Wandlung einer Rebellin
Die Schwestern vom Ku'damm: Tage der HoffnungFlorentine Thalheim, die Protagonistin des Abschlussbandes der „Ku'damm“-Trilogie, macht es sich und ihrer Familie nicht leicht! Als Jüngste der Thalheim-Schwestern fühlte sie sich stets als Randfigur ...
Florentine Thalheim, die Protagonistin des Abschlussbandes der „Ku'damm“-Trilogie, macht es sich und ihrer Familie nicht leicht! Als Jüngste der Thalheim-Schwestern fühlte sie sich stets als Randfigur in einer Familie starker und eigenwilliger Charaktere, zeichnete sich in den beiden ersten Bänden vor allem durch Sprunghaftigkeit, Kapriziosität und wilde Aufmüpfigkeit aus, was darin gipfelte, dass sie sich mit ihrem französischen Freund in dessen Heimatland flüchtete – aus dem sie zu Beginn der hier zu besprechenden Geschichte um einige Illusionen ärmer, dafür um nicht unbeträchtliche Erfahrungen reicher in ihre Heimatstadt Berlin zurückkehrte, entschlossen, sich nicht nur endlich einen Platz in ihrer Familie, sondern auch einen Weg in ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben zu erkämpfen. Mit ausgeprägter künstlerischer Begabung gesegnet, die sich schon in sehr jungen Jahren manifestierte, steht für Flori fest, dass sie ihrer Berufung folgt und die Kunst zu ihrem Beruf machen wird, ja machen muss, denn nur in ihr kann sie sich ausdrücken, ist sie ganz bei sich, ganz sie selbst. Zielstrebig und entschlossen erobert sie sich die Aufnahme an der renommierten Kunstakademie, ein erster Erfolg, der sie in Hochstimmung versetzt, die aber schon bald der Ernüchterung weicht und der Erkenntnis Platz macht, dass man nicht über Nacht zur gefeierten Künstlerin wird, dass mehr dazu gehört als ihre unzweifelhafte Begabung. Doch siehe da, die jüngste Thalheim-Schwester, die ehemalige Rebellin, nimmt die Herausforderung an, zieht Lehren aus den schmerzvollen Erfahrungen, die zu machen ihr nicht erspart bleibt, an denen sie menschlich wie künstlerisch wächst – um ihre wahre Berufung schließlich zu finden. Und ihre Wandlung ist so folgerichtig, so nachvollziehbar und gleichzeitig mit liebevoller Behutsamkeit geschildert, wie es eben nur Brigitte Riebe zustande bringt! Von der unreifen, verwöhnten Rebellin also zur geläuterten, mitfühlenden Erwachsenen, deren Ungestüm Beherrschung und kluger Zurückhaltung Platz gemacht hat – und dann endlich kann auch die Liebe zu einem ganz besonderen Menschen ihre Erfüllung finden!
So begegnen wir der Protagonistin am Ende dieses großartigen Romans, dessen Handlung in den späten 50er und frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt ist, zu einer Zeit also, in der sich der Konflikt zwischen Ost und West zuspitzte, in der Berlin nach vorausgehenden, immer unerträglicher werdenden, Repressalien von Seiten des DDR-Regimes schließlich durch den Mauerbau zur geteilten Stadt wurde, ein „Leuchtturm im roten Meer“, wie die heutige Hauptstadt der Republik seinerzeit von der auflagenstärksten deutschen Tageszeitung so treffend betitelt wurde.
Wie gewohnt gelingt es der Autorin auch in „Tage der Hoffnung“ Zeitgeschichte so in Romanform zu bringen, dass sie erfahrbar wird, dass jene so hoffnungsvollen wie bangen Jahre, die den Hintergrund der Handlung um Flori und die Ihren bilden, gegenwärtig werden, fühl- und erfahrbar. Die Leser dieses so genialen wie sprachlich perfekten Romans werden unwiderstehlich hineingezogen in eine spannende, weichenstellende Epoche, die die Mehrzahl von ihnen vermutlich nicht durch eigenes, bewusstes Erleben, sondern nur noch aus Erzählungen oder aus Geschichtsbüchern kennen – und die sich nicht mehr loslassen wird!
Denn dieses grandiose Buch mit seinen vielen eingestreuten Begebenheiten – kleineren und größeren, unbedeutenden und bedeutenden - , Randnotizen gleichsam, die mit der Zeit, in der die Geschichte spielt, untrennbar verbunden sind, ihr zugehörig wie etwa die vielen elektronischen Spielzeuge samt Netflix & Co. der heutigen Zeit, und die ihm seine überzeugende Authentizität verleihen, wirkt nach, lässt Anteil nehmen nicht nur am mit vielen Stolpersteinen versehenen Werdegang Floris sondern natürlich auch an dem weiteren Lebensweg der gesamten, aus den beiden ersten Bänden der Trilogie sehr vertrauten, Familie Thalheim. Es läd zum Reflektieren ein, ist daher eine Geschichte, die nicht verschlungen sondern vielmehr mit der ihr gebührenden Achtsamkeit gelesen werden möchte, Seite für Seite.
Und wenn Brigitte Riebe ihre Trilogie so gewaltig und eindrucksvoll enden lässt wie hier mit der berühmten Kennedy-Rede - vor jubelnder Menschenmasse, die diese seine aus ganzer Seele kommenden Worte so dringend gebraucht haben -, die wie nichts sonst ein Bekenntnis zur Demokratie und zur Freiheit ist und die beispiellose Solidarität bekundet mit den Bewohnern der Stadt Berlin, dann geht das tief ins Herz, um darin Wohnung zu nehmen, dann bleiben wahrlich keine Wünsche offen – und es werden solche erfüllt, von denen man gar nicht wusste, dass man sie jemals hegte.
Und so ist der Abschied von den längst liebgewonnenen Exzentrikern und nicht immer einfachen Individualisten der Familie Thalheim und allen, die ihnen zugehörig sind und denen der Leser hier wie in den beiden Bänden zuvor das Vergnügen hatte zu begegnen, wohl mit ein wenig Wehmut verbunden, gleichzeitig aber lässt er ein Gefühl der Befriedigung zurück, fügt sich doch in diesem Abschlussband auch das letzte Teilchen in das bunte Mosaik ein, das die Autorin mit ihren wunderbaren Jahren des Aufbaus und der Hoffnung ihren Lesern zum Geschenk gemacht hat!