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Batyr

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2021

Zwei Frauen aus verschiedenen Generationen

Warten auf Eliza
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Der Anfang des Romans weckt noch positive Erwartungen auf eine unterhaltsame Lektüre, die durchaus Anstalten macht, literarische Ansprüche zu erfüllen. Alternierend werden zwei gänzlich unterschiedliche ...

Der Anfang des Romans weckt noch positive Erwartungen auf eine unterhaltsame Lektüre, die durchaus Anstalten macht, literarische Ansprüche zu erfüllen. Alternierend werden zwei gänzlich unterschiedliche Frauen präsentiert: eine ältere Witwe, hinter der eine glückliche Ehe liegt, an der man allenfalls kritisieren mag, dass die Frau gegenüber der dominanten Gestalt des Ehemanns nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft hat. Mit ihr kontrastiert eine junge Frau, Doktorandin, bisexuell, charakterlich unfertig, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie sich nicht von einer bereits beendeten Beziehung lösen kann. Stück für Stück nähern sich diese beiden Frauen einander an, wobei übermäßig viele Nebenstränge retardierend wirken, um die Begegnung und das Anknüpfen einer Freundschaft herauszuzögern. Der Autorin muss geschwant haben, dass ihre Erzählökonomie ziemlich aus der Balance geraten ist, denn in der zweiten Hälfte des Romans zieht sie merklich das Tempo an, auf Kosten der sprachlichen und kompositorischen Ausgestaltung. Der Text mutet zunehmend nur noch als ein Entwurf an. Den dramatischen Höhepunkt bildet der Verrat der jungen Protagonistin, der die ältere Frau seelisch verletzt zurücklässt. Dazu kommt noch eine äußere Traumatisierung, als sie auch noch Opfer eines Verbrechens wird. Nicht nur die mangelhafte Gestaltungsfähigkeit schlägt zu Buche - weiterhin ist zu bemängeln, dass so ziemlich jedes aktuelle gesellschaftliche Thema in diesem Roman verwurstet wird. Ergebnis ist ein Gemischtwarenladen, der wie anhand einer to-do-Liste konzipiert scheint. Insgesamt eine enttäuschende Lektüre.

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Veröffentlicht am 12.01.2021

Disparate Einzelteile - kein stimmiger Roman

Miss Bensons Reise
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Welch eine Lektüre-Enttäuschung, nachdem die Leseprobe solche Erwartungen geweckt hat! Zunächst glaubt der Leser, sich auf eine Gesellschaftsstudie der Nachkriegszeit in England einstellen zu dürfen. Margerys ...

Welch eine Lektüre-Enttäuschung, nachdem die Leseprobe solche Erwartungen geweckt hat! Zunächst glaubt der Leser, sich auf eine Gesellschaftsstudie der Nachkriegszeit in England einstellen zu dürfen. Margerys gutbürgerliche Herkunft, die in einem einzigen Augenblick zerstört wird, Mr. Mundics Trauma der Kriegsgefangenschaft, die verhindert, dass er sich wieder in die Gesellschaft einfügen kann, als Kontrast die Figur der Enid als vulgär gezeichnete Vertreterin der working class. So weit, so gut. Ganz unvermittelt aber schwenkt die Autorin auf einen ganz anderen Kurs um. Nachdem Margery plötzlich ihren Kindheitstraum in die Tat umsetzen will, häufen sich alberne Slapstick-Szenen, die den feinfühligen Charakterporträts diametral entgegenstehen. Übermäßig idyllisch gezeichnete Landschaftsschilderungen kollidieren mit Thrillerelementen, so dass der Handlungsfortgang unnötig in die Länge gezogen wird. Auch Enids Lebensziel, Schwangerschaft und Mutterschaft, erfahren dauernd retardierende Momente, so dass der Höhepunkt des Romans unweigerlich mit einer ziemlichen Ermüdung des Lesers zusammenfällt. Der Schluss ist nur noch als abgrundtief kitschig zu bezeichnen: Tod zweier tragender Charaktere des Romans, schwülstige Darstellung des zu guter letzt doch noch gelingenden Aufspürens des gesuchten Käfers, süßliches Idyll der neuen weiblichen Zweier-Konstellation. Eine Entscheidung für ein Genre oder eine Beschränkung auf einander ergänzende Motive hätten dem Roman gut getan, in dieser Form ist er als literarisches Gebilde weitgehend ungenießbar.

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Veröffentlicht am 22.12.2020

Überzogene Emotionalität - nicht glaubwürdig

Was Nina wusste
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Überzogene Emotionalität - nicht glaubwürdig

Der Erzähleingang geriert sich als eine Art literarischer Schnitzeljagd – der Leser ist aufgerufen, minutiös alle Hinweise auf Zeitgefüge, wechselnde Perspektiven, ...

Überzogene Emotionalität - nicht glaubwürdig

Der Erzähleingang geriert sich als eine Art literarischer Schnitzeljagd – der Leser ist aufgerufen, minutiös alle Hinweise auf Zeitgefüge, wechselnde Perspektiven, bewusste Verrätselungen in eine sich beständig erweiternde Struktur zu integrieren, in der Erwartung, dass am Ende das eigene Durchdringen und Verstehen eines komplexen biographischen Gefüges stehen werden.


Das Ergebnis ist ein verstörendes Panoptikum: der Roman präsentiert ein Familiengeflecht von lauter Versehrten. Tuvia und Rafi, gezeichnet durch das Leiden und Sterben von Frau und Mutter. Vera, die auch noch nach 12 Jahren den Selbstmord ihres Ehemannes in den Fängen des Geheimdienstes nicht verkraften kann und für die ihre Beziehung zu diesem Mann immer noch relevant ist, trotzdem aber gewillt ist, eine neue Bindung einzugehen. Andererseits ist sie nicht in der Lage, ihrer offenbar schwer traumatisierten Tochter eine Stütze zu sein. Nina erscheint in diesem Tableau als der kaputteste Charakter. Die Last ihrer Erlebnisse, die der Leser bis zu dieser Stelle kaum erahnen kann, zerstört ihr Leben und das der Menschen, die sich ihr nahe fühlen. Kaum verwunderlich, dass auch Gilis Entwicklung von Anfang an unter einem dunklen Stern steht. Offenbar droht auch Rafi an seiner unauslöschlichen Liebe zu ihr zu zerbrechen. Letztlich ist es nicht nachvollziehbar, dass Vera so überaus positiv geschildert wird. Innerhalb der Kibbuz-Gemeinschaft fungiert sie als heißgeliebte Matriarchin, die Liebe und Lebenslust ausstrahlt. Dass sie sich berufen fühlt, an Rafi Gutes zu tun, während sie das Leiden der eigenen Tochter zu ignorieren scheint, setzt diese Figur in ein schiefes Licht.


Vollkommen verknäuelte Familienbeziehungen endlich einmal aufarbeiten zu wollen, bevor es zu spät ist, das ist eine sehr private Sache. Aber einen guten Dokumentarfilm zu drehen, ist eine öffentliche Veranstaltung. Beides miteinander zu verknüpfen, wirkt geradezu obszön, eine Form von Prostitution, die intimsten Geheimnisse von Menschen der eigenen Familie derartig verfügbar zu machen.


Der Roman kulmuliert in der gemeinsamen Reise dreier Generationen, und plötzlich zündet ein emotionales Feuerwerk. Die Beschreibung der Zärtlichkeiten zwischen Mutter Vera und Tochter Nina während der Autofahrt streifen hart die Grenze zum Kitsch. Und wie plakativ, dass im Kontrast draußen ein Unwetter tobt. Und dass Nina ihre Familie über das Fortschreiten ihrer Demenzerkrankung informiert, legt ja noch eine Schippe drauf in der Darstellung dieser an Konflikten mehr als reichen Familie. Klar, irgendwie muss es ja motiviert werden, dass der Fokus von der übermäßig idealisiert geschilderten Liebesbeziehung zwischen Vera und Milosch auf das unausweichliche Schicksal Ninas verlegt wird. Aber dass diese jauchzende Darstellung der Liebesgeschichte der Eltern so plötzlich eine Kehrtwende in Ninas Gefühlshaushalt hervorrufen soll, ist doch eine sehr gewagte Idee. Dysfunktionale Familienverhältnisse, traumatische Erlebnisse muss man aushalten können, in der Realität, als Autor, als Leser. Am plausibelsten erscheint noch die Figur der Gili, die es nicht geschafft hat, sich radikal von diesem für sie toxischen Familienverband loszusagen. Ihre Überlebensstrategie scheint in der Verschanzung hinter einer zynischen Diktion, einem schnodderigen Tonfall zu liegen, die sie weitaus jünger erscheinen lässt als ihr tatsächliches Alter. Stattdessen ist sie mit ihren neununddreißig Jahren immer noch abhängig von der Anerkennung durch den Vater Rafi - ergreift sogar einen Beruf, der sie auch in diesem Bereich in seinem Dunstkreis hält - nährt ihren Hass auf Nina und vergöttert die Großmutter, deren Idealisierung gänzlich unglaubwürdig ist. Ausgerechnet sie als das erste Opfer der politischen Verhältnisse soll gänzlich unversehrt aus allem erlittenen Leid hervorgegangen sein und ihre Vitalität und Menschenliebe ungebrochen wie eine Monstranz vor sich hertragen?


