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Veröffentlicht am 28.06.2017

Achtung! Historischer Kriminalfall aus dem Alten Ägypten, somit kein “typischer” AC (AC 35)

Rächende Geister
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O: Death Comes as the End, Ich lese eine Hardcover-Ausgabe aus vermutlich den 1980er Jahren aus dem “Verlag Buch und Welt”, nach Internetrecherchen wohl aus Klagenfurt am Wörthersee in Österreich, gegründet ...

O: Death Comes as the End, Ich lese eine Hardcover-Ausgabe aus vermutlich den 1980er Jahren aus dem “Verlag Buch und Welt”, nach Internetrecherchen wohl aus Klagenfurt am Wörthersee in Österreich, gegründet 1969 von Heide und Hans Kaiser, daher dann auch der “Neue Kaiser Verlag” 1978. Übergang an Ingrid Sammüller für Edition XXL in 2011
in. https://www.buchmarkt.de/meldungen/buchhandel/antiquariatema/edition-xxl-wachst-weiter-und-ubernimmt-neuen-kaiser-verlag/
https://www.xxl-medien-service.de/
Das Buch ist das zweite in einem Doppelband gemeinsam mit “Der Tod wartet” – nach meiner Erinnerung handelt es sich um eines von mehreren AC-Büchern, die von der Regionalzeitung in deren Shop angeboten wurden, für mich damals mein günstiger Einstieg für die Autorin.

Rächende Geister ist der 35. Kriminalroman der Autorin, weitere Bücher mit Kurzgeschichten sind in dieser Zählung nicht eingeschlossen. Das Original erschien zuerst in den USA im Oktober 1944 bei Dodd, Mead and Company, dann in Großbritannien im März 1945. Die deutsche Erstausgabe ist vom Scherz Verlag von 1947 in der Übersetzung von Ursula von Wiese https://de.wikipedia.org/wiki/UrsulavonWiese
, die in meiner Ausgabe nicht genannt wird, aber wohl die einzig verwendete Übersetzung geliefert hat. https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A4chende_Geister

Es ist der sicher untypischste Roman der Autorin, da die Handlung im Alten Ägypten angesiedelt ist und somit als einziger nicht im 20. Jahrhundert; auf S. 195 heißt es„…bald wird es ein geeintes Land sein…Ober- und Unterägypten in ein Reich verschmolzen, das seine frühere Größe erlangt…“. Der Wikipedia-Artikel zum Buch entnimmt daraus 2000 v. Chr. mit Verortung in Theben, der entsprechende Artikel zur Reichseinigung eher kurz vor 2980 v. Chr. und eigentlich wird nur der Süden genannt...

Die junge Renisenb kehrt nach dem Tod ihres Mannes mit ihrer kleinen Tochter zurück ins Haus ihres Vaters, des wohlhabenden Totenpriesters. Zum Haushalt gehören noch ihre Brüder samt Frauen und Kindern, die Großmutter, eine alte Dienerin, der Verwalter und ein Schreiber. Als Renisenb sich in der bislang von Sticheleien und Missgunst getragenen Atmosphäre unwohl fühlt, unkt Verwalter Hori: „Du begreifst nicht, Renisenb. Es gibt das Übel, das von außen kommt, das sichtbar ist, wenn es angreift, aber es gibt auch noch eine andere Verderbnis, die innerlich ausgebrütet wird, die sich äußerlich nicht zeigt. Sie wächst langsam, Tag für Tag, bis schließlich die ganze Frucht verfault ist, von Krankheit zerfressen.“ S. 147
Als der Vater von einer Geschäftsreise mit einer neuen jungen Frau zurückkehrt, kippt die Stimmung, es wird gefährlich: bald gibt es eine Leiche. Es soll nicht die einzige bleiben….

Der Roman bleibt auch beim Re-Read nach vielen Jahren einer meiner ungeliebtesten Agatha Christies, wohl nicht nur durch die an anderen Werken geschulte Erwartungshaltung, sondern auch wegen der vielen Toten, Mordmethoden und der diesen geschuldeten doch stark schrumpfenden Anzahl von Verdächtigen – es gibt schlicht zu wenig zum Mit-Ermitteln. Letztlich bleiben mir Ort und Zeit fremd, dafür lässt sich der recht kurze Roman zügig lesen.

