Feinfühliges Spiel mit der Psyche der Charaktere
„Mord und Totschlag waren schon immer meine Leidenschaft“, schreibt Rose Klay, Jahrgang 1968, auf ihrer Homepage. Dieses Interesse, das viele von uns Krimi- und Thriller-LeserInnen sicherlich teilen, ...
„Mord und Totschlag waren schon immer meine Leidenschaft“, schreibt Rose Klay, Jahrgang 1968, auf ihrer Homepage. Dieses Interesse, das viele von uns Krimi- und Thriller-LeserInnen sicherlich teilen, hat die Autorin mit einem Psychologie-Studium gepaart, das sie dabei unterstützt, durch geschickten Einsatz tiefgründiger Charaktere mit komplexem psychologischen Innenleben ihre LeserInnen so in den Bann ihrer Geschichte zu ziehen, dass diese das Buch kaum aus der Hand legen können. Im Rahmen einer Leserunde mit Autorenbegleitung war es mir möglich, nicht nur das Debüt-Buch der Autorin kennenzulernen, sondern gleichzeitig auch ein wenig die Autorin. Rose Klay ist sehr sympathisch, offen, und erzählt so, dass sich jeder mit ihr identifizieren kann. Bemerkenswert ist zudem, dass sie ursprünglich aus Düsseldorf kommt, was sich in ihrem Debüt-Thriller wiederspiegelt, zwischenzeitlich aber in Mexiko-Stadt und Peking wohnte, bevor sie mit ihrer Familie nach Texas zog, wo sie heute noch lebt. Wer viel in der Welt herumkommt und viel sieht, schafft eine tolle Basis für spannende und authentische Geschichten. Dass sie dies zu nutzen weiß, beweist Rose Klay in „Die Tochter“ in jeglicher Hinsicht.
Zum Inhalt: Es gibt Menschen, denen fällt im Leben alles zu. Andere dagegen müssen jeden Tag kämpfen, um zurecht zu kommen. Zu letzteren gehört Kathi. Kathi ist eine junge, alleinerziehende Mutter, die in ihrer Kindheit etwas Furchtbares erlebt hat. In der Schule wurde sie aufgrund dessen gehänselt und gemieden, und auch ihre Tochter Lucy wird gemobbt, da schon Kleinigkeiten wie die falschen Klamotten ausreichen, um von anderen ausgestoßen zu werden. Lucys Vater verschwand noch vor ihrer Geburt. Mutter und Tochter leben in dem alten, ranzigen Haus, in dem Kathi damals aufgewachsen war. Kathi hat außer Lucy keine Familie und Geld hat sie auch nicht. Ihr Leben ist geprägt von Ängsten (Verlustängste, Existenzängste, Ängste vor sozialen Situationen, …), Unzulänglichkeitsgefühlen und Depressionen. Sie ist sensibel und bekommt von ihrer Umwelt das Gefühl vermittelt, dass sie alles falsch mache. Kathis inneres Geschehen ist so einfühlsam und detailliert beschrieben, dass sich eine spannende düstere Atmosphäre durch die ganze Geschichte hindurchzieht und es den LeserInnen sehr leicht fällt, sich in Kathis Situation hineinzuversetzen.
Als Lucys Situation immer unerträglicher wird, fasst sich Kathi ein Herz und schnappt such die beiden Mobberinnen, um mit ihnen zu reden. Das heißt, die eine schickt sie weg, um mit der anderen zu reden. Und ausgerechnet das weggeschickte Mädchen verschwindet und das andere Mädchen bezeugt, dass Kathi es zuletzt gesehen hat. Dadurch, dass Kathi ohnehin schon einen schweren Stand im Ort hat, hat sie das Gefühl, dass alles, was sie tut, sie noch verdächtiger erscheinen lässt. Und dabei ist sie so ein herzensguter Mensch, dem alles daran liegt, das Mädchen wiederzufinden, auch wenn es die eigene Tochter mobbt! Zum Glück hat Kathi eine neue Freundin gefunden, die ihr zur Seite steht und Kathi mit ihrer Stärke und ihrem Selbstbewusstsein Mut macht. Allerdings greift sie beim Streben nach Gerechtigkeit zu Methoden, die Kathi in innere Konflikte bringt.
Das Buch spielt mit Psychologie und lässt auch Statement Analysis auf leicht verständliche Weise einfließen. Beim Mitraten auf den richtigen Täter zu kommen, war nicht allzu schwer, jedoch war das Motiv wirklich unerwartet!
Die Autorin hat ein sehr feines Gespür für Atmosphäre und schafft es binnen weniger Zeilen, eine triste, beklemmende, angstvolle und (die Protagonistin) Überwindung kostende Atmosphäre zu schaffen, in der Lucy und ihre Mutter leben. Die Charaktere wirken von Beginn an lebensecht, sie sind aus dem Leben gegriffen, vermutlich kennt jeder solche Menschen. Diese Bedrücktheit (vermutlich leidet Kathi unter Depressionen, Neurasthenie und Migräne) bildet eine gute Basis für einen spannenden Thriller.
Der Schreibstil liest sich flüssig und ist, wie bereits die Leseprobe beweist, sehr gut dafür geeignet, Spannung zu erzeugen.
Zu Beginn empfand ich das "Schreibmaschinen-Layout" als ungewohnt und dachte, dass das komisch zu lesen wäre, aber ich habe mich dann doch recht schnell daran gewöhnt und fand es noch vor Beginn des 2. Kapitels schon überhaupt nicht mehr so komisch.
Das Cover erinnert aufgrund der umgebenden Düsternis und des knallgelben Regenmantels an das Titelbild von der Kinofilmausgabe von Stephen Kings "Es". Inhaltlich geht es zwar um etwas völlig anderes, aber durch diese Assoziation mit dem Klassiker des King of Horror stellt sich allein schon beim Betrachten des Covers Spannung ein.
Interessant ist, dass der schlichte Titel „Die Tochter“ auf mehreren Ebenen perfekt zu diesem Buch passt. Der Untertitel sowie die Buchbeschreibung mit ihren bedeutungsschwangeren Worten wirken auf mich leider abgedroschen, was dieser fantastisch erzählten Geschichte absolut nicht gerecht wird. Das Thema des Buches hat mich zwar gleich interessiert, die Buchbeschreibung erinnerte mich allerdings an "viele andere" Buchbeschreibungen, also war ich mir nicht sicher, ob dieses Buch mir etwas Neues bieten würde.
Die Leseprobe hat mich dann allerdings so in den Bann der Autorin gezogen, dass ich das Buch zu Ende lesen musste. Dieses Buch gehört auf jeden Fall zu meinen Lieblingsbüchern 2020! Schon jetzt freue ich mich auf weitere spannende Bücher von Rose Klay.