Profilbild von Bibliomarie

Bibliomarie

Lesejury Star
offline

Bibliomarie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bibliomarie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.05.2020

Der Geschichte kann man sich nicht entziehen

Das Museum der Welt
0

Das „Museum der Welt“ erzählt von der großen Indienreise der bayerischen Brüder Schlagintweit. 1854 bis 1857 dauerte die Forschungsexpedition, die größte ihrer Zeit übrigens, die die Brüder durch Indien ...

Das „Museum der Welt“ erzählt von der großen Indienreise der bayerischen Brüder Schlagintweit. 1854 bis 1857 dauerte die Forschungsexpedition, die größte ihrer Zeit übrigens, die die Brüder durch Indien und Nepal führte. Unterstützt wurden sie von Alexander von Humboldt, der die Reise nicht selbst durchführen konnte. Kritische Bemerkungen über die Kolonialmacht England verhinderten, dass er die notwendigen Genehmigungen und Unterstützung bekam.

In Bombay lebt im Waisenhaus des katholischen Priesters Vater Fuchs ein kleiner Junge, Bartholomäus, 12 Jahre alt – mindestens, wie er selbst immer betont. Denn als seinen Geburtstag wurde der Tag seiner Ankunft im Waisenhaus genommen. Der Junge ist klein von Wuchs und von schmächtiger Gestalt, aber umso gewitzter und naseweis. Durch Vater Fuchs lernte er hervorragend Deutsch, verstand auch den bayerischen Dialekt des Priesters und außerdem sprach er eine ganze Reihe von indischen Sprachen. So wird er auf Vermittlung seines väterlichen Freundes und Mentors zum Dolmetscher dieser Expedition.

Aber Bartholomäus hat ein ganz anderes Lebensziel, er will ein Museum der Welt erschaffen. Die ersten Gegenstände haben keine lange Lebensdauer, in einem Waisenhaus herrscht ein rauer Umgang und kein Kind gönnt einem anderen einen noch so kleinen Besitz. So entsteht das Museum in einer Kladde, in die Bartholomäus seine Funde, Erkenntnisse und Gedanken schreibt.

Und diese Kladde macht diesen wunderbaren, sprachmächtigen Roman aus. Die nummerierten Fundstücke sind die Kapitel des Buches.

Christopher Kloeble lässt den Leser an dieser Reise teilhaben, als würde er selbst an der Seite des Jungen reisen. Wir sehen alles aus seiner kindlichen Sicht. Dabei fand ich es besonders gelungen, dass der Autor das im Erzählton des Romans deutlich macht, aber nie in einen anbiedernd-kindlichen Ton erzählt. Ein Kontinent im Erwachen wird geschildert, noch ganz in den Fängen der Kolonialherren, der europäischen Geschäftsleute, der Firengi und der englischen Herren, den Vickis, wie sie Bartholomäus in Anspielung auf die ferne Herrscherin Victoria nennt.

Der geschichtliche Hintergrund und die Dokumentationen der Schlagintweits sind die Folie dieses Romans, der die Reise aus einem ganz anderen Blickwinkel schreibt. Das ist eine Abenteuergeschichte, eine spannende Reiseerzählung, ein sorgfältig recherchierter Bericht und nicht zuletzt auch die Geschichte eines Kindes, das zu sich und seinen Platz in der Gesellschaft findet. So ist auch die abschließende Entscheidung Bartholomäus für seinen weiteren Weg nur folgerichtig.

Man kann diesen Jungen im Lauf dieses wunderschönen Buches nur lieb gewinnen, selten konnte ich mich so in einen Protagonisten einfühlen.

Dieser Roman wird noch lange in meinem Kopf bleiben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.04.2020

Witzig und spannend

Makrelenblues
1

Hanna Hemlokk verdient ihr Geld mit „Sülzletten“, das ist ihr eigener, etwas despektierlicher Ausdruck für Liebesromane im Heftchenformat, die sie unter diversen Pseudonymen verfasst. Doch ihre wahre Bestimmung ...

Hanna Hemlokk verdient ihr Geld mit „Sülzletten“, das ist ihr eigener, etwas despektierlicher Ausdruck für Liebesromane im Heftchenformat, die sie unter diversen Pseudonymen verfasst. Doch ihre wahre Bestimmung ist ihre detektivische Spürnase. Als ihre Freundin Marga sie auf Todesfälle im luxuriösen Seniorenpark Elysium aufmerksam macht, die nicht nur gehäuft, sondern auch ziemlich unerwartet kommen, fängt ihre Nase auch an zu kribbeln. Nun sind Todesfälle im Altenheim eigentlich ein Naturgesetz – aber Marga hat schon Recht, irgendwas stinkt da gewaltig.

Freund Harry Gierke hat derweil die Nase voll von den ewigen Berichten aus Tauben- und Kaninchenzüchtervereinen, die sein journalistisches Alltagsgeschäft ausmachen. Er wittert die große Story, denn er hat sich in den Kopf gesetzt, die Wahrheit über den Barschel-Fall herauszufinden. Für Hanna also Stress an allen Fronten.

