich die besten Geschichten, sagen die heillosen Naturalisten, wann immer es ihnen an Einfällen fehlt. Besonders die Kaste der Großeltern ist ein beliebtes Sujet vieler schriftelnder Enkel. Und ganz gleichgültig, welche Epoche - jede Erzählung von Großeltern hebt stets mit einer schweren Zeit an. Eine Zeit der Entbehrung, des Hungers, der Not, welche zu lichten Horizont blickt, dem Horizont des Enkelglücks."

Wer mit Lisa Eckharts Art des Erzählens klar kommt und mal nach etwas anderem sucht wird mit diesem Roman sicherlich ganz gut bedient. Für mich selbst war das Lesen recht schnell sehr anstrengend. Ich habe ständig Frau Eckhart im Ohr gehabt und dachte immer häufiger daran, dass in diesem Fall ein Hörbuch vielleicht sogar die bessere Wahl gewesen wäre. Sie ist speziell und auch ihr Roman ist sehr eigen. Sie verwendet hier und da recht hochgestochene Worte oder haut bitterböse, sarkastische, platte Aussagen heraus. Sie spielt mit den Vorurteilen der Menschen, mit der Geschichte und eigentlich auch dem, was jahrelang im deutschen Raum gang und gebe war. Da brauchen wir jetzt auch Jahre später nicht so tun, als wäre es nicht so gewesen oder wirklich weit hergeholt. Es war so. Und ja, der Ton ist rau, sehr direkt und manchmal auch so ein bisschen drüber. In ihrem Kabarett spielt sie genau mit diesen Archetypen, den überzogenen, diffamierenden und zum Teil auch verachtenden Aussagen, die einen als Zuhörer verstören, im Halse stecken bleiben und eben auch zum Nachdenken bringen. Lisa Eckhart nähert sich auf ihre bekannte polarisierende, überzogene Art in ihrem Roman der Nachkriegsgeschichte an und entweder mag man es dann oder man will sich gerade über ihre gemeine Rotzigkeit, die eben nicht alles schön redet oder abschwächt, aufregen. Die aufgekochte Diskussion und die Reaktionen rund um das Hamburger Harbourfront, über ihr Bühnenprogramm und sie als Person, der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie ... unterstellt wird, kann ich daher auch nur zum Teil nachvollziehen. Aber irgendwie ist es auch ein Teil der deutschen Verdrängungskultur geworden, gerade gegen solche Überspitzungen vorzugehen. Als Kunst, so wie Satire, Kabarett, Film und Co auch eine Form der geduldeten Kunst ist, finde ich diesen Roman insgesamt recht klug, aufreibend und sehr, sehr böse, aber eben auch sehr direkt. Und gerade durch diese überspitzte Darstellung, von der sie sich im Prolog mit den Worten "Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biografie als Hommage oder als Rufmord erachtet. Ich vermag darüber nicht zu urteilen. Wenn ich von meiner Großmutter erzähle, so zeichne ich in jedem Falle keinen von Krieg und Besatzung geprägten, von Ehen enttäuschten, vom Alter gerächten, tätschelnden, verhätschelnden Archetyp des weisen Ahnen." begründet und distanziert, macht diesen Roman aus, lässt den Leser manchmal schlucken, erneut an die damalige Zeit denken oder auch, ich gebe es zu, über einige Äußerungen herzhaft lachen und das zeichnet (auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden ist) für mich dann irgendwie auch gute Literatur aus.

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Veröffentlicht am 03.08.2020

Dad Lewis letzter Sommer - "Kostbare Tage" von Kent Haruf

Kostbare Tage
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Es geht zurück nach Colorado oder besser gesagt in die Kleinstadt Holt. Nach Kent Harufs sehr bewegenden Romanen "Lied der Weite" und "Abendrot" findet die Plainsong-Reihe nun mit "Die kostbaren Tage" ...

Es geht zurück nach Colorado oder besser gesagt in die Kleinstadt Holt. Nach Kent Harufs sehr bewegenden Romanen "Lied der Weite" und "Abendrot" findet die Plainsong-Reihe nun mit "Die kostbaren Tage" ein gebührendes Ende.

