Erschütternde Umstände in einer illegalen Siedlung am Rand einer indischen Großstadt
Der Debütroman der in Südindien geborenen Autorin Deepa Anappara führte mich tief hinein in ein indisches Basti, das ist eine illegale Siedlung am Rand einer großen Stadt. Die Häuser dort sind zwar klein ...
Der Debütroman der in Südindien geborenen Autorin Deepa Anappara führte mich tief hinein in ein indisches Basti, das ist eine illegale Siedlung am Rand einer großen Stadt. Die Häuser dort sind zwar klein und bestehen meist nur aus einem Raum, aber immerhin sind sie aus Stein gemauert. Zur Ausstattung gehört oft ein Fernseher und von den erwachsenen Bewohnern besitzt fast jeder ein Handy. Aber es besteht ständig die Gefahr, dass die Siedlung auf Anordnung der Verwaltung mit Bulldozern niedergewalzt wird. Darum versuchen die Bewohner sich möglichst unauffällig zu verhalten und die örtlichen Polizisten nicht zu verärgern.
Der neunjährige Jai lebt in einem solchen Basti zusammen mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Runu. Sein Vater verdingt sich auf einer Baustelle und seine Mutter ist Dienstmädchen in der angrenzenden Hochhaussiedlung der Reichen. Eines Tages verschwindet ein Klassenkamerad von Jai, schon bald ist es ein zweites Kind und weitere folgen. Jai begibt sich mit seinen gleichaltrigen Freunden Pari und Faiz auf die Suche nach ihnen. Dabei hofft er, dass ihm sein Wissen über das Lösen von Kriminalfällen, das er sich beim Anschauen von Fernsehsendungen erworben hat, zugutekommt.
Die Wege der Freunde führen sie durch die verwinkelten Gassen des Bastis, hin zum quirligen Bhoot-Basar, der seinen Namen von dem indischen Volksglauben an Bhutas d.h. Geister ableitet, und mittels U-Bahn bis hin in die Großstadt. Die drei halten Augen und Ohren offen und kommen der Lösung immer näher, die verbunden ist mit unglaublichen Erkenntnissen über die Realität.
Jai hat in seinem jungen Alter noch eine unverstellte frische Sicht auf sein Umfeld und das ist auch genau das, was den Roman ausmacht. Aus seiner Ich-Erzähler-Perspektive heraus schildert er einfach alles was er wahrnimmt und seine Gedanken dazu. Auf diese Weise vermittelte er mir damit all die Geräusche, Gerüche und Farben seiner Welt, die sich eigentlich auf das Basti beschränken sollten und nun durch seine Ermittlungen um einiges erweitert werden. Bewusst fügt die Autorin indische Bezeichnungen für Personen und Dinge ein, um ein gewisses Feeling für das Milieu zu vermitteln.
Indem die Freunde genau hinhören und hinsehen erfahren sie von den Erwachsenen Tatsachen und Gerüchte, die eigentlich nicht für so junge Kinder gedacht sind, aber zu einem verstörenden Bild für mich als Leserin werden. Denn trotz der wenigen Mittel die Jai zum Spielen zur Verfügung stehen, vermisst er nichts. Er besucht die Schule, trifft sich mit Freunden und spielt fantasievolle Spiele. Der Zusammenhang zwischen guten Noten und seiner späteren beruflichen Perspektive ist ihm noch nicht klar. Der Glaube an Geister verlangt nach gewissen Ritualen und setzt Regeln. Doch die zunehmende Zahl verschwundener Kinder geht auch an ihm nicht spurlos vorbei.
Während Jais Ahnungslosigkeit dem gesamten Roman einen gewissen heiteren Unterton verleiht, erfuhr ich zunehmend mehr über Missstände, die die indische Gesellschaft betreffen. Das Verschwinden der Kinder beruht auf wahren Ereignissen. In Einschüben erzählt die Autorin zu jedem vermissten Kind eine Geschichte bis zu dessen Verschwinden, doch was danach geschieht, bleibt offen und füllte sich für mich mit der Zeit mit Beschreibungen der Basti-Bewohner über Missbrauch, Kriminalität, Korruption, Ausbeutung und der Nachlässigkeit der Polizei. Gegenseitiges Misstrauen, das auch auf Glaubensunterschiede zurückgeführt werden kann, erschweren die Aufklärung. Leider kam es nach etwa der Hälfte des Buchs zu ein paar Längen.
Im Roman „Die Detektive vom Bhoot-Basar“ nahm Deepa Anappara mich mit in die illegalen Siedlung am Rande einer Großstadt. Aus kindischen Augen des Protagonisten Jai betrachtet, konnte ich am quirligen Leben dort teilnehmen. Ganz nebenher übt die Autorin deutliche soziale Kritik am System und prangert so manchen Missstand an. Ich fand die Geschichte beeindruckend und faszinierend und war erschüttert über die Umstände, die mich erschrocken zurückließen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.