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Veröffentlicht am 06.01.2017

Guter Überblick über dieses Krankheitsbild mit vielen Tipps

Lipödem
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Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema Lip-/Lymphödem in Berührung, als eine Freundin von mir daran erkrankte. In über zehn Jahren konnte ich selbst miterleben, wie die Krankheit trotz Behandlung fortschreitet ...

Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema Lip-/Lymphödem in Berührung, als eine Freundin von mir daran erkrankte. In über zehn Jahren konnte ich selbst miterleben, wie die Krankheit trotz Behandlung fortschreitet und sie immer mehr einschränkt. Bis dato war mir nicht bewusst, dass es eigentlich wahnsinnig viele Frauen betrifft - das Buch spricht von Millionen allein in Deutschland und einem zweistelligen Prozentsatz weltweit!

Mittlerweile ist das Lipödem auch innerhalb meiner Verwandtschaft aufgetaucht. Da es immer noch von den Ärzten schlecht erkannt und mit reinem Übergewicht verwechselt wird (Standardspruch: "Sie sind halt zu dick, Sie müssen abnehmen."), kommt es oft - wie bei zwei Frauen in meiner Verwandtschaft - erst viel zu spät zur richtigen Diagnose und Behandlung. Das ist sehr fatal, denn die Symptome eines Lip- oder Lymphödems lassen sich niemals rückgängig machen, deshalb ist eine möglichst schnelle Behandlung enorm wichtig! Das Lipödem bricht in unterschiedlichen Lebenszyklen aus, z. B. in der Pubertät, während einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren (sprich: bei einer hormonellen Umstellung). Es kann also wirklich nicht verkehrt sein, sich als Frau eingehender damit zu beschäftigen.

Das Buch ist in folgende Hauptkapitel aufgeteilt:

1. "Grundlagen": Hier wird ausführlich geschildert, wie das Lymphsystem funktioniert und was genau im Körper passiert.

2. "Lipödem - schmerzhafte Schwellungen": Hier wird nun das Lipödem auf über 30 Seiten genauer vorgestellt. Die unterschiedlichen Stadien, der Krankheitsverlauf, die Ursachen.

3. "Cellulite - mehr als nur unschöne Dellen": Das Buch ist auch für Frauen geeignet, die "nur" an Cellulite leiden, da die Anwendungen für Lipödeme auch bei Cellulite hilfreich sind.

4. "Vermehrte Wassereinlagerungen": Hier wird ein weiteres Krankheitsbild, das "Flüssigkeitsretentionssyndrom", das ebenfalls Ödeme bildet, vorgestellt.

Manchmal ist es schwierig, zwischen diesen drei verschiedenen Krankheitsbildern zu unterscheiden. Auch die Adipositas wird kurz angesprochen. Letztendlich ist es wichtig, dass man einen guten Facharzt aufsucht, der die richtige Diagnose stellt.

5. "Therapieverfahren": Der größte Teil des Buches beschäftigt sich mit den bekannten und weniger bekannten Therapiemöglichkeiten bei Lipödemen. Hier werden nicht nur die gängigen Anwendungen vorgestellt, die vom Arzt verschrieben werden (müssen), wie Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfe, sondern auch eigene Möglichkeiten, die Beschwerden zu verbessern (z. B. Ausdauertraining, Trockenbürsten, Schwimmen,...).

6. "Das 14-Tage-Selbsthilfe-Programm": Hier geht es v. a. um eine zweiwöchige Ernährungsumstellung. Es werden auch konkrete Rezeptvorschläge für jeden Tag vorgestellt.

Die Grundlagen haben mir sehr geholfen zu verstehen, was eigentlich im Körper so passiert. Ich habe mich noch nie mit dem Lymphsystem und seinen großartigen Leistungen beschäftigt und wusste echt gar nichts darüber. Ich gebe aber zu, dass ich die teils detaillierten Ausführungen nicht in ihrer Gänze verstanden habe. Ich war in punkto Medizin/Biologie/Anatomie schon immer recht begriffsstutzig. Es hätte für mich also gar nicht so ausführlich sein müssen und ich habe mich da stellenweise schon ein bisschen durchgequält.

Sehr interessant waren natürlich die vorgestellten Therapieverfahren. Ich kannte bislang nur die Lymphdrainage und das Tragen von Kompressionsstrümpfen. Dr. Weiss geht hier auch darauf ein, was in punkto Bewegung und Ernährung gut und weniger gut für Lipödem-Patientinnen ist. Manchmal denken diese, sie tun ihrem Körper etwas Gutes, schaden ihm aber nur, da z. B. viele Sportarten auf die Körper von Lip-/Lymphödem-Erkrankten eine andere Auswirkung haben als auf die Körper von gesunden Frauen (v. a. bei der Gewichtsreduzierung).

Das 14-Tage-Programm habe ich natürlich nicht ausprobiert. Dies ist für Frauen gedacht, die bereits die Diagnose eines Lipödems erhalten haben und auch von ihrem Arzt Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfe verschrieben bekommen, da das Programm nur zusammen mit der Anwendung dieser beiden Dinge sinnvoll und effizient ist. Zudem ist das Programm so konzipiert, dass man sich mehrere Stunden am Tag freihalten muss, für Vollzeitkräfte also eher etwas, das man in die Urlaubszeit legen sollte.

Im Programmteil findet man v. a. Rezepte für eine gesunde Ernährung. Ich persönlich hätte so meine Probleme damit, denn das meiste klingt recht extravagant und nicht so, als wäre es ratzfatz gekocht, z. B. "Mit Orange aromatisierte Sellerie-Quinoasuppe" oder "Klare Ingwer-Soja-Limetten-Brühe mit Bulgur". Hier hätte ich als Alternative lieber eine Lebensmittelübersicht gehabt, die mir zeigt, was erlaubt ist und was nicht, so dass ich auch einfach selbst kombinieren könnte. Außerdem soll man das Programm ja auch mit körperlicher Aktivität verbinden. Hier fehlen mir konkretere Angaben und Vorschläge, was sich besonders eignet und wie viele Trainingseinheiten empfehlenswert sind bzw. wie lange sie sein sollen. Dies muss man sich alles aufgrund der vorherigen Ausführungen irgendwie selbst zusammenbasteln.

Die Sprache ist so gehalten, dass sie für Laien leicht verständlich ist. Der Autor gibt nicht mit Fachchinesisch an und hat - so weit bei einem medizinischen Ratgeber möglich - eine recht einfühlsame Art.

Die Aufmachung des Buches ist sehr ansprechend und abwechslungsreich gestaltet. Neben Bildern und Infokästen gibt es QR-Codes, die auf kurze Videos auf der Autorenhomepage verlinken. Diese Idee fand ich ganz nett, auch wenn ich mit meinem Handy keine QR-Codes lesen kann. (Dafür gibt es dann noch einen Link zum Eingeben.) Es ist durchaus sinnvoll, sich die Videos parallel zur Lektüre anzuschauen, da sie Informationen aus dem Buch anschaulicher machen und ergänzen sowie Fallbeispiele zeigen. Ich empfehle allgemein einen Blick auf die Homepage des Autors (www.weiss.de), da sich hier noch weitere Informationen und auch die im Buch erwähnten Formulare finden lassen.

Dieser Ratgeber ist für Leute empfehlenswert, die einen guten Überblick über die Krankheit Lipödem erhalten möchten, egal ob aus reiner Neugier oder wegen eigener Betroffenheit. Frauen, die schon seit Langem mit dieser Krankheit zu tun haben und sich damit gut auskennen, können die ersten 140 Seiten vermutlich überspringen und sich direkt dem 14-Tage-Programm widmen. Die Effizienz dieses Programms kann ich aber leider nicht bewerten.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Das Leben im Warschauer Ghetto beklemmend und eindrücklich wiedergegeben

Aron und der König der Kinder
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Der Roman wird aus Sicht des jungen Aron erzählt. Er ist ein kleiner Taugenichts, da er viel Blödsinn anstellt und seinen Eltern mehr Kummer als Freude bereitet. Im Ghetto wird er ein echter Überlebenskünstler ...

Der Roman wird aus Sicht des jungen Aron erzählt. Er ist ein kleiner Taugenichts, da er viel Blödsinn anstellt und seinen Eltern mehr Kummer als Freude bereitet. Im Ghetto wird er ein echter Überlebenskünstler und schließt sich mit Lutek, Boris, Adina und Zofia zu einer Schmugglerbande zusammen. Das Leben zwingt die Jugendlichen dazu, kriminell zu werden, jedoch hatte ich vor allem bei Boris und Lutek das Gefühl, dass hier bereits schon vor dem Einmarsch der Deutschen viel kriminelle Energie vorhanden war. Die beiden hatten kein Mitleid für irgendwen und hätten genauso gut auf die andere Seite, die der Täter, gepasst. Die Bande war mir deshalb auch von Anfang an umsympathisch.

Aron mochte ich anfänglich nicht. Er ist zwar nicht so herzlos wie Boris und Lutek, aber auch nicht wirklich sympathisch. Hierzu trug sicherlich auch der nüchterne Erzählstil bei, in dem er das entbehrungsreiche Leben und später auch die von ihm beobachteten Gräuel wie Erschießungen relativ emotionslos schildert. Dadurch werden die Agierenden und auch der Protagonist auf Distanz zum Leser gehalten. Erst als Aron ganz alleine ist und auf Korczak trifft, wirkt er viel verletzlicher und unschuldig wie das Kind, das er noch immer ist. Erst hier konnte mich die Geschichte abholen, vorher habe ich sie recht emotionslos heruntergelesen.

Die Geschichte gewinnt viel durch den Auftritt des Waisenhausleiters Korczak. Dieser ist eine faszinierende Persönlichkeit, die auch wirklich damals gelebt hat und nicht vom Autor erfunden wurde. Korczaks Hingabe für seine Waisenkinder war beeindruckend und rührend. So ging er mit den Kindern freiwillig ins Vernichtungslager und somit in den Tod, statt das Angebot anzunehmen und sich selbst zu retten.

Das Leben im Ghetto und die menschenunwürdigen Lebensumstände werden eindringlich und realistisch wiedergegeben und lösen beim Lesen Beklemmungen aus. Jegliche Menschlichkeit geht unter den Ghettobewohnern nach und nach verloren, Opfer werden Täter, es zählt das nackte Überleben, das Recht des Stärkeren. Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie schlimm das Leben dort war, wie gefährlich, entbehrungsreich und menschenunwürdig.

Ich habe ja schon viele Bücher über den Holocaust gelesen, in der Regel Zeitzeugenberichte und Sachbücher, so dass die Erlebnisse von Aron und den jüdischen Bewohnern des Ghettos mich nicht mehr erschrecken konnten. Dennoch ist diese mehr oder weniger fiktive Geschichte beklemmend und erschütternd und ließ mich traurig zurück.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Witzig und unterhaltsam - Antisemitismus für Anfänger ;-)

Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!
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Über dieses Buch bin ich ganz zufällig gestolpert. Juden, Holocaust, Antisemitismus - ja, darüber habe ich schon einiges gelesen. Aber ein aktuelles Buch eines jungen Israelis, der in Deutschland lebt ...

Über dieses Buch bin ich ganz zufällig gestolpert. Juden, Holocaust, Antisemitismus - ja, darüber habe ich schon einiges gelesen. Aber ein aktuelles Buch eines jungen Israelis, der in Deutschland lebt und das ganze Thema äußerst humorvoll betrachtet, das hat mich natürlich sehr gereizt. Ich mag Humor, und ich mag es, wenn man schwierige Themen mit Witz bzw. Ironie anpackt.

Nun erzählt uns der Autor also aus seinem Leben. Mit 12 Jahren zog er aus Israel zusammen mit Mutter und jüngerem Bruder zum neuen Partner der Mutter in das sächsische Kaff Laucha, in dem Zusammengehörigkeit groß geschrieben wird. Vor allem in der NPD, die hier sogar im Stadtrat vertreten ist. Besonders präsent ist hier Lutz Battke, der Bezirkskaminkehrer und Fußballtrainer. (Falls nicht bekannt, bitte googeln, denn schon rein optisch ist der Mann ein Gedicht.)

"Zum Glück" sieht Shahak Shapira gar nicht so aus, wie man sich den typischen Juden vorstellt: Statt dunklen Haaren mit Seitenlöckchen und einer großen Hakennase, ist er blond und blauäugig. Und wer nicht glaubt, dass er, der optische Arier, wirklich Jude ist, kriegt folgende Erklärung: "Ja, pass auf, die haben uns damals Wasserstoff statt Zyklon B in die Gaskammer geblasen."

Nicht jeder kann mit solchen Sprüchen umgehen. Aber genau da liegt der Reiz von Shapiras Humor. Darf man über sowas lachen, vor allem als Deutscher? Also ganz ehrlich: Ich find's witzig. Klar gibt es Grenzen des guten Geschmacks, aber hier gilt: Der Autor ist selbst Jude, der darf das! Und wir dürfen darüber lachen. So einfach ist das.

Shapira berichtet von seiner Jugend im braunen Kaff, in dem die jüdischen Zuwanderer mit Argwohn betrachtet werden. Integration fällt unter diesen Bedingungen nicht leicht, aber Familie Shapira gibt ihr Bestes und macht sich Deutschland zur zweiten Heimat. Doch auf Probleme wegen seiner Herkunft stößt der Autor auch noch als Erwachsener.

In der Silvesternacht 2014/2015 dann der traurige Höhepunkt: Er wird von judenfeindlichen Arabern verprügelt. Seitdem steht er in der Öffentlichkeit, distanziert sich jedoch ausdrücklich von jeglichem Muslim-Bashing, denn Antisemiten gibt es überall. Und wie schon im Klappentext so schön gesagt: Man entscheidet unabhängig von seiner Herkunft und Religion, ob man ein rassistisches Arschloch sein will oder nicht.

Neben eigenen Erlebnissen verarbeitet der Autor auch die Geschichte seiner beiden Großväter. Der eine kämpfte im Warschauer Ghetto als Kind ums nackte Überleben und verlor im Holocaust seine Familie. Der andere Großvater war Amitzur Shapira, ein israelischer Leichtathletik-Trainer, der bei der Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen während den Olympischen Spielen in München 1972 ums Leben kam. In diesen Geschichten hat Humor nicht immer Platz, und so sind diese Kapitel vielleicht für manchen Leser ein Stilbruch, zu ernst, zu tragisch. Ich denke aber, bei dieser Thematik muss man auch nichts schönreden und nicht an unnötigen Stellen noch mit dem Hammer Lustigkeit hineinprügeln.

Mein einziger Kritikpunkt: Auf ein paar Erzählungen hätte ich persönlich verzichten können, z. B. das leidige Thema "Frauen", bei denen Shapira irgendwie keinen Schlag hatte. Missglückte Dates und Tinder-Erlebnisse - ja, ganz nett zu lesen, aber irgendwie nicht so ganz passend und auch recht belanglos.

Ansonsten aber erzählt der Autor mit Witz und Charme, bringt auch den einen oder anderen derben Spruch. Für spaßbefreite Menschen ist dieses Buch vermutlich nicht das Richtige. Hier werden zwar auch mal zwischendurch Fakten präsentiert (z. B. über den Nahostkonflikt), aber es geht natürlich in erster Linie um persönliche Erlebnisse und Empfindungen. Und die gibt der Autor auf humorvolle Weise unterhaltsam wieder.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Besonderer Fotobuch-Roman über Tierheime und Tierschutz in Europa

2924 Hunde und 10 Tierheime : FotobuchRoman
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Die Idee zu diesem Buch kam der Fotografin Manuela Dörr während eines Aufenthaltes in Andalusien, als sie zwei völlig unterschiedliche Tierheime besuchte. Mit Hilfe von Crowdfunding reiste sie in 10 verschiedene ...

Die Idee zu diesem Buch kam der Fotografin Manuela Dörr während eines Aufenthaltes in Andalusien, als sie zwei völlig unterschiedliche Tierheime besuchte. Mit Hilfe von Crowdfunding reiste sie in 10 verschiedene Tierheime in Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich, Rumänien und Georgien, machte sich ein Bild vor Ort und sprach mit Tierheimmitarbeitern. Heraus kam dieser liebevoll gestaltete "Fotobuch-Roman". Hierbei schlüpft die fiktive Figur Natalie, eine junge Architektin, in die Rolle der Autorin.

Natalie wird anfänglich so charakterisiert, dass man sie einfach nicht mögen kann. Oberflächlich, herablassend, zu ehrgeizig, hat kein gutes Wort für Tiere. Auf das Projekt hat sie keine Lust, was allerdings auