„Herr Origami“ von Jean-Marc Ceci hat mich schon länger angesprochen. Als ich es dann auf der Buchmesse wiedergesehen habe, war es wie ein Treffen von Geliebten, die nur noch darauf warten, dass jemand den ersten Schritt macht. Und so ist dieses kleine Büchlein schließlich bei mir gelandet. Und ich habe es nicht bereut: Innerhalb von 2 Stündchen, eingerollt auf dem Sofa, habe ich dieses Schmuckstück beendet. Die Textform ist etwas ganz Besonderes, doch darauf gehe ich später ein. Zunächst einmal zum Inhalt: Meister Kurogiku lebt sehr zurückgezogen in einem ärmlichen Haus in Italien und stellt dort Washi her, das Papier, das in Japan nicht nur für Lampenschirme, sondern auch für Origami verwendet wird. Jedes hergestellte Blatt Papier betrachtet er ausgiebig und behält die schönsten Blätter für sich, die restlichen verkauft er. Einst verließ er sein Heimatland Japan und seinen Vater, um einer schönen Italienerin zu folgen, die er nie wieder sah. Mit nichts als einem Blumentopf mit drei Kōzo-Setzlingen reist er ins ferne Italien. Sein Vater brachte ihm die traditionsreiche Washi-Herstellung bei und ermöglichte ihm so, dass er nun davon leben kann – wenn Kurogiku denn lebte! Er lebt sehr sparsam, oft sieht man ihn tagelang nichts essen. Sein Leben scheint der Herstellung von Washi, dem Falten des Origami und dessen Entfaltung sowie dem Zen, der Meditation, gewidmet zu sein. Bis eines Tages ein junger Uhrmacher, Casparo, besucht und bei ihm nächtigen möchte. Er bleibt schließlich doch länger und lernt vieles über Papier, das Leben und die Zeit. Und ob Meister Kurogiku will oder nicht, Casparo bringt ihn mit seinen Denkweisen doch aus dem Takt und öffnet ihm die Augen für Dinge, die er lieber nicht wahrhaben wollte.
Wir sind die Rädchen im Getriebe einer sehr komplizierten Uhr. Wir verstehen nicht immer, was eine kleine Bewegung von uns auf der anderen Seite des Ziffernblatts bewirkt.
„Herr Origami“ ist ein besonderes Buch. Die zunächst ungewöhnliche Textform wirkt anfangs befremdlich und seltsam und man trägt Sorge, dass 160 Seiten auf diese Weise doch niemals eine Geschichte erzählen können. Doch nach und nach entfaltet sich die Geschichte wie ein Origami und bezaubert den Leser durch und durch. Das Ungewöhnliche an diesem Buch ist, dass die Seiten nur etwa zur Hälfte und ausschließlich mit knappen Sätzen befüllt sind. Aber nach einigen Seiten hat einen diesen Buch bereits in seinen Bann gezogen, sodass man erst wieder loslassen kann, wenn man den Buchdeckel schließt. Die besondere Schreibweise und der Textstil ist wirklich eine Seltenheit. Kann sein, dass es sich hier um eine traditionelle japanische Textform handeln mag, aber das lasse ich lieber Experten beurteilen. ?
Dass die stille, unaufgeregte — eben sehr typisch japanische Erzählweise — von einem Autor aus Belgien kommt, scheint zunächst unwahrscheinlich und seltsam, doch je mehr man sich auf das Buch einlässt, umso mehr vergisst man dieses Detail. Man taucht ein in Kurogikus kleine Welt, sein alltägliches Leben, seine Gedanken. Er stellt Washi her, um es zu falten und daraufhin zu entfalten. Und schließlich über dem entfalteten Papier zu meditieren.
Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: http://killmonotony.de