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Veröffentlicht am 28.03.2021

Hanebüchene Geschichte, die auch noch schlecht erzählt wird

Der Frauenchor von Chilbury
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Ich hatte mir von diesem Buch etwas in der Art von „Deine Juliet“ erwartet – zweiter Weltkrieg in England, eine Dorfgemeinschaft, verschiedene Schicksale, eine gute Balance zwischen heiter und berührend. ...

Ich hatte mir von diesem Buch etwas in der Art von „Deine Juliet“ erwartet – zweiter Weltkrieg in England, eine Dorfgemeinschaft, verschiedene Schicksale, eine gute Balance zwischen heiter und berührend. Die Geschichte wird ausschließlich durch Tagebuchauszüge, Briefe und Zeitungsausschnitte oder Bekanntmachungen erzählt. Eine interessante Methode, denn so lernen wir die Charaktere aus verschiedenen Blickwinkeln kennen. Allerdings klingen die diversen Erzähler alle ziemlich gleich, es gibt kaum Unterschiede in der Erzählstimme. Die Haupterzählerinnen sind die vornamenlose Mrs. Tilling – die gute Seele des Dorfes, die Schwestern Venetia und Kitty aus dem Herrenhaus und die Hebamme Edwina Paltry. Mrs. Tillings Tagebucheinträge waren letztlich fast die einzigen Passagen, die ich lesenswert fand, sowohl vom Stil wie auch von der Geschichte her. Hier findet sich der berührende Teil – die Angst der Mutter um ihren Sohn im Krieg, die Erlebnisse der Krankenschwester mit den Verwundeten, die Gründung des Frauenchors (der nur eine sehr geringe Rolle spielt), die Angst vor der deutschen Invasion und der Kriegsalltag.

Alle anderen Handlungsstränge sind dagegen fast überwiegend hanebüchen und übertrieben. Die Autorin hat sich von echten Aufzeichnungen inspirieren lassen, aber ich habe den Eindruck, sie hat sich die übertriebensten Geschichten ausgesucht und sie alle in dieses kleine Dorf gebracht, so dass den Charakteren die abstrusesten Dinge widerfahren. Es wird so viel Übertriebenes geschildert, gerade die Geschichte der Dorfhebamme wird nicht erst dann lächerlich, als man ihr sagt „Sie werden mit Ihrem Blut bezahlen“, also ob wir plötzlich in einen drittklassigen Krimi transportiert worden wären. Auch die eher alltäglichen Geschichten nehmen überzogene Wendungen. Das liegt nicht zuletzt an der extremen Gewaltbereitschaft, die in diesem Dorf herrscht. Da wird eine Tochter von ihrem Vater mit der Pferdepeitsche geprügelt, eine junge Frau von ihrem Verlobten zusammengeschlagen, eine kleine Messerstecherei plus Prügelei gibt es auch noch nebenbei – Chilbury scheint manchmal eher von Stephen King erdacht zu sein. Der Großteil der Charaktere ist unsympathisch und bösartig. So viele unangenehme Charaktere habe ich selten in einem Unterhaltungsroman erlebt.

Hinzu kommt der nicht gekonnte Schreibstil. Abgesehen davon, dass alle Erzählstimmen ähnlich sind, wird in allen Tagebüchern und Briefen romanartig erzählt, bis hin zur ausführlichen wörtlichen Rede. Es liest sich kaum wie Tagebücher oder Briefe. Dann gibt es plumpes Infodumping, wenn dem Gegenüber bekannte Informationen mit „Wie du weißt“ eingeläutet und dann ausführlich beschrieben werden. Die 13jährige Kitty schreibt von „unerfüllter Leidenschaft“ und ihrer „Verlobung“ und das keinesfalls auf die schwärmerische Art einer 13jährigen, weder klingt sie altersgemäß, noch verhält sie sich so. Die obligatorische Liebesgeschichte ist absolut vorhersehbar. Auch sonst ist alles meistens recht platt und ohne Raffinesse erzählt. Dazu kommt eine dicke Schicht Zuckerguß – natürlich gewinnt der Außenseiter unerwartet bei einem großen Wettbewerb, natürlich werden jahrelang gepflegte Vorurteile nach einem Erlebnis komplett abgelegt, natürlich ist am Ende alles gut, alle sind geläutert, alle Missverständnisse wurden geklärt. Die Schrecken des Krieges werden ab und zu erwähnt, aber auch hier bleibt alles irgendwie platt – es berührte mich kaum, ebenso wie die meisten Charaktere mich nicht berührten. Nichts wird gekonnt entwickelt oder vermittelt. Die Botschaft „jetzt ist die Zeit der starken Frauen“ wird uns dann wenig überraschend auch mehrfach mit dem Holzhammer und sicherheitshalber auch immer wieder direkt mitgeteilt.