Zeitgeist oder der Handlung geschuldet?
„Die meisten Männer sind Narren“ „es gibt keinen größeren Narren als einen alten Narren“ S. 153
Hori: wir haben keinen richtigen Glauben an einen Gott S. 167
„Wie die meisten herrschsüchtigen Frauen war sie feige.“ S. 251

Personal:
Da mir die Namen erst Probleme bereiteten, hier eine Liste:
•Renisenb, junge Witwe von Khay, nach 8 Jahren Ehe
ihre Tochter Teti, 4 Jahre alt
•ihr Vater, Ka-Priester Imhotep, der Totenpriester, verantwortlich für das Grab des großen Edlen Meriptah
• ihr ältester Bruder Yahmose, sorgt sich stets, bedachtsam, sieht überall Probleme
•seine Frau Satipy, groß, tatkräftig, laut, herrisch
die zwei kleinen Söhne der beiden
•ihr älterer Bruder Sobek, fröhlich, vertrauensselig
•seine Frau Kait, breitgebaut, häßlich, eigensinnig, nur auf ihre Kinder fixiert
die kleine Ankh ist die Jüngste, zwei weitere Jungs
•Ashayat, die tote Frau von Imhotep und Mutter von Yahmose, Sobek, Renisenb
•Ipy, 16 Jahre alt – der jüngste Sohn von der zweiten verstorbenen Frau des Vaters, Ankh.
•Großmutter Esa
•Henet, die alte Dienerin, eine ärmer Verwandte von Ashayat, selbstmitleidig, manipulativ,
•Hori, Geschäftsverwalter des Vaters
•Kebsweib des Vaters (= Nebenfrau, Konkubine) Nofret. jung, anmaßend, schön, 19.
•Schreiber Kameni aus dem Norden
•Priesterarzt Mersu

Trivia:
Ich zitiere weiter aus dem Wikipedia-Artikel: „Dieser Roman ist der einzige Roman Christies, der nicht im 20. Jahrhundert spielt. Die Anregung zu diesem Roman erhielt sie von dem englischen Ägyptologen Stephen Glanville, einem Freund der Familie. Er half Christie auch, das Leben in der ägyptischen Familie vor 4000 Jahren richtig zu beschreiben. Auch hat er vehement ein anderes Ende für den Roman gefordert. Christie kam dem nach, stellte aber in ihrer Autobiografie klar, dass das unveröffentlichte Ende ihrer Meinung nach besser gewesen sei.
Der Roman ist bekannt durch die hohe Anzahl an Opfern und ist im Schaffen Christies nur mit „Und dann gab's keines mehr“ (alt: Zehn kleine Negerlein) zu vergleichen.
Für die Kapitelüberschriften verwendet Christie die Monate des Ägyptischen Kalenders. Ein Vorgehen, das man auch in anderen Romanen, zum Beispiel in „Das unvollendete Bildnis“ findet.“

Verwendete Mordmethoden: Gift, Sturz/Schubs, Ertrinken, Ersticken, Pfeil und Bogen.

Veröffentlicht am 03.05.2017

Auf Messers Schneide

Sweetbitter
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Es werden Drogen genommen im Buch, viele Drogen. Um zu feiern, runterzukommen, wach zu werden, durchzuhalten, dazu zu gehören –meine persönliche Ablehnung dazu blockierte mich in meiner Wahrnehmung von ...

Es werden Drogen genommen im Buch, viele Drogen. Um zu feiern, runterzukommen, wach zu werden, durchzuhalten, dazu zu gehören –meine persönliche Ablehnung dazu blockierte mich in meiner Wahrnehmung von Geschichte und Personen. Ich habe mir dann stattdessen vorgestellt, die Protagonisten teilten Schokolade oder Klatsch, um einfach in die Handlungen, Motive und persönlichen Verbindungen HINTER dem Drogenkonsum blicken zu können; ich konnte damit mein generelles Missfallen und Unverständnis quasi abspalten und mich auf etliche gut gemachte Aspekte dieses Buches einlassen.

