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Veröffentlicht am 21.03.2020

Großartig

Die Tanzenden
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Paris 1885: Krankenschwester Geneviève arbeitet in der Pariser Psychiatrie Salpêtrière, wo sie sich um die Patientinnen, Hysterikerinnen- Frauen mit Nervenleiden, kümmert. Der Leiter der Klinik Professor ...

Paris 1885: Krankenschwester Geneviève arbeitet in der Pariser Psychiatrie Salpêtrière, wo sie sich um die Patientinnen, Hysterikerinnen- Frauen mit Nervenleiden, kümmert. Der Leiter der Klinik Professor Charcot zählt als Koryphäe auf seinem Gebiet, der weltberühmt Wissenschaftler möchte durch seine Forschung die Medizin voranbringen. Seine Vorlesungen im Theater des Krankenhauses mit Hypnosedemonstrationen an echten Patientinnen gelten als Sensation. Dabei werden bei den Kranken vor Publikum echte Anfälle provoziert. Auch Geneviève, die immer noch unter dem Tod ihrer Schwester leidet, bewundert Charcot für seine Arbeit.
Als die junge Eugenie, die behauptet, mit Toten sprechen zu können, in die Nervenheilanstalt eingewiesen wird, ändert sich für Geneviève einiges. Auch der von vielen herbeigesehnte, jährliche öffentliche Ball, an dem die Insassinnen wie ganz normale Frauen tanzen und sich amüsieren dürfen und dabei von Zuschauern beobachtet und bestaunt werden können, soll diesmal eine ungeahnte Wendung nehmen......

Victoria Mas führt mit einer besonders klaren Sprache durch den Roman. Der Roman liest sich so leicht und flüssig, fast bescheiden, dass gar nicht auffällt, wie außergewöhnlich und tiefgründig Mas Debüt eigentlich ist. Die junge Autorin braucht keine komplizierten, künstlichen Stilmittel, um beachtet zu werden, sie schreibt einfach drauflos und das ziemlich beeindruckend.

Die Handlung um die bedauernswerten entmündigten Patientinnen, die auf dem Ball wie die Tiere im Zoo der Öffentlichkeit ausgesetzt werden, hat mich ziemlich mitgenommen. Noch bedrückender macht das Ganze, dass die Idee zum Roman auf einer wahren Geschichte basiert.
Ich habe aber trotz des deprimierenden Themas jede Seite genossen. Der Spannungsbogen wird bis zum großen Finale, dem öffentlichen Ball, den viele kaum erwarten können, aufrechterhalten.
Zu den Figuren Geneviève, Eugenie und Louise habe ich sofort Zugang gefunden, großes Mitleid für sie entwickelt und ihnen -den allesamt auf eine Art Gefangenen- nur das Beste gewünscht. Gleichzeitig war ich fasziniert, wie stark die Protagonistinnen doch sind, wie sie trotz ihrer schlimmen Situation nicht aufgeben und sich gegenseitig unterstützen.

Der von der Presse so hochgelobte Roman weckte bei mir große Erwartungen. Diese wurden von Victoria Mas überraschenderweise sogar noch übertroffen: Ein sehr bewegender, nachdenklich stimmender Roman, ein schlichtes kleines Schmuckstück „echter Literatur“. Nicht bemüht, sondern einfach gekonnt. Manchmal habe ich Sorge, ob nicht irgendwann einmal alle Geschichten erzählt sind, die Literatur an Bedeutung verliert und wir vergeblich auf neuen Stoff warten müssen. Solange es Autorinnen wie Victoria Mas gibt, ist meine Sorge aber wohl unbegründet. Ein großartiges Debüt!

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Veröffentlicht am 13.03.2020

Witzig und treffend - Hornby in Bestform

Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst
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In Janes und Toms Ehe läuft es nach Janes Affäre mit einem anderen Mann nicht mehr so richtig. Um ihre Probleme in den Griff zu bekommen, nehmen die beiden eine Eheberatung in Anspruch. Vor den Sitzungen ...

In Janes und Toms Ehe läuft es nach Janes Affäre mit einem anderen Mann nicht mehr so richtig. Um ihre Probleme in den Griff zu bekommen, nehmen die beiden eine Eheberatung in Anspruch. Vor den Sitzungen treffen sie sich noch kurz in einem Pub und sprechen über Gott und die Welt und natürlich ihre Beziehung.

Die Geschichte ist nahezu ausschließlich in direkter Rede verfasst. Es geht nur um die Gespräche - insgesamt sind es zehn-, die Jane und Tom jeweils im Pub führen, während sie darauf warten, dass ihre Sitzungen bei der Paartherapeutin beginnen. Der Roman liest sich unkompliziert und flüssig, Hornby schreibt wie gewohnt mit Witz, locker, klar, leicht verständlich und äußerst unterhaltsam.

Es passiert äußerlich sehr wenig. Hin und wieder bekommt der Leser durch Janes und Toms Kommentare mit, wie es anderen Paaren ergeht, die Jane und Tom beobachten. Aber das zentrale Thema sind natürlich die Dialoge des Paares. Und diese haben es in sich. Nick Hornby hat schon in seinen vorherigen Romanen bewiesen, dass er meisterhaft in der Lage ist, menschliche Kommunikation zu analysieren und realistisch, aber gleichzeitig voller Ironie, darzustellen. Egal, worüber die beiden Protagonisten sprechen, sei es über den Brexit, Lieblingsserien, Subtexte oder die Sitzung von letzter Woche, sie sprechen doch immer irgendwie über sich und ihre Beziehung. Beeindruckend, wie es Hornby gelingt, nur anhand von zehn Gesprächen, die Situation, die Ehe der beiden, perfekt und glasklar abzubilden. Zu lesen, wie Jane und Tom aufeinander oder nicht aufeinander eingehen, wie sie - stets schlagfertig- die Sätze des jeweils anderen auf manchmal recht absurde Art interpretieren, wie sehr sie - trotz aller Diskrepanzen- verbunden sind, ist faszinierend.
Dabei erfährt der Leser natürlich sehr viel über die zwei Figuren, die beide für mich nachvollziehbar, authentisch und trotz ihrer Fehler und Schwächen sympathisch sind.

Unglaublich amüsant und treffend: Prägnanter und witziger lässt sich das Bild einer Ehe wohl nicht zeichnen. Empfehlenswert für alle, die noch etwas über Kommunikation und Beziehungen lernen und dabei den Humor nicht verlieren möchten.

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Veröffentlicht am 12.03.2020

Besonderes Hörerlebnis für die ganze Familie- intelligent und voller Magie und Humor

Luftpiraten
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Echte Luftpiraten haben graue Haut, sind ständig unzufrieden und wütend und tun nichts lieber als Streiten. Sie verfügen über ein sehr aufbrausenden Temperament und können unglaublich laut wettern, blitzen ...

Echte Luftpiraten haben graue Haut, sind ständig unzufrieden und wütend und tun nichts lieber als Streiten. Sie verfügen über ein sehr aufbrausenden Temperament und können unglaublich laut wettern, blitzen und donnern. Liebe und Zuneigung sind ihnen völlig fremd. Besonders gut in allem, was ein Luftpirat so ausmacht, ist Amadeus Adiaba. Er bringt nicht umsonst den Luftpiratenkindern als Lehrer alles Wichtige bei. Eines Tages erhält er per Luftpost ein Paket mit einem kleinen Luftpiraten, Zwolle. Doch der entspricht leider so gar nicht der allgemeinen Vorstellung von einem wohlgeratenem, nützlichem Luftpiraten. Nicht nur dass er sich stets freundlich und gut gelaunt zeigt, seine Haut ist dazu auch noch weiß. Der kleine Kerl sorgt für allerlei Wirbel und Chaos in der Welt der Luftpiraten.....

Markus Orths hat einen wunderbaren Schreibstil: Klar und verständlich, poetisch und vor allem voller Wortwitz, gespickt mit vielen lustigen Wortspielen. So gibt es in „Firmament“ „Luftmolche“ und „Windschleichen“. Bei Gericht trifft man auf die „Zwölf Verschworenen“ und weggeschickt wird jemand mit den Worten: „Sieh zu dass du Luft gewinnst!“ Orths Sprache macht schlicht und einfach Spaß.

Die Welt der Luftpiraten, ganz Firmament, ist als Schauplatz so ganz anders als unsere Welt. Es gibt kein Miteinander, kein Helfen, keine Freunde, nur Streit, Zorn und Wut und das ist das Maß aller Dinge. Der liebenswerte Zwolle hat es da natürlich besonders schwer. Wirklich spannend, was er alles erlebt und wie er nach und nach die Luft-Welt ein kleines bisschen verändert.

Nicht nur der Handlungsort ist originell. Auch die vorkommenden Charaktere sind ungewöhnlich: die Luftpiraten Adiaba und Zwolle, die viel voneinander lernen, die ewig wütende und energiegeladenen Franka, die immer nur das tut, was sie möchte und sich von nichts und niemanden davon abbringen lässt, Luftikus Caspar, der verschiedene Gestalten annehmen kann, Bösewicht Kapitän Per Dekret, aber auch Professor Theo Rettich mit seiner Universaltheorie vom Urknall und nicht zuletzt die Stimme Charlie Gottchen.

Eine wirklich phantasievolle, traumhafte, tief- und hintergründige - aber auch zuversichtliche - Geschichte, die zeigt, wie wichtig Freundschaft ist und dass sich aus Gegensätzlichkeit eine besondere Dynamik entwickeln kann. Vielfalt ist bereichernd. Das macht Zwolle Franka recht deutlich, aber auch die anderen Figuren spielen jede ihre eigene Rolle auf dem Weg zum Happy End. Für Kinder ein wunderschönes spannendes Märchen, Erwachsenen können bei all der Doppeldeutigkeit für sich persönlich noch so viel mehr entdecken und „herausziehen“. Was, das liegt bei jedem selbst...

Axel Prahl liest das Ganze einfach unvergleichlich, für mich perfekt. Er gibt den Figuren eigene Stimmen, wettert, donnert oder erzählt ganz ruhig und unaufgeregt, je nachdem wie es gerade angebracht ist. Er verleiht der Geschichte Leben, ich höre ihm dabei sehr gerne zu.

Ein intelligentes zeitloses außergewöhnliches Hörerlebnis voller Magie, Humor und Feinsinn zum Nachdenken oder einfach Genießen für die ganze Familie. Eines, das man immer wieder hören kann und dabei vielleicht immer neue Details wahrnimmt.

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Veröffentlicht am 07.03.2020

Sehr informativ und trotzdem sehr unterhaltsam

Tagesschau & Co. – Wie Sender und Redaktionen Nachrichten machen
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Das Sachbuch „Tagesschau & Co- Wie Sender und Redaktionen Nachrichten machen“ beantwortet zahlreiche Fragen zum Thema Nachrichten, z.B.: Was sind Nachrichten? Wie werden sie gemacht? Wer bestimmt, welches ...

Das Sachbuch „Tagesschau & Co- Wie Sender und Redaktionen Nachrichten machen“ beantwortet zahlreiche Fragen zum Thema Nachrichten, z.B.: Was sind Nachrichten? Wie werden sie gemacht? Wer bestimmt, welches Thema in den Nachrichten behandelt wird? Warum kommen fast nur schreckliche Nachrichten vor? Wie finden Journalisten die Wahrheit raus? Was sind Fake News, wer erfindet sie und warum?....

Zu einem bestimmten Aspekt des Themas ist jeweils ein längerer Sachtext formuliert. Auf bunt gedruckten Notizzetteln finden sich auf den Seiten noch weitere Informationen, die für das Verständnis des Textes wichtig sein können, diesen vertiefen oder ergänzen. Zwischendrin lockern Rätselfragen das Ganze auf und die Kinder können überprüfen, ob sie das Gelesene richtig verstanden haben. Zusätzlich werden noch verschiedene bekannte Journalisten wie Tagesthemen- Moderator Ingo Zamperoni oder Marietta Slomka vom Heute-Journal interviewt. Nicht nur Nachrichtensendungen für Erwachsene sind Gegenstand des Buches, auch die Kindersendung „Logo“ wird immer wieder ausführlich behandelt.

Autorin Sarah Welk trifft genau den richtigen Ton. Sie schreibt klar und gut verständlich, aber nicht belehrend. Der Leser wird immer wieder direkt angesprochen. Durch den lockeren abwechslungsreichen Schreibstil kommt keines der etwas „trockeneren“ Themen auch nur ansatzweise langweilig rüber. Zum Selberlesen ist das Buch sicherlich ab 10/12Jahren geeignet, wenn die Kinder schon erste Erfahrungen mit dem Internet oder sozialen Medien gesammelt haben.

Die Gestaltung des Sachbuchs finde ich sehr gelungen. Die einzelnen Seiten sind mit netten Illustrationen versehen. Die kleinen witzigen, teils cartoonartigen, teils an Piktogramme erinnernden Bilder von Dunja Schnabel beziehen sich immer auf den Inhalt. Überhaupt ist das gesamte Layout gut durchdacht und stimmig, es erinnert an eine bunte Zeitschrift.