Manchmal kann es schnell gehen. Als Dad Lewis von seinem Arzt die Diagnose Krebs erhält, ist sein Ende bereits zum Greifen nah. Ein guter Monat soll ihm noch bleiben und so vegetiert er nun im Sessel vor dem Fenster, schaut der sich stetig verändernden Umgebung, seinen Nachbarn und dem kleinen Mädchen Alice, das neuerdings Radfahren übt, zu. Seine Angestellten und Freunde aus der Eisenwarenhandlung leisten ihm wöchentlich Gesellschaft und auch die Erinnerungen holen ihn bruchstückhaft wieder ein. Das ist er nun, der Abschied. Seine Tochter kommt seiner Frau und ihm zur Hilfe, kutschiert ihn noch einmal durch die kleine Stadt, besucht mit ihm erinnerungsträchtige Orte und so verweilen sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Von seinem Sohn hat Dad schon lange nichts mehr gehört, er brach frühzeitig den Kontakt zu seiner Familie ab und ging seiner Wege. Die letzten Worte bleiben ihm nur in Gedanken, vielleicht wird er ihm jemals verzeihen, vielleicht wird er von Dads letzten Stunden niemals erfahren. "Kostbare Tage" ist eine berührende Familiengeschichte und ein Buch über Vertrautheit, Liebe und den Abschied für immer.

"Er würde also sterben. Das war es, was sie gesagt hatten. Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. Anfang September würde man draußen auf dem Friedhof, drei Meilen östlich von der Stadt, Erde über ihn schütten, auf das, was von ihm übrig war. Man würde seinen Namen auf einen Grabstein meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben."

An sich habe ich mich lange auf eine weitere Fortsetzung der Reihe gefreut. Die Geschichte um Victoria und die McPheron Brüder hatte es mir dann doch sehr angetan. Nach dem Tod des einen Bruders und den neuen Herausforderungen des Lebens blieben noch einige Fragen offen und ich hatte mir nun Antworten erhofft. Leider blieb diese Erwartung unerfüllt. "Kostbare Tage" bezieht sich bis auf einen kleinen Absatz und die Tatsache, dass auch diese Geschichte in Holt spielt, so gar nicht auf die beiden vorherigen Teile. Und das hat mir dieses Buch dann irgendwie etwas madig gemacht. Das heißt zwar nicht, dass ich diesen Roman so gar nicht mochte, aber es war eben anders.
Losgelöst von meiner Erwartungshaltung fand ich den Abschied und die letzten Lebenstage von Dad nämlich sehr bewegend. Kent Haruf erzählt sehr unaufgeregt und gefühlvoll von den Gedanken, Erlebnissen und dem Freundschaftgefüge seiner Protagonisten. Der plötzliche Krebsbefund und die damit einhergehende Schwäche und Endlichkeit des Lebens hat mich aber nicht nur mitgenommen, sondern auch sehr dankbar für das Jetzt gemacht. Krebs ist keine neuartige Erkrankung und beinahe jeder hat in seinem (entfernten) Bekanntenkreis sicherlich schon Berührungspunkte gehabt und eben dann auch erlebt, wie schnell es gehen kann. Und gerade das macht einen nachdenklich. "Kostbare Tage" ist ein melancholisch, bewegender und vor allem menschlicher Roman über den Abschied und irgendwie auch über das Loslassen. Damit beinhaltet jedes Buch nun etwas über ganz entscheidende Phasen des Lebens von dem Aufbruch, der Ankunft, den Herausforderungen bis hin zum Ende. Für alle, die ruhigere Romane über das Leben lieben, ist Haruf eigentlich schon eine Art must-read. Eine sehr große Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 02.02.2020

Die Geschichte einer Frau im Taumel zwischen Glück und Unglück

Ástas Geschichte
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Ást ist Isländisch und bedeutet so viel wie Liebe. Ásta ist eine Romanfigur, an die Sigvaldi dachte, als es um die Namensfindung seiner Tochter ging. Helga stimmte dem zu und Jón Kalman Stefánsson fand ...

