„Das ist nicht für unsereins.“
... Dieser Satz der Bescheidenheit und des Verzichts zieht sich wie ein roter Faden durch Johannes Leben, bestimmt sein „Werden und Sein“ und wirkt sich auch auf das Leben seiner Tochter Mona aus.
Mona ...
... Dieser Satz der Bescheidenheit und des Verzichts zieht sich wie ein roter Faden durch Johannes Leben, bestimmt sein „Werden und Sein“ und wirkt sich auch auf das Leben seiner Tochter Mona aus.
Mona (so um die 50 Jahre) hat sich nach 20 Jahre Ehe von ihrem Mann Pierre getrennt und lebt nun mir ihrer 14-/15-jährigen Tochter Noelle, die immer mehr ihre Selbständigkeit fordert, allein. Mona muss sich nun neu sortieren und stellt fest, dass sie sehr wenig über ihren Vater weiß, dass sie sich in all den Jahren, entfremdet haben. Erschreckt stellt sich fest, dass zwischen den beiden letzten ihrer Umarmungen mehr als 30 Jahre liegen. Nun will sie ihrem Vater, Anfang 80, der Krebs hat, wieder näher kommen. Sie will ihn verstehen und mehr von seinem Leben erfahren, da sein Leben auch das ihrige bestimmt und weiterhin auch das ihrer Tochter, da alle Beteiligten „Teil dieser Familiengeschichte“ (S. 62) sind.
Und so gibt Mona ihrem Vater ein Diktiergerät mit der Bitte, von sich zu erzählen. An seinem 83. Geburtstag holt Mona die Aufnahme heraus und fängt an, in die düstere, harte und entbehrungsreiche Kind- und Jugendzeit ihres Vaters einzutauchen, in der es nur wenige Menschen gab, denen er am Herzen lag. Es sind „siebenundvierzig Minuten für vierundzwanzig Jahre (…). Viel Gestotter, viele Pausen (…) So bleibt am Ende wenig von einem Leben“ (S. 9).
Die Eckdaten von Johannes Biographie füllt Andreas Neeser mit einer beeindruckenden, nachdenklich machenden Erzählkunst. Poetische und tiefsinnige Sätze, geprägt von einer Schwere und Bitterkeit, die schwer zu schlucken und zu verdauen sind, bestimmen die Atmosphäre in diesem Mehrgenerationenroman.
Und beim Lesen fragt man sich – so wie Mona auch - „was so ein Junge für ein Vater wird“ (S. 14) und wie er diese Härte – oder auch Ungerechtigkeit - des Lebens nur aushalten konnte. Was ist das für eine Leben, wenn man in einer Familie eher Ballast ist, eher geduldet als willkommen! Und wie ist es, wenn trotz physischer Nähe eine große emotionale Distanz das Leben – oder 'Dasein' bestimmt. Andreas Neeser schafft es, dass man in das Leben, die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonisten gut eintauchen kann.
Johannes Elias Haller wurde als viertes Kind nach drei Mädchen geboren und wurde schon früh als Verdingbub auf den Hof seines reichen Onkels geschickt, wo er bis zum Ende der Schulzeit aushelfen musste. Eine Lehre nach der Schulzeit kam nicht in Frage; so musste er sich zunächst als einfacher Laufbursche in der Firma, bei der seine Mutter als Näherin in Heimarbeit beschäftigt war, Geld verdienen. Gezeichnet durch Tuberkulose konnte er seinen Beruf als Schlosser nicht ausüben und musste umschulen. Mit 24 Jahren heiratete Johannes Verena Müller, ein Jahr später kommt Monika (Mona) auf die Welt. Und 15 Jahre später trübte die Todgeburt seines Sohnes Martin das Familienglück.
Die Geschichte von Johannes zieht sich aber nicht gradlinig durch das Buch. Man muss schon etwas konzentriert lesen, um am Ball zu bleiben, da der Roman von der Gegenwart in die Vergangenheit springt und auch Perspektivenwechsel auf Lager hat. Mal sieht man Einzelheiten aus der Ich-Perspektive von Mona oder aber – und das vorrangig - eher distanziert als Betrachter. Neben Johannes Vergangenheit spielt auch Monas Vergangenheit und Gegenwart eine große Rolle. Und so wird der aktuellen Lebenssituation von Mona mit ihren 'Problemen' ein eigener Aktionsraum gegeben, der dem Roman Vielschichtigkeit verleiht, aber nicht vom Hauptthema ablenkt, da man merkt, dass die Biographien miteinander verwoben sind.- So spielen auch Monas Engagement in der Flüchtlingsarbeit, die Beziehung zu ihrer Tochter Noelle, die nicht alles schluckt, sondern auf fordert, rebelliert und protestiert sowie die Trennung von ihrem Mann eine mehr oder weniger große Rolle.
Mir hat der Roman ausgesprochen gut gefallen, da diese Mehrgenerationengeschichte zeigt, dass die Lebenswege einzelner Generationen nicht unabhängig von denen anderer sind. Man erkennt eine Entwicklung der Selbstständigkeit vom bloßen Hinnehmen und sturen Aushalten, ohne darüber nachzudenken, über die Möglichkeit, sein Leben zumindest etwas anders zu planen bis hin zur Prämisse, selbstbestimmt zu sein.
Beim Lesen wurde mir klar, dass „Wie wir gehen“ auch davon abhängt, wer uns wie vorausgegangen ist und wer nach wie vor mit uns oder neben uns geht.
Wer tiefsinnige Geschichten mit poetischer Sprache mag, wo man auch zwischen den Zeilen viel Gefühlvolles entdeckt, sollte dieses Buch unbedingt lesen.