Böse, düster, schlau
Mein Jahr der Ruhe und EntspannungDieses Buch war eine köstliche böse Leckerei. Auf den ersten Blick geht es um eine junge, hübsche und finanziell unabhängige Frau, die sich entschließt, einen selbst herbeigeführten "Winterschlaf" zu halten ...
Dieses Buch war eine köstliche böse Leckerei. Auf den ersten Blick geht es um eine junge, hübsche und finanziell unabhängige Frau, die sich entschließt, einen selbst herbeigeführten "Winterschlaf" zu halten in der Hoffnung, besser, kraftvoller und ernuert aufzuwachen. Mit Hilfe einer Psychiaterin (einer der schlimmsten literarischen Beispiele eines medizinisch tätigen Charakters, die ich je gelesen habe) testet sie sich durch Medikamente und Pillen, immer auf der Suche nach der Art von Tiefschlaf, nach der sie sucht. Klingt öde? Ist es aber ganz und gar nicht!
Unsere unbenannte Protagonistin scheint, aus den oben bereits genannten Gründen, ein sorgenfreies Leben zu führen. Doch wie es oft der Fall ist, erweisen sich diese Annahmen als Trugschluss, sobald die Hintergrundgeschichte der Erzählerin nach und nach ans Licht kommt - langsam und gemütlich, so wie der drogeninduzierte Schlaf, der sie immer wieder befällt. Dies ist also nicht nur eine böse Geschichte über von ärztlicher Seite unterstütztem Medikamentenmissbrauch, sondern auch über verschiedene dysfunktionale Beziehungen. Als da wären:
- Die Erzählerin und ihre beste Freundin Reva (die hilfsbedüftigt ist, klammert und ziemlich nervig rüberkommt, die aber von der Erzählerin aber auch emotional ausgenutzt wird und mir nach einer Weile sogar leid getan hat)
- Die Erzählerin und ihr on/off "Boyfriend" Trevor (der diesen Titel in der Anführung eigentlich nicht verdient, da er sie nur benutzt, wenn ihm dannach ist, und nicht klar wird, warum die Erzählerin das überhaupt mit sich machen lässt)
- Die Erzählerin und ihre Elter, vor allem ihre Mutter (merkwürdig, wenn nicht gruselig) im krassen Kontrast zu Reva und ihrer Mutter.
Ein weitere interessantes Detail bilden Ort und Zeit der Erzählung: Es spielt New York in den frühen 00er Jahren, also vor 9/11 - die "Unschuld", fast Naivität der Charaktere, die nicht wissen, was vor ihnen liegt, fügt der komplexen, düsteren Geschichte eine weitere, geradezu traumähnliche Nuance hinzu.
Dies ist also mehr als ein "verschlafenes Buch". Es hat mich aber doch eingelullt, und zwar so, dass ich es nicht erwarten konnte, wieder darin zu versinken, in seinem beständigen Rhythmus, seiner Suche nach Schlaf und seiner einzigartigen Protagonistin. Sie ist nicht besonders sympathisch, aber wenn ich so einen super interessanten, ziemlich "anderen", konsequenten weiblichen Charakter habe, der sich nicht rechtfertigt, ist mir das ziemlich egal.