Ást ist Isländisch und bedeutet so viel wie Liebe. Ásta ist eine Romanfigur, an die Sigvaldi dachte, als es um die Namensfindung seiner Tochter ging. Helga stimmte dem zu und Jón Kalman Stefánsson fand diesen Gedanken anscheinend so inspirierend, dass er Ásta einen ganzen Roman widmete. "Ástas Geschichte" heißt sein neustes Werk und handelt von der Liebe, dem Verlust und dem Leben mit all’ seinen Höhen und Tiefen.



Dieses Buch ist die Geschichte eines Kindes, einer jungen Erwachsenen, einer sehnsüchtigen Frau, die Briefe an ihre große Liebe schreibt, und ein Blick auf einzelne Menschen in ihrem Leben. Ásta wird in den 50ern, sehr, sehr leidenschaftlich, am Küchentisch gezeugt. Ihr Name soll Großes bedeuten und doch scheint er ihr nicht sonderlich viel Glück zu bringen. Sie wandert stets auf dem schmalen Grad zwischen Glück und Unglück. Und so begleiten wir sie dann auch durch ihr Leben und ihre Höhen sowie Tiefen. Schon früh hat sie die ersten großen Verluste erlebt, ihre Mutter verlässt sie und Ásta wächst bei einer Ziehmutter auf. Später wird sie auf einen Hof geschickt, eine Art Erziehungsheim, da sie einem Mitschüler einen Fausthieb verpasst und ihm die Nase bricht. Dort lernt sie die Abhängigkeit, die Einsamkeit und die Fürsorge, aber auch die Nähe zwischen den Menschen und Jósef kennen. Und dann? Dann verliert sie erneut – So als sei es ein Ausgleich zu dem, was sie glücklich stimmt.
Es ist ein herber Verlust und ein noch größerer Rückschlag, der ihr ganzes Leben in neue Bahnen lenkt, ihr Menschen nimmt und sie trauern lässt. So geht es weiter, bis sie sich selbst das Leben nehmen möchte, fallen möchte, sich verlieren. Doch auch das scheitert und ihr Leben bleibt ein einziges Auf und Ab aus kurzen Gewinnen, riesigen Verlusten, großer Sehnsucht und tiefer Trauer. Es ist ein poetischer Roman zwischen Leben, Liebe… Tod und mittendrin ist eine junge Frau namens Ásta auf der Suche nach sich selbst.



“Es lässt sich nicht erzählen, ohne sich zu verirren, ohne fragwürdige Wege zu beschreiten oder weiterzugehen, ohne umzukehren, nicht einmal, sondern mindestens zweimal ­- denn wir leben in allen Zeiten”




Gerade dieses Zitat beschreibt sehr gut, wie es mir beim Lesen erging. Ástas Geschichte fand ich toll und sie hat mich immer wieder an Kent Harufs Victoria aus “Lied der Weite” erinnert. Auch sie bricht aus ihrem alten Leben heraus, kommt an einen Hof und das Leben scheint irgendwie eine Wendung zu nehmen. Ásta ergeht es ähnlich, sie wächst bei einer Ziehmutter auf, hat bereits ihre Wurzeln verloren und wird nun, nachdem sie einem Mitschüler die Nase bricht, auf einen Hof in der Westfjorde geschickt. Hier hat sie dann nicht nur ein neues Umfeld und neue Gegebenheiten, an die sie sich gewöhnen muss, sondern findet, auch wenn es ihr bis dato noch nicht so klar ist, ihre erste größere Liebe. Diese Zeit auf dem Hof, ihre Bekanntschaften mit Sex, dem anderen Geschlecht, der Abhängigkeit, Einsamkeit aber auch Sehnsucht empfand ich insgesamt als ein recht interessantes, ruhiges Wechselspiel. Sie lernt die Welt aus einer ganz anderen Sicht kennen, abgeschieden in der Pampa. Doch mit ihrer Rückkehr nahm dann das Unglück wieder seinen Lauf, vieles gerät aus den Fugen, sie ist sich unsicher, verliert ihren Lebensmut, verschiedenste Gedanken, Partner, Ortswechsel finden statt bzw. tauchen auf. Und dann ist da noch die Geschichte ihrer Familie, ihres Vaters und seiner neuen Frau, von Helga, der Ziehmutter und weiteren Verwandten, die immer wieder zwischendrin das Bild stören, komplettieren und doch häufig verwirren und den Fokus von der Hauptprotagonistn entfernen.