Die wenigen guten Ansätze wurden also leider völlig erstickt, und warum dieses Buch (lt. Klappentext) ein „internationaler Bestseller“ sein soll, ist mir ein Rätsel.

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Veröffentlicht am 23.02.2021

Ein schöner Ansatz, aus dem wenig gemacht wurde

Die Bücherfrauen
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Die Geschichte des Buches hat mich gleich angesprochen: Kleinstadtamerika, die Liebe zu Büchern, ein Rückblick in die Geschichte der ersten Bibliotheken in Kansas. Es klang nach einer gelungenen Mischung ...

Die Geschichte des Buches hat mich gleich angesprochen: Kleinstadtamerika, die Liebe zu Büchern, ein Rückblick in die Geschichte der ersten Bibliotheken in Kansas. Es klang nach einer gelungenen Mischung für einen leichten, entspannten Wohlfühlroman. Der Einband ist auch wundervoll gestaltet, sowohl visuell wie auch haptisch. Er deutet ein wesentlich besseres Buch an, als das, was man dann bekommt.

Die Autorin hat lange Jahre in der Kulturförderung des Staates Kansas gearbeitet, weiß also, wovon sie spricht, wenn sie uns anschauliche Einblicke in die dortigen Bibliotheken und Kulturzentren bietet, die in einem Land, in dem das Recht auf Waffen relevanter ist als die Förderung von Bildung und Kultur, ständige Budgetprobleme haben und um ihr Bestehen kämpfen müssen. Die Schilderungen der Spendensammlungsaktivitäten sind interessant, auch die lokalen Informationen lesen sich unterhaltsam. Eine weitere erfreuliche Komponente sind die historischen Informationen über Andrew Carnegie, mir bislang nur als rücksichtsloser Geschäftsmann bekannt, der Anfang des 20. Jahrhunderts unzählige Bibliotheken finanziert hat. Insofern las ich den Anfang des Buches mit Vergnügen. Wir begleiten Angelina, die ihre Doktorarbeit über die Carnegie-Bibliotheken schreiben möchte und auch familiäre Bezüge zu der Kleinstadt hat, in die sie nun fährt. Hier hoffte ich auf eine lesenswerte Reise in die Kleinstadtgemeinschaft, die Geschichte der Bibliotheken und war auch gespannt auf die Geschichten der anderen beiden Protagonistinnen.

Diese Hoffnung wurde leider enttäuscht. Alle drei Hauptcharaktere, Angelina, Traci und Gayle, berichten als Ich-Erzählerinnen. Es gibt keine Unterschiede in ihrer Sprache, sie klingen alle drei gleich. Dies ist schon das erste Anzeichen dafür, dass die Autorin nicht über literarisches Können verfügt. Gayle bleibt zudem das ganze Buch hindurch blass, ihre Abschnitte sind wesentlich kürzer als die der anderen beiden und sie trägt so wenig zur Geschichte bei, dass sie auch einer der zahlreichen austauschbaren Nebencharaktere sein könnte. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil ihre Geschichte – ihre Stadt wird durch einen Tornado zerstört – eigentlich neben Angelinas Dissertation der Aufhänger des Buches und des Klappentextes ist. Das Thema kommt aber dann so gut wie gar nicht vor und wurde völlig verschenkt. Es scheint oft, als ob die Autorin sich nicht für ein Thema entscheiden konnte, sie packt alles mögliche ungeordnet in das Buch hinein, erzählt ohne roten Faden. Hätte sie sich auf ihre Kernthemen konzentriert und diese mit ein wenig Tiefe behandelt, wäre es ein tolles Buch geworden. Hätte sie ihre mehreren kleinen Geschichten so gut verknüpft, dass diese ein harmonisches Ganzes ergeben hätten, wäre es ebenfalls ein tolles Buch geworden. Hier schlägt aber das mangelnde literarische Können wieder zu. Das Buch verzettelt sich in seinen Geschichtchen und Charakteren. Eine Nebenperson wird ausgiebig eingeführt und taucht dann nur noch als Name wieder auf. Irrelevante Kleinigkeiten werden detailliert geschildert, wichtige Themen mit der Seichtigkeit einer Vorabendserie abgefrühstückt. Das paßt alles nicht zusammen.

