Olga Grjasnowa begibt sich in ihrem neuen Roman „Der verlorene Sohn“ in ferne Welten: Jamalludin ist Sohn eines kaukasischen Herrschers. Als der Krieg gegen Russland verloren scheint, wird Jamalludin zum ...
Olga Grjasnowa begibt sich in ihrem neuen Roman „Der verlorene Sohn“ in ferne Welten: Jamalludin ist Sohn eines kaukasischen Herrschers. Als der Krieg gegen Russland verloren scheint, wird Jamalludin zum Spielball der Mächte: Der Zar lässt das Kind im Sommer 1839 nach St. Petersburg verschleppen, wo er am Hof des russischen Zaren aufwächst.
Die Absicht des Zaren ist klar: er will später in Jamalludin einen treuen Vasallen als kaukasischer Herrscher haben. Jamalludin wächst in einer russischen Familie auf, ohne Kontakt zu seiner echten Familie. Er schlägt schließlich sogar eine militärische Laufbahn ein – wohl wissend, dass er eines Tages gegen das russische Militär in den Krieg ziehen könnte.
Jamalludin, selbst Muslim, wächst in einer ganz anderen Kultur auf als die eigene. Nach Jahren rechnet er gar nicht mehr damit, jemals wieder nachhause zu kommen, verlobt sich sogar mit einer Russin. Doch sein Vater, Schamil, kann seine Freilassung vom Zaren erpressen. Wieder zuhause, in seiner Familie, wird er mit Argusaugen beobachtet. Man traut ihm nicht über den Weg, er muss noch beweisen, ob er einer der Ihrigen ist. Denn: „Ihre Vertrautheit lag zu lange zurück und sie wussten nicht, wie sie an die Vergangenheit anknüpfen sollten.“
So hat Olga Grjasnowa einen Roman verfasst, der den Verlust der eigenen Identität thematisiert, ohne auf eine starke erzählerische Entfaltung zu verzichten. Denn Jamalludin erweist sich unter anderem als ein genauer Beobachter der russischen Verhältnisse, der Unzufriedenheit in der Bevölkerung und des Arrangements der Macht am Ende des Zarenreichs.
Zsuzsa Bánks Vater László, geboren 1933 in Ungarn, starb im September 2018. Ihr neues Buch „Sterben im Sommer“ schildert den Umgang der Familie mit der Krebserkrankung und dem Tod des Vaters über den Zeitraum ...
Zsuzsa Bánks Vater László, geboren 1933 in Ungarn, starb im September 2018. Ihr neues Buch „Sterben im Sommer“ schildert den Umgang der Familie mit der Krebserkrankung und dem Tod des Vaters über den Zeitraum von gut einem Jahr.
Zsuzsa Bánk hat ein intensives, eindringliches Buch geschrieben. Sie beschreibt, was sie beobachtet, wie sie es wahrnimmt. Die Realisierung der Krankheit mit ihren Folgen, das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein. Die Bedeutung des Vaters für die Familie, die Erinnerung an das gemeinsam Erlebte. Die Erfahrungen im Krankenhaus von Frankfurt-Höchst. Und immer wieder: das Klären von Fragen innerhalb der Familie. Der unerfüllbare Wunsch des Vaters, in Ungarn begraben zu werden. Das, was als Erinnerungsstücke bleiben soll, das was nach dem Tod des Vaters aufgelöst, weggegeben wird. Das Loslassen.
Zsuzsa Bánk hat kein Buch über den Tod geschrieben. Es ist ein Buch über das Abschiednehmen, über den Verlust eines Elternteils. Sie beschreibt das Abschiednehmen im Alltäglichen:
"Der Tod schneidet sich durch unser Leben, etwas müssen wir loslassen, in dieser sich weiterdrehenden Welt müssen wir etwas verlassen und hergeben."
Gekleidet hat Zsuzsa Bánk all dies in eine Sprache, die ohne allzuviel Metaphorik, dafür aber durch ihre vielen Wiederholungen und Wortverknüpfungen mit einem intensiven Sprachduktus versehen ist. Es ist ein Selbstgespräch, in das man als Leser nach und nach immer mehr hineingezogen wird.
Wer selbst schon den Verlust eines Elternteils erlebt hat, wird sich in Zsuzsa Bánks Buch wiederfinden.
Nun habe ich es doch geschafft. Immer mal wieder habe ich mir vorgenommen, etwas von Hans Fallada zu lesen. Dass es nun mit „Der eiserne Gustav“ ein mit gut 800 Seiten ziemlich umfangreiches Buch von Fallada ...
Nun habe ich es doch geschafft. Immer mal wieder habe ich mir vorgenommen, etwas von Hans Fallada zu lesen. Dass es nun mit „Der eiserne Gustav“ ein mit gut 800 Seiten ziemlich umfangreiches Buch von Fallada geworden ist, liegt einzig und allein daran, dass der Aufbau-Verlag 2019 eine Neuausgabe des Buches herausgebracht hat.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe Fallada immer in die Rubrik „Heimatdichter“ einsortiert. Was für ein Irrtum! Mit „Der eiserne Gustav“ begibt sich Fallada mitten hinein in die Weimarer Republik. Von Heimatdichtung keine Spur. Die Verletzlichkeit der Menschen steht vielmehr im Vordergrund seines Buches. Und so wie die neu gegründete Republik am Zerbrechen ist, zerbrechen auch die Figuren des Werkes.
Gustav Hackendahl ist die Hauptfigur – der „eiserne Gustav“, der sich nichts anhaben lässt. Auch dann nicht, als die wirtschaftliche Lage aussichtslos erscheint, bleibt er seinem Beruf treu, dem Droschkenkutscher. Die vielen Automobile? Als eine Modeerscheinung tut er sie zunächst ab. Die Kriegsanleihen? Futsch sind sie. Hackendahl verliert nach und nach sein gesamtes Vermögen. Aus dem großen Unternehmer mit Fuhrbetrieb wird schließlich wieder der Droschkenfahrer. Alles, was er aufgebaut hat, verliert er wieder.
Zuhause regiert er mit eiserner Hand. Seine fünf Kinder leiden unter seiner tyrannischen Art. Sie entfernen sich nach und nach vom Elternhaus. Nur das jüngste Kind, Heinz, hält den Kontakt zu den Eltern aufrecht. Fallada stellt das Leben aller fünf Kinder dar und präsentiert so das Schicksal einer Familie zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik, genauer: zwischen 1914 und 1924.
Otto, der älteste Sohn, stirbt an der Front. Sein Bruder Erich wird zum Schieber und verdient sein Geld mit krummen Geschäften. Heinz hingegen arbeitet in einer Bank, gehört aber bald zum Heer der Arbeitslosen. Die beiden Töchter stehen für ganz unterschiedliche Lebensentwürfe: während die eine Oberin in einem Krankenhaus wird und ihr Vater ihr peinlich ist, gleitet die andere in die Kriminalität ab.
Nur an zwei Stellen wirkt das Buch holzschnittartig erklärend: bei der Versuchung von Heinz durch Erichs Freundin und bei Evas Abgleiten in die Kriminalität. Hier beschreibt Fallada sehr ausführlich die moralische Verfallenheit, hier wäre weniger mehr gewesen.
Ansonsten hat mich Falladas „Eiserner Gustav“ überzeugt. Das Leben ist nicht in Schwarz-Weiß dargestellt, das Leben ist kompliziert. Ob man im Leben alles richtig macht – die Figuren können es kaum für sich selbst beantworten. Zu sehr sind sie hineingeschlittert in das, was ihr Leben ausmacht. Zu sehr haben sie alle unter den Nöten der Zeit gelitten. Niemand aus der Familie eignet sich zum Helden, niemand ist ein reiner Sympathieträger. Das hat für mich das Buch sehr lesenswert gemacht. Fallada bietet seinen Lesern Figuren mit Ecken und Kanten.
Grund für diese Neuausgabe durch den Aufbau-Verlag ist der Versuch, eine rekonstruierte Fassung zu bieten. Denn Hans Fallada war genötigt, sein Buch umzuschreiben, damit es auch im Dritten Reich veröffentlicht werden darf. Dem hat sich Fallada widerwillig gebeugt, nachdem er sich gegen eine Emigration nach England entschieden hat. Allerdings: das ursprüngliche Manuskript Falladas ist verschollen. So hat Herausgeberin Jenny Williams alle möglichen Indizien zusammengetragen, um den letzten Teil des Romans, den allein Fallada veränderte, in Detektivarbeit zu rekonstruieren.
Im Nachwort des Buches wird ausführlich darauf eingegangen, wie Fallada im August 1938 den Schluss seines Buches nach den Direktiven Joseph Goebbels‘ umschrieb. Ein Schluss, den Fallada in einem Brief selbst als „fürchterlichen Bockmist“ und „blödes Gehandwerkere“ bezeichnete. Es waren wohl die verkauften Filmrechte, die Fallada überhaupt dazu brachten, so viel Energie in diesen neuen Schluss zu stecken. Freilich: weder wurde aus dem Film etwas, noch hat sich „Der eiserne Gustav“ in Deutschland gut verkauft.
Ausführlich, fast schon zu ausführlich, geht das Nachwort auch auf die DDR-Ausgabe ein, die deutlich mehr als den Schluss neu bearbeitete – politisch motivierte Korrekturen.
Hans Falladas Wunsch war es, den „Eisernen Gustav“ nach dem Dritten Reich neu herauszubringen. Sein früher Tod 1947 machte ihm dies unmöglich. Nun hat der Aufbau-Verlag diesen Wunsch Falladas erfüllt.
Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer ...
Einen herrlich verspielten Roman präsentiert uns Gerhard Roth in diesem Jahr. „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ lautet der Titel. Solchen Teufeln begegnet die Hauptperson, der Übersetzer Lanz, in üppiger Zahl.
Der Roman beginnt jedoch damit, dass ebendieser Lanz sich das Leben nehmen will. Zu langweilig ist es ihm geworden. Zu bedeutungslos. Doch just in dem Moment, wo er sich auf die Suche nach dem richtigen Ort für seinen Plan macht, verliert sein Leben seine Bedeutungslosigkeit und wird spannender als es sich Lanz wünschen könnte.
Was beginnt, ist ein großartiges Spiel mit dem Leser und dem literarischen Stoff. Gerhard Roth hat ein Verwirrspiel geschaffen, das ein Lesegenuss ist. Lanz beobachtet einen kaltblütigen Mord – und wird fortan zum Gejagten. Von wem, bleibt lange im Unklaren, ebenso die Frage, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Die Odyssee durch Venedig hält für Lanz viele Überraschungen parat. Er stürzt von einem Abenteuer ins andere, genauer: er plumpst hinein, ohne dass er etwas dagegen tun kann.
Zu guter letzt bleibt die Frage, ob das alles überhaupt real ist. Denn schließlich begann alles, als sich Lanz unter einen Holunderbusch zum Schlafen legte. Und wer den „Goldnen Topf“ des E.T.A. Hoffmann gelesen hat, der weiß, dass damit der Ausflug ins Reich der Phantasie beginnt.
Überhaupt die Anspielungen. Gerhard Roth liebt sie, die kleinen Seitenhiebe in die Literaturgeschichte. Allein der Titel seines Buches ist Shakespeares „Sturm“ entnommen. Dass es in Roths Venedig zu einem Sturm kommt – es kann nicht verwundern.
Überhaupt wirkt vieles so märchenhaft, dass es den Kriminalroman im Roman verunmöglicht. Zugleich aber ist der Kriminalroman so brutal in der Darstellung, dass er alles Märchenhafte mit einem Schuss wegwischt.
„Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Gelingt dies, kann man sich an einem herrlichen Stück Literatur erfreuen.
Fred und Jonas sind Freunde. Zumindest so lange, bis Jonas' Eltern einen Ausreiseantrag stellen. Denn in Freds Familie wird der "real existierende Sozialismus" der DDR nicht in Frage gestellt. Während ...
Fred und Jonas sind Freunde. Zumindest so lange, bis Jonas' Eltern einen Ausreiseantrag stellen. Denn in Freds Familie wird der "real existierende Sozialismus" der DDR nicht in Frage gestellt. Während das elterliche Kontaktverbot der Freundschaft nichts anhaben kann, droht doch die Ausreise die Freundschaft zu zerstören. Also schmieden sie einen Plan. Ein Plan, der mit "Zuckersand" zu tun hat, so viel sei verraten .
"Alles nur aus Zuckersand" von Dirk Kummer ist ein Hörbuch für Kinder, das nicht nur spannend ist, sondern auch das Leben in der DDR näher bringt. Dies gilt vor allem für das Alltagsleben, denn erzählt wird die Geschichte von dem jungen Fred. Charly Hübner liest den Text dabei so flüssig, dass man das Hörbuch am Stück hören könnte.
Wer Fred Kummers Film bereits kennt, wird vielleicht manches vermissen. Das Hörbuch ist deutlich kindgerechter als der Film.
Fazit: "Alles nur aus Zuckersand" ist ein gut gemachtes Hörbuch für Kinder, das auch für Erwachsene unterhaltsam ist.