Commissario mit Utopie
Commissario Antonio Morello, Spitzname „Der freie Hund“, neuer Leiter der Abteilung für Gewaltverbrechen in Venedig, wird von den Kollegen nicht gerade warm empfangen. Vorurteile gegen Süditaliener, Misstrauen ...
Commissario Antonio Morello, Spitzname „Der freie Hund“, neuer Leiter der Abteilung für Gewaltverbrechen in Venedig, wird von den Kollegen nicht gerade warm empfangen. Vorurteile gegen Süditaliener, Misstrauen wegen seiner geheimnisvollen Versetzung von Sizilien in den Norden und Neid schlagen ihm entgegen. Auch Morello ist nicht begeistert, erscheint ihm doch die angeblich „schönste Stadt der Welt“ eher wie Dantes Inferno, „stinkig, kalt, nass und unfreundlich“. Er ist nicht freiwillig hierhergekommen, vielmehr dient die Maßnahme zumindest vorgeblich seinem Schutz, denn er hat mehr als 40 Mafiosi in den Knast gebracht, Bande zwischen der Cosa Nostra und der Politik aufgedeckt, privat bitter bezahlt und „steht auf der Todesliste von halb Cefalù und ganz Palermo“.
Der erste Mordfall
Beginnt sein erster Arbeitstag noch mit einem vergleichsweise harmlosen Taschendieb, so gibt es am zweiten bereits eine Leiche. Der Student Francesco Grittieri aus reicher venezianischer Familie, einer der Gründer des Studentenkomitees „Studenti contro navi da crociera“ wurde mit zahlreichen Messerstichen getötet. Dass er sich gegen die Kreuzfahrtschiffe im Herzen Venedigs, und gegen den Massentourismus engagierte, passte nicht jedem. Seine Familie, mit der er im Streit lag, ist Teilhaberin der Hafengesellschaft, Hafenarbeiter fürchten um ihre Jobs. Seine Freundin war krankhaft eifersüchtig, sein bester Freund zugleich Rivale in Liebesangelegenheiten und in der Führung der Protestbewegung. Die neuen Kollegen halten Moretti für paranoid und zwangsneurotisch, als er hauptsächlich in Richtung der Hafengesellschaft und der Familie Grittieri ermittelt und sogar seinen „Mafiaspleen“ auslebt – wo es doch nach ihrer Ansicht in Venedig zwar Korruption, aber keine ehrenwerte Gesellschaft gibt…
Noch nicht ganz rund
Das Autorenduo Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo verfolgt Commissario Morellos 17 erste Tage an neuer Wirkungsstätte und mischt den Kriminalfall mit viel venezianischer Geografie und Architektur, aktuellen politischen und ökologischen Problemen der Stadt, der Küche sowohl Venedigs als auch Siziliens, einer Liebesgeschichte und den Verflechtungen zwischen Mafia und Politik. Leider bleibt gerade Letzteres sehr an der Oberfläche und Morettis Monologe zu diesem Thema erschienen mir seltsam distanziert, obwohl er doch für seine Utopie, den Sieg über die Mafia, angeblich brennt. Dass die Investigativjournalistin und Mafia-Expertin Petra Reski ihre Nennung in der Danksagung gerichtlich untersagen ließ, stimmt mich ebenfalls nachdenklich. Der Fall des ermordeten Studenten tritt immer wieder sehr in den Hintergrund und konnte mich nicht so packen, wie ich es erwartet hatte, zumal relativ schnell klar war, worauf die Auflösung schließlich hinauslaufen würde. Überzeugt hat mich dann allerdings der Showdown, als es so richtig spannend und dramatisch wurde – mit einer gut eingefädelten, unerwarteten Wendung. Sprachlich eher einfach, hat das Buch mit den Seitenzahlen am jeweils äußeren Rand und der Coppola, Morellos geliebter Schiebermütze, als Trennung zwischen den Abschnitten ein originelles Layout, ist aber durch den Druck bis weit nach innen nur mit Kraft offen zu halten, was das Lesen erschwert.
Auch wenn mich dieser erste Fall Morellos in Venedig noch nicht überzeugen konnte, würde ich der Reihe vor allem wegen der interessanten Ermittlergruppe noch eine Chance geben, nun, wo sich das Team endlich zusammenzuraufen scheint.