"Ein Buch, das mit sanfter Beharrlichkeit gegen den Strom schwimmt." MDR Kultur
Seit seiner Kindheit ist Simon Leyland von Sprachen fasziniert. Gegen den Willen seiner Eltern wird er Übersetzer und verfolgt unbeirrt das Ziel, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden. Von London folgt er seiner Frau Livia nach Triest, wo sie einen Verlag geerbt hat. In der Stadt bedeutender Literaten glaubt er den idealen Ort für seine Arbeit gefunden zu haben – bis ihn ein ärztlicher Irrtum aus der Bahn wirft. Doch dann erweist sich die vermeintliche Katastrophe als Wendepunkt, an dem er sein Leben noch einmal völlig neu einrichten kann. Wieder ist Pascal Mercier ein philosophischer Roman gelungen, bewegend wie der "Nachtzug nach Lissabon."
Simon Leyland ist Übersetzer und lebt in Triest, der Stadt der Wörter. Er hat zwei Kinder, Sophia und Sydney. Seine Frau Livia ist einem plötzlichen Herztod erlegen. Leyland erhält eines Tages die Diagnose ...
Simon Leyland ist Übersetzer und lebt in Triest, der Stadt der Wörter. Er hat zwei Kinder, Sophia und Sydney. Seine Frau Livia ist einem plötzlichen Herztod erlegen. Leyland erhält eines Tages die Diagnose eines Hirntumors. Der Arzt, Dr. Leonardi schaut auf das Röntgenbild und sagt ihm, dass er ein Glioblastom habe. Wie lange noch? fragt Leyland ihn. Und er antwortet: Ein paar Monate. Leyland verzweifelt an dieser Diagnose, er beginnt, die Zeit, die er noch hat, anders einzuordnen. Keine Zeit zu verschwenden. Was ist wichtig, was unwichtig. Elf Wochen lebt er mit dieser Diagnose, die sein ganzes Leben verändert. Nach diesen elf Wochen stellt sich heraus, dass alles ein Irrtum war. Jetzt hat Leyland wieder eine Zukunft und muss sich wiederum damit erst einmal arrangieren.
Leyland hat als Junge bei seinem Onkel eine Karte vom Mittelmeer an der Wand gesehen. Spontan sagt er zu seinem Onkel: Ich will alle Sprachen lernen, von den Ländern, die ans Mittelmeer grenzen. Und genau das tut er auch. Er lernt alle verschiedenen Sprachen. Und das Wichtigste von allem sind Leyland die Worte.
Zitat Seite 20:
"Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen. Er erlebe die Dinge erst, wenn er sie in Worte gefasst habe, sagte er manchmal, nur dann sahen ihn die Leute ungläubig an".
Er richtet sich sein neues Leben langsam wieder ein, schließt Freundschaften, und hat plötzlich wieder eine Zukunft vor sich. Mit vielen neuen Dingen und großen Plänen.
Eine meiner Lieblingsstellen aus dem Buch: Seite 361:
"Was ist eigentlich Poesie? Die poetische Gegenwart ist wie herausgehoben aus dem Fluss und der drängenden Abfolge des zeitlichen Geschehens. Poesie erlaubt einem, ganz bei einer Sache zu sein. Etwas Poetisches, ein Satz, ein Bild, ein Klang: Es fesselt einen wie nichts sonst. Man möchte, dass es nicht aufhört oder verschwindet, man möchte immer mehr davon... Etwas Poetisches, auch wenn es nur etwas Kleines ist, ein winziges Detail, gibt dem Leben im Moment der Betrachtung eine Tiefe, die es sonst nicht hat".
Pascal Mercier hat mit diesem Roman ein so wundervolles, wunderschön geschriebenes Buch geschaffen, das mich sehr begeistert hat. Der Schreib- und Erzählstil sind so tiefgehend, poetisch und philosophisch, wie es selten alles in einem Roman vereint ist. Ich bin hinabgetaucht in die Geschichte von Simon Leyland und wollte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Dieser Roman hat mich gefangengenommen und gefesselt, durch die außergewöhnliche Sprache und den Tiefgang. Einfach wundervoll. Dieser Roman ist für mich gehobene, anspruchsvolle Literatur, gepaart mit Poesie, Philosophie und Tiefgang.
Dies ist eines der wenigen Bücher, die ich auf jeden Fall noch einmal lesen werde.
Fazit:
Mein Lesehighlight für 2020. Ein wundervoller, wunderschön geschriebener Roman, poetisch, philosophisch, voller Tiefgang. Er hat mich einfach nur begeistert.
Als ich sah, dass es wieder einen neuen Roman von Pascal Mercier gibt, war ich erfreut und musste unbedingt wissen, wie er sich nach mehreren Jahren ohne Mercier lesen wird. Wer möchte kann gerne meine ...
Als ich sah, dass es wieder einen neuen Roman von Pascal Mercier gibt, war ich erfreut und musste unbedingt wissen, wie er sich nach mehreren Jahren ohne Mercier lesen wird. Wer möchte kann gerne meine alten Empfehlungen zu „Perlmanns Schweigen“ und „Der Klavierstimmer“ auf dem "Dem Krimi und mehr Blog" lesen. Immerhin sind das die seit Jahren am meisten gelesenen Rezensionen auf Blog von mir.
Zum Inhalt des vorliegenden Buches: Simon Leyland, Übersetzer, Sprachfanatiker und Verleger, hat in England das Haus eines gerade verstorbenen Freundes geerbt. Er selbst lebte jetzt seit vielen Jahren bereits im italienischen Triest. Das Leben hatte ihm schöne und auch katastrophale Zeiten beschert, Zeiten, in denen er Rückschläge hinnehmen musste. Um das Erbe in England anzutreten, reist er dorthin, lernt den Nachbarn seines Freundes kennen und besucht ein langjährig befreundetes Verlegergespann von Mutter und Sohn. Das jetzt neu Erlebte und seine Erinnerungen über die Vergangenheit lassen neue Entscheidungen in ihm reifen.
Meine Meinung: Der Roman spielt in einem Metier, in dem es um Bücher, im engeren Sinne um Worte, Sätze und Sprachen, geht. Das ist nicht neu für Mercier. Im Gegenteil, er bleibt sich treu. Die Geschichte von Simon Leyland setzt sich aus 1000 Puzzleteilen zusammen. Sie erschließt sich auf vielfachen Wegen. Vieles erfährt der Leser über innere Monologe des Protagonisten, über seine Reflektionen des Gegenwärtigen und in der Vergangenheit Geschehenen. Bewegungsvolle Handlungsstränge sind nie das Metier dieses Schriftstellers gewesen. Doch die Methoden, die er anwendet, um dem Leser die Gedanken der Hauptfigur nahezubringen, sind sehr unterschiedlich. Das können mal Dialoge sein, in denen eine Figur einer anderen etwas erzählt, oder es sind Briefe, die geschrieben worden sind und nun wieder hervorgeholt wurden. Man wird immer wieder überrascht, was Simon in seinem Leben passiert ist und wie er damit umgeht. Man taucht ab in eine Welt, die einfach nur fasziniert.
Das Gewicht der Worte
Für mich ergab sich die Spannung daraus, was noch geschehen würde. Mich interessierte die Figur, aber auch der Umgang von ihr mit den anderen Figuren im Roman, mit Freunden, Bekannten und Verwandten. Für manch einen Leser mag diese Art Roman durchaus langweilig erscheinen, zumindest langatmig. Er wird nicht umsonst vom Verlag als philosophischer Roman präsentiert .
Was mir allerdings gegenüber seinen früheren Romanen, der bekannteste ist wohl „Nachtzug nach Lissabon„, fehlte, war das Erkennen eines Ziels gleich zu Beginn. Man beobachtet den Protagonisten ohne zu wissen, was er will. Anders war es zum Beispiel bei seinem Protagonisten Philipp Perlmann. Dieser hatte den Auftrag, eine Arbeitskonferenz durchzuführen, in der eine wissenschaftliche Arbeit erstellt und diskutiert werden sollte. Im Laufe des Romans spürt man Perlmanns Scheitern stetig näher kommen und man wird von neuen Katastrophen überrascht. Ein solches Ziel fehlt im vorliegenden Roman. Zwar baut sich immer wieder etwas auf, was zu einem Höhepunkt führt, aber dessen Auflösung erfolgt immer mal wieder zwischendurch. Das ist etwa so, als würde man mehrere Teile lesen. Spannend bleibt einfach das gesamte Leben des Simon Leyland.
Der innere Monolog inklusive eines unendlich langen nach Nachrufs auf liebe Menschen im Leben Leylands lassen mich den Roman wie „eine erzählerische Meditation darüber, wie es ist, ein Mensch unter anderen Menschen zu sein und sich in vielfältige Beziehungen mit ihnen zu verstricken", erscheinen, um es mit Merciers eigenen Worten zu sagen.
Mir hat der Roman hervorragend gefallen, aber er wird nicht jedermans Sache sein, denn er ist keine leichte Kost für Urlaubsleser. Dafür geht es viel zu sehr um das Leben und die Menschen an sich.
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman ...
"Das Gewicht der Worte" ist mein erster Roman von Pascal Mercier und hat als Geburtstagsgeschenk zu mir gefunden. Mit über einer Woche habe ich verhältnismäßig lange für diesen 576 Seiten langen Roman gebraucht, der zugleich Betrachtung eines Lebens, Studie von Sprache, Worten und Literatur und philosophische Diskussion ist. Dabei ist das Geschilderte vom ersten „Welcome home, Sir“ bis zum letzten „Welcome home, Sir“ zwar durchaus beeindruckend, interessant und anregend, aber leider ohne Spannung und eher ermüdend erzählt, weshalb ein gemischter Gesamteindruck zurückbleibt.
Die Gestaltung des Romans passt ganz hervorragend zu dieser stillen, zurückhaltenden, aber ausgefeilt hintersinnigen Geschichte. Zu sehen ist die Molo Audace in Triest, die eine wichtige Rolle im Roman spielt und ein energisch schreitender Mann im Anzug, der mit seinen grauen Haaren und dem nachdenklich gesenkten Kopf durchaus der Protagonist sein könnte. Auch der Titel passt hervorragend - geht es hier doch vor allem um die Möglichkeiten, die Nuancen und den Stellenwert von Sprache. Pascal Merciers Erzählung ist in 45 Kapitel aufgeteilt, welche zum Teil Briefe und Ausschnitte aus anderen Romanen enthalten, welche kursiv abgedruckt sind.
Erster Satz: "Welcome home, Sir", sagte der Beamte bei der Passkontrolle am Londoner Flughafen."
Wir steigen bei einem wichtigen Einschnitt im Leben von Simon Leyland, dem Hauptprotagonisten in den Roman ein. Nachdem er 11 Wochen mit einer grauenvollen Fehldiagnose gelebt und seine Angelegenheiten zum Abschluss gebracht hat, wagt er nach der erleichternden Nachricht einen Neuanfang und startet in einen neuen Lebensabschnitt. Dazu zieht er nach London in die Stadt seiner Kindheit, wo ihm sein Onkel ein Haus vererbt hat, und beginnt diese neu zu entdecken und dabei sein Leben Revue passieren zu lassen. Gut die erste Hälfte des Romans bringen wir so damit zu, Leylands Vergangenheit kennenzulernen und zu erforschen, wie er an diesem Punkt gelandet ist: alleine in London mit verkauftem Verlag, erwachsenen Kindern und einer überraschend großen Menge restlicher Lebenszeit zum Füllen. Dabei passiert auf der Handlungsebene erschreckend wenig. Im Grunde betrachten wir Leyland, der sein Leben reflektiert, über Übersetzungen brütet, über Nachgedachtes mit seinen Freunden und seiner Familie diskutiert, über Diskutiertes wiederum nachdenkt und seine Schlussfolgerungen dann in Form von Briefen an seine verstorbene Frau festhält. Diese Erzählweise hat zur Folge, dass es viele Wiederholungen gibt und praktisch alle Gedanken mehrmals am Leser vorbeiziehen.
"Es war ein Dunkel nach dem Ende eines Lebens, ein Dunkel, in dem die Zeit nicht mehr floss. Er würde nachher überall Licht machen und sie von neuem zum Fließen bringen. Aber nicht gleich. Er bestellte noch einmal Tee und etwas zu essen. Jetzt, da er wieder eine Zukunft hatte, wollte er verschwenderisch mit seiner Zeit umgehen. Spüren, wie sie verstrich, ohne dass er etwas tat. Spüren, dass er nicht mehr atemlos einem Ende zutrieb. Spüren, dass er Dinge aufschieben konnte, ohne es später zu bereuen."
Diese Reflexion des Kreises von Leylands Lebens hat durchaus seinen Reiz, wenn man zwischen den Seiten versunken ist, sobald man das Buch jedoch zur Seite legt, weiß man nicht so recht, weshalb man weiterlesen sollte. Es gibt keine drängenden Fragen, deren Antwort man erhalten will, keine großartigen Entwicklungen oder Geschehnisse werden in Aussicht gestellt und auch für seine packende Handlung ist Pascal Mercier alles andere als bekannt. Es ist also von Beginn an schlichtweg keine Spannung vorhanden! Während man in der ersten Hälfte des Romans durch aufschlussreiche Rückblicke auf vergangene Geschehnisse wie Leylands Fehldiagnose, seine Kindheit oder seine verstorbene Frau bei Stange gehalten wird und ständig neue Informationen erhält, die das Gesamtbild runder machen, leidet die zweite Hälfte des Romans stärker unter dem Fehlen jeglicher Spannung. Man lässt sich auf das Lesen ein, lässt sich die ein oder andere Formulierung auf der Zunge zergehen und wartet, wohin die Geschichte hinführt. Bis etwa 130 Seiten nach Beginn hat mir das auch gereicht, doch ab dort drängte sich die Frage auf: wohin führt das Ganze?
"Alles, was für ihn jemals gezählt hatte, waren Worte. Etwas existierte erst wirklich, wenn es benannt und besprochen wurde. Er hatte sich das nicht ausgesucht, es war ihm zugestoßen und war von Anfang an so gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, ohne Worte bei den Sachen zu sein, bei den Sachen und den Menschen und den Gefühlen und den Träumen - und dann waren ihm doch wieder die Worte dazwischengekommen."
Und die Antwort ist leider: nirgendwohin! Es kommt ein Punkt in der Geschichte, ab wo beinahe alle Geheimnisse gelüftet und viele der kleinen Spannungsbögen ihren Höhepunkt erreicht haben und nur noch schrittweise Neues passiert. Ab hier wird das Buch deutlich schwächer, büßt Lebendigkeit und Antrieb ein. Auch die Wiederholungen, die durch den besonderen Erzählstil mit bedingt sind, werden ab diesem Punkt nochmal mehr, sodass sich das letzte Drittel recht zäh liest. Dazu kommt, dass wir recht ziellos durch die Handlung steuern und ich bald das Gefühl, ich hätte noch 200 Seiten mehr über Simon Leyland lesen können, oder auch 200 Seiten weniger und das hätte keinen großen Unterschied gemacht. Ich habe die zweite Hälfte und auch das Ende also als eher willkürlich gewählt empfunden. Es fehlte mir hier eine klare Struktur, ein erkennbares Ziel, ein Schlusspunkt - so ist die gesamte Gestaltung der Handlung eher unbefriedigend.
"Wir leben ja mit dem Gefühl, in enger, nahtloser Verbindung mit unserer Vergangenheit zu stehen und den Faden unseres Lebens ohne Riss und Unterbruch von Tag zu Tag fortzuspinnen. Es wäre unerträglich, dieses Gefühl zu verlieren. Doch die Wahrheit ist es nicht: Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung umspült von Vergessen, wir springen von der einen zur anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns."
Doch bewegen wir uns mal von der zweitrangigen Handlungsebene weg und betrachten den Inhalt genauer. Um ehrlich zu sein: rückblickend fällt es mir schwer, genau zu sagen, worum es hier überhaupt ging: um alles und nichts eben. Pascal Mercier unternimmt hier eine Reise durch die Sprachen des Mittelmeerraums, durch die Literatur und stellt einige Fragen zu Tod, Freiheit, dem Wert des Lebens, dem Wesen der Zeit und der Substanz der Poesie. Dabei bleibt er jedoch an eine einzelne Perspektive, ein einzelnes Leben gebunden, das von Hoffnung, Schmerz, Orientierungslosigkeit und intensiven Begegnungen geprägt ist, weshalb die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Themen eher einseitig erfolgt und die Reflexion nicht wirklich ins Philosophieren übergeht. Auf einigen Aspekten wie das Recht auf Selbstbestimmung des eigenen Ende werden dabei immer und immer wieder wiederholt, während anderes, was mir selbst zum Thema Freiheit einfallen würde, gar nicht erst zur Sprache kommt.