Anfangs war ich skeptisch, ob es möglich ist, ein so komplexes Thema wie Nachrichten, für Kinder verständlich und motivierend aufzubereiten. Aber meine Skepsis war vollkommen unbegründet. Stellenweise war das Buch sogar für meinen sechsjährigen Sohn und meine achtjährige Tochter sehr interessant, obwohl diese eigentlich nicht direkt der Zielgruppe entsprechen. Vor allem die Interviews, die Rätselfragen und die kleinen witzigen Anekdoten, wie die über Pannen beim Fernsehen oder den „Speiseplan“ von Auslandskorrespondenten, haben ihnen sehr gut gefallen. Ich als Erwachsene habe auch noch einiges dazulernen können, z.B. worin sich „die Tagesschau“ und „Heute“ unterscheiden. Es ist deutlich zu merken, dass die Autorin vom Fach ist, sich gut auskennt und genau weiß, worüber sie schreibt. Sie stellt die komplexen Zusammenhänge nicht zu vereinfacht dar, sondern erklärt sie kindgerecht, aber umfassend.
Ein wirklich tolles Buch zum Thema: informativ, gut recherchiert und vor allen Dingen unterhaltsam.
Genauso stelle ich mir ein perfektes Kindersachbuch vor.

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Veröffentlicht am 02.03.2020

Perfekte Komposition

Sommer bei Nacht
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Der fünfjährige Jannis verschwindet auf einem Schulflohmarkt. Aufnahmen beweisen, dass er von einem Mann mit großem Teddybären fortgebracht wurde. Fieberhaft sucht die Polizei, allen voran die Kommissare ...

Der fünfjährige Jannis verschwindet auf einem Schulflohmarkt. Aufnahmen beweisen, dass er von einem Mann mit großem Teddybären fortgebracht wurde. Fieberhaft sucht die Polizei, allen voran die Kommissare Ben Neven und Christian Sandner, nach dem Jungen. Im Laufe der Ermittlungen ergeben sich Parallelen zu einem früheren Fall. Die Zeit wird knapp, denn mit jeder Minute sinkt erfahrungsgemäß die Chance, den Jungen lebend wiederzufinden....

Jan Costin Wagner schreibt auf unverkennbare Weise: im Präsens mit klaren und einfachen Sätzen. Er nimmt jeweils die Perspektive einer Figur ein und schildert aus ihrer Sicht alles, was passiert und auch das, was der Person gerade durch den Kopf geht, ihre Gedanken und Emotionen. Durch die Zeitform der Gegenwart entsteht der Eindruck, alles finde genau jetzt statt. Dies wirkt so nüchtern und sachlich, als könnte man den Charakter ganz unvoreingenommen beim Denken beobachten. Dieser prägnante typische Stil macht Wagners Romane aus.

Auch die Handlung ist durch diesen unnachahmlichen Schreibstil geprägt. Sie ist im Grunde ganz schnell erzählt. Es geht um den Fall des verschwundenen Jungen. Der Autor befasst sich mit den am Fall beteiligten Personen, den Ermittlern, den Eltern des Jungen, dem Täter, dem Opfer und anderen Betroffenen und beschreibt in einzelnen Kapiteln deren momentane Situation: das, was sie auf unterschiedlichen Ebenen gerade erleben. Dabei geht es nicht darum zu rätseln, wer der Täter ist. Das wird schon ziemlich am Anfang aufgelöst. Es wird vielmehr aufgezeigt, was der Entführungsfall mit den einzelnen Charakteren anstellt und was sie in der Folge tun und denken. Die Handlung findet teils auch in den Köpfen der Figuren statt. Der Krimi ist nicht spannend im klassischen Sinn. Die Spannung liegt sicher eher darin, immer mehr über die Figuren zu erfahren. Alle haben ihr Päckchen zu tragen, wecken auf unterschiedliche Art das Interesse des Lesers: Was bewegt sie? Welche Abgründe verbergen sich hinter ihrer Fassade? Die sind mitunter erschreckend tief.....

Jan Costin Wagner ist auch hier wieder ein einzigartiger besonderer Roman gelungen: düster, melancholisch und intensiv. Beeindruckend! So klar und doch kaum zu fassen. Ich kann nicht genau ausdrücken, worin die besondere Faszination dieses Romans besteht, aber vielleicht ist es ja gerade das, was das Buch ausmacht. Also lieber nicht mehr analysieren, einfach lesen, genießen und über die perfekte Komposition staunen.
Für mich große Literatur!

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