Am Ende habe ich so eher so eine gemischte Meinung. Jón Kalman Stefánsson hat mich streckenweise sehr fasziniert. Auch der Satz seines Romans hat mich großteils neugierig gemacht, denn es wechseln sich beinahe luftig leere Seiten und anspruchsvolle Kapitel ab, bringen zum Nachdenken und lenken den Fokus auf einzelne Sätze, Wörter und Gedanken. Und dann ist da eben der Roman als Ganzes, das zwar lesenswert ist, aber für mich gerne etwas klarer, teilweise aber auch ausschweifender und tiefgründiger werden könnte. Vielleicht ist es aber auch einfach ein typischer, isländischer Roman mit einer für mich eher unerwarteten, gar ungreifbaren Mentalität und Aussagekraft… aber das, muss ich dann doch noch etwas weiter ergründen oder, sofern sich einmal die Möglichkeit ergeben sollte, in Form einer Lesung genauer kennen lernen, denn ich habe das Gefühl, dass in diesen Zeilen noch viel mehr enthalten ist, als ich dann tatsächlich beim Lesen wahrgenommen habe.

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Veröffentlicht am 02.02.2020

der Kampf gegen das Aussterben

Die Letzten ihrer Art
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Ich gebe ja zu: Ich bin ein Lunde-Fan oder zumindest irgendwas in der Richtung. Im letzten Herbst erschien nun im btb-Verlag der dritte Teil des Klimaquartetts und doch bin ich sehr überrascht. "Die Geschichte ...

Ich gebe ja zu: Ich bin ein Lunde-Fan oder zumindest irgendwas in der Richtung. Im letzten Herbst erschien nun im btb-Verlag der dritte Teil des Klimaquartetts und doch bin ich sehr überrascht. "Die Geschichte der Bienen" war wochen-, gar monatelang in den Bestsellerlisten verzeichnet und viele haben den Bienen ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Bei "Die Geschichte des Wassers" wurde es dann bereits etwas ruhiger und von dem dritten Teil "Die letzten ihrer Art" habe ich kaum etwas vernommen. Und gerade das finde ich sehr, sehr schade. Vielleicht sehe ich das nur so, weil für mich die Bienen zwar interessant, aber im Vergleich zu den anderen am schwächsten war. "Die Geschichte des Wassers" war da irgendwie schon aktueller, realistisch vorstellbarer und zeigte viel mehr von der möglichen und nahenden Katastrophenzukunft. Leider war die Geschichte für mich nicht richtig rund bzw. nicht zu Ende erzählt, was ich damals sehr schade fand, aber jetzt mit Beendung des dritten Teils, gerade gut, denn die Tochter Louise taucht wieder auf und erzählt somit auch das abschließende Ende von Teil zwei. Und schon alleine deshalb hat sich dieses Buch für mich gelohnt, aber nicht nur das... es hat die nahende Katastrophe noch einmal von einer etwas anderen Seite gezeigt. Fern ab von Flüchtlingslagern, mit Blick auf die Tierwelt, das Wetter, die Nahrungsmittelknappheit, den eher vorstädtischen Kampf ums Überleben und den Beginn von etwas Neuem. Aber eins nach dem anderen...



In Maja Lundes Roman "Die letzten ihrer Art" gibt es wie immer drei verschiedene Erzählstränge. Mit Michail Alexandrowitsch Kowrows Bericht reisen wir in die Vergangenheit, um genau zu sein ins Jahr 1881. Er ist Zoologe und arbeitet in St.Petersburg in einem Zoo. Die Menschen legten damals noch ein bisschen mehr Wert auf Unterhaltung und Außergewöhnliches. Der einstige Star war Berta, das deutsche Nilpferd... doch irgendwann hatte sich Michail daran satt gesehen. Als ihm dann eines Tages der Schädel eines getöteten mongolischen Wildpferdes gebracht wird, ist er hin und weg von der Idee gerade diese, als ausgestorben geltenden Tiere im Zoo zur Schau zu stellen. Er plant eine Expedition in die Mongolei um weitere Exemplare zu finden und versucht das dafür dringend benötigte Geld zusammenzubekommen. Nach zahlreichen Briefwechseln gewinnt er den Abenteurer Wilhelm Wolff für sich und geht mit ihm auf diese beschwerliche Reise.

