Liebe Daisy,
wie du weißt, habe ich bisher kaum New Adult Bücher gelesen, obwohl sie gerade so beliebt sind. Um so mehr habe ich mich gefreut, Teil der Leserunde von Lesejury zu diesem Buch zu werden: Everything I Didn’t Say von Kim Nina Ocker, das letzten Monat bei LYX erschienen ist. Ich fand sowohl das Cover ansprechend als auch den Klappentext vielversprechend und konnte es gar nicht abwarten, mein Manuskript in die Finger zu bekommen.
Der Roman erzählt die Geschichte von Jamie, einer jungen Amerikanerin, die davon träumt, Dramaturgin an einem Theater zu werden, und Carter, einem Schauspieler der Vorabendserie Chicaco Hearts. Wie es der Zufall so will, bekommt Jamie eine Praktikumsstelle als Dramaturgieassistetin (entgegen dem Klappentext, der von einer Regieassistenz spricht) am Set ebendieser. Die beiden treffen aufeinander und vom ersten Moment an, ist die Spannung zwischen ihnen spürbar – doch es gibt genug Dinge, die gegen die beiden sprechen; nicht zuletzt eine Klausel in Jamies Künstlervertrag…
Kim Nina Ockers Schreibstil war mir allgemein sehr sympathisch: er liest sich flüssig und authentisch. Einzig bei den Passagen im Präsens hatte ich manchmal meine Schwierigkeiten (wie oft bei dieser Erzählzeit), weil sie mir zu reflektiert dafür waren, dass behauptet wird, die Figuren würden es gerade so erleben (vgl. z.B.: S. 341/S. 362). Dafür war ich sehr positiv vom Format dieses Buches überrascht. Es ist eine Ich-Erzählung, die zwischen den Perspektiven der Protagonisten alterniert; somit etablieren sich schnell zwei klare Figuren. Die Chemie zwischen den ProtagonistInnen wird dadurch greifbarer, da wir in beide Köpfe schauen und die jeweiligen Unsicherheiten und Konflikte beobachten können
Zusätzlich wird im ersten Drittel des Buches zwischen zwei zeitlichen Ebenen gesprungen: 2015, das Jahr in dem die beiden sich kennenlernen, und 2019. Dies wird durch die verschiedenen Erzählzeiten (Perfekt/Präsens) betont. Natürlich nehmen die Dinge, die in der späteren zeitlichen Ebene passieren, manches vorweg, doch ich fand es sehr spannend als Leserin zu überlegen, wie die Figuren wohl dorthin gekommen sein könnten – zumal sie einander 2015 gerade erst begegnet sind. Schade (wenn auch bis zu einem gewissen Grad verständlich) fand ich, dass diese Struktur sich nicht durch das ganze Buch gezogen hat, sondern wir ab einem gewissen Punkt nur noch von den Geschehnissen im Jahr 2019 erfahren haben. Ab diesem Zeitpunkt hat der Roman leider einiges von seinem Facettenreichtum eingebüßt und somit etwas an Reiz verloren.
Ich muss auch sagen, dass ich das Buch als sehr vorhersehbar empfunden habe. Ich hatte rasch raus, was zwischen 2015 und 2019 passiert war; aber auch, was der große Konflikt am Ende sein und wie er sich auflösen würde. Das war somit kein großer Spannungsfaktor mehr. Ich fand es auch schade, dass wesentliche Konflikte so schnell aufgelöst wurden: etwa die Frage, wer die Information an die Presse weitergegeben hat oder die Auflösung des finalen Konfliktes. Letzterer hat sich leider extrem nach Deus-Ex-Machina angefühlt. Ich bin mir bewusst, dass sich ein Verweis auf die Lösung dieses bereits im Titel findet, aber ich hätte mir an dieser (wie auch an manchen anderen) Stellen gewünscht, dass die Autorin früher Hinweise gestreut hätte.
