Erst top, dann mir zu viel, zu gewollt, zu viel gewollt
Das MädchenWie kann man es denn wagen, etwas gegen ein Buch zu sagen, das über die Situation der 2014 in Nigeria durch die djihadistischen Boko Haram entführten Schulmädchen erzählt?
Edna O’Brien schreibt aus ...
Wie kann man es denn wagen, etwas gegen ein Buch zu sagen, das über die Situation der 2014 in Nigeria durch die djihadistischen Boko Haram entführten Schulmädchen erzählt?
Edna O’Brien schreibt aus der Sicht der jungen Ich-Erzählerin Maryam, die als Kind noch mit ihren Mitschülerinnen von den selbsternannten Gotteskriegern verschleppt wird. Auf Angst und Gebetsterror folgt Schlimmeres.
„Er sprach nicht. Seine Macht lag in seinem Schweigen und diesem ekelhaften Stieren. Als er sich auf mich legte, war es, als würde eine schwarze Plane auf mich geworfen, eine Schwärze, die mich unter sich begrub und alles andere aussperrte. Ich wusste, dass er mich umbringen würde, wenn ich etwas falsch machte. Ich versuchte, meinen Körper seinen Bedürfnissen anzupassen, hörte ihm zu, während er rackerte und fluchte, schäumte, ich sei nicht offen genug, nicht gefügig.“
Dieser Teil des Textes ist kaum erträglich und am stärksten dort, wo er wie im vorangestellten Zitat in der Bildhaftigkeit bleibt. Meine Frage an den Beginn der Lektüre war es, wie die Autorin mit dem Horror umgeht, sich ihm nähert. Hier finde ich das Buch stark.
Doch Maryam wird zwangsverheiratet, bekommt ein Kind von dem Sektenmitglied. Es kommt zu einem Angriff auf das Lager, einige Mädchen fliehen, unter ihnen Maryam mit ihrer Tochter Babby. Sie sieht sich dem Misstrauen der Ordnungsbehörden gegenüber, die in ihrer Flucht eine Finte vermuten, um sich getarnt als angebliches Opfer mit den Beamten in die Luft zu sprengen. Aus der Heimkehr wird eine Propaganda-Maßnahme der Politik. Das Leben daheim hat sich verändert, und Maryam sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, an allem Schuld zu sein, Schande auf sich geladen zu haben. Eine Tante bezeichnet die junge Mutter als „Buschfrau“, deren Kind man in einem Findelhaus unterbringen solle – die kleine Babby trage das Böse in sich.
Und hier etwa steige ich aus. Wir leben selbst in einem Land, wo immer noch Vergewaltigungsopfern vorgeworfen wird, selbst schuld zu sein, zu kurze Rücke getragen zu haben, sich zu aufreizend benommen zu haben. Und da stellt sich eine europäische Autorin hin und wirft der Gesellschaft in einem afrikanischen Land die dortige Version von Bigotterie und Misogynie vor? Danke, aber irgendwie nein danke. Das fängt stark an und endet schwach in Betroffenheitsschreibe; das ist mir „zu viel, zu gewollt, zu viel gewollt“. Ich hätte mir eine Fortsetzung des ersten Parts denken können oder alle Bestandteile, dann aber eher als Sachbuch oder Reisebericht. Interessanterweise empfinde ich eine ähnliche Thematik zu Afghanistan als stärker und weniger plakativ: Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen
3 Sterne – wegen Beginn und guten Absichten.