Ein Jahrhundert später treffen wir dann in der Mongolei auf die Tierärztin Karin und ihren Sohn Mathias. Gemeinsam versuchen sie eine Herde der beinahe ausgestorbenen Przewalski-Pferde in die freie Wildbahn zu entlassen. Karin lebt für diese seltene Tierart und möchte nun ihr Bestes versuchen um die aus Europa überführten Tiere nach und nach an die Wildnis zu gewöhnen. Doch am Ende ist dies deutlich schwieriger als erwartet und auch die Beziehung zu ihrem Sohn, wird damit ein weiteres Mal auf die Probe gestellt.

Und dann gibt's da natürlich noch den 'Kern' dieses Romans. Wir schreiben das Jahr 2064. Der Klimakollaps ist bereits eingetreten. Die Menschen sind seit Jahren auf der Flucht in den Norden. Trockenheit, Hitze, Regen im Überfluss, das Klima spielt verrückt, die Insekten sind großteils ausgestorben und auch die Tierwelt wurde stark ausgedünnt. Eva und ihre Tochter Isa leben gemeinsam mit ein paar bis dato noch verbliebenen Tieren auf einem kleinen Hof in Norwegen. Während alle anderen um sie herum bereits geflüchtet sind, versuchen sie so lange wie möglich hier die Stellung zu halten. Alles wirkt sehr angespannt, die Situation, die Stimmung zwischen ihnen, aber auch die Beziehung zu den restlichen Bewohnern der kleinen Ortschaft. Als dann eines Tages eine fremde, abgemagerte Frau Zuflucht sucht, stellt es sie vor eine neue Herausforderung. Und als dann auch noch kurze Zeit später die Stromversorgung komplett wegbricht, sind sie so ganz auf sich alleine stellt und auch ihr Kampf ums Überleben beginnt.



Wie man vielleicht nun schon herauslesen kann, ist das verbinde Element die Tierwelt oder besser gesagt die Wildpferde. Die einen versuchen sie zu fangen, die anderen sie auszuwildern oder sie so lange wie möglich zu erhalten. Und gerade das ist unter den jeweils vorherrschenden Umständen eine enorme Herausforderung, aber nicht nur das, denn nach dem Klimakollaps ist die ganze Welt ein nach und nach wegbröckelnder Gletscher, der kaum noch Hoffnung zulässt und für übergeordnete Bedrohungen sorgt.

Dieser Roman eröffnet so ein bisschen den Blick auf die mögliche Katastrophe der Zukunft, aber er ist auch zwischenmenschlich eine Erfahrung. Sie alle sind nicht allein, versuchen mit den Menschen um sich herum klar zu kommen und sich zu entwickeln. Gerade durch diese Erlebnisse finden sie mehr und mehr zueinander. Alle sind in irgend einer Art auf der Suche nach dem großen Glück und finden, wenn überhaupt, eher zurück zum Wesentlichen bzw. Wichtigeren im Leben. Die einen finden etwas mehr, andere verlieren oder nabeln sich ab. Und so prallen hier dann 'auf der zweiten Ebene' auch sehr unterschiedliche Geschichten aufeinander und das macht diesen Roman dann auch sehr faszinierend und bewegend. Ich rede nun bewusst etwas drum herum, denn gerade die jeweiligen Enden machen diesen Roman für mich aus. Gefühlt war es irgendwie so eine unerwartete, thematische Wendung innerhalb dieses doch recht pferdelastigen Schauspiels. Und ich bin ganz gewiss kein Pferdefreund, habe mich zeitweise sogar nur auf die Geschichte Evas fokussiert, um dann im letzten Drittel wieder alle Protagonisten 'neu' zu entdecken und ihren Erlebnissen zu verfolgen. Und dann war ich tatsächlich auch von den Pferden sehr begeistert. Es ist so eine große, vielschichtige Herausforderung, die ihren Ursprung bereits vor Hunderten von Jahren gefunden hat. Manchmal sind es gerade diese schwächeren Arten, die ohne die Hilfe des Menschen, evolutionär vielleicht sogar schon ausgestorben wären oder sich eben einfach weiterentwickelt hätten. Die Pferde, so heißt es, überlebten, weil man sie eben fing und gezielt vermehrte, ein Auge drauf warf und sich die Population erholen konnte. Und gerade das sollten wir Menschen dann auch mehr als Aufgabe unseres Könnens und Handelns betrachten. Schwächeren helfen, egal ob Mensch oder Tier. Gerade dadurch würden wir dann auch wieder mehr an einem Strang ziehen und zusammenwachsen. Vielleicht ist das nun wieder sehr reininterpretiert, aber ich empfinde jede Geschichte so ein bisschen als Zeichen der Hilfsbereitschaft, des Zusammenhalts, aber eben auch als optimistischen Kampf für das Leben und als Zuversicht, eben dass es wieder bessere Zeiten geben wird.