Was mich jedoch überrascht hat war, die Relevanz der im Klappentext angesprochenen Berufsfelder. Egal ob jetzt Regie, Dramaturgie oder Schauspiel, ich hatte große Hoffnungen, dass diese Berufe einen wesentlichen Bestandteil des Buches ausmachen würden. Sie wurden jedoch von Anfang an mehrheitlich nur behauptet. Ab dem Zeitsprung im ersten Drittel werden Jobs, wenn überhaupt, bloß noch am Rande erwähnt. Etwas, das ich sehr bedauerlich fand.
Ich habe schon erwähnt, dass sich durch die wechselnden Perspektiven schnell zwei Figuren etablieren. Ich konnte mit diesen nur leider nicht viel anfangen. Carter war mir extrem unsympathisch: er ist verwöhnt und hat einen absurden Luxusanspruch (z.B.: S. 195), er ist furchtbar unsensibel (z.B.: „Du siehst beschissen aus“ (S. 215) – ist das romantisch?), oberflächlich (vgl. z.B.: S. 246) und stellt unangebrachte Besitzansprüche in Bezug auf Jamie (vgl. z.B.: S. 156). Mit Jamie selbst konnte ich nicht unbedingt mehr anfangen: sie ist überdramatisch („Meine Probleme sind endlos.“ (S. 256)) und verhält sich kindisch (vgl. S. 257). Beide reagieren schnell über und sind teilweise inkonsequent geschrieben; sie springen wiederholt innerhalb weniger Sätze zwischen emotionalen Extrema (Jamie z.B.: S. 241, Carter z.B.: S. 247).
Die Beziehung von Jamie und Carter habe ich, bis auf einzelne schön etablierte Situationen, wie die auf dem Sofa (S. 318ff) und auf dem Basketballplatz (S. 334ff)), ehrlich gesagt auch nicht wirklich verstanden. Vielleicht liegt es am Genre, mit dem ich noch nicht ganz warm geworden bin, aber sie beschränken sich für meinen Geschmack etwas zu sehr auf körperliche Aspekte. Die beiden haben einmal (im betrunkenen Zustand) etwas miteinander und das soll so prägend gewesen sein, dass sie der „Beziehung“ vier Jahre später noch immer nachtrauern (vgl. S. 220)? Zumal sie in der Zeit, in der sie zusammen gearbeitet haben, kaum miteinander gesprochen haben – wenn überhaupt, dann haben sie einander angebockt; oder sich ein Gespräch gewünscht, es aber nicht umgesetzt, obwohl die Gelegenheit da gewesen wäre (vgl. S. 154). Eine Gelegenheit, die sie zugunsten körperlicher Lust verstreichen haben lassen. Etwas, das sogar benannt wird: „Das hier war tausendmal besser als Reden.“ (S. 157). Ich konnte mich einfach nicht damit identifizieren, dass ihre aufkeimende Beziehung scheinbar eine rein körperliche Komponente im Zentrum hat. Jamie sorgt sich etwa: „Ich habe mich nur gefragt, ob du zurzeit […] mit jemandem schläfst.“ (S. 414). Und auch Carter scheint rein den Sex mit ihr vermisst zu haben (vgl. S. 438). Solche Beziehungen haben ganz gewiss auch ihre Daseinsberechtigung, ich persönlich konnte nur relativ wenig damit anfangen.
Du merkst schon: weder die Geschichte, noch die Figuren (bzw. deren Beziehungen zu einander) konnten mich wirklich überzeugen. Die Leserunde hat trotzdem sehr viel Spaß gemacht und ich war sehr gerne dabei. Das war ein wunderbarer Anreiz immer weiter zu lesen. Mal sehen, ob ich mich noch einmal in das Genre New Adult traue, oder ob ich es vielleicht einfach bei diesem Buch belassen sollte.
Falls doch nicht, gebe ich dir jedenfalls Bescheid.
Deine Daffy