Satirische Millennials-Abrechnung
Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich ...
Das hört sich jetzt aufgrund meiner Bewertung zunächst etwas komisch an: Dieses Buch kreist rund 250 Seiten lang um first world problems zweier Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht. Die eigentlich keine schwerwiegenden Probleme haben - außer den Umgang mit sich selbst. Sowas kann störend wirken, ja, das tut es auch. Sowas kann lästig und unangenehm sein, und ja, auch das ist es. Trotzdem hat mich dieses Buch fasziniert, was zum größten Teil an der Wortakrobatik und Sprachgewandheit des Autors liegt. Will sagen: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen - dann aber auch wieder nicht. Ich sage ja: faszinierend.
Tanja und Jerome, das fernbezogene Millenials-Paar, steht hier im Mittelpunkt. Beide wuchsen relativ wohlbehütet ohne Entbehrungen auf. Nun gut, vielleicht stand oder steht die Beziehung der Eltern auf der Kippe und die Schwester leidet an depressiven Verstimmungen aber hey, wer sind wir denn, über andere zu urteilen? Betrachten wir uns doch lieber mal selbst, so ohne Scheu und/oder Scham, ok?
Und so ist das Buch dann auch mehr Nabelschau der beiden Liebenden als alles andere. Selbstreflexion ist natürlich wichtig, gerade im Umgang mit und Bezug auf andere. Das gute alte Sender-Empfänger-Problem: Ist meine Botschaft angekommen? Hat mein Gegenüber verstanden, was ich meine? Und falls nicht: Was könnte er/sie stattdessen verstanden haben? Grübel, grübel...
Ich bin selbst ein Grübel-Mensch, oh ja. Aber das, was Tanja und Jerome hier anziehen, spielt in einer ganz anderen Liga. Die beiden analysieren und reflektieren, bis das eigentliche Ich bald auch nur noch ein Spiegel ist. Jeder Schritt, jede Handlung, wird mehrfach abgewägt, gegen soziale, politische, gesellschaftliche und ganz persönliche Leitlinien. Teilweise kam es mir so vor, als hätten Tanja und Jerome zu viele Bücher mit auktorialem Erzähler gelesen und würden nun fortwährend eine solche Stimme in ihrem Kopf hören, die jeden ihrer Schritte, Gedanken und Handlungen kommentiert. Es geht nicht mehr ums Ergebnis, nur noch um Aktion und Reaktion. Und, natürlich, um ganz viel Verständnis. Passt schon!
Das klingt jetzt ein bisschen nach plotarmer Selbstbeweihräucherung, aber im Buch passiert durchaus eine Menge. Die zunächst liebevoll anmutende Fernbeziehung, die den ersten Teil bestimmt (bzw. die im ersten Teil von beiden analysiert und weiter verplant wird), erlebt einige Höhen, aber auch deutliche Tiefen. Leif Randt geht hier konsequent und mutig seinen Weg, zeigt eine vielleicht nicht immer der Norm entsprechende, aber dennoch alles andere als seltene Art der Beziehung, die deutliche Unterschiede zwischen Liebe und Sex macht und Treue auf eine andere Ebene als das rein körperliche hebt. Das fand ich stimmig, erfrischend und vor allem konsequent: Tanja und Jerome wollen sich nicht eingrenzen, nicht gegenseitig und auch nicht als Paar. Nachteil an der Sache: Viel wird aus genau diesem Grund (zunächst) nicht direkt angesprochen, viel passiert im Zustand des Ungewissen, des Unausgesprochenen. Zu stören scheint das keinen der beiden, zumindest sollte es das eigentlich nicht, denn: So bleibt mehr Zeit zum gründlichen reflektieren ;)
Wir haben hier also ein Buch mit zwei sehr anstrengenden, Ich-bezogenen Hauptcharakteren, die das natürlich nie so empfinden, geschweige denn zugeben würden. Es gab einige Stellen im Mittelteil, da hätte ich das Buch am liebsten weg gelegt, so haben die beiden mich genervt. Da wollte ich sie regelrecht anbrüllen, dochmal was zu TUN, miteinander zu REDEN, Dinge mal in Gang zu setzen und Action bitte, na hopp!
Und trotzdem habe ich es sehr gern gelesen. Weil viel zu viel Wahres drinsteckt und es ein wirklich richtig gut geschriebenes Stück über eine bestimmte Sorte Großstädter 30+ ist, das vieles aufdeckt und anprangert, dabei aber nie ins Klamaukige oder völlig Überzeichnete verfällt.