Eine Grundregel guten Schreibens ist „Zeigen, nicht erzählen.“ Diese Grundregel wird hier unablässig gebrochen. Angelina und Traci begegnen sich kaum, wechseln ein paar Sätze miteinander und plötzlich erklärt uns die Autorin durch Traci, dass zwischen den beiden die tiefste innigste Freundschaft bestehe. Man liest es und wundert sich. Auch Liebesbeziehungen entstehen aus dem Nichts. Da wird dem Leser eben mitgeteilt, dass sich diese Leute umgehend verliebt haben. Nachvollziehbar ist das alles nicht. Nachvollziehbar sind auch die Zeitangaben nicht. Das Buch beginnt mit einem Zeitungsausschnitt, der zeigt, dass es 2008 spielt. Plötzlich aber wird – im gleichen Sommer – der 40. Geburtstag einer 1971 geborenen Person gefeiert. Im Jahre 2008? Viele Altersangaben wirken generell wenig plausibel.

Auch die Übersetzung ist kein Glanzstück und enthält grobe Schnitzer. Da wird „it touched me“ mit „es fasste mich an“ anstelle von „es rührte mich“ übersetzt. Ein markanter Ausguck wird zu einem prominenten Ausguck, weil das englische Wort „prominent“ falsch übersetzt wurde. „Imagine“ wird zu „imaginieren“, was wenigstens nicht falsch, aber dafür schlecht übersetzt ist. Ich habe hier sehr oft den Kopf geschüttelt.

Das Ende des Buches wird mit einer dicken Schicht aus quietschrosa Zuckerguss überdeckt – ein überzogenes Happy End folgt dem nächsten. Hier wird dermaßen übertrieben, dass es schon albern ist. Der Aufhänger des Buches wird dann noch rasch und knapp abgehandelt und hätte ein schönes Ende ergeben, wenn es nicht so nebenbei – und unrealistisch – geschehen wäre. So war das Buch leider eine Enttäuschung, insbesondere weil aus dieser Geschichte so viel hätte gemacht werden können. Es ist nämlich nicht per se ein schlechtes Buch. Immer, wenn es sich den Kernthemen zuwendet, ist es erfreulich, die lokalen und geschichtlichen Informationen (die viel zu kurz kommen) sind absolut lesenswert, auch die Kulturarbeit und die Symbolik des Quiltens passen gut ins Buch. Nur werden diese positiven Punkte durch zu viele Kritikpunkte überdeckt. Schade.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Leider fehlt die Raffinesse

Sieben Lügen
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Der Klappentext hat mich auf dieses Buch sehr neugierig gemacht – Jane und Marnie, die besten Freundinnen, nur Jane mag Marnies Partner nicht. Das alleine bietet schon eine Menge Potential. Dann versichert ...

Der Klappentext hat mich auf dieses Buch sehr neugierig gemacht – Jane und Marnie, die besten Freundinnen, nur Jane mag Marnies Partner nicht. Das alleine bietet schon eine Menge Potential. Dann versichert Jane Marnie auch noch entgegen ihrer Überzeugung, daß diese mit ihrem Partner hervorragend zusammenpaßt und: „eine Lüge zieht bekanntlich weitere nach sich, und schon bald ist das Verhältnis der drei unwiederbringlich vergiftet“. Ich hatte mir einen ausgefeilten Psychothriller vorgestellt, der diese unheilvolle Dreierkonstellation spannend betrachtet und nach und nach Abgründe aufzeigt. Dem war aber leider nicht so.

Eigentlich beginnt das Buch gut – man ist sofort in der Geschichte drin, wir lernen Jane, Marnie und ihren Partner Charles kennen und es deutet sich in gewissen Zwischentönen schon an, daß es hier Probleme gibt. Jane berichtet die Geschichte aus ihrer Sicht, die natürlich stark subjektiv gefärbt ist. Das ist ein cleverer Schachzug, weil wir somit nie sicher sein können, ob das, was Jane uns berichtet, auch der Wahrheit entspricht, insbesondere da Jane öfter erklärt, es mit der Wahrheit generell nicht so genau zu nehmen. Es zeigt sich recht schnell, daß Jane in allen möglichen Dingen auf der Schattenseite des Lebens steht und ihr die Freundschaft zu Marnie ausgesprochen wichtig ist – Marnie dagegen scheint Jane ein wenig auf Abstand zu halten. Marnies Charakter fand ich von Anfang an ausgesprochen interessant, weil sich hinter der sonnigen, freundlichen Fassade einiges zu verbergen scheint. Ich war hier sehr gespannt, was wir dazu noch erfahren werden und auch bei Charles konnte man sich nicht sicher sein, ob Janes Abneigung begründet ist, oder nicht. Es stellten sich also zu Beginn viele Fragen, die gelungen die Spannung hoben und auf deren Auflösung oder tiefere Erforschung ich mich schon sehr freute. Hier war die Grundlage für herrlich raffinierte Betrachtungen gelegt.

