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Veröffentlicht am 05.05.2020

Nicht ganz, was ich erwartete

Erlöst
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„‚Ich bin in einem Kult aufgewachsen‘, sagte ich. […] Wir trugen Kopftücher. […] Wir durften uns das Haar nicht schneiden. Fernsehen, Zeitungen, Radio, Kino, Ferien, Haustiere, Armbanduhren, das alles ...

„‚Ich bin in einem Kult aufgewachsen‘, sagte ich. […] Wir trugen Kopftücher. […] Wir durften uns das Haar nicht schneiden. Fernsehen, Zeitungen, Radio, Kino, Ferien, Haustiere, Armbanduhren, das alles war verboten.‘“ (S. 24)

Rebecca Stott hat ihre Kindheit und Jugend bei den „Plymouth Brethren“, einer fundamentalistischen christlichen Sekte, der ihre Familie seit Generationen angehört, in Brighton verbracht. Während ihre Altersgenossen die freiheitsliebenden, bunten Sechziger und Siebzigerjahre genossen, war ihr Leben geprägt von strengen Regeln und drakonischen Strafen, von wortführenden, bestimmenden Männern und kuschenden, devoten Frauen. Ihre im Titel genannte „Erlösung“ hat sie ihrem Vater zu verdanken, der der Sekte schließlich den Rücken kehrte und seinen Kindern damit einen Weg in die Normalität ermöglichte. Auf dem Sterbebett bittet er seine Tochter, ihm bei seinen Memoiren zu helfen, um die Geschichte ihrer Familie, die mit der Geschichte der Sekte auf das Engste verbunden ist, festzuhalten.

Ich muss gestehen, dass „Erlöst“ mich nicht so gefesselt hat, wie ich es erwartet hatte. Ich vermutete eine Lebensgeschichte, die Deborah Feldmans „Unorthodox“ ähnelt – doch das ist sie nicht. Rebecca Stott beschreibt ausführlich die Geschichte der Sekte von ihren Anfängen bis zu ihren heutigen Ausprägungen. Und es ist zweifellos wichtig, die Charakteristika dieser Glaubensgemeinschaft ausführlicher zu beleuchten, da sie den wenigsten Leser*innen geläufig sein dürften. Diese chronikartige Abhandlung verquickt sie mit der generationenübergreifenden Geschichte ihrer Familie, ihren eigenen Lebenserfahrungen in der Bruderschaft sowie der Entstehungsgeschichte des Buches. Damit erschafft sie ein umfassendes und zugleich persönliches Panorama – das mich indes gerade aufgrund dieser vielen Facetten, die einander thematisch abwechseln, leider nicht wie erhofft berühren konnte.

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Veröffentlicht am 05.05.2020

Fesselnd und mit einer verblüffenden Auflösung, sprachlich leider nicht ganz überzeugend

In den Fängen des Waldes
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Nein, er hat sich nicht einfach abgesetzt. Auch wenn die Tragödie, die die Familie heimgesucht hat, ein plausibles Motiv ergäbe. Nein, das hätte er nie getan, das hätte er ihr nie angetan. Und schon gar ...

Nein, er hat sich nicht einfach abgesetzt. Auch wenn die Tragödie, die die Familie heimgesucht hat, ein plausibles Motiv ergäbe. Nein, das hätte er nie getan, das hätte er ihr nie angetan. Und schon gar nicht hätte er die gemeinsame kleine Tochter mitgenommen. Ella ist fest überzeugt: Wochenendtrip, den ihr Mann vor einigen Wochen in die undurchdringlichen Wälder Eschheims in Begleitung der kleinen Tochter unternommen hat und von dem beide nicht zurückkehrten, hat ein furchtbares Ende genommen. Auch wenn der Kommissar mit dem gegelten Haar keinerlei Anhaltspunkte für ein Verbrechen findet und Ella mit schwindender Geduld zu beruhigen versucht. Ella macht sich selbst auf den Weg, um auf eigene Faust nach ihrem Mann und ihrer Tochter zu suchen – die nicht die ersten sind, die in den Wäldern spurlos verschwunden sind. Was ist mit der merkwürdigen Kommune, die weltabgeschieden im Wald haust und deren Mitglieder kaum jemand sieht? Könnten sie etwas mit dem Verschwinden ihrer Familie zu tun haben? Und was hat es überhaupt mit diesen Wäldern auf sich, in denen es zu spuken scheint? Schnell hat Ella einen Verdächtigen ausgemacht. Hat sie mit ihrer Vermutung recht? Ist ein Verbrechen geschehen? Und wie könnte sie ihre Vermutung beweisen? Ella erhält Hilfe von unerwarteter Seite – und bringt sich selbst in Gefahr …

„In den Fängen des Waldes“ ist zweifellos ein gelungener Thriller: spannend, lange Zeit undurchsichtig und ein bisschen gruselig. Die sich nach und nach enthüllende zugrundeliegende Geschichte ist überaus originell und bildet eine frische und neue Abwechslung zu den üblichen Thriller-Strickmustern.