"Es ist etwas Großes, Gewaltiges, wenn man vor jemanden hintritt und ihn fragt, wie seine eigene, seine ganze besondere Stimme klinge, in der Art, wie seine Worte kämen, und der Art, wie die Bilder seiner Fantasie sich formten. Diese Frage ist geeignet, jemanden aus der Fassung zu bringen"
Einige interessante Anstöße und Gedanken werden hier zwar eingearbeitet, vieles bleibt aber sehr lebensfern und wenig greifbar, sodass ich mit einigem nicht viel anfangen konnte. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Hauptfigur in einer Blase lebt, in der Geld keine Rolle spielt, stundenlang über Sprachen und Worte philosophiert werden kann und alles Gewöhnliche eine außergewöhnliche Bedeutung hat. Er pendelt zwar zwischen den beiden Städten Triest und London, fährt Tube, sitzt an der Molo Audace, schreitet Straßen entlang und besucht Sehenswürdigkeiten, die ich selbst schon gesehen habe, scheint aber doch auf einem ganz anderen Planeten zu leben als ich. Pascal Leyland gibt uns tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Hauptfigur, jedoch ohne wirkliche Nähe zu ihm entstehen zu lassen. Egal ob während der direkten Beschreibung des Geschehens, in Dialogen oder in Briefen - hier spricht nie die Person direkt, sondern da ist immer noch eine trennende Erzählinstanz zwischen Leser und Figur, die somit eher ein spannendes, abstraktes Untersuchungsobjekt blieb und wenig zu Bezügen zur eigenen Person einlud. Grundsätzlich finde ich es wahnsinnig spannend, die Welt aus anderen Augen zu betrachten, aber hier kann man als Leser kaum Spuren seines eigenen Lebens in der Geschichte wiederfinden und bleibt somit über die gesamten 572 Seiten hinweg ein mittelmäßig motivierter Zuhörer.
"Manchmal nimmt das Wort einer Sache den Schrecken, und es ist eine Befreiung, es auszusprechen. Doc manchmal spüren wir: Das Wort würde den Schrecken noch größer machen. Dann halten wir es unter Verschluss. Und manchmal verwechseln wir die beiden Fälle."
Zum Eindruck dieser scheinweltlichen Blase tragen auch die hier auftauchenden Figuren bei. Grundsätzlich hat mir die Gestaltung der Nebenfiguren gut gefallen. Pascal Mercier unterläuft nur ein einziger Fehler: sie sind alle vieeeel zu ähnlich. Von seinen Kindern über seinen Nachbar in London, seine ehemaligen Verlagsmitarbeiter bis hin zu befreundeten Autoren haben wir es hier ausschließlich mit feinsinnigen, aufrichtigen Gutmenschen zu tun, die sich in ihrer Tiefgründigkeit sehr gefallen, ein Geheimnis aus ihren erlebten Abgründen machen, Problemen haben sich zu öffnen und mit einem unübersehbaren Bedürfnis nach Halt und Hilfe der Hauptfigur die Möglichkeit geben, als Held aufzutreten. Entwicklungen finden hier nur statt, wenn sie der Profilierung von Leyland nutzen, alle scheinen immer einer Meinung mit ihm zu sein und bald verschwimmt der englische Apotheker Kenneth Burke mit dem russischen Ex-Häftling Andrej und selbst der vermeintlich etwas einfachere Kellner Pat entpuppt sich schnell als feingeistiger Intellektueller. Eine zupackende, andersdenkende Kontrastfigur, die Leyland aus seiner Blase ab und zu mal heraus holt, hätte der Geschichte also definitiv gut getan.
"Aus verborgenem, verschwiegenem Wissen war ausdrückliches, in Worte fassbares Wissen geworden. Es war kein abstraktes Wissen, es wirkte in das Erleben hinein. Es war wie ein Aufwachen, ein unaufhaltsames Aufwachen, das ich mit den ersten Phantasien und den ersten Sätzen in Gang gesetzt hatte, und ich war am Ende nicht mehr dieselbe wie vorher."
Ich halte also fest: kaum vorhandene Spannung, spannende Anstöße aber fehlende Greifbarkeit und Figuren, die zunehmend zu einem Einheitsbrei verschwimmen - das klingt alles andere als der Stoff, aus dem ein Stück Weltliteratur gemacht ist. Weshalb würde ich "Das Gewicht der Worte" also dennoch als lesenswert einstufen? Das hängt vor allem mit der Sprache des Autors zusammen, die hier ganz dem thematischen Fokus entsprechend leise, zurückhaltend, reflektiert und ausgefeilt ist. Vor allem die vielen Einbezüge anderer Sprachen, vor allem französisch, englisch und italienisch, machen die Erzählung vielschichtig und komplex und durch die wenige Handlung hat der Autor viel Raum, Nicht-Stoffliches in Worte zu kleiden. Dabei ist aber auch nicht die Erzählweise über jede Kritik erhaben. Negativ aufgefallen ist mir, dass man zwar deutlich merkt, wie sehr der Autor an jedem Wort gefeilt hat, aber trotzdem oder gerade deswegen nicht alles natürlich schien. "Das Gewicht der Worte" ist ohne Zweifel sehr schön und feinsinnig geschrieben, an manchen Stellen fast poetisch, aber leider hatten auch viele Worte einen angeberischen Beigeschmack und fügten sich nicht mühelos in die Erzählung ein. Pascal Mercier hat hier viele gewichtige Worte gefunden, wirklich zu berühren und mitzureißen verstehen diese jedoch nicht. Das Lesen bleibt Arbeit und man spürt das Gewicht dieser Worte mit jeder Seite.