Dieser Roman endet mit einem Abschnitt über Mathias in der Mongolei 2019. Die Geschichte ist noch nicht vorbei und nun hoffe ich wirklich, dass sich dann in Lundes viertem Band alles noch einmal irgendwie zum Besseren wenden wird oder wartet da doch die große Katastrophe? Wir werden es erfahren.... irgendwann.

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Veröffentlicht am 15.01.2020

"1794" - ein Verbindungsstück zum schlimmeren Übel

1794
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Die Geschichte geht weiter. Ein Jahr ist es nun her, als in Deutschland "1793" ,der Bestseller-Roman aus Schweden, erschien und seit dem seine Runden dreht. Ich weiß noch, wie ich damals das Buch förmlich ...

Die Geschichte geht weiter. Ein Jahr ist es nun her, als in Deutschland "1793" ,der Bestseller-Roman aus Schweden, erschien und seit dem seine Runden dreht. Ich weiß noch, wie ich damals das Buch förmlich inhaliert habe und vom Setting, der Historie, den Protagonisten und dem Plot total begeistert war. Dieser Roman oder eigentlich eher Thriller, spielte im Stockholm des 18.Jahrhunderts und damit einer sehr geschichtsträchtigen und für die heutigen Verhältnisse recht düsteren und spannenden Stadt. Niklas Natt och Dag gab Einblicke in die damalige Welt in der Glücksspiele sehr fest zum gesellschaftlichen Treiben der besser Betagten und Halunken gehörten. Aber er warf auch einen Blick auf die unteren Schichten, das Treiben in den Spinnhäusern und den Kampf ums Überleben. Und mittendrin gab es brutalen Mord und ein sehr ungleiches, gar gebrechliches Ermittlerduo. Jean Michael Cardell, ein gebeutelter Kriegsveteran, und der an Tuberkulose erkrankte Jurist Cecil Winge gingen gemeinsam auf Spurensuche, die sie an wahnsinnig viele menschliche Abgründe und düstere Schauplätze führte.



Ein Jahr später erscheint nun mit "1794" so etwas wie eine Fortsetzung. "Ein Jahr ist vergangen. Viel ist geschehen. Noch Schlimmeres wird kommen." heißt es auf der Rückseite des Buchs. Band zwei fungiert so wie ein Verbindungsstück, eine Hinführung zurück zum Schlimmeren. Also was ich damit sagen möchte, dieser Roman ist mit dem ersten Teil überhaupt nicht vergleichbar. Bereits die Ausgangslage ist eine andere, denn Cecil Winge erliegt seiner Erkrankung und der Winge, der in diesem Fall seinen Platz einnimmt, ist der an Wahnvorstellungen leidende Bruder, der seinerseits immer im Schatten Cecils stand.

Jean Michael Cardell, fällt nach dem letzten Fall und dem Verlust seines lieb gewonnenen Juristen in ein sehr tiefes Loch und ist wieder besoffen in der Gosse zuhause. Eines Tages trifft er dann den Geist Cecils bzw. seinen jüngeren Bruder, der sich auf die Suche nach der Taschenuhr seines Vaters begibt. Und wahrscheinlich hätte nun alles weitere seinen Gang genommen... Winge hätte die Uhr zu Geld gemacht und Cardell wäre irgendwann sturzbetrunken in einer Schlägerei umgekommen, aber die Geschichte einer Frau soll alles ändern. Ihre Tochter Linnea starb in der Hochzeitsnacht. Man erzählte ihr, ihr Kind wurde in der Nacht von einem Rudel Wölfe angegriffen, doch diese sind seit Ewigkeiten in dieser Gegend nicht mehr zu finden. Seit dem sucht sie nach der Wahrheit und Hilfe.

