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Veröffentlicht am 12.03.2020

So trostlos wie berauschend, so bedrückend wie überwältigend

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
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Im Jahr 1901 schreibt die erst neunzehnjährige Mary MacLane ihre „Darstellung“, die damals für eine literarische Sensation sorgte. In Tagebuchform zelebriert sie ihr unsägliches Leiden: als Genie und Philosophin ...

Im Jahr 1901 schreibt die erst neunzehnjährige Mary MacLane ihre „Darstellung“, die damals für eine literarische Sensation sorgte. In Tagebuchform zelebriert sie ihr unsägliches Leiden: als Genie und Philosophin dazu verdammt zu sein, nichts weiter zu tun zu haben als zu warten. Also wartet sie. Nämlich auf die Ankunft des Teufels.
Die Gegend, die sie denkend und wahrnehmend durchstreift, ist öde und sandig. Das ist dem Kupferabbau geschuldet, der die Region um die Stadt Butte in Montana verbraucht und vergiftet hat. Beinahe macht es den Eindruck, als spiegele sich diese durch skrupellose Ausbeutung entstandene Landschaft in MacLanes Seele.
Provokant kokettiert sie mit dem Bösen in ihrem Charakter, bezeichnet sich als Lügnerin und Diebin, bekennt sich zu einer lesbischen Liebe und offenbart ihre mannigfachen Formen der Verachtung in Bezug auf beinahe alle übrigen Menschen. Bedingungslos möchte sie sich dem Teufel unterwerfen.
Dieses Anklagen, Jammern, Hadern über das Nichts, das sie umgibt, verbunden mit einer pathetischen Selbsterhöhung, beides in selten durchbrochenen Wiederholungen, könnte die Lektüre ziemlich unerfreulich gestalten. Wären da nicht die Originalität, der Mut, die kraftvolle Sprache und die faszinierenden Bilder. Immer geht es dabei um sie: ihre Spaziergänge, ihre Art, eine Olive zu essen, ihren jungen Frauenkörper, ihre Verliebtsein in die Anemonendame, ihr Verliebtsein in Napoleon. Ihre unendliche Müdigkeit, die Kälte ihrer Mutter, ihre Einsamkeit, ihre Sehnsucht nach Liebe. Sehnsucht nach Leidenschaft, die dem Streifen roten Himmels bei Sonnenuntergang entspricht.
So trostlos wie berauschend, so bedrückend wie überwältigend erscheint Marys Welt.
Das Nachwort der Lektorin Ann Cotten und ein Beitrag von Juliane Liebert mit informativen und wissenswerten Fakten zu Autorin und ihrem Kontext schenken diesem bedeutsamen, etwas anstrengenden Buch eine adäquate Bereicherung.

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Veröffentlicht am 05.03.2020

Mord und Holland - ein toller Auftakt!

Mord auf Vlieland
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Auf der niederländischen Insel Vlieland verfängt sich ein Toter in den Spanten eines Schiffswracks. Es handelt sich um einen wichtigen, ortsbekannten Geschäftsmann, der vorhatte, ein neues, durchaus umstrittenes ...

Auf der niederländischen Insel Vlieland verfängt sich ein Toter in den Spanten eines Schiffswracks. Es handelt sich um einen wichtigen, ortsbekannten Geschäftsmann, der vorhatte, ein neues, durchaus umstrittenes Hotelprojekt zu realisieren.
Jan Jacobs gelingt es in diesem ersten Band seiner holländischen Krimireihe hervorragend, die besondere Atmosphäre der Insel und seiner Bewohner zu transportieren. Als besonderen Kniff streut er eine Menge holländischer Begriffe ein. Hilfreich sind auch die stimmungsvollen Landschafts- und Wetterbeschreibungen, sowie die regionale Verbundenheit, die einige Charaktere ausstrahlen.
Commissaris Griet Gerritsen ist neu auf Vlieland. Nach längerer Pause steigt sie von neuem in die Polizeiarbeit ein, wird sogleich mit einem Mord konfrontiert, einem unangenehmen Vorgesetzten, der ihr klar macht, dass er sie am liebsten gleich wieder los wäre, und ihren beiden etwas speziellen Mitarbeitern. Zum einen ist das die unerfahrene, übereifrige Noemi, zum anderen Pieter, behäbig, essbegeistert und wesentlich scharfsinniger, als man anfangs vermutet.
Während die Ermittlungen voranschreiten, erfährt man einiges von Griets Hintergrund. Ihrem Partner, den sie bei einem Einsatz verlor, der Tochter, die bei ihrem Exmann lebt, dem Vater, der ihr ein Plattbodenschiff vererbt hat, auf dem sie nun wohnt. Das ist dezent eingebettet in die eigentliche Geschichte und verleiht ihr Tiefe und Authentizität.
Der Fall erweist sich als komplex und vielschichtig und führt möglicherweise weit in die Vergangenheit zurück. Die Verhältnisse der Familie des Opfers müssen genau erforscht, sämtliche Verbindungen und mögliche Motive durchleuchtet werden. Eine Herausforderung für ein Team, das sich gerade erst aus so unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen gesetzt hat.
An manchen Stellen gerät der ansonsten flott und unterhaltsam geschriebene Krimi etwas ins Stocken. Etwa wenn die Erklärungen der Polzeistruktur zu ausführlich werden. Auch die gelegentliche Unprofessionalität von Griet und co. nagen ein wenig an der Lesefreude. Darüber hinaus erscheint die Moral der Ermittler am Ende doch leicht fragwürdig.
Alles in allem kommen hier aber besonders Hollandfans und Bewunderer gelungener Konstruktionen auf ihre Kosten und dürfen sich schon einmal auf die Fortsetzung freuen.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Acht Mal Mattias

