Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.03.2020

Ein neuer Fall für Kraken

Die Herren der Zeit
1

Wenn Autoren unter Pseudonym schreiben, scheint es, als würden ihre Bücher interessanter für die Leserschaft. Wer verbirgt sich hinter dem Namen, und warum versteckt hier jemand seine wahre Identität? ...

Wenn Autoren unter Pseudonym schreiben, scheint es, als würden ihre Bücher interessanter für die Leserschaft. Wer verbirgt sich hinter dem Namen, und warum versteckt hier jemand seine wahre Identität? Diese Frage stellt sich auch Inspector Unai López de Ayala, genannt "Kraken“, der samt Familie an der Präsentation des Mittelalter-Bestsellers „Die Herren der Zeit“ teilnimmt. Nach einem aufreibenden Vermisstenfall eine willkommene Abwechslung. Denkt er jedenfalls.

Aber er hat sich getäuscht, denn noch während der Lesung wird eine Leiche in den Waschräumen entdeckt. Wieder einmal ist sein kriminalistisches Gespür gefragt, denn dieser Todesfall wird nicht der einzige bleiben. Interessanterweise folgen alle Morde dem mittelalterlichen Modus Operandi, beschrieben in besagtem Buch, weshalb es für Kraken von besonderer Dringlichkeit ist, die Identität des Autors zu enthüllen und so dem Mörder auf die Spur zu kommen.

Wie bereits in den beiden Vorgängerbänden bildet Vitoria und Umgebung, Hauptstadt des Baskenlandes und Geburtsort der Autorin, den Hintergrund für diesen Abschlussband der „Trilogie der weißen Stadt“. Sáenz nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit und verknüpft diese mit der spannenden Suche nach einem Mörder in der Gegenwart. Dabei schafft sie es mit wenigen Worten, eine stimmige Atmosphäre bildhaft zu kreieren, was auch durch die Zweiteilung der Handlung unterstützt wird. Außerdem wird damit auch die Spannung durchgängig auf einem hohen Level gehalten. Die Vielzahl der Personen mag anfangs verwirren, aber das Personenverzeichnis sowie das ausführliche Glossar am Ende des Buches sind sehr hilfreich und helfen dem Leser, sich in diesem lebendigen, aber auch komplexen Thriller zurechtzufinden.

Veröffentlicht am 27.03.2020

Landow ermittelt im Dreikaiserjahr

Eisenblut
0

Berlin im Dreikaiserjahr 1888. Gabriel „Gabi“ Landow, schmuddeliger Säufer, unehrenhaft aus der Armee entlassen, mit seiner adligen Familie überworfen, versucht sich mehr schlecht als recht als Privatschnüffler ...

Berlin im Dreikaiserjahr 1888. Gabriel „Gabi“ Landow, schmuddeliger Säufer, unehrenhaft aus der Armee entlassen, mit seiner adligen Familie überworfen, versucht sich mehr schlecht als recht als Privatschnüffler über Wasser zu halten. Ohne Wohnung, lediglich ein Bett in der Schlafpension eines zwielichtigen Kriegskameraden, dessen zweites Standbein die Zuhälterei ist. Aufträge sind rar, und wenn jemand seine Hilfe benötigt, sind es meist Ehefrauen, die ihre untreuen Männer beschatten lassen. Aber die Geschäfte laufen schlecht, und dann fällt ihm auch noch Gürtler, sein letzter Observierter buchstäblich vor die Füße. In der Nacht aus dem Korb eines Militärballons gestoßen, mit einem Märchenbuch in der Hand.

Auf dem Heimweg wird Landow überfallen und ins Innenministerium gebracht, wo man ihm einen lukrativen Auftrag in Aussicht stellt. Allerdings nur dann, wenn er unter dem Radar ermittelt. Es geht um ein geheimes Rüstungsprojekt der Marine, die Entwicklung eines U-Boots. an dem Gürtler gearbeitet hat. Und mit ihm noch zwei weitere Beamte, die ebenfalls ermordet und mit besagtem Buch in der Hand aufgefunden wurden. Eher zögerlich nimmt Landow die Ermittlungen auf, unterstützt von Orsini, einem Taschendieb, mit dem er sich zusammenschließt. Aber er hat ein äußerst ungutes Gefühl bei der Sache, denn warum soll ausgerechnet er diese Mordfälle aufklären?

Es ist eine interessante Zeit der deutschen Geschichte, die den Hintergrund für diesen historischen Kriminalroman bildet. Eine Zeit des Umbruchs, vor allem im Hinblick auf die politische Situation. Das Land wartet auf den Tod des Regenten, der Nachfolger Wilhelm II., verheiratet mit einer Tochter Queen Victorias, sitzt schon in den Startlöchern. Reichskanzler Bismarck reibt sich die Hände und sieht den eigenen Einfluss wachsen, weiß er doch, dass der zukünftige Monarch im In- und Ausland wegen der familiären Nähe zu England misstrauisch beäugt und kaum akzeptiert werden wird. Das Deutsche Reich hat zwar gerade erst einen Krieg hinter sich, rasselt aber schon wieder mit den Säbeln, denn neben Macht und Einfluss geht es natürlich auch um monetäre Erträge.

Es ist eine besondere Atmosphäre, die über diesem historischen Kriminalroman liegt und die der Autor stimmig vermittelt. Alles schwerblütig und verratzt, kaum etwas zu sehen von der Leichtigkeit, die nach der Jahrhundertwende Einzug halten wird. Die Geschichte ist komplex, die Schilderungen auf den ersten Blick nicht immer leicht einzuordnen und über weite Strecken auch nicht vorhersehbar, was ein konzentriertes Lesen erfordert. Am Ende bleiben einige Fragen offen, die hoffentlich in dem Nachfolgeband beantwortet werden. Ich freue mich jedenfalls auf ein Wiederlesen mit Landow und Orsini.

Veröffentlicht am 17.03.2020

Die individuellen Versionen der Wahrheit

Miracle Creek
0

Der Traum von einem besseren Leben endet für die koreanische Einwandererfamilie Yoo in einer Katastrophe. Ihr „Miracle Submarine“, die Druckkammer für die Sauerstofftherapie, die eigentlich den Geldregen ...

Der Traum von einem besseren Leben endet für die koreanische Einwandererfamilie Yoo in einer Katastrophe. Ihr „Miracle Submarine“, die Druckkammer für die Sauerstofftherapie, die eigentlich den Geldregen bringen sollte, explodiert und ihre Zukunft geht buchstäblich in Flammen und Rauch auf.

Wer trägt die Schuld an dem Unglück, bei dem zwei Menschen ihr Leben verlieren und vier weitere schwer verletzt werden? War die Ursache technisches Versagen oder doch Brandstiftung? Konnte eine Mutter den psychischen Belastungen nicht mehr Stand halten? Ist sie eine Mörderin? Polizei und Justiz gehen jedenfalls davon aus und klagen sie des Mordes an. Das Gerichtsverfahren soll Klärung bringen, aber die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die alleinerziehende Mutter, deren autistisches Kind rund um die Uhr Betreuung benötigt, bietet sich förmlich als Schuldige an. Permanent überfordert, an der Grenze der Belastbarkeit, nach jedem Strohhalm greifend, der sich bietet.

Natürlich ist die Suche nach dem/der Verantwortlichen ein Punkt, der die Handlung bestimmt und vorantreibt, aber den Roman lediglich auf die Suche nach dem Täter, der Klärung der Schuldfrage zu reduzieren, wäre zu einfach. Es sind vielmehr die Beziehungsgeflechte, das aus der Welt fallen, das Verhaltensänderungen bewirkt. Neurosen sprießen lässt und letztlich dazu führt, dass sich die Wahrnehmung der Realität verändert, verschwimmt und sich individuelle Version von Wahrheit entwickeln, für deren Schutz man alles riskieren würde.

Veröffentlicht am 11.03.2020

Gegen das Vergessen

Der Wassertänzer
0

Ta-Nehisi Coates ist einer der scharfsinnigsten Denker Amerikas in der Tradition eines James Baldwin, wenn es darum geht, die rassistischen Strukturen der Vereinigten Staaten zu analysieren. Das hat er ...

Ta-Nehisi Coates ist einer der scharfsinnigsten Denker Amerikas in der Tradition eines James Baldwin, wenn es darum geht, die rassistischen Strukturen der Vereinigten Staaten zu analysieren. Das hat er eindrucksvoll in „Zwischen mir und der Welt“, einem Manifest gegen Rassismus in Form eines 240-seitigen Briefes an seinen Sohn bewiesen. Und auch in seinem ersten Roman „Der Wassertänzer“ bleibt er bei den Themen, die ihn umtreiben.

Virginia, die Südstaaten in der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Die weißen Sklavenhalter führen ihre Plantagen mit harter Hand, auch wenn ihre Tage gezählt scheinen. Allmählich schwindet nicht nur ihr durch Ausbeutung und gnadenloses Schinden erworbenes Vermögen sondern auch ihr Einfluss. Doch noch ist es nicht so weit.

Hiram ist ein Haussklave, lebt auf Lockless und hat besondere Talente. Nicht nur, dass er ein fotografisches Gedächtnis hat, er verfügt auch über die Fähigkeit der Teleportation. Kann nicht nur sich auf magische Weise durch Raum und Zeit bewegen, sondern dabei auch noch Begleiter mitnehmen. Eine Fähigkeit, die für das Netzwerk der Abolitionisten von unschätzbarem Wert ist und dazu führt dass er rekrutiert wird, um sich und seinen Leidensgenossen mit Hilfe der Underground Railroad zu helfen, der Knechtschaft zu entkommen.

Ein Mythos, der in das Reich von Magie und Fantasie gehört, und Coates als Grundlage dient, um über die noch immer schwärende Wunde der Sklaverei zu schreiben, sie ins Gedächtnis zu rufen, um das Vergessen zu verhindern. Die kollektive Erinnerung wachzuhalten. Indem er die Lebensbedingungen der Sklaven auf den Plantagen in den Südstaaten aufzeigt, schlägt er den Bogen zur Gegenwart, in der sich nur dann etwas ändern wird, wenn die Unterdrückten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Veröffentlicht am 07.03.2020

In stürmischen Zeiten

Die brennenden Kammern
0

„Die brennenden Kammern“ ist der Auftakt einer mehrbändigen Reihe, in deren Zentrum die französischen Religionskriege stehen. Ihr Augenmerk richtet sich hierbei auf die Hugenotten, jene protestantische ...

„Die brennenden Kammern“ ist der Auftakt einer mehrbändigen Reihe, in deren Zentrum die französischen Religionskriege stehen. Ihr Augenmerk richtet sich hierbei auf die Hugenotten, jene protestantische Glaubensgemeinschaft, die ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts insbesondere in Frankreichs Süden blutigen Verfolgungen ausgesetzt waren und ihren Höhepunkt in der Bartholomäusnacht fanden. Ein Teil der Anhänger trat danach zwangsweise zum katholischen Glauben über, die anderen praktizierten ihre Religion im Verborgenen. Hotspot waren damals die Cevennen, wo die Camisarden erbittert Widerstand leisteten. Vergebens. Im 17. Jahrhundert folgte daraufhin eine Fluchtwelle sondergleichen, bei der die Hugenotten nicht nur in den Nachbarländern sondern auch auf der britischen Insel Zuflucht fanden. Soweit also die historischen Rahmenbedingungen.

Alles beginnt im Winter 1526 in der okzitanischen Festungsstadt Carcassonne, in der die katholische Minou und der Hugenotte Piet zufällig aufeinandertreffen. Natürlich verlieben sich die beiden, wenn man Mosses Romane kennt, ist das zu erwarten. Aber hat ihre Liebe in diesen stürmischen Zeiten überhaupt eine Zukunft?

Eine dynamische Geschichte voller Geheimnisse, Verschwörungen, Gewalt, Verrat und Liebe inmitten einer turbulenten Zeit nimmt ihren Anfang, immer wieder durch Auszüge aus dem Tagebuch einer Unbekannten unterbrochen, die offenbar von dem Gedanken an Rache beherrscht wird und deren Identität sich erst allmählich offenbart, was zusätzliche Spannung in die Handlung bringt.

Die ersten Kapitel überhäufen den Leser mit unzähligen Charakteren und Informationen, aber keine Angst, das Dunkel lichtet sich relativ schnell. Danach taucht man in einen feinen, gut ausbalancierten historischen Roman ein. Seht anschaulich wechselt die Autorin zwischen persönlicher Alltagsebene und dem komplexen politischen Hintergrund, ohne dabei an Tempo zu verlieren und Längen zu generieren. Dabei vermeidet sie Generalisierungen, ergreift nicht Partei, steht doch über allem der Wunsch nach Toleranz, Würde und Freiheit.

Kriege und Terror im Namen der Religion, die Verfolgung Andersgläubiger und Flucht. Wir kennen das leider auch aus unserer Gegenwart, von daher hat dieser Roman durchaus auch einen aktuellen Bezug.