„Für die Mädchen, mit denen ich aufwuchs, war die Zukunft eine Vollzeitbeschäftigung – sie gestalteten sie, leiteten sie in die Wege. Sie konnten darüber mit so viel Selbstbewusstsein sprechen, dass es klang, als wäre die Zukunft bereits Vergangenheit.“ S. 19 Die 22jährige Protagonistin geht hingegen nach New York, bekommt Arbeit im In-Restaurant, in einer Parallelwelt – der des schönen Scheins, des Umgangs mit den reichen Gästen: „Die Profis wussten, welche Ausstellungen gerade in welcher Galerie gezeigt wurden, regelmäßige Museumsbesuche galten als selbstverständlich. Fragte jemand, ob man Manets Hinrichtungen bereits gesehen habe …, dann antwortete man entweder, dass man quasi auf dem Weg dorthin war oder dass man sie bereits in Paris gesehen habe.

Und das seltsamste daran war, dass all das nichts bedeutete. Hatte man einmal die Schwelle zur Küche hinter sich gelassen, ging es wieder um Essen, Sex, Saufen, Drogen, die neuste Bar; darum welche Band wo spielte und wer in der Nacht zuvor am betrunkensten gewesen war.“ S. 80 Für die dienst-älteren Kollegen bedeutet das: „Sie sprachen die Sprache der Reichen. Fließend.“ S. 82 Dazu kommen Einblicke in die Gastronomie, über Geschmack, Bruchstücke von Unterhaltungen – durchaus von literarischer Qualität, einfallsreich gestaltet.

„Hast du Lust, Mittagessen zu gehen?“, fragte ich. Zu laut. „Ich meine, hast du Lust, zusammen mittagessen zu gehen? Ich meine, würde dich gern einladen, als Dank für die Bücher und dafür, dass ich hier sein durfte.“ S. 131 Ich habe selten eine so gute Darstellung gesehen von Einsamkeit, dem verzweifelten Wunsch, dazuzugehören, von Verlorenheit – davon, um andere oder anderes zu kreisen, sich komplett distanzlos zu machen in der völligen Bezogenheit auf ein Vorbild, ein Objekt der Verliebtheit, einen Job oder einen Lebensstil. Sie möchte sein wie Simone, zusammen sein mit Jake: „Ich wusste, wenn ich ihn nur dazu bringen konnte, mich zu erkennen, dann wäre keiner von uns beiden mehr einsam.“ S. 197

Die gesamte Gruppe bewegt sich wie auf einer einzigen Klassenfahrt – in einer Art Blase, entfesselt, sehr aufeinander bezogen und sich aneinander reibend; in ihrem Kontakt mit den Wohlhabenden, ohne je selbst dazugehören zu können, aber dennoch mit einer gewissen Überheblichkeit, abgekoppelt von normalen Rhythmen durch den Schichtdienst, verächtlich gegenüber den „Geregelten“: Druck, wechselnde Arbeitszeiten, Serviceorientierung, keine Chance für „jeden Donnerstag Pilates um 19 Uhr“.

Da ist „zu viel“ – zu viele Drogen, zu viel wenig Schlaf, zu viel Alkohol, zu viel um die Häuser ziehen, zu viel Einsamkeit, zu viel Unentschlossenheit, zu viel Geld – bei den Gästen, die Trinkgelder, die Verdienstmöglichkeiten für schlichtes Kellnern. Es ist gerade in der ersten Hälfte mir generell zu viel – und das in alle Richtungen. Bucherliebhaberin kommt allein in die große Stadt, will ihr Glück machen, verliebt sich in Mann, der sie zurückweist – ohne die Drogen und die Dauerparty wäre das nur eine Kitsch-Liebesgeschichte, wenn Jake ihr den Hintern versohlen würde, „Shades of Gray“. Als Mann wäre es ein wenig Kerouac. Ein Buch, das die Leser spalten wird – der Drogenkonsum der Charaktere wird vielen den Zugang versperren. Ich mag die Sprache der Autorin, gerade die zweite Hälfte fand ich deutlich stärker, ich konnte charakterliche Entwicklungen bemerken – aber mir blieb der tiefere Zugang versperrt. Eine Momentaufnahme über das diffuse Gefühl von Jugend, von Unsicherheit, von Möglichkeiten. 3,5 Sterne, die ich aber gerade im Vergleich mit "runderen" Texten nicht hochsetzen möchte.