Nach Mattias
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Acht Personen kommen zu Wort. Sie sprechen über sich, ihre Lebenssituationen, über Mattias, die Lücke, die er hinterlässt, nun, da er nicht mehr bei ihnen ist.

Wer war Mattias? Wie war er? Was geschah? ...

Acht Personen kommen zu Wort. Sie sprechen über sich, ihre Lebenssituationen, über Mattias, die Lücke, die er hinterlässt, nun, da er nicht mehr bei ihnen ist.

Wer war Mattias? Wie war er? Was geschah? Den Antworten auf diese und andere Fragen nähert man sich stückchenweise an. Noch ist er sehr präsent, genau seine Abwesenheit rückt ihn in den Fokus.
Jeder der acht, Partnerin, Mutter, Freund und andere, stand in einem anderen Verhältnis zu ihm, jeder erzählt auf seine Weise, meistens, nicht immer, in Ichform. Von früher, von jetzt, zwischen Alltägliches mischen sich auf eigenartig verhaltene Weise Trauer, Wut, Trotz, manchmal Dankbarkeit. Und immer wieder das Gefühl von Verlust.
Doch Peter Zantingh geht es in erster Linie nicht um Darstellung von Verlustschmerz oder gar um Hilfe zur Bewältigung. Vielmehr will er aufzeigen, wo der Mangel hinführen, welche Veränderung er in Gang setzen kann. Und vor allem will er all die Puzzleteile, die manchmal wie beiläufig abgelegt werden, zusammenführen zu einem Bild, einem sehr unvollständigen Bild, das dennoch einen Eindruck zu vermitteln vermag von dem Menschen, der nun fehlt.
Dabei benutzt er eine Sprache, die gleichermaßen sachlich wie poetisch ist, durch diese Sachlichkeit beinahe unterkühlt wirkt und starke Emotionen gut zwischen den Zeilen verbirgt. Das erfordert aufmerksames Lesen, die Worte wollen bewusst wahrgenommen, die Essenz sorgsam ausgesiebt werden. Über einzelne Sätze kann sinniert werden, wenn sie so viel mehr ausdrücken, als eigentlich in einen einzelnen Satz passt.
Trotz dieser Genialität - oder gerade wegen? - bleibt der Roman seltsam fern. Die Gefühle erscheinen selten direkt, sondern gefiltert durch einen hohen Anspruch: über die deskriptive Wahrnehmung seiner Personen eine innere Welt zu bauen, zu der Mattias nun geworden ist.

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Veröffentlicht am 28.03.2022

Frischer, trotz des pikanten Themas eher belangloser Frauenroman

Offen für alles
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Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia ...