Leider wurde dieses Potential dann nicht genutzt. Schon recht bald nach diesem tollen Einstieg wird es recht zäh, da Jane ausgesprochen gerne reminisziert. Dadurch erfahren wir zwar einige Dinge über ihren Charakter, das aber viel zu ausführlich und langatmig. Auch daß ihr bis zum Ende des Buches ein heftiger Schicksalsschlag nach dem anderen vor die Füße geworfen wird, fand ich übertrieben. Sie wird uns mit dem Holzhammer erklärt (wie sie uns auch mit dem Holzhammer immer wieder von ihrer mangelnden Wahrheitsliebe erzählt). Neben dem Reminiszieren sinniert sie auch gerne und so lesen wir zwei Seiten über die Bedeutung von Weihnachten, lange Passagen über den Herbst, Allgemeinplätze über Trauer. Der Schreibstil an sich ist in Ordnung, nicht herausragend, mit ein paar ziemlich holprigen Szenen, er liest sich insgesamt recht eindruckslos-einfach weg. Die Autorin mag Beispiele und nutzt diese sehr häufig – wo es ein Beispiel getan hätte, stehen meistens fünf. Diese mangelnde Subtilität zieht sich leider durch das gesamte Buch. Raffiniert aufgedeckt wird hier nichts. Letztlich gibt es keine wirklich Abgründe, wir erfahren nichts wesentlich Neues, sondern ein Großteil des Buches besteht darin, uns die bereits bekannten Seiten von Jane und Marnie immer wieder an neuen Beispielen zu schildern, ohne uns irgendwas aufzudecken, das wir nicht schon wissen.

Zwar ist es durchaus interessant, weitere Facetten dieser Freundschaft zu erfahren, auch wenn sie nichts wirklich Neues bringen, nur liegt der Fokus des Buches dann auch leider oft auf weniger relevanten Themen. Charaktere werden umfangreich eingeführt und beschrieben, nur um dann nie wieder oder nur noch in ein paar Nebensätzen aufzutauchen. Ein ziemlich überflüssiger Handlungsstrang taucht plötzlich auf, nimmt viel Raum ein und verpufft schließlich einfach. Viele Dinge sind schlichtweg nicht plausibel und eine Szene war so absurd, daß ich mich verulkt fühlte. Einige Fakten erscheinen unglaubwürdig und die Entwicklung zwischen Jane und Charles endet ziemlich plump und auch hier wieder: es ist nicht plausibel.

Raffiniert ist hier leider nichts, ausgefeilt auch nicht. Diese Geschichte einer ungleichen Freundschaft und ihrer Folgen wurde schon oft in Büchern und Filmen erzählt – meistens leider besser als hier. So kann man das Buch als Zwischendurch-Unterhaltung leicht weglesen und sich an einigen gelungeneren Passagen und Gedanken erfreuen, mehr aber leider nicht.

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Veröffentlicht am 19.01.2020

Knapp, unspektakulär, hinterläßt keinen bleibenden Eindruck

Die Rohrleiche von Graben 13
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Laut Untertitel sind in diesem Buch "die spektakulärsten Kriminalfälle der DDR 1973 - 1988" versammelt. Dieses effektheischerische Versprechen wird nicht unbedingt erfüllt - jedenfalls habe ich mich bei ...

Laut Untertitel sind in diesem Buch "die spektakulärsten Kriminalfälle der DDR 1973 - 1988" versammelt. Dieses effektheischerische Versprechen wird nicht unbedingt erfüllt - jedenfalls habe ich mich bei dem Großteil der Fälle gewundert, warum sie in das Buch aufgenommen wurden.

Viele der Fälle sind ungelöst und erschöpfen sich in einer knappen Erzählung eines Mordes, der Ermittlungen und dem Fazit, daß der Fall ungelöst sei, später ohne Ergebnis noch einmal aufgenommen wurde. Das ist oft so knapp - lieblos - erzählt, daß ich nachsah, ob ich irgendeinen Teil übersehen hatte. Viele der Fälle haben auch nichts, was sie in irgendeiner Weise auszeichnet - natürlich sind es Morde, die schon per se bestürzen und furchtbar sind. Aber eine Sammlung von Kriminalfällen berichtet von Fällen, die in irgendeiner Weise auffallen - sei es durch besonders ausgeklügelte Ermittlungen, einen ungewöhnlichen Tathergang, politische oder geschichtliche Besonderheiten oder ähnlichem. Hier besteht der Großteil der Fälle aus "eine Leiche wird gefunden, es wird ermittelt, der Fall ist ungelöst, der Fall wird neu aufgerollt, ohne Ergebnis" - 3-4 Buchseiten reichen dafür oft aus.

Nur selten gelingt es dem Autor, einem die beteiligten Personen nahezubringen. Wenn ich dies mit anderen Büchern zu Kriminalfällen aus der DDR vergleiche (die vereinzelt sogar die gleichen Fälle enthalten, so daß man die Erzählweise besonders gut vergleichen kann), ist es eine Enttäuschung, da hier meistens alles so blaß bleibt. Es gibt ein paar Ausnahmen, die ausführlicher berichtet werden und auch auf Opfer, Täter und/oder Motive besser eingehen, doch sind sie leider die Ausnahme.

Positiv hervorzuheben sind die verwendeten Abbildungen und die Zitate aus Zeugenaussagen, sowie die in manchen Fällen erfolgte Aktualisierung. Insgesamt aber hinterläßt das - deftig bepreiste - Büchlein leider keinen weiteren Eindruck. Hier gibt es viele wesentlich besser geschriebene und ausgewählte Fallsammlungen.

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Veröffentlicht am 31.10.2019

Belanglos vor sich hinplätscherndes Sittengemälde

Agnes Grey
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"Agnes Grey" beruht auf eigenen Erfahrungen der Autorin Anne Bronte, die fünf Jahre als Erzieherin arbeitete. Das Buch ist, wie auch der von ihrer Schwester geschriebene berühmte Roman "Jane Eyre", in ...

"Agnes Grey" beruht auf eigenen Erfahrungen der Autorin Anne Bronte, die fünf Jahre als Erzieherin arbeitete. Das Buch ist, wie auch der von ihrer Schwester geschriebene berühmte Roman "Jane Eyre", in der Ich-Form gehalten, und auch hier geht es zu einem Großteil um eine junge Frau, die ihren Lebensunterhalt als Erzieherin verdient. Allerdings kann "Agnes Grey" mit "Jane Eyre" keinesfalls mithalten.

Die Geschichte plätschert dahin, der Schreibstil ist nicht bemerkenswert, liest sich recht einfach weg. Auch das Geschehen kommt ohne Überraschungen aus - nach etwa einem Drittel weiß man, wie es enden wird. Der Weg dahin ist für den Leser manchmal ein wenig mühselig, denn abgesehen vom bereits erwähnten Dahinplätschern mit zahlreichen sich ähnelnden Szenen gibt es immer wieder moralisierende oder theoretische Einschübe, die sich nicht interessant lesen. Agnes Grey betrachtet die Welt um sich herum ziemlich moralinsauer und während sie - zu Recht - tadelt, daß sie als Erzieherin wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird, blickt sie auf die wohlhabenden Menschen ebenfalls manchmal herab.

Die zwei Familien, bei denen sie arbeitet, sind ähnlich geschildert: die Kinder/Jugendlichen selbstsüchtig, unerziehbar, gedankenlos. Gerade für die kleineren Kinder der ersten Familie scheint der Ausdruck "Kackbratzen" geradezu erfunden worden zu sein. Die detailliert geschilderten geplanten und durchgeführten Tierquälereien dieser Kinder mußte ich überschlagen. In der zweiten Familie sind die jugendlichen Töchter ein klein wenig differenzierter geschildert, aber die Grundsituation in beiden Familien ähnelt sich dahingehend, daß die duldsame Agnes ungerecht behandelt wird, die Kinder/Jugendlichen machen, was sie wollen und die Mütter ihre Kinder für das strahlende Gold der Erde halten. Das brachte immerhin die interessante Erkenntnis, daß es auch schon im früheren 19. Jahrhundert die damalige Version der heutigen Latte-Macchiato-Mütter gab.

Unterhaltsam zu lesen ist die Beschreibung von Agnes' Elternhaus, der ungewöhnlichen Beziehung der Eltern, der formidablen Mutter, die mir von allen Charakteren am besten gefallen hat. Auch einige der Entwicklungen um Agnes' älteste Schülerin, die heiratet, um Titel und Anwesen zu erlangen, unterstützt von ihrer Mutter, und dann natürlich feststellt, daß Geld und Prunk nicht alles ist, bringt ein wenig Würze in die Geschichte.

Letztlich aber ist die Geschichte blaß, fesselt nicht, bleibt nicht sonderlich im Gedächtnis. Als etwas belangloses Sittengemälde Englands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts taugt es allemal.