Was mich allerdings gestört hat, ist die Sprache. Nein, ein Thriller muss nicht pulitzerpreisverdächtig geschrieben sein. Er soll in erster Linie spannend und unterhaltsam erzählen. Doch die zahlreichen – und bisweilen etwas verrutschten – Sprachbilder, Metaphern und Vergleiche riefen bei mir das eine oder andere unwillige Stirnrunzeln hervor. Da trifft eine Erkenntnis die Protagonistin „wie eine Tracht Prügel in die Magengrube“, in ihrem Kopf „wirbeln Schmerzen und Schwindelgefühle herum wie Wäsche in einer Waschmaschine“, Horrorszenarien „sausen wie Papierflieger“ durch ihren Kopf, jemand „summt ein Lied, so düster wie die schwarzen Tasten am Klavier“. Dazu kommt eine streckenweise recht eigenwillige Kommasetzung und der eine oder andere Schreibfehler. Das ist ausgesprochen schade, denn es hat meinen Lesegenuss doch ein wenig getrübt – und wäre gleichzeitig mit einem etwas sorgfältigeren Lektorat zu vermeiden gewesen. Wer sich indes, anders als ich, an solchen Feinheiten nicht stört, großzügig über sie hinwegliest oder sie nicht bemerkt, wird mit einer ausgesprochen fesselnden Geschichte und einer verblüffenden Auflösung belohnt.

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Veröffentlicht am 19.03.2020

Leichte Unterhaltung nach bewährtem Rezept

Die Kleider der Frauen
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Paris, 1940: Die 22jährige Estella arbeitet gemeinsam mit ihrer Mutter als Schneiderin für die großen Modeschöpfer. Nebenbei verdient sie sich ein wenig Geld dazu, indem sie heimlich die neuesten Modelle ...

Paris, 1940: Die 22jährige Estella arbeitet gemeinsam mit ihrer Mutter als Schneiderin für die großen Modeschöpfer. Nebenbei verdient sie sich ein wenig Geld dazu, indem sie heimlich die neuesten Modelle kopiert und ihre Skizzen an amerikanische Modehäuser verkauft. Doch viel lieber würde Estella selbst designen, sie hat Talent und ein schier unerschöpfliches kreatives Potenzial. Kurz bevor die Wehrmacht in Paris einmarschiert, gerät Estella unbeabsichtigt in eine Aktion der Résistance – und muss aus Paris fliehen. Von ihrer Mutter erfährt sie erst jetzt, dass ihr Vater Amerikaner war, und so reist Estella nach New York. Sie hofft, sich dort ihren großen Traum vom eigenen Modehaus erfüllen zu können.

New York, 2015: Estella ist mittlerweile weit über neunzig. Ihre Enkelin Fabienne, die zu ihrer Großmutter ein sehr enges, liebevolles Verhältnis hat, plagt nicht nur die Sorgen um Estellas zusehends schwächere Konstitution, sondern überdies die Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Vater. Beim Sichten seiner Unterlagen stößt Fabienne auf seine Geburtsurkunde – und die wirft einige Fragen zu seiner und damit auch ihrer Herkunft auf. Fabienne möchte Antworten von ihrer Großmutter, doch die fordert eine Gegenleistung: Ihre schüchterne Enkelin soll nach Estellas Tod ihre Modemarke weiterführen …

„Die Kleider der Frauen“ ist ein Roman, wie er derzeit zuhauf zu finden ist: Ein oder mehrere schöne Schauplätze, mindestens ein Handlungsstrang, der in der Vergangenheit spielt, ein Familienimperium, das weitergeführt werden muss, ein Familiengeheimnis, das gelüftet werden will – dazu die unverzichtbare Liebesgeschichte (selbstredend mit einem gutaussehenden Unbekannten) und eine Menge glücklicher Zufälle (so schließt Estella auf dem Schiff, das sie nach Amerika bringt, Freundschaft mit einem jungen Mann, der – ach, was? – in New York in der Modebranche arbeitet).

All das ist nicht neu und, um ehrlich zu sein, auch nicht allzu originell – doch alles in allem bietet „Die Kleider der Frauen“ eine, wenngleich nicht allzu anspruchsvolle, so doch durchaus unterhaltsame Lektüre: ein perfektes Buch zum „Wegschmökern“ – nicht mehr … aber auch nicht weniger.

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Unterhaltsam und kurzweilig - prima für "zwischendurch"

Hinter deinem Rücken
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„Reichtum wird oft mit Glück gleichgesetzt, doch nicht immer besteht ein Zusammenhang.“ (Pos. 688)

Angelina sieht das anders. Für sie liegen Glück und Geld sehr nahe beieinander. Sie ist ihrem Glück bereits ...

