Das erste Hörbuch von Julia Engelmann überzeugte mich durch tolle, ehrliche Texte über Normen, Selbstfindung, Arbeit, Freundschaft und Co. Daraufhin war ich natürlich sehr neugierig auf die zweite Hörbuchausgabe ihrer Poetry Slam-Texte. Und auch diese konnte mich mitreißen, überzeugen und langfristig zum Nachdenken bringen.
„Gerade lebe ich zwei Leben. Eins ist echt, eins Fantasie.“ [Erster Satz]
Schon der Einstieg versprach die literarische Außeinandersetzung mit dem Leben und dessen Anforderungen sowie eventuelle Wünsche und Ideale.
Auch geht es diesmal um die Liebe, Hoffnung, und gleichzeitig Enttäuschung. Um die eigene Stärke und das Selbstbewusstsein, ebenso um Verzweiflung.
„Sag mir, dass du Kopf stehst, um für mich die Welt zu tragen.“
„Denn außer meiner Sprache protzt und schillert hier sonst gar nichts.“
Teilweise übertrugen sich Emotionen durch Julias wortgewaltige Sprache auf mich, sodass ich mit ihr wütend, traurig und enttäuscht war, aber auch wieder Hoffnung schöpfte. Ich gewann gemeinsam mit ihr Klarheit und Willensstärke.
Ich konnte mich gut in sie hineinversetzen, auch, wenn ich nicht über die genauen Hintergründe der angedeuteten Inhalte bescheid wusste.
„Schluss mit dem Elend, der Haufen kommt weg. […]
ist das Ende vom Ende auch immer ein Start.
Ab jetzt geht’s bergauf. Weiter geht’s nicht bergab.“
Besonders gelungen fand ich, dass manche Passagen refrainartig wiederholt wurden, und zum Teil einen Rahmen bildeten, indem Julia sie am Anfang sowie am Ende erwähnte.
Schmunzeln, aber auch grübeln musste ich vor allem während des 7. Titels Neue Bestandsaufahme, in der Julia darüber berichtete, was sie nicht kann, darüber was sie kann, und darüber was sie kann, aber nicht will.
Einerseits wurde deutlich, dass es einiges gibt, was sie nicht kann. Trotzdem wirkte dies auf mich persönlich nicht ausschließlich negativ (keinen Ball fangen können), sondern auch positiv und ressourcenstark (nicht verbergen können, was man denkt; nicht verstehen können, warum jemand gemein ist oder angibt; Lügen nicht ertragen können).
Julia reflektierte sich selbst, mit Blick auf die Vergangenheit und Auswirkungen auf die Zukunft. Dies wirkte melancholisch und träumerisch, teilweise auch sehnsüchtig.
Sie war schonungslos ehrlich, wodurch eine angenehme Atmosphäre entstand, die dafür sorgte, dass ich das Gefühl hatte, mit einer Freundin zusammenzusitzen, die über sich und das Leben philosophierte. Gedanklich habe ich ziemlich oft geantwortet und zugestimmt.
„Mir reicht kein kleines Müsli, davon werde ich nicht satt.
Manchmal wäre ich gerne schöner, aber das hat keinen Zweck.
Ich bin kein Modelmädchen, ich bin anders, unperfekt.“
Der Titel Familie hat mich mit den mir zwar fremden, aber trotzdem schönen Insidern und den hervorragend rübergebrachten Emotionen sehr beeindruckt und gerührt. Ich denke, fast jeder kann nachvollziehen, was das System Familie bedeutet oder bedeuten könnte und fühlt sich dadurch „heimisch“ beim Hören des Titels. Auch löste es ein Gefühl der Geborgenheit aus sowie die Intention, engen Familienmitgliedern eine nette Nachricht zu schicken, um ihnen ebenfalls zu sagen:
„Hab ich euch heute schon gesagt wie gerne ich euch mag?
Ihr seid der Freundeskreis, den ich am allerlängsten hab.
Ihr seid mein Zuhause, ihr seid meine große Liebe […].“
Ich könnte ewig so weitermachen und beschreiben, was die einzelnen Titel in mir ausgelöst haben. Jedoch möchte ich natürlich nicht zuviel vorweg nehmen.
Lasst ihre Texte lieber selber auf euch wirken! Es lohnt sich…
Fazit:
Auch Wir können alles sein, Baby hat mich gänzlich überzeugt. Es war ein Genuss und eine Freude, Julia beim Vorlesen ihrer Texte zu lauschen und mit ihr auf die Reise zu gehen. Eine Reise durch Bereiche des Lebens mit vielen, verschiedenen Facetten und Aspekten. Emotional, wortgewaltig, schonungslos ehrlich.