Veröffentlicht am 10.01.2017

Toll die Auseinandersetzung mit dem Organspende-Thema - leider etwas schwach umgesetzt

Mein Herz wird dich finden
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Ich verschenke möglichst nur Bücher, die ich selbst gut finde (vom Fachbuch für ein mir völlig fremdes Thema abgesehen). Dieses Buch war entsprechend als Geschenk gedacht – endlich nicht Vampir oder Werwolf. ...

Ich verschenke möglichst nur Bücher, die ich selbst gut finde (vom Fachbuch für ein mir völlig fremdes Thema abgesehen). Dieses Buch war entsprechend als Geschenk gedacht – endlich nicht Vampir oder Werwolf. Nach meiner Erwartung aus dem Klappentext sollte es aber auch „mehr“ sein als „nur“ eine Liebesgeschichte dank der Verflechtung mit den wichtigen Themen Organspende und Trauer nach Verlusten.
Das Buch ist leicht lesbar geschrieben – aber verschenken werde ich es nicht. Eher vielleicht „Beim Leben meiner Schwester“ von Jodi Picault, am besten Buch UND DVD, wegen des sehr unterschiedlich umgesetzten Endes gibt das viel mehr Anlass, über das Thema nachzudenken.


Positiv ist, dass das Thema Organspende überhaupt angesprochen wird – und das durchaus mit einigen Details: zwingende lebenslange Einnahme von Medikamenten gegen Abstoßungsreaktionen, bleibende Ängste von Empfänger und teils auch Spender/-Nachkommen.


Mia liebt Jacob bis zu dessen Unfalltod. Seine Organe werden gespendet. Mia sucht alle Empfänger kennenzulernen. Der Empfänger des Herzens meldet sich nicht. Sie sucht auf eigene Faust und findet ihn: Noah.
Glaubhaft fand ich Noah: Von Mia glaubt er, dass sie nur ihn sieht, nicht seine Krankheits-Vorgeschichte, wie seine „alten“ Freunde oder die Familie. Er möchte gesund sein, endlich leben.
Negativ sehe ich hingegen Mia: sie setzt sich über Noahs Wunsch hinweg, keinen Kontakt zu den Hinterbliebenen des Spenders haben zu wollen. Ihre Art der Trauer finde ich völlig überzogen – natürlich gibt es keine „Vorschrift“, wie lange Trauer dauern darf, aber ganz ehrlich: Noahs Mutter hat ihren Sohn im Jugendalter verloren. Wieviel schlimmer kann Mias Trauer sein? Mias Suche nach allen Empfängern wirkt auf mich besessen. Was, wenn ein Krimineller ein Empfänger ist – oder einfach nur jemand, den sie einfach überhaupt nicht mag?


In der deutschen Übersetzung wurden sämtliche Namen der drei Protagonisten geändert, teils jedoch die zu den Originalnamen passenden Spitznamen (Noah) verwendet, was leider für Verwirrung sorgt. Es gibt sehr viele leere Stellen und sehr wenig Text in diesem Buch. Ansätze werden nicht ausgearbeitet, so als Noah sein Spenderherz riskiert: Gibt es einfach das Recht, so zu leben, wie man möchte (auch wenn das vielleicht nicht gesund ist), oder die Pflicht, vielleicht sogar eine Verantwortung gegenüber jenen, die Spender waren, Hinterbliebene sind, eventuell vergeblich auf ein Organ warten? Was wäre gewesen, wenn Empfänger trotzdem gestorben wären?