"Die Phantasie - das spüre ich so deutlich in diesen Tagen - ist der eigentliche Ort der Freiheit."
Fazit:
Pascal Mercier erzählt leise, zurückhaltend und reflektiert von Wendungen des Lebens, der Gegenwärtigkeit der Poesie, dem Wesen der Zeit und vor allem von Sprache, Wörtern und Literatur. Sprachlich zwar auf hohem Niveau fehlt "Das Gewicht der Worte" aber Spannung, Lebendigkeit und eine klare Struktur.
Die Handlung von Das Gewicht der Worte zu beschreiben, fällt mir sehr schwer, denn ich habe selten einen Roman gelesen, für den die Handlung so sekundär war. Eigentlich passiert, abgesehen von einer dramatischen ...
Die Handlung von Das Gewicht der Worte zu beschreiben, fällt mir sehr schwer, denn ich habe selten einen Roman gelesen, für den die Handlung so sekundär war. Eigentlich passiert, abgesehen von einer dramatischen ärztlichen Fehleinschätzung, mit der der Protagonist nicht fertig werden kann, nichts, außer Dingen, die an Alltäglichkeit und Normalität kaum zu überbieten sind.
Der ärztliche Fehler überschattet quasi den ganzen Roman, und es ist furchtbar anstrengend zu erleben, wie wenig es Simon Leyland, der Hauptfigur, gelingt, sich von diesem Ereignis zu lösen - für mich sprengt das ein wenig die Glaubwürdigkeit des gesamten Textes. Anstatt darüber zu jubilieren, ein zweites Leben geschenkt bekommen zu haben, und die Leichtigkeit und Freude zu feiern, wird auf über 500 Seiten ein melancholisches Porträt der Vergangenheit, Introspektion und Freundschaft ausgebreitet, dessen Ziel nicht wirklich erkennbar ist. Von der Handlung bin ich also alles andere als begeistert, ich hatte an ihr schon nach spätestens 150 Seiten das Interesse verloren, da sich die Gedankenwelt Simons auch nur so graduell entwickelt, dass es manchmal kaum spürbar ist. Außerdem werden viele Ereignisse mehrfach vom Protagonisten berichtet, weil er die immer gleichen Themen mit unterschiedlichen Figuren bespricht und dann noch das Erlebte in Briefen an seine verstorbene Frau verarbeitet. So entsteht zeitweise der Eindruck eines unendlichen Zirkels.
Man mag sich nun fragen, warum ich diesen Roman in seiner Gänze dennoch gelesen habe. Ganz einfach: mir ist selten ein Buch untergekommen, dass sprachlich und stilistisch so sensibel und sinnhaft mit Sprache umgeht, Wörter und Syntax so umfassend versteht und so sanft und umsichtig in Szene zu setzen vermag. Das ist die Stärke und das Alleinstellungsmerkmal dieses Werks und deshalb hat es für mich Gewicht. Allerdings würde ich es nicht noch einmal lesen wollen.
"Das Gewicht der Worte" hat mich vom Klappentext her sofort angesprochen und beim Reinlesen war ich sofort begeistert. Unglaublich poetisch und schön geschrieben, sodass man gleich lebendige Bilder im ...
"Das Gewicht der Worte" hat mich vom Klappentext her sofort angesprochen und beim Reinlesen war ich sofort begeistert. Unglaublich poetisch und schön geschrieben, sodass man gleich lebendige Bilder im Kopf hat - gleichzeitig muss man aber auch ein wenig über einige Sätze nachdenken und sie auf sich wirken lassen. Sehr literarisch also und nichts, um es mal eben weg zu lesen.
Leider wurde mir das Buch recht schnell zu lang und ich hab es zum Ende hin nur noch quer gelesen. Die Beschreibungen sind zwar sehr schön, aber ufern stark aus und doppeln sich auch häufig. Manchmal verliert man den Überblick, worum es gerade eigentlich geht ...
Toller Stil, aber 200 Seiten weniger hätten auch gereicht.