Ein spannendes Mysterium wird aufgedröselt.
Das Dorf der toten Seelen„Kind von…“ ist immer schwierig. Naja, fast immer. Im Falle von Joe Hill würde es mich beispielsweise nicht wundern, wenn jener es schafft, in Sachen Erfolg und Ruhm am Ende seines Lebens mit seinem Vater ...
„Kind von…“ ist immer schwierig. Naja, fast immer. Im Falle von Joe Hill würde es mich beispielsweise nicht wundern, wenn jener es schafft, in Sachen Erfolg und Ruhm am Ende seines Lebens mit seinem Vater gleichgezogen zu haben, und ganz allgemein scheinen die King-Kinder zu beweisen, dass Schreibtalent durchaus vererbbar ist.
In diesem Fall weiß ich gar nicht, wann ich dereinst ein Buch von Viveca Sten gelesen habe oder ob ich das überhaupt je getan habe? Ich meine ja, würde es aber nicht beschwören. Aber ein Blick auf Viveca Stens Bibliografie sowie ein Blick auf den Klappentext zum „Dorf der toten Seelen“ macht es relativ offensichtlich, dass Camilla Stens hier eher abseits der mütterlichen Genrepfade schreibt; die Kurzbeschreibung würde da viel eher Vergleiche mit John Ajvide Lindqvist anbieten, so dass „Tochter der Bestsellerautorin Viveca Sten“ da eher wie reines Namedropping anmutet. Aber; im Zweifel für den Angeklagten; vielleicht will/wollte man die verwandtschaftlichen Verhältnisse in diesem Fall auch nur deswegen nochmals ganz besonders hervorheben, damit zum Beispiel die Besucher potentieller Lesungen durch die immense Ähnlichkeit zu Viveca Sten nicht irritiert sind (entsprechend Joe Hills, der ganz offensichtlich unter Pseudonym schreibt und gemäß eigener Angaben anfangs für solche Anlässe sogar einen Schauspieler engagieren wollte, damit nur niemandem auffiele, dass Joe Hill Stephen King wie aus dem Gesicht geschnitten ist).
Nun gut, ich schätze John Ajvide Lindqvist als Autor sehr und da die Beschreibung nach etwas klingt, was auch er geschrieben haben könnte (weswegen ich „Das Dorf der toten Seelen“ übrigens überhaupt erst hatte lesen wollen), muss es jetzt jenen Vergleich über sich ergehen lassen – und ich sage es direkt: Bei John Ajvide Lindqvist wäre der Roman vermutlich doch noch deutlich ausschweifender geworden, aber im Allgemeinen hält dieses Werk von Camilla Sten dem Vergleich durchaus stand. Ich bin zwar nicht völlig hingerissen von der Geschichte, hoffe aber, dass Camilla Sten sich auch weiterhin in diesem Bereich paranormal anmutender Thriller bewegen wird, denn solch ein weiteres Buch von ihr würde ich definitiv gerne lesen wollen!
„Das Dorf der toten Seelen“ ist achronologisch erzählt; zwischen den Sequenzen, in denen Alice und ihr Team sich im seit Jahrzehnten unbewohnten Silvertjärn bewegen, um erste Filmaufnahmen zu machen und womöglich Hinweise auf den Verbleib der damaligen Dorfbewohner zu entdecken, gibt es immer wieder Szenen, in denen Briefe wiedergegeben sind, die vor Allem deren jüngere Schwester damals an die fortgezogene Großmutter Alices geschrieben hat, oder in denen ein Rückblick auf Alices Urgroßmutter in den Tagen vor dem Verschwinden der gesamten Dorfbevölkerung, von der lediglich ein Neugeborenes im Ort zurückgelassen worden war, geworfen wird. Da muss man sich grade zunächst ein wenig mehr konzentrieren, da dementsprechend auch in relativ kurzer Zeit vergleichsviele Namen fallen. Allerdings sind die Figuren prinzipiell eher sehr einzigartig charakterisiert, dass man ein entsprechendes Personenregister rasch im Kopf hat: Lediglich die beiden Männer in Alices Team fand ich relativ austauschbar.
Die Geschichte des Ortes ist sehr spannend; von Anfang an erleben Alice und ihre Mitstreiter immer wieder Momente, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen: Fast alle von ihnen glauben bald, im Ort doch noch wen gesehen zu haben (aber das nach 60 Jahren, in denen der Ort völlig verwittert und verwildert ist?!) oder hören Geräusche, die es innert der Geschichte fast schon wahrscheinlich wirken lassen, dass sich hier unterschiedliche Dimensionen überlappen. Alles scheint sehr mystisch zu sein – tatsächlich gibt es letztlich eine mehr oder minder irdische Erklärung für das plötzliche Verschwinden der Dorfbewohner, wobei ich mich mit der Auflösung insofern ein bisschen schwertat, dass mir ein bestimmter Aspekt (den ich nicht spoilern will) dann doch zu sehr Badass zu sein schien als dass er nach all den vergangenen Jahrzehnten noch eine solche Gefahr für ein paar Endzwanziger darstellen konnte. Das war dann wiederum doch fast schon übernatürlich. ;) Allerdings war das mein einziger Wehmutstropfen; ich habe nun das eBook gelesen und die gedruckte Ausgabe soll gar über 450 Seiten verfügen, was mir nun sehr viel vorkommt bzw. ich hätte darauf wetten mögen, dass dieser Roman in der Printfassung keine 300 Seiten lang wäre. Denn es war wirklich problemlos und sehr kurzweilig in einem Rutsch wegzulesen und ich wollte mich schon fast darüber beklagen, dass Camilla Sten ruhig auch etwas ausschweifender hätte werden können als die Geschichte so kurz zu fassen – aber angesichts von rund 450 Buchseiten bin ich da nun lieber doch ganz, ganz still.
Eine definitive Leseempfehlung aber alle, die etwas düsterere, mystischere, paranormalere… Erzählungen aus dem skandinavischen Bereich favorisieren, welche Psychothrill und Abenteuergeschichten kombinieren!