„Reichtum wird oft mit Glück gleichgesetzt, doch nicht immer besteht ein Zusammenhang.“ (Pos. 688)

Angelina sieht das anders. Für sie liegen Glück und Geld sehr nahe beieinander. Sie ist ihrem Glück bereits sehr nahe, denn einer ihrer größten Träume hat sich kürzlich verwirklicht: Sie hat einen Job als Friseurin in dem luxuriösesten Salon Stockholms erhalten. Hier lassen sich nur die Reichen, Schönen, Glamourösen frisieren, selbst die Freundinnen der Kronprinzessin kommen hierher. Und Angelina selbst passt perfekt in diese Welt: sie ist schön. Schlank. Stylish. Mit einem vermögenden Geschäftsmann verheiratet. Und ihr gutaussehender Chef Stefano hält eindeutig große Stücke auf sie und ihre Fähigkeiten. Das wiederum ist Jenny, die schon lange in dem Salon arbeitet und nebenbei eine Schwäche für Stefano hegt, ein Dorn im Auge. Überhaupt scheint Angelina in jeglicher Hinsicht einfach zu perfekt zu sein. Als einer ihrer Stammkunden mit seiner gesamten Familie dann auch noch zu Angelina wechselt und kurze Zeit später ermordet in seinem Haus aufgefunden wird, ist Jenny sich sicher: Mit Angelina stimmt etwas nicht. Jenny heftet sich an Angelinas Fersen, überzeugt, das Geheimnis um die rätselhafte neue Kollegin lösen und sie bloßstellen zu können. Da geschieht der nächste Mord …

„Hinter deinem Rücken“ ist ein überaus kurzweiliger Thriller, der vor allem von den beiden weiblichen Hauptfiguren getragen wird. Die verwöhnte Jenny, die noch immer von ihrer dominanten Mutter drangsaliert wird und ihre Position im Salon gefährdet sieht, und die etwas undurchsichtige, wunderschöne Angelina, die plötzlich mit einer anderen jungen Frau verwechselt wird, sind bereit, nahezu alle Mittel auszuschöpfen, um das, was sie bisher erreicht haben, zu verteidigen. Zwar sind manche Wendungen vorhersehbar, auch ist das Buch sicherlich kein Thriller, bei dem den Leser*innen der Atem stockt. Doch alles in allem ist „Hinter deinem Rücken“ ein gelungenes, unterhaltsames Lesevergnügen ‚für zwischendurch‘.

Veröffentlicht am 11.02.2020

Für Anfänger und Ursula-Karven-Fans prima

Diese verdammten Ängste ...
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„Wir sind nicht bei uns, wenn wir Angst haben. Wir sind nicht wir selbst, wenn unser Glück in einer Angstblockade feststeckt.“

Angst lähmt. Angst blockiert. Sie schränkt, je nach Stärke und Ausprägung, ...

„Wir sind nicht bei uns, wenn wir Angst haben. Wir sind nicht wir selbst, wenn unser Glück in einer Angstblockade feststeckt.“

Angst lähmt. Angst blockiert. Sie schränkt, je nach Stärke und Ausprägung, die Freiheit und das Glück ein, wenn sie nicht gar das ganze Leben beeinflusst und überschattet.
Doch was soll man tun, wenn man Angst – oder Ängste – hat? Wie kann man sich daraus befreien? Ausgehend von ihrer eigenen Biografie und ihren dramatischen, ja traumatischen persönlichen Erlebnissen, gespickt mit einigen Fakten aus der aktuellen (Hirn-)Forschung und Medizin sowie verschiedentlich eingestreuten Verweisen auf andere Ratgeberliteratur (z. B. Marianne Williamson), beschreibt Ursula Karven, wie sie ihren persönlichen Weg aus Ängsten und Lebenskrisen gefunden hat. Und wer sie ein wenig kennt, den wird ihre Antwort und Lösung nicht verwundern: Atmen. Meditation. Achtsamkeit. Und natürlich: Yoga.

Herausgekommen ist ein Buch, das ein bisschen Biografie, ein bisschen Selbsthilfe und ein bisschen Ratgeber ist, und in dem viele kluge, aber (leider) auch banale Weisheiten erteilt werden, wie zum Beispiel diese:

„Wir müssen uns dem stellen, was uns erzittern lässt.“

„Aus Angst, an die eigene Großartigkeit zu glauben, richten wir unser Leben in der Überzeugung ein, dass wir für viele Dinge nicht gut genug sind.“

„Auch wenn es am Anfang nicht so aussieht: Oft sind es die Lernphasen, die zur Helligkeit führen.“

Für Leser*innen, die schon lange meditieren, Achtsamkeit üben und/oder Yoga praktizieren, bietet „Diese verdammten Ängste“ weder neue noch tiefer gehende Erkenntnisse, dafür bleibt es insgesamt zu allgemein und oberflächlich.

Für Ursula-Karven-Fans oder Menschen, die gerade erst damit beginnen, sich mit Achtsamkeit/Meditation/Yoga zu beschäftigen, ist das Buch allerdings gewiss eine interessante, kurzweilige und erkenntnisreiche Lektüre.

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