Schade. Bei dem Schreibstil wäre so viel mehr Inhalt möglich gewesen.

Veröffentlicht am 03.01.2017

Wie ein unglaubwürdiges Ende ein bis dahin spannendes Buch abstürzen lässt

Das Lazarus-Syndrom
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Der früher brillante Chirurg Dr. Johannes Krafft – genannt Joe the Butcher - hört beruflich gerne den Walkürenritt, am liebsten ohne Gesang – das ist noch der kultivierteste Teil seines Verhaltens. Den ...

Der früher brillante Chirurg Dr. Johannes Krafft – genannt Joe the Butcher - hört beruflich gerne den Walkürenritt, am liebsten ohne Gesang – das ist noch der kultivierteste Teil seines Verhaltens. Den Rest von Kultur versucht er, systematisch im Alkohol zu ertränken, hat jeden beruflichen Ehrgeiz eingetauscht gegen den ruhigeren Job in einem Organentnahmeteam und erwartet auch von den Menschen um ihn herum nicht, dass sie sich lange mit ihm abgeben werden. Joe ist nicht einfach nur Alkoholiker – er stürzte ab nach einem schlimmen Erlebnis.

Als ihn ein früherer Kommilitone um Hilfe bittet, findet er diesen nur noch tot auf – und sich selbst plötzlich als Verdächtigen. Dazu fallen ihm in seinem Arbeitsumfeld Ungereimtheiten bei der Organentnahme auf – und der Strudel der Ereignisse dreht sich schneller und schneller. Bald wird klar, dass er mit seinen Vermutungen in ein Wespennest krimineller Machenschaften gestochen hat, bei dem die Verantwortlichen vor nichts zurückschrecken.

Lange gefiel mir dieser sehr spannend geschriebene Roman gerade mit seinem oft recht zynischen Humor – so meint der ermittelnde Polizist zum betrunkenen Joe: „Ich darf im Dienst keinen Alkohol zu mir nehmen. Auch nicht über die Atemluft.“ S. 98 Der Autor führte mich bezüglich der Verdächtigen mehrfach perfekt aufs Glatteis, ich flog geradezu durch die Seiten.

Meine Wertung kommt trotzdem nur auf 3 von 5 Sternen, weil ich es einfach absolut satt habe, wenn man mir ein bis dahin toll geschriebenes Buch (davor „Stiefkind“, „Kollisionen“) durch ein abstruses Ende komplett zu verleiden mag. Mal ernsthaft – ein Killer, der sich einfach so plötzlich umentscheidet? Der noch dazu auf sehr praktische Weise dem Ende der Handlung fernbleibt (der Autor benötigt den Killer - Mist – jetzt muss ein Dreh ‘rein, der Killer wird anders benötigt - nicht mehr benötigt = weg)? Dazu haben zufällig der ermittelnde Polizist und ein Arzt in der gleichen Handlung das gleiche Sorgenthema in der Familie? Der Arzt kann der Erpressung nicht widerstehen, der Polizist hingegen kann das einfach so – obwohl das eigene Kind der Faustpfand ist? Und was mit Joes Mutter passiert, bewegt ihren Sohn so wenig?