In Wirklichkeit wurde ihre Tochter auf grausamste Weise getötet und von ihrem frisch Angetrauten völlig verunstaltet und den Zähnen beraubt im blutüberströmten Ehebett/Zimmer aufgefunden. Aber nicht nur das, auch ihr adeliger Ehemann musste anscheinend einiges einstecken, allerdings kann er sich an das Vergehen überhaupt nicht erinnern. Schon seit dem ersten Kuss mit Linnea plagen ihn hin und wieder seltsame Wutausbrüche, die seine Erinnerung an die plötzlichen, gewaltigen Anfälle seinerseits komplett auslöschen. Und so scheint er auch in diesem Fall, seiner Wut erlegen zu sein. Er wird als Täter identifiziert und in ein Irrenhaus eingewiesen. Doch irgendwas ist an dieser ganzen Geschichte faul, denn dafür haben die beiden sich einfach zu sehr geliebt und zu lange aufeinander gewartet. Und dann gibt es da natürlich noch das Anwesen der Drei Rosen, das Geld und so ein dunkles, durchtriebenes Geheimnis, das entdeckt werden will.



Niklas Natt och Dag bewegt sich mit dieser Geschichte wieder zwischen den Abgründen der Vergangenheit. Doch während es im ersten Teil bereits sehr schnell um den Fund einer verstümmelten Leiche geht, muss man sich hier das spannende Rätsel erst einmal erarbeiten. Erik Drei Rosen erzählt zunächst sehr ausführlich von seiner Kindheit, der ersten Liebe, aber auch von seinen Erlebnissen und den Vorgängen auf Barthelemis, dem größten, auf schwedischem Boden befindlichen Sklavenmarkt der Antillen. Doch die wirkliche Geschichte zieht dann erst seine Kreise, als er seine Jugendliebe endlich heiraten darf und das Unglück seinen Lauf nimmt - das wäre dann ungefähr ab Seite 115 und bis dahin war ich tatsächlich so ein bisschen enttäuscht. Im Nachhinein würde ich nun sagen, diese Geschichten um das Hauptszenario gehören dazu und vermitteln dem Leser viel mehr das Gefühl für die damalige Zeit und für eben alles, was nicht gerade positiv geraten war.

Anna Stina kehrt zurück, kreist in Cardells Gedanken und führt uns erneut zu den Frauen der Spinnhäuser. Auch sie bringt ihre Geschehnisse und Auswirkungen (ich will ja noch nicht so viel verraten) des vergangenen Jahres mit sich und hat einen großen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Cardell und Winge ermitteln dann gemeinsam in diesem Fall, werden hier und da von ihren Sinnen getrübt, auf Irrwege geleitet und finden am Ende dann doch irgendwie zueinander. Und dann bleibt die große Frage... was wird nun folgen? Wie geht es weiter und ist das Ende dann tatsächlich auch so, wie man es sich nun denkt? Wahrscheinlich werden wir es erst im nächsten Teil erfahren, denn die Geschichte ist mit diesem Teil einfach noch nicht beendet und zahlreiche Fragen bleiben offen.

Und das ist sehr gewieft, denn so der Hit war dieser Fall nicht und trotzdem will man als Leser einfach mehr. Natt och Dag ist ein Meister für Beschreibungen historischer Abgründe und düsterer Verstümmelungen jeglicher Art. Es sind aber auch zeitlichen Gegebenheiten und diese speziellen Unterschiede seiner Hauptcharaktere, die diese Geschichten so faszinierend, menschlich, emotional und spannend machen. Als Ergänzung zu "1793" ist dieses Buch einfach ein Muss und ansonsten kann ich nun einfach nur noch sagen... Fans von historischen Kriminalgeschichten oder alle, die gerne einmal etwas historisch spannendes lesen möchten,sollten unbedingt mal ein Auge auf Niklas Natt och Dags Romane werfen, denn es lohnt sich und ich glaube da kommt noch etwas sehr Gewaltiges auf uns zu.

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