Der Titel „Makrelenblues“ weist schon die Himmelsrichtung. Hoch im Norden, in der beschaulichen Probstei, nahe der Ostsee, spielt dieser Krimi. Mit viel trockenem Humor und unverwechselbaren Figuren hat er einen besonderen Charme. Hanna Hemlokk, die nun schon zum neunten Mal ihrer Spürnase folgen darf, ist eine überaus sympathische und zupackende Person, Freunde können sich auf sie verlassen. Bei ihren Recherchen ist sie recht unkonventionell, aber als Privatperson hat sie ja auch alle Freiheiten. Schon bald merkt Hanna, dass es gar nicht so ungefährlich ist, sich auf die Ermittlungen im Altenheim einzulassen und hatte Freund Harry vielleicht richtig gelegen, als er von organisiertem Verbrechen faselte? Die Geschichte entwickelt sich zu einem wirklich spannenden Fall, bei dem auch nie die Situationskomik zu kurz kommt. Ute Haese kann beides sehr locker und flüssig verbinden und deshalb machte mir das Lesen auch sehr viel Spaß.

Regionalkrimis leben auch von ihren Landschaften und die hier sind die Beschreibungen sehr farbig und lebendig. Der Küstenwind weht quasi aus den Seiten. Die Autorin hat einen sehr schönen Erzählstil. Ich mag auch in humorvollen und unterhaltenden Krimis eine gute Sprache und das ist oft nicht selbstverständlich, umso schöner, dass hier alles passt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.04.2020

Die Himmelsscheibe

Die Kinder von Nebra
0

Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein ganz besonderer archäologischer Fund. Seit ihrem Auftauchen beschäftigt sie die Wissenschaft und noch mehr die Fantasie der Menschen. Es scheint ein winziges Fenster ...

Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein ganz besonderer archäologischer Fund. Seit ihrem Auftauchen beschäftigt sie die Wissenschaft und noch mehr die Fantasie der Menschen. Es scheint ein winziges Fenster in das Leben unserer Vorfahren, ihr Denken und ihren Glauben.

Ulf Schiewe, der in seinen historischen Büchern immer meisterhaft Realität und Fiktion vermischt und daraus spannende Geschichten webt, hat sich diese Himmelsscheibe als Mittelpunkt seines neuen Romans genommen.

Er führt mich in die Bronzezeit, in die Gegend zwischen Saale und Unstrut und zeichnet das Leben der einfachen Bauern und Handwerker. Wie sie eingebunden mit der Natur leben, ihre Existenz durch frühen Ackerbau und ein wenig Viehzucht fristen. Auch Werkzeuge und natürlich auch Waffen wurden bereits geschmiedet. Das Wissen um die Gestirne brachte Utrik von seinen Reisen mit, die ihn als junger Mann bis in den Nahen Osten führte. Eine Himmelsscheibe zu schmieden war sein Lebensziel.

Die einfachen Leute leiden unter der Willkür des despotischen Fürsten Orkor und seines Sohnes, der die Menschen unterdrückt und versklavt. Das alles im Namen eines neuen Gottes, Hador – ein grausamer und strafender Gott, der nur durch Menschenopfer besänftigt werden kann.

Rana, Utriks und Herdis Tochter, ist als Priesterin für die Göttin Destarte bestimmt und sie will die Ungerechtigkeit nicht länger hinnehmen und nimmt, mit Hilfe der Scheibe und einiger Getreuer, den Kampf gegen die übermächtigen Herrscher auf.

Eine wirklich spannende und mitreißende Geschichte. Ulf Schiewe kann mit seinen Worten farbige Bilder und vergangene Welten auferstehen lassen. Wie immer fließt exakt recherchiertes Wissen ein und gibt den Hintergrund für diesen Roman aus der Bronzezeit. Ich war von Anfang an fasziniert, obwohl ich mit ein bisschen Skepsis an das Buch ging, weil ich fürchtete, dass es vielleicht zu sehr zur Fantasy-Geschichte wird. Aber diese Befürchtung war grundlos. Natürlich muss ein Autor in einen Roman, der in der Frühzeit spielt, viel Fantasie mitbringen um die Geschichte zu füllen. Das ist wirklich hervorragend gelungen. Die Figuren – hier fand ich das Personenverzeichnis mit der Erklärung der einzelnen Stämme und Clans sehr hilfreich – sind lebendig geworden. Allen voran die Frauenfiguren, die mir besonders gut gefallen haben.

Mit großem Interesse bin ich auch in die mystische Welt der Menschen eingetaucht. Ihr Glaube an Götter, die das Schicksal vorbestimmen, eine Naturreligion, in die auch Himmelserscheinungen und die Jahreszeiten einbezogen wurden, denn diese Beobachten beeinflussten die Ernten und damit das Überleben.