Wie schon das Cover suggeriert, handelt es sich hier um einen leichten, frischen Frauenroman, der sich allerdings an ein außergewöhnliches Thema wagt: Nach einer Unterhaltung mit ihrer Freundin Claudia erkennt Viviane, dass in ihrer langjährigen Ehe der Sex kaum noch eine Rolle spielt. Um daran etwas zu ändern, schlägt sie ihrem Mann vor, ihre Ehe zu öffnen und andere Beziehungen einzugehen.
Neben Viviane und ihrem Mann Karl begegnen wir noch Claudia und Diego sowie der schwangeren Elena. Viviane und Karl gehen sehr offen und zunächst auch gnadenlos ehrlich miteinander um. Ob es ihnen gelingt, mit neuen Plänen mehr Pep in ihren Alltag zu bringen? Claudia und Diego hingegen hüten Geheimnisse voreinander. Aber was, wenn diese ans Tageslicht gelangen? Elena plagt sich mit dem fürsorglichen, aber äußerst übergriffigen Simon herum. Ob sie den wirklich braucht?
Im Großen und Ganzen gelingt es Autorin Lilly Blank recht gut, ihren Figuren Leben einzuhauchen (Diego gerät etwas blass, in manchen Situationen fehlt auch ein Stückchen Glaubwürdigkeit). Was sie ganz zweifelsohne wunderbar hinkriegt, ist ein heikles, erotisches Thema locker und augenzwinkernd zu verpacken und mit viel Situationskomik zu würzen. Das liest sich beinahe von alleine.
Doch so gern man die Personen in ihren Entwicklungen begleitet, so bleibt doch ein erhofftes tieferes Nachdenken über alternative Lebens- und Liebesweisen aus. Auch wenn viele Möglichkeiten angedacht und angetestet werden, so wirkt alles ein wenig seicht und oberflächlich. Wie seicht und oberflächlich es im Roman tatsächlich zugeht, offenbart sich auf den letzten gefühlt hundert Seiten. Da kommt es zu einem Happyend, das länger und glücklicher kaum möglich ist. Heile Welt zu stark dosiert.
Also doch leider nur ein flüssig zu lesender, unterhaltsamer Roman. Mehr nicht.

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Veröffentlicht am 01.02.2022

Wie wichtig ist Stadt für unsere Zukunft

Stadt, Land, Klima
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Gernot Wagners Buch „Stadt Land Klima“ ist eine Liebeserklärung an die Stadt. An das Leben darin. Und letztendlich auch an ihre (typischen) Bewohner.
Er belegt mit zahlreichen Beispielen und anhand vieler ...

Gernot Wagners Buch „Stadt Land Klima“ ist eine Liebeserklärung an die Stadt. An das Leben darin. Und letztendlich auch an ihre (typischen) Bewohner.
Er belegt mit zahlreichen Beispielen und anhand vieler Studien die Vorteile sowohl ökonomischer als auch ökologischer Art. Vernetzungen schaffen Möglichkeiten, die andernorts versagt bleiben. Als besonders offensichtliches Beispiel wählt er gerne den verkehrstechnischen Bereich, wo zugunsten von Bahn, Bus oder Fahrrad auf das Auto verzichtet werden kann. Doch Wagner geht viel weiter: Als Ort der Innovation ist die Stadt impulsgebend für die Zukunft. Änderungen und Verbesserungen finden von hier den Weg in die Zukunft, als Idee und Lebenseinstellung kann sie sogar unabhängig von realen Städten existieren.
Nicht alles lässt sich so ganz leicht verstehen. Manchmal ergibt sich der Eindruck, einen akademischen klimaökologischen Vortrag bewältigen zu müssen. Dann wieder schwenkt der Autor zum gefühlt hundertsten Mal auf die Vorzüge der siebzig Quadratmeter Wohnfläche um, die er mit seiner Familie in New York bewohnt. Doch zwischen Überforderung und Langeweile lassen sich viele spannende Thesen und Fakten entdecken.
Als Gegenstück zum urbanen Leben in ökologischer und soziologischer Hinsicht sieht er übrigens keineswegs das Leben auf dem Land, sondern das in den Vororten. Wegen der Notwendigkeit des Pendelns und der Erschwinglichkeit größerer Wohnflächen wird hier pro Kopf das meiste CO2 produziert. Immer noch sorgen falsche politische Entscheidungen dafür, dass diese Zonen weiter wachsen und für ständig fortschreitende Bodenversiegelung sorgen.
Sicherlich hat Wagner recht mit der Behauptung, dass das Stadtleben eine hohe Effizienz besitzt, dass auf Grund dieser Effizienz viel Energie gespart wird und somit die Ökobilanz signifikant besser ausfällt als im sogenannten Suburbia.
Ob es allerdings tatsächlich derart viele persönliche Vorteile bietet wie beschrieben, kann eigentlich auf Anhieb nur Beistimmung finden, wenn der Idealfall angenommen und sämtliche Nachteile, wie etwa Kriminalität, Lichtverschmutzung, Lärmbelästigung u.a., ausgeklammert werden.
Die Lektüre lohnt sich dennoch, insbesondere für Menschen, die interessante Denkanstöße zu schätzen wissen.

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