Fazit: Ist es die Ansiedelung dieses Romans im mediterranen Kulturkreis, die eine solche überhitzte emotionale Gestimmtheit vorherrschen lässt? Dass sich am Schluss sich so alles in Wohlgefallen auflöst, die Beteiligten sich ihre Wunden lecken und offenbar zu dem Schluss kommen, dass alle sich furchtbar lieb haben, das entbehrt doch aller Plausibilität.


Grossman, solch ein gewaltiger Name in der Literaturszene – geschenkt. Was Nina wusste – ein insgesamt enttäuschendes Lektüreerlebnis.


Mein Urteil: 2 Sterne

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Veröffentlicht am 17.02.2020

TV-Autor geht unter die Buchautoren - eher enttäuschend

Die Toten von Marnow
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Dieser Roman macht es dem kritischen Leser sehr schwer, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen: wieder und wieder liefert er rasante action-Szenen, die die Herkunft des Autors aus der Fernsehbranche verraten, ...

Dieser Roman macht es dem kritischen Leser sehr schwer, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen: wieder und wieder liefert er rasante action-Szenen, die die Herkunft des Autors aus der Fernsehbranche verraten, dann wieder ist die Handlung langatmig, abstrus und uninteressant.

Der Einstieg in den Text gehört in die Kategorie no nonsense: ohne Umschweife wird die Handlung in Gang gesetzt, der Leser konfrontiert mit allerlei Details, die einzuordnen in diesem Stadium schlechterdings unmöglich ist. Immerhin wird der Name der Ortschaft genannt, die für diesen Roman titelgebend ist. Kontrastprogramm dann die Fortsetzung des Geschehens: kleinbürgerliche Kulisse mit Anwandlungen zum Größenwahn. Wer selbst unmittelbar nach der Wende als Wessi in den neuen Bundesländern gearbeitet hat, für den hat die Szene Wiedererkennungswert. Größer, schöner, vor allem teurer. Frühzeitig beginnt der Leser, sich um Elling Sorgen zu machen. Die folgenden Handlungsschritte aus dem kriminalistischen Arbeitsalltag wiederum arbeiten mit bekannten Versatzstücken: ein bisschen Schock, ein bisschen Grusel, aber dann menschelt es ganz gewaltig.

Kein Krimiautor glaubt, ohne ausführliche Details aus dem Privatleben seiner Ermittler auskommen zu können. Vorhersehbar, dass die beiden Hauptakteure als sorgsam abgestimmtes Paar voller Kontraste daherkommen. Lonas Charakterisierung hebt dabei erwartungsgemäß das Muster als apart-unkonventionelle Exotin hervor, Ellings dick aufgetragene Spießigkeit wird immerhin durch den Hinweis auf die Schärfe seines Verstandes gemildert. Diese Figur ambivalent zu nennen, ist noch milde ausgedrückt. Seine zweifelsfrei existenten Fähigkeiten werden überdeckt durch seine Charakterschwäche, die dadurch zum Tragen kommt, dass er ohne Not sich in eine Zwangslage bugsiert, die für ihn kaum noch zu handlen ist. Pool, Auto für die Tochter - Stein für Stein lädt er sich eine Last auf, die ihn voraussichtlich irgendwann untergehen lassen wird. Ebenso mehrdeutig ist seine Kollegin Lona angelegt. Ihre Individualität trägt sie allzu provokant auf einem Präsentierteller vor sich her. Wie gut sie mit diesem Naturell bei ihren schlichter gestrickten Kollegen in Meck-Pomm ankommt, wird sich zeigen. Ihre Bereitschaft, Elling zu decken, ist mehr als anrüchig. Ein Beispiel für einen Korpsgeist, den wir im wirklichen Leben kritisieren, der hier im Roman aber für Lona punkten soll. Die Figur Elling wird im Verlauf der Handlung immer abstruser. Treusorgender Ehemann, Vater und auch noch Sohn, kaum zu übertreffen, bloß halt ohne jedes rechte Maß. Um dann zwischendurch mal kurz zum Rachegott zu mutieren. Die Aktion, Krohn das Leben zu retten, nachdem Lona ihn vorher umgenietet hat - wie glaubwürdig ist das denn? Überhaupt kommen alle Figuren nicht über das Profil von Pappkameraden hinaus. Egal ob der Ministeriumsmensch, Chef Mertens, von prägnanter Charakterzeichnung keine Spur, die Dialogführung ist zum Erbarmen, und sprachlich ist der ganze Roman eher mühsam.