Ich muss nur ein kurzes Fazit geben: Ein toller Roman !!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.03.2020

Halloween in Fredenbüll

Friedhof der Krustentiere
0

Es gibt keine Ruhe für Polizist Thies in Fredenbüll. Eine Einbruchserie beunruhigt die Bewohner und ist Gesprächsthema in „De hidde Kist“, genau wie Alexa, die neue häusliche Hilfe für Piet. Allerdings ...

Es gibt keine Ruhe für Polizist Thies in Fredenbüll. Eine Einbruchserie beunruhigt die Bewohner und ist Gesprächsthema in „De hidde Kist“, genau wie Alexa, die neue häusliche Hilfe für Piet. Allerdings hält die zum Leidwesen von Antje nicht viel vom Putenschaschlik Hawaii.

Tadje, Thies‘ Tochter hat einen Praktikumsplatz in einem Hotel auf der Hallig Westeroog ergattert, aber das ist kein Traumlos. Sie ist eher Alleinkraft in diesem heruntergekommen Haus, in dem sich eine Gruppe zu einem esoterischen Seminar „Hellfühlen und Hellsehen“ getroffen hat. Aber was auf der Hallig vor sich geht, hat mit Hellfühlen wenig zu tun, die Atmosphäre wird immer beklemmender.

Dann verschwindet noch Haukes Tante Telse samt seinem Prachtstück, dem Mustang und der Teppichmuster im Kofferraum. Hauke ist jetzt im Raumausstattergewerbe tätig und die Designs „Shining“ und „Psycho“ seine Favoriten. Im Dorf schwingt der neue Friseur Eddie seine Scheren beidseitig und zaubert verwegene Cuts auf die von Alexandra eher mit Einheitslook versehenen Köpfe. Kein Wunder, dass die Damenwelt in Fredenbüll und Umgebung Schlange steht.

Es ist genial, wie Krischan Koch hier Stephen King eine Hommage bereitet und das Ganze wunderbar bodenständig nach Fredenbüll und ins Watt verlegt. Das ist nun schon der achte Band aus der Serie, aber immer wieder sind die Geschichten frisch und originell. Wie die Zeit vergeht, merkt man nur am Alter der Zwillinge von Thies, die schon mit einem Bein im Berufsleben stehen und am kleinen Finn, Nicoles Sohn. Gut, dass Koch einige Leichen spendiert hat, so kann Nicole beweisen, dass es eine gute Entscheidung war, in Husum ein Kriminalkommissariat einzurichten.

Die Ereignisse scheinen sich fast zu überschlagen und es ist klasse, wie alle Handlungsfäden, so entfernt sie auch schienen, sich am Ende zusammenfinden. Der Fredenbüller Kosmos ist wie eine Parallelwelt, in die ich gerne eintauche. Ich liebe die lakonischen Dialoge, den Witz, der auf den Punkt getimt ist und den trockenen Humor.

Wie bei jedem Band ist das Titelbild wieder ein echter Hingucker. Gerhard Glück erzählt in seinen Bildern richtige kleine Geschichten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.02.2020

Ruhe unruhig

Ruhet in Friedberg
0

Friedberg ist ein Dörfchen in der tiefsten österreichischen Provinz, alles geht sehr gemächlich seinen Gang. Lediglich beim örtlichen Bestatter scheint es ganz lebhaft zu sein. Das liegt nicht an den beiden ...

Friedberg ist ein Dörfchen in der tiefsten österreichischen Provinz, alles geht sehr gemächlich seinen Gang. Lediglich beim örtlichen Bestatter scheint es ganz lebhaft zu sein. Das liegt nicht an den beiden Jugendfreunden Andi und Fipsi, die als Aushilfen eine eher ruhige Kugel schieben. Allerdings bleibt, trotz exzessivem Alkoholgenuss, bei einer Beerdigung ein ungutes Gefühl zurück. Kann denn der arme Verstorbene nach langer, zehrender Krankheit wirklich noch gut 150 Kg wiegen? Betreiben die Kollegen Hubsi und Gustl ein Nebengeschäft?

Eins vorweg: dem Autor ist nichts heilig und auf politische Korrektheit pfeift er. Das dürfte zwar dem einen oder anderen Leser vielleicht ein wenig zu heftig sein, aber wer schwarzen – nein rabenschwarzen – Humor mag, liegt mit „Ruhet in Friedberg“ richtig.

Aber nicht nur mit österreichischen Schmäh, witzigen Einfällen und Sarkasmus punktet das Buch, der Krimi dahinter ist spannend und verzwickt. Der Autor lässt seine Leser ganz schön lange zappeln und verblüfft dann mit einem wirklich überraschenden Schluss.

Mir hat die Geschichte, die in den letzten 1990iger Jahren auf dem Land angesiedelt ist, sehr gut gefallen und ich habe mich wirklich von der ersten Seite an besten unterhalten, der schnodderige Sprachstil gefiel mir ausgezeichnet und die ungewöhnlichen Figuren sind gelungen.

Wer das Buch aufschlägt, sollte auch unbedingt die Innenseite der Klappenbroschur anschauen, da werden die Protagonisten schon in wenigen Sätzen prägnant vorgestellt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere