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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.03.2020

Eine gelungene Fortsetzung

Verkauft
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„Verkauft“ ist der nunmehr 4. Krimi aus der Feder von Constanze Dennig. Die Autorin ist im Brotberuf Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und weiß, worüber sie schreibt.

Alma Liebekind, ebenfalls ...

„Verkauft“ ist der nunmehr 4. Krimi aus der Feder von Constanze Dennig. Die Autorin ist im Brotberuf Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und weiß, worüber sie schreibt.

Alma Liebekind, ebenfalls Fachärztin für Psychiatrie und nebenbei Gutachterin für das Gericht, macht während eines Krankenhausaufenthaltes eine eigentümliche Beobachtung, die ihr niemand so wirklich glaubt.

Als wenig später in einem Flüchtlingsheim eine hochschwanger Frau
getötet, das Kind aber unverletzt zur Welt kommt, klingeln bei Alma alle Alarmglocken. Die Vermutung der Allgemeinheit, es hier mit einem Ehrenmord zu tun zu haben, glaubt Alma keine zehn Minuten. Wieso war ein Gynäkologie vor Ort? Zufall oder doch Berechnung? In ihrer gewohnt rustikalen Art, begibt sie sich in die Gerichtsmedizin, um die Leiche in Augenschein zu nehmen. Und siehe da, die tödlichen Messerstiche wurden so gesetzt, dass das Baby unbeschadet geboren werden konnte.

Alma hat wieder einmal die richtige Nase, zumal alle möglichen Indizien auf Unregelmäßigkeiten in dem Flüchtlingsheim zusammenlaufen. Gemeinsam mit ihrer recht nervenden Mutter begibt sie sich mit Niqab und schwarzen Kontaktlinsen verkleidet in die Höhle des Löwen. Dort müssen sie feststellen, dass Almas sechster Sinn recht hatte...

Meine Meinung:

Constanze Dennig nimmt sich diesmal mehrerer interessanter Themen an: zum einem, mit den Flüchtlingen (aus welchen Gründen sie auch immer nach Europa kommen) ist ein lohnendes Geschäft zu machen. Zweitens können diese Frauen den männlichen Strukturen nicht entrinnen. Selbst wenn sie ohne Mann oder Bruder unterwegs sind, maßt sich selbst ein kleiner Sohn an, über seine weibliche Verwandtschaft zu befinden und zu richten. Weiters spricht sie das Thema Leihmutterschaft an, wofür auch Flüchtlingsfrauen missbraucht werden. Das große Geld kassieren die europäischen Hintermänner, die dann gönnerhaft ein bisschen Geld für Flüchtlingsheime spenden.

Diesmal ist Martha Liebekind-Spanneck, Almas Mutter nicht ganz so dominant und nervend wie die drei Fälle vorher.

Alma hat nach wie vor Stress mit ihrem Liebhaber Michelangelo, der sich immer noch wie ein kleines trotziges Kind verhält. Den sollte sie bitte unbedingt auf Ebay verkaufen - so in der Art „Leicht gebrauchter Loverboy günstig abzugeben. Kein Rückgaberecht!“
Einen kleinen Auftritt erhält auch Kajetan von Spanneck, Almas Vater, der nach jahrelanger Absenz bei seiner Ex-Frau Martha auftaucht. Die Leser können annehmen, dass nicht die plötzlich wieder erflammte Liebe zu Martha in antreibt, sondern eher ein Mangel an pekuniärer Sicherheit.

Wie schon in den anderen Fällen sind einzelne Passagen ein wenig überzeichnet, doch das passt gut zu Alma und ihrem Charakter. Gut gefällt mir das Geplänkel zwischen ALma und ihrer Mutter, wenn sie sich lateinische Zitate an den Kopf werfen. Medizinische Fachausdrücke bzw. Wörter des Wiener Dialekts werden durch Fußnoten gleich erklärt.

Das Ende am Moldaustausee hätte jetzt nicht unbedingt in der Art gebraucht. Aber es ist vermutlich als Aufhänger nötig, sonst wäre der Schmäh (=Witz) mit dem „Chippen“ nicht gut anzubringen gewesen.

Noch ein Wort zum Cover: Es spiegelt die Tristesse eines langen Krankenhausflurs im Keller wieder.

Fazit:

Eine gut gelungene Fortsetzung dieser Reihe rund um eine Wiener Psychiaterin. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 17.03.2020

Ein toller Reihenauftakt

Shalom Berlin
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„Shalom Berlin“ ist ein ungewöhnlicher Krimi. Er beschäftigt sich mit dem wieder aufflackernden Antisemitismus. Nicht, dass der jemals weg war, aber derzeit scheint es wieder en vogue zu sein, sich in ...

„Shalom Berlin“ ist ein ungewöhnlicher Krimi. Er beschäftigt sich mit dem wieder aufflackernden Antisemitismus. Nicht, dass der jemals weg war, aber derzeit scheint es wieder en vogue zu sein, sich in antisemitischen Äußerungen zu üben.

Alain Liebermann ist Beamter beim Staatsschutz und Mitglied einer weit verzweigten jüdischen Familie. Der Krimi beginnt mit der Schändung eines Grabes auf dem jüdischen Friedhof worüber Hannah Golden, eine engagierte Journalistin berichtet. Dieser Artikel setzte eine antisemitische Spirale der Gewalt in Gang, in die auhc Alain und seine Familie verwickelt werden.

Doch bald kommen dem Ermittler erste Zweifel. Handelt es sich wirklich um echten Antisemitismus oder ist das nur vorgeschoben, um von anderen Machenschaften abzulenken?
Alain Liebermann ist beinahe jedes Mittel Recht, um diesen komplexen Fall zu lösen. So balanciert er immer wieder am Rande der Legalität und erhält nicht immer die Unterstützung seiner Vorgesetzten

Meine Meinung:

Michael Wallner ist ein vielschichtiger Krimi gelungen, der durch einen ungewöhnlich anspruchsvollen und interessante Schreibstil besticht.

Die Verflechtung Politiker in diverse Malversationen ist zwar nichts Neues, doch der Autor hat dies sehr geschickt in den Krimi verpackt. Hier ist wenig so, wie es scheint. Gut gelungen ist dem Autor darzustellen, wie weit verbreitet Antisemitismus noch immer (oder schon wieder?) ist. Die alte Nachbarin, die dem Metzger die Flucht ermöglicht, der ein Zimmer mit Nazi-Devotionalien ausgestattet hat, ist ein erschreckendes Beispiel. Bei so alten Menschen kann dieses Gedankengut vielleicht noch eher toleriert werden, sind sie doch mit der Gehirnwäsche der Nazi-Propaganda aufgewachsen, aber den Jungen? Was treibt diese Menschen an? Neid auf Leute, die aus ihrem Leben etwas machen?

Interessant zu lesen ist, wie Alains 90-jährige Großmutter als U-Boot die Shoa und den Krieg in Berlin überlebt hat. Ihre Weisheit und ihre Gabe zuzuhören bringt Alain einen neuen Ermittlungsansatz. Der Einblick in jüdisches Leben hat mir auch gut gefallen.

Alain Liebermann ist ein ziemlich straighter Charakter, der auch manchmal zu ungewöhnlichen Mitteln greift, wenn er glaubt, so zu einem Erfolg zu kommen. Allerdings ist er dabei manchmal unvorsichtig, wie dieser Krimi zeigt. Er ist ein guter Teamleiter und scheut sich nicht, Drecksarbeit selbst zu machen.

Die Auflösung dieses komplexen Krimis ist schlüssig. Ich freue mich auf einen weiteren Fall für Alain Liebermann.

Fazit:

Ein toller Auftakt für eine ungewöhnliche Krimi-Reihe. Gerne gebe ich hier 5 STerne.

Veröffentlicht am 15.03.2020

Für Schleckermäuler

Das kleine Buch: Marmeladen und Gelees von klassisch bis kreativ
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Ich muss gestehen, mein Marmeladekonsum beschränkt sich auf wenige Löffel pro Jahr. Marmelade findet bei mir nur als Unterlage für Schokoglasur (Marille oder Ribisel) oder bei Wildgerichten (Preiselbeer) ...

Ich muss gestehen, mein Marmeladekonsum beschränkt sich auf wenige Löffel pro Jahr. Marmelade findet bei mir nur als Unterlage für Schokoglasur (Marille oder Ribisel) oder bei Wildgerichten (Preiselbeer) Verwendung; Manchmal, wenn ich Trüffel anfertige, dann auch Orangenkonfitüre.

Dennoch habe ich mit Interesse dieses Büchlein aus der Reihe „Das kleine Buch“ des Salzburger Servus-Verlag gelesen. Die Rezepte klingen interessant und einfach zu bewerkstelligen. Da unser Garten kaum Obst zum Einkochen hervorbringt (das wenige Obst wird vorher schon genascht) und der Verbrauch, wie oben schon erwähnt, recht gering ist, verzichte ich auf das Ausprobieren der Ratschläge.

Das Büchlein selbst ist angenehm zu lesen, das Wissen kompakt aufbereitet und erhält 5 Sterne.

Veröffentlicht am 16.03.2020

Statistik einmal anders - humorvoll

Statistisch gesehen
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Klemens Himpele, ein nach Wien eingewanderter Deutscher und Leiter der Wiener Magistratsabteilung Wirtschaft, Arbeit und STatistik, erzählt in diesem Buch, amüsante Geschichten von Deutschen und Österreichern. ...

Klemens Himpele, ein nach Wien eingewanderter Deutscher und Leiter der Wiener Magistratsabteilung Wirtschaft, Arbeit und STatistik, erzählt in diesem Buch, amüsante Geschichten von Deutschen und Österreichern. Worin sich die beiden Länder unterscheiden und was sie trotz der trennenden, weil gemeinsamen Sprache, vereint.

Das Buch beginnt - wie sollte es anders sein - mit einem Vorwort, das ein wenig über Statistik, Zufälle und Zusammenhänge berichtet.

Das Buch selbst ist in drei große Abschnitte und darunter in viele kleine Kapitel geteilt

Teil I - Piefke und Ösis
Teil II - Eine Reise durch Österreich
Teil III - Wien, Wien, nur du allein

Während im ersten Teil u.a. deutsche und österreichische Städte gegenüber gestellt werden, begeben wir uns im zweiten Teil auf eine Reise durch meine schöne Heimat. Ganz entzückend habe ich die Idee gefunden, den Text unserer Bundeshymne als Aufhänger zu nehmen.

Im dritten Teil beschäftigt sich der Autor mit der Bundeshauptstadt Wien und seiner Bevölkerung, die beide als „anders“ beschrieben wird. Nämlich als besonders grantig (= missmutig), nörgelnd und zu weilen als ausländerfeindlich, obwohl ein echter Wiener ja zumindest eine böhmische Großmutter haben muss. Alles nicht war! Es stimmt, dass für uns das Glas eher halb leer als halb voll ist, doch das gilt, wenn man diese Buch hier aufmerksam liest, auch für den Rest von Österreich.
Es stimmt allerdings, dass „der Tod ein Wiener sein muss“, denn nirgends gibt es so eine skurrile Beziehung zum Sterben wie in Wien. Das beginnt schon damit, dass der Wiener Zentralfriedhof neben Hamburg-Ohlsdorf der zweitgrößte Friedhof Europas ist, den Hamburger aber mit mehr als 330.000 Grabstellen übertrifft. Um den Anwohnern im 19. Jahrhundert die lange Reihe von Leichenfuhrwerken zu ersparen, haben der Architekt Josef Hudetz und der Ingenieur Franz von Felbiger eine Rohrpostanlage zum Leichentransport ersonnen. Mit rund 27 km/h sollten die Leichen an ihren letzten Bestimmungsort gebracht werden. Nun, wie viele bahnbrechende Ideen kreativer Köpfe wurde sie nicht verwirklicht. Aber, ein Bestattungsmuseum gibt es, in der „Langen Nacht der Museen“ darf man hier sogar in einem Sarg „Probe liegen“. Und mit „Es lebe der Zentralfriedhof“ hat Austro-Popper Wolfgang Ambros eine Ode an diese Oase der Ruhe geschaffen. Hier sagen sich sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht. Seit neuestem gibt es eine Jogging-Route durch den Friedhof, was nicht von jedem goutiert wird. Jener Teil, der Berühmtheiten beherbergt, ist ein Anziehungspunkt sowohl von Einheimischen, Zuagrasten und Touristen.

Im Ranking der „Lebenswertesten Städte der Welt“ hat Wien im nun Melbourne den Rang abgelaufen. Net schlecht! Doch was raunzt (motzt) der Wiener? Man habe ja nur die Manager, die sich nur wenige Tage in Wien aufhalten befragt, die eigentlichen Bewohner aber nicht. Doch Klemens Himpele kann mit Zahlen untermauern, dass der erste Platz für Wien durchaus gerechtfertigt und plausibel ist.
Vor allem beneiden uns Großstädte wie Hamburg oder Berlin um unseren sozialen Wohnbau. Über 220.000 Gemeindewohnungen befinden sich im Eigentum der Stadt und stellen günstigen Wohnraum für die Bevölkerung zur Verfügung. Davon können andere Städte nur träumen! Auch das klaglose Funktionieren der Müllabfuhr, die Versorgung mit bestem Hochquellenwasser oder Fernwärme, Gas und elektrischer Energie ist ein Pluspunkt der knapp an der 2 Millionen Einwohner zählenden Stadt.

Wien war und ist eine Einwanderungsstadt - auch wenn das der eine oder andere Politiker nicht einsehen will. Waren es im 19. Jahrhundert und bis zum Zusammenbruch der Monarchie hauptsächlich Einwanderer aus den Binnenländern, so kommen die heutigen Einwanderer aus der EU. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Deutschen lebt übrigens in Tirol. Hier ist das Trennende der gemeinsamen Sprache nicht ganz so ausgeprägt wie in Wien. Denn „Melange“ versteht man schon in St. Pölten (ca. 100 km westlich von Wien) nicht mehr. Dort heißt das köstliche Kaffeegetränk „Verlängerter“ und schmeckt meist auch so.


Fazit:

Wer sagt, dass Statistik trocken und humorlos präsentiert werden muss? Diese Buch beweist, dass auch Zahlen ihren Charme haben. Dafür gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 14.03.2020

Trotz des erschütternden Inhalts eine unbedingte Lesempfehlung

Die verdammte Generation
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Christian Hardinghaus, Historiker, Sachbuch- und Krimiautor, hat mit diesem Buch ein längst fälliges geschrieben, denn der Umgang mit den Männern, die während des Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht gedient ...

Christian Hardinghaus, Historiker, Sachbuch- und Krimiautor, hat mit diesem Buch ein längst fälliges geschrieben, denn der Umgang mit den Männern, die während des Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht gedient haben, lässt in Deutschland und in Österreich sehr zu wünschen übrig.

Schon im Titel lässt sich ahnen, dass es diesen Männern zu keiner Zeit ihres oft langen Lebens leicht gemacht wurde. Sie sind quasi von Beginn an mehrfach verdammt. Verdammt dazu, in eine Zeit hineingeboren zu sein, die das Schlechteste und auch das Beste aus dem Menschen hervorholt, verdammt dazu, einem verbrecherischen Regime zu dienen, das rücksichtslos Millionen von Menschen in den Tod schickt, verdammt dazu zu töten, um selbst zu überleben, verdammt dazu in Kriegsgefangenschaft zu geraten, verdammt dazu zu sein, verletzt an Körper und Seele zurückzukehren und mit niemandem über die Erlebnisse sprechen zu können, weil das Grauen der Shoa alle anderen Leiden verdeckt. Diese Generation wird von ihren Kindern verdammt, weil sie dem Regime zu wenig Widerstand geboten hätten. Mit dem Wissen von heute, den Väter ihre Taten oder Unterlassungen vorzuwerfen, ist verdammt billig.

Christian Hardinghaus hat, stellvertretend für die abertausenden Männer, die er nicht mehr kennenlernen konnte, 13 Soldaten der Wehrmacht interviewt und ihre Geschichte aufgeschrieben. Dabei lässt er persönliche Eindrücke so stehen, wie sie ihm erzählt wurden. Behutsam setzt er die Berichte in den historischen Kontext und lässt für uns Leser die Zeit des Zweiten Weltkrieges auferstehen.

Das sind die 13 Männer, an deren Lebensgeschichten wir teilhaben dürfen:

Otto (1916-2017)
Wigand (1920-2017)
Werner (1920)
Johannes (1921)
Hans-Werner (1922)
Karl-Friedrich (1923) und Josef (1923-2019)
Fritz (1923-2019
Jakob (1924)
Paul (1925)
Rolf (1927)
Ernst (1923-2017)
Wolfgang (1930-2016)

Doch bevor wir uns den Einzelpersonen nähern können, müssen wir uns einigen Lügen, Mythen und Versäumnissen stellen, dieüber die Wehrmacht erzählt werden. So betrachtet Christian Hardinghaus die „Wehrmachtsausstellung“ mit gebotener Distanz. Diese Ausstellung, die zwischen 1995 und 1999 in zahlreichen deutschen und österreichischen Städten gezeigt wurde, räumt mit der „sauberen Wehrmacht“, die an keinen Kriegsverbrechen beteiligt war, auf und schwört dennoch ein falsches Bild der Soldaten herauf. Denn die meisten Soldaten wussten nicht, was in den Vernichtungslagern wie Auschwitz, Bergen-Belsen oder Mauthausen vor sich ging. Die Namen einiger Lager war zwar bekannt, doch hielt man sie für Straflager. Ein kleiner Teil der Wehrmachtsangehörigen war jedoch an Morden an der (jüdischen) Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten direkt oder indirekt beteiligt. Sei, dass sie selbst zum Hinrichtungspeloton gezwungen wurden oder als Logistiker Waffen, Munition oder Nahrungsmittel beschafften.

Wir begleiten also die jungen Männer quer durch Europa, auf die diversen Kriegsschauplätze von der Normandie bis ins tiefste Russland.

Jede Geschichte enthält biografische Daten wie Geburtsdatum, Herkunft und Elternhaus. Vor allem das Elternhaus prägt die jungen Soldaten, sei es, dass sie aus tief religiösen, christlichem oder humanistischen Elternhaus stammen oder, dass ein Vater doch bei der SS war. Anschließend lässt Christian Hardinghaus die betagten Männer erzählen. Die furchtbaren Ereignisse kommen wieder aus dem Inneren hervor und lassen den einen oder anderen in Tränen ausbrechen. Die Erzählungen werden - wie die Leser es vom Historiker Hardinghaus gewöhnt sind - in den historischen Kontext eingebettet, so dass der interessierte Leser auch von kaum bekannten Gefechten und Kriegsverbrechen (wie die „Allerseelenschlacht“ oder den „Bromberger Blutsonntag“ oder die Kriegsgefangenenlager der Alliierten wie die „Rheinwiesenlager“) erfährt.

Anschließend stellt der Autor den ehemaligen Wehrmachtssoldaten jeweils drei Fragen. Eine davon ist jene, ob und was sie von der Shoa gewusst haben. Hier tritt Erstaunliches zu Tage: Die Wehrmacht wurde „künstlich dumm“ gehalten. Die Soldaten haben darüber offiziell nichts erfahren, denn Soldaten durften (erstaunlicherweise) nicht Mitglieder der NSDAP sein. Dass die jüdischen ehemaligen Schulkollegen und Nachbarn verschwunden sind, haben sie eher noch im früheren Zivilleben mitbekommen. Doch, und das ist das Perfide am System und der Propaganda, die hier ganze Arbeit geleistet hat, waren die jungen Männer der Meinung, dass die jüdische Bevölkerung umgesiedelt würde, um die neuen Lebensräume urbar zu machen. Und um näher nachzufragen, hatten sie keine Möglichkeit bzw. mussten sie um ihr eigenes Überleben kämpfen.

Wir Nachgeborenen dürfen uns nicht vom Wissen von heute verleiten lassen, die Angehörigen der Wehrmacht zu verdammen. Die überwiegende Teil wollte kein Soldat sein, kämpften um das eigene Überleben und sind heute durchwegs Pazifisten.

Wie sehr die Kriegstraumata auch den aktuellen Alltag beeinflussen, zeigt ein Detail von Rolfs Geschichte, der bei Regenwetter nie sein Haus verlässt. Er hat als junger Kriegsgefangener in einem der Rheinwiesenlager miterleben müssen, wie die völlig entkräfteten, weil von der US-Armee unversorgt gelassenen Gefangenen, in Matsch und Pfützen ertrunken sind. Obwohl Rolf Jahrzehnte lang als Psychiater auch Patienten mit Kriegstraumata behandelt hat, hat erst das Interview zu diesem Buch und die Bemerkung seiner Enkelin „Deshalb gehst du bei Regenwetter nicht aus dem Haus“ aus dem Verborgenen geholt.

Christian Hardinghaus ist mit diesem Buch ein besonderer Blick auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs gelungen. Er rückt einiges zu Recht und gibt den abertausenden Soldaten, die in die Wehrmacht gezwungen wurden, ihre Geschichte zurück. Zahlreiche, zum Teile sehr private Bilder, ergänzen die Berichte.

Ich muss hier (wieder) den deutschen Schauspieler Michael Degen, der als jüdisches U-Boot den Krieg überlebt hat, zitieren. Er sagt „Nicht alle waren Mörder“. Aber jede Armee hat ihr Kriegsverbrechen.

Fazit:

Ein aufwühlendes Buch, dass einen etwas anderen Einblick in die Wehrmacht bietet als die Propagandareden von Goebbels & Co. Das Buch erhält von mir 5 Sterne und die Leser die dringende Empfehlung, es zu lesen und, wenn es noch Verwandte gibt, die diese Gräuel miterlebt haben, einfühlsam zu befragen. Einige warten darauf, sich ihre Last von der Seele reden können.