Vertan fand ich auch den Umgang mit dem Organspendethema – der Autor hat ja seine Vorbehalte gegen Organentnahmen in der Diskussionsrunde deutlich werden lassen. Ja, der Hirntod ist eine Definition; der „Hirntote“ befindet sich aber in einem nicht umkehrbaren Zustand, wird von Maschinen „am Leben“ gehalten, um eben seine Organe am Leben zu halten – bei einem Toten sind auch die Organe tot. Sie können dem Toten allerdings auch nicht mehr nützen, hingegen für andere das (Weiter-)Leben erst ermöglichen. Ja auch: Wer als Angehöriger eines hirntoten Patienten plötzlich entscheiden soll, ob Organe gespendet werden, ohne sich je damit auseinander gesetzt zu haben, wird Probleme haben. Natürlich ist es „schöner“, wenn man das überhaupt so sagen mag, jemandem beim Übergang vom Leben zum Tod Zeit zu lassen, vielleicht die Hand zu halten. Oft wird das gehen –bei Kranken, Alten (oft ist dann aber niemand da). Organspende ist so nicht möglich (auch nicht bei den Kranken, Alten – wie immer noch die meisten von uns sterben). Im Falle eines Falles möchte aber fast jeder dann doch Organ-Empfänger sein. "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" – wir können diesen Wunsch artikulieren, wollen aber nicht über das eigene Sterben nachdenken, reden – das hilft nicht. Auch nicht unseren Angehörigen im Falle eines Falles. Und Missbrauch ist letztlich nur möglich, wenn – weil! - zu wenige Spender zur Verfügung stehen. Organhandel mit Menschen aus den ärmsten Ländern der Welt ist nur eine Folge. Hier aufzuklären statt weiter Angst zu verbreiten hätte mir besser gefallen (auch bei den Missbrauchsfällen zur Organentnahme in Deutschland wurde niemand wegen seiner Organe zu früh für tot erklärt oder ermordet – man hatte die Priorisierung eigener Patienten in der Empfängerliste stattdessen nach oben verschoben und damit das Leben der dadurch als weniger dringend eingestuften Wartenden riskiert; das Falsche getan mit den besten Absichten für den eigenen Patienten – hier wurde das „Priorisierungssystem“ dahingehend geändert, keinen vielleicht zu „involvierten“ Arzt mit entscheiden zu lassen).

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Veröffentlicht am 28.11.2016

Versandet leider als Schmonzette – bis dahin durchaus spannend-gruselig, dabei eher Gothic Novel denn Psychothriller

Stiefkind
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Ich habe das Buch in einem Abend durchgehabt – die Handlung vermochte mich zu fesseln, ist spannend und mitreißend geschrieben. Allerdings lässt mich die Auflösung unzufrieden zurück – das muss man erst ...

Ich habe das Buch in einem Abend durchgehabt – die Handlung vermochte mich zu fesseln, ist spannend und mitreißend geschrieben. Allerdings lässt mich die Auflösung unzufrieden zurück – das muss man erst einmal hinbekommen, mich als Leser so spät im Buch, aber so nachhaltig zu verprellen. Jetzt kommt die Schwierigkeit, darüber etwas zu sagen – ohne zu viel zu verraten…das beginnt schon mit der Grundhandlung:

Großbritannien, London und vor allem Cornwall: Eine junge Frau aus ärmlichem Hintergrund verliebt sich in einen etwas älteren wohlhabenden Mann, dessen erste Frau unter mysteriösen Umständen starb, und zieht mit ihm in sein historisches altes Gemäuer, in dem die erste Frau bereits einen deutlichen Eindruck hinterlassen hat. Das darf als Grundhandlung durchaus bekannt vorkommen… Gestern Nacht träumte ich, ich sei wieder in…Carnhallow. Man kann das hier kaum spoilern, spielt doch Autor S.K. Tremayne sehr eindeutig damit, plus vielleicht einem kleinen Hauch von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, was Grusel und Mystik angeht (daher auch die Einordnung eher zu Gothic Novel – wobei das aktuelle „Loney“ mystischer ist). Es gibt auch keine gruselige Mrs. Danvers, dafür eine nette Schwiegermutter, die aufgrund von Alzheimer im Frühstadium gewisse Aussetzer hat – und gruselige frühere Minenanlagen in der Nähe und unterhalb des Hauses.

