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Veröffentlicht am 18.10.2020

Ulrich und die Flucht aus seinem Leben

Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand
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Ulrich ist arbeitslos. Nach dem Tod seiner Eltern schafft er es nicht, selbständig zu werden. Als er vom Arbeitsamt aufgefordert wird, einen Computerkurs zu absolvieren, tritt er die Flucht aus seinem ...

Ulrich ist arbeitslos. Nach dem Tod seiner Eltern schafft er es nicht, selbständig zu werden. Als er vom Arbeitsamt aufgefordert wird, einen Computerkurs zu absolvieren, tritt er die Flucht aus seinem Leben an und so entsteht „Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand„.

A.S. Dowidat, Theologin aus Bonn, hat sich diese Geschichte ausgedacht. Es ist eine recht nachdenklich daherkommende Geschichte – auch wenn das knallgelbe Cover vielleicht etwas andere Erwartungen weckt. Die „Geschichte von Ulrich“ ist eher ein modernes Märchen darüber, wie man mit seinem Leben zurechtkommen kann als über das Finden von Glück. Wer ein Buch erwartet wie „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ wird sicherlich das Buch enttäuscht beiseite legen. Denn als Ulrich schließlich das Möbelhaus zu seinem Wohnort erkürt und sich regelmäßig abends einschließen lässt, denkt er mitnichten über sein eigenes Glück nach.

Nein, Ulrich sucht nicht sein Glück. Vielmehr braucht es andere, die ihn schließlich aus seiner Lethargie befreien – oder aus seiner Rolle als bloßer Beobachter, wie Ulrich sich sieht. Gisela etwa, aber auch die ominöse Nachtwächterin, der er immer wieder begegnet. Dazu kommt eine Stimme, die ihn immer wieder ruft „Komm, Ulrich…“ – und die ihn immer zur Nachtwächterin führt.

Nichtsdestotrotz hat Ulrich auch andere Seiten. So versteckt er Zettel in dem Möbelhaus, die die Finder zum Nachdenken anregen sollen – er selbst allerdings tut dies mitnichten. „Glauben Sie, dass im Selbstaufbauen von Möbeln Lebensglück liegt?“ steht etwa auf einem der Zettel.

Diese Zettel gehörten zu den humorvolleren Ideen des Buches. Auf mich wirkte das Buch allerdings insgesamt sehr konstruiert. Alles muss eben gut ausgehen. Zudem kommen einzelne Szenen sehr plakativ daher. Ulrich etwa, so sagt es der Roman, sei jemand, der „noch nie“ etwas abgelehnt habe. Noch nie… – naja! Dann die Versöhnung mit den Eltern: ratzfatz im Sauseschritt wird alles vergessen, was die Beziehung zuvor belastet hat. Wer’s glaubt…

Auch der Bezug zur Religion gehört zu dem, was mich an dem Buch nicht ganz überzeugt hat. Die Begegnung mit der Religion ist auf drei größere Szenen fokussiert. Sehr mundgerecht wird danach dann präsentiert, was Ulrich daraus lernen konnte. Als Leser wird man in „Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand“ von der Autorin an eine sehr enge Leine genommen. Für mich war es eine zu enge Leine.

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Veröffentlicht am 09.05.2020

Von einem, der auszog und nichts erreichte

Stern 111
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Lutz Seilers neuer Roman „Stern 111“ hat mich nicht überzeugt. Er hat mich beim Lesen immer mehr gelangweilt, und ich befürchte, dass das sogar so beabsichtigt ist. Schließlich endet der Roman mit der ...

Lutz Seilers neuer Roman „Stern 111“ hat mich nicht überzeugt. Er hat mich beim Lesen immer mehr gelangweilt, und ich befürchte, dass das sogar so beabsichtigt ist. Schließlich endet der Roman mit der kläglichen Selbsterkenntnis des Erzählers: „er war jetzt Mitte zwanzig, und er war nichts.“

Der Roman spielt in der Wendezeit. Eine Zeit, in der alles möglich und nichts unmöglich schien. Für die Hauptfigur Carl eine Zeit der Selbstfindung. Für den Leser eine Zeit der Langeweile. Nichts passiert. Carl probiert sich aus. Will Schriftsteller werden. Vielleicht. Aber gleichzeitig lebt er dahin. In den Tag hinein. Von Gera aus, wo er das Haus seiner Eltern behüten soll, die in den Westen gegangen sind, um ihr Glück zu machen, bricht Carl nach Berlin auf, um sein Glück zu suchen. Ein Glücksritter allerdings ohne jedwede Ambitionen. Einer, der sich treiben lässt.

Er übernachtet zunächst im Auto, verdient sich etwas Geld, indem er schwarz Taxi fährt. Schließlich landet er in der Hausbesetzerszene, wo er versumpft. Was er allerdings nicht bemerkt, denn er scheint sich frei und unabhängig zu fühlen.

Als Leser tut man es recht bald den Eltern nach und verlässt den Protagonisten, lässt ihn mit seinem Schicksal allein. Hat er das Zeug zum Schriftsteller? Keine Ahnung. Hat er den Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen? Ach, wer weiß. Ist er glücklich? Hmm, vielleicht. Irgendwie. Meistens eher nicht. Sind seine Gedichte überhaupt gut? Keine Ahnung. Wird das was mit ihm und Effi, die er wiedergetroffen hat? Es interessiert mich nicht. Ja, als Leser wird man bald ganz abgekühlt gegenüber dem Schicksal von Carl.

Umso mehr will man wissen, wie es mit seinen Eltern weitergeht. In Briefen informiert die Mutter ihren Sohn über ihre ersten Schritte im Westen. Diesen Briefen fiebert man entgegen, um der Langeweile von Carls Leben zu entgehen. Die Eltern, so scheint es, nehmen ihr Leben selbst in die Hand, beginnen ein neues Leben. Ein Aufbruch, den Carl ihnen zutiefst verübelt, er dichtet seinen Eltern sogar ein zweites, paralleles Leben an, von dem er nichts gewusst habe. Sie hätten ihn, den über 20-Jährigen, verlassen, wirft er ihnen vor.

Eine Ziege ist es schließlich, die Carl sagen muss, dass die „wilden Zeiten“ vorbei sind. Ach, wären sie doch nur wild gewesen! Ach, wäre es doch nun wirklich Carls Verhängnis gewesen, Gedichte zu schreiben, wie es auf einer der letzten Seiten des Buches heißt! Stattdessen ist Carl nichts weiter als „faulendes Treibholz“, das ohne Richtung in den Straßen von Berlin vor sich hin treibt.

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Veröffentlicht am 21.02.2020

Familienbande

Wie wir gehen
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Wie prägen Eltern ihre Kinder? Was heißt es, sich von seinen Eltern zu lösen? Andreas Neeser nimmt mit seinem Buch „Wie wir gehen“ vier Generationen einer Familie in den Blick.

Vier Generationen bedeuten ...

Wie prägen Eltern ihre Kinder? Was heißt es, sich von seinen Eltern zu lösen? Andreas Neeser nimmt mit seinem Buch „Wie wir gehen“ vier Generationen einer Familie in den Blick.

Vier Generationen bedeuten auch vier Antworten auf das, was die Beziehung zwischen den Generationen ausmacht. Vier Generationen: das sind Gottlieb, Johannes, Mona und Noelle.

Der Großvater, Gottlieb, kommt gerade so über die Runden, für seinen Sohn Johannes zeigt er nur wenig Interesse. Johannes muss mühsam lernen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und es gelingt ihm. Selbst sucht er sich einen Ausbildungsplatz, er wird zu einem Kämpfer, dem das Ablösen vom Elternhaus gelingt. Das macht ihn beinahe zu einem Helden des Buches, wäre da nicht Mona, seine Tochter, die sich immer mehr von ihm entfernt. Erst Johannes‘ Krebserkrankung bringt sie dazu, sich mit ihrem Vater und seinem Leben näher zu beschäftigen, bevor es nicht mehr geht.

Dann ist da noch ihre Tochter Noelle, die das Verhalten ihrer Mutter wiederum sehr kritisch hinterfragt und ihr vorwirft, dass ihre Arbeit für Flüchtlinge nur ein Wiedergutmachungsversuch sei.

Neeser erzählt aus dem Leben dieser vier Generationen collagenhaft. Es sind Erzählfäden, die immer wieder aufgegriffen werden, die allerdings nie zu einem Ende geführt werden. Es sind vielmehr die vielen losen Enden, die die Erzähltechnik dieses Romans ausmachen. Fragen werden aufgeworfen, nicht beantwortet. Es sind die unfertigen Leben, die hier präsentiert werden.

Für mich hat das Buch zu viele solcher losen Enden, zu viel was nur aufgegriffen und nicht ausgeführt ist. Nichts ist zu Ende erzählt.

Ich will aber nicht verhehlen, dass das Buch starke Momente hat. Etwa wenn der Flüchtling Salim all die Bilder, die er in Syrien gemalt hat, in Deutschland noch einmal malt, um überhaupt in der Gegenwart anzukommen. Denn „eine Auseinandersetzung mit dem, was er heute war, schien ihm undenkbar ohne das, was ihn dahin gebracht hatte.“ Um die eigenen Wurzeln geht es nicht nur Salim, es ist das Grundthema des ganzen Buches.

Schade, dass sich der Roman dabei zu sehr verliert. „Und jetzt weiß ich auch nicht weiter“ lautet der letzte Satz des Buches. Es ist ein Satz, der mehr über den postmodernen Erzähler verrät als über Mona, die ihn sagt. Auf dieses unfertige Erzählen muss man sich bei „Wie wir gehen“ einlassen können.

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Veröffentlicht am 12.08.2019

Theaterstücke

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«
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Zwei Theaterstücke hat Martin Schörle veröffentlicht. Der Hamburger Verwaltungsbeamte, der auch als Schauspieler auftritt, hat zwei ganz unterschiedliche Theaterstücke verfasst.

Zum einen ist da die "Einladung ...

Zwei Theaterstücke hat Martin Schörle veröffentlicht. Der Hamburger Verwaltungsbeamte, der auch als Schauspieler auftritt, hat zwei ganz unterschiedliche Theaterstücke verfasst.

Zum einen ist da die "Einladung zum Klassentreffen", ein Stück, bei dem sich zwei alte Schulfreunde, Marina und Carsten, am Telefon unterhalten. Aus Carstens Einladung zum Klassentreffen wird dabei nach und nach ein Gespräch über alte Zeiten, alte Liebe und neue Hoffnung. Unterbrochen wird das Gespräch durch mehrere Rückblenden, eingebaut als Erinnerungen.

Das zweite abgedruckte Theaterstück ist eher eine Groteske als Theater: der Monolog des Beamten Hans Fredenbek über die PISA-Krüppel, kuriose Gesetzesvorgaben, die weibliche Seele und vergessene Hochzeitstage. Ein akribischer, pedantischer Mensch, der über Gott und die Welt redet, wodurch seine ganz eigene Weltsicht eines biederen Beamten zum Tragen kommt. 

Beide Theaterstücke sind eher konservativ angelegt. Sie haben nichts, was sie für die große Bühne kennzeichnen würden. Aber darum geht es Martin Schörle sicherlich auch nicht. Es sind Theaterstücke, die mit wenig Besetzung auskommen, die für die kleine Bühne verfasst sind, aber doch für die Schauspieler anspruchsvoll sind. Bei Hans Fredenbek besteht sonst die Gefahr, dass sein grotesker Monolog ins Uninteressante abgleitet. Bei Marina und Carsten läuft das Stück Gefahr, am Schluss zu schnulzig zu wirken, auch sind die ins Stück eingebauten Rückblenden wenig ergiebig und lenken eher von dem intensiven Dialog ab. 

Mir haben die beiden Theaterstücke nur bedingt zugesagt. Ich will aber nicht bestreiten, dass sie ihre Stärken haben. Einmal in der Konstruktion der Gedankengänge, einmal im sich immer wieder auf neue Wege gebenden Dialog der Gesprächspartner. 

Veröffentlicht am 14.07.2019

Der Zopf meiner Großmutter

Der Zopf meiner Großmutter
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„Wüascht“ – so würde man im Schwäbischen wohl die Großmutter beschreiben, die im Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ steht. Tyrannisch wacht sie über ihr Enkelkind, das ...

„Wüascht“ – so würde man im Schwäbischen wohl die Großmutter beschreiben, die im Zentrum von Alina Bronskys neuem Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ steht. Tyrannisch wacht sie über ihr Enkelkind, das ihrer Meinung nach zu gar nichts taugt und zudem noch sämtliche Krankheiten dieser Welt in sich vereine. Kurzum: wer solch eine Großmutter hat, der braucht keine Feinde mehr.
Max hat solch eine Großmutter – und er leidet unter ihr. Es gelingt ihm nur selten, der Tyrannin, die nichts anderes kann als ihren Enkel niederzumachen, zu entfliehen, und so nimmt er hin, dass sie ihn als Idioten und lebensunfähigen Nichtsnutz beschimpft wie er auch hinnimmt, dass er so gut wie gar nichts essen darf, da er angeblich nichts verdauen kann.
Hier und da findet Max Schlupflöcher, um den Klauen der Großmutter zu entkommen – so schlägt er eine (bezahlte) Aufpasserin vor, um der Anwesenheit der Großmutter in der Grundschule zu entgehen. Ob Max, aus dessen Sicht alles beschrieben wird, einfach nur übertreibt bei der Beschreibung der Großmutter oder ob es ihm gelingt, einfach alles hinzunehmen ohne allzu verkorkst zu werden, bleibt offen.
Allerdings geht dem Buch recht bald die Puste aus. Die Figuren verändern sich nicht. Es kommt – außer durch Einwirkung von außen – keine Entwicklung der Handlung zustande. Die Witze über russische Einwanderer wiederholen sich, ebenso das Spiel mit Vorurteilen. In unterschiedlichsten Schattierungen wird beschrieben, was für ein „Besen“ die Großmutter ist. Irgendwann weiß man das und will nicht noch eine Variation dazu lesen.
Interessanter ist da, dass die Großmutter keineswegs bereit ist, ihren Mann zu verlassen, als der sich in eine andere, jüngere Frau verliebt und mit dieser ein Kind zeugt. Die Spannung zwischen ihrer Rigorosität und dem Einlenken in die neuen Verhältnisse gibt dem Roman nochmals etwas an Schwung.
Nichtsdestotrotz hat es mich doch sehr gewundert, wie positiv das Buch auch in der überregionalen Presse besprochen wird. Außer der brachialen Figur der Großmutter gibt es meines Erachtens nichts, was dem Buch Kraft verleiht. Nichts, was das Buch als Ganzes aufleuchten lassen würde.