Besonders das sprachliche Gestaltungsniveau lässt sehr zu wünschen übrig. Sprachlich wird dieser Roman kontinuierlich schlechter! Auch Unterhaltungsliteratur, wozu die Gattung Krimi zu zählen ist, sollte mit Sorgfalt geschrieben werden!

Von der Handlung her bietet der Roman natürlich rasantes Lektürefutter. Das plötzlich involvierte LKA lässt auf zukünftiges Kompetenzgerangel spekulieren, und die Episode mit der Hamburger Arzneimittelfirma weckt erwartbare Aversionen gegen die Pharmaindustrie. Es wird buchstäblich jede Sau durchs Dorf gejagt, alle Aufreger unserer Nation werden brav abgehandelt.

Insgesamt also ein handwerklich ganz ordentlich gemachter Krimi, unterhaltsam, aber nicht exorbitant. Gesamteindruck: große Enttäuschung! Gerade die Einbettung historischer Konstellationen in eine Krimihandlung erfordert höchste Könnerschaft. Nicht umsonst signalisiert eine komplexe geschichtliche Ausgangssituation, dass ein Roman den Anspruch erhebt, das Niveau üblicher Krimikost zu übersteigen. In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei Veröffentlichungen, die als positive Beispiele für die Verknüpfung der deutsch-deutschen Vergangenheit mit einem gut gemachten Krimiplot zu nennen sind: „Die Tote im Wannsee“, geschrieben von einem Autoren-Trio, von dem einer tatsächlich auch der Zunft der Drehbuchautoren zugehörig ist, ebenso wie Andre Georgi, der Verfasser von „Die letzte Terroristin“. Es ist also machbar!

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Veröffentlicht am 21.04.2019

Mühsam zusammengestoppelt

Große Freiheit
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Wer gar keine Vorstellung von der Hamburger Milieu hat, bekommt einen ersten Eindruck - tiefere Einsichten: Fehlanzeige!
Rocko Schamoni betrachtet Wolli Köhler ganz offenkundig als seinen Freund und wollte ...

Wer gar keine Vorstellung von der Hamburger Milieu hat, bekommt einen ersten Eindruck - tiefere Einsichten: Fehlanzeige!
Rocko Schamoni betrachtet Wolli Köhler ganz offenkundig als seinen Freund und wollte ihm ein literarisches Denkmal setzen. Doch das Profil dieser St. Pauli-Größe bleibt seltsam blass. Über weite Strecken hangelt sich der Autor mühsam von Episode zu Episode, reiht Gewaltausbrüche, Sexpraktiken und geniale Geschäftsideen im Rotlichtmilieu aneinander. Besondere Charakterzüge des Helden Wolli werden behauptet, sein Interesse an Literatur, sein kritisches politisches Bewusstsein, aber irgendwelche Konsequenzen für seine Lebensgestaltung werden nicht deutlich. Allein sein Aufstiegswille innerhalb der Halbwelt, allein seine Abneigung gegenüber einem bürgerlichen Dasein, angefüllt mit regelmäßiger Arbeit, treiben ihn, auf St. Pauli sein Glück zu versuchen, nachdem er seine Herkunft aus der DDR und die unterschiedlichsten Stationen seiner Wanderungen durch die Welt hinter sich gelassen hat. Gewiss, große Namen aus der Szene werden genannt, dem Leser vertraut, der wie ich in den 60ern auf St. Pauli großgeworden ist - Bartels, Fascher, Koschider - aber einen Hauch des Inkommensurablen verspürt man nur bei den Szenen mit Cartacala, einer Figur, die wirklich von Tragik umweht ist. Ansonsten: Fehlanzeige. Politische Ereignisse in der Hansestadt, Katastrophen, einschneidende Erfahrungen der Hauptfigur - alles wird nacheinander, nebeneinander abgespult - das ganze Buch ist allenfalls als eine Stoffsammlung anzusehen, von einer packenden, fesselnden, faszinierenden literarischen Gestaltung kann keine Rede sein!
Mein Urteil: 2 Sterne