Die Variation des Themas beginnt damit, dass Rachel nicht nur David heiratet, sondern auch noch Stiefmutter des achtjährigen Jamie wird, der sehr unter dem Tod der Mutter vor rund zwei Jahren leidet. Und von da an spannt der Autor sein recht geschicktes Spinnennetz von Andeutungen und Ereignissen auf, in dessen Falle ich als Leser durchaus tappte: Jamie macht Andeutungen zu Vergangenheit und Zukunft – David will bestimmte Geheimnisse nicht ans Licht kommen lassen – Rachels Heranwachsen scheint traumatische Erinnerungen zu bergen…und dabei zählen die Kapitel tageweise die Zeit bis zum nahenden Weihnachten wie ein Countdown herunter, man lernt bald, welches Ereignis da droht. Jamie und Rachel sind viel allein, da David die Woche über als erfolgreicher Anwalt in London arbeitet – sein vorrangigstes Ziel ist der Erhalt des kostenintensiven Familienbesitzes. Was ahnt Jamie? Verliert Rachel den Verstand – oder will man sie das nur glauben machen? Was geschah mit Davids erster Frau? Und welche Geheimnisse hat David? Die ersten 40 Seiten sind dabei aus der Sicht von Rachel als Ich-Erzählerin geschrieben, ab dann lässt der Autor auch Davids Sicht in der dritten Person ans Licht treten – solidarisiert man sich zuerst leicht mit der den meisten wohl gesellschaftlich (zunächst) näher stehenden Rachel, wird danach geschickt mit den Sympathien des Lesers jongliert. Soweit zu den positiven Teilen.

Was dem Autor für die Auflösung einfiel, lässt das Niveau stark abfallen:
Im Buch spielt eine LANGE Botschaft eine Rolle, die an ein beschlagenes Autofenster geschrieben wird – ich vermute, es muss sich wohl um einen Bus handeln und ein wirklich SEHR geduldiges Kind, dass diesen Text schreibt (S. 124).
Ich habe schon in Leserunden erlebt, wie (besonders weibliche) Leser große Ablehnung äußerten, wenn (besonders weibliche) Hauptpersonen berufsbedingt wenig Zeit für ihre Kinder hatten – David hat kaum Zeit, daher wohl lässt ihn der Autor das sehr episch bedauern. „Das war es, woran man sich auf dem Sterbebett erinnern würde.“ S. 108. Das ist schön rosarot, aber der Mann HATTE einen abwesenden Vater mit Alkoholproblemen und trinkt nun selbst mehr als gelegentlich und schuftet sich selbst kaputt für – natürlich, den Erhalt eines alten Gemäuers, irgendwie in vollem Bewusstsein.
Das ach so geliebte Kind leidet, darf aber nach Wunsch des liebenden Vaters mit niemandem darüber reden, nicht einmal mit diesem – wegen etwas, bei dem der Geheimnisbedarf doch sehr fragwürdig erscheint – vor allem, da zumindest David zu Jamie doch ein-eindeutig steht, wie auch immer seine Handlungen in der Vergangenheit waren.
David sieht in Rachel immer noch die Erlösung, als parallel seine Pläne doch inzwischen recht anders laufen. Ach ja, und der verstorbene Freund von David war schon ein spezieller Spaßvogel, der ausgerechnet diese beiden als Paar zusammenbrachte.
Und Nina – da liebt eine Frau so sehr, dass sie zu illegalen Handlungen bereit ist – und lebt dann dieses Dilemma: suggeriert das Bindungsunfähigkeit oder doch unerwiderte Liebe? Ja, was denn nun?
Und zuletzt halte ich einige der Grundkonzepte zu Vererbung und Elternbindung für etwas…märchenhaft.

Fazit: Stark geschrieben und richtig gut auf dem Weg zum Höhepunkt (5 Sterne) – dann aber komplett verpuffend, da nicht nachvollziehbar abgesackt auf das konstruiert wirkende Niveau einer Vorabend-Privat-TV-Schmonzette. Schade.

Spoilergefahr: zum Geheimnis in der Vergangenheit: juristisch ist die vertragliche Handlung in Großbritannien sehr wohl erlaubt – allerdings darf keine Bezahlung erfolgen. Wozu also nach so vielen Jahren noch diese Geheimhaltung betrieben wird, wenn es doch einerseits kaum Quittungen geben dürfte, andererseits aus Behördensicht keine einleuchtende Gefährdung des Wohls des Betroffenen (zumindest vor dem ganzen Drama im Buch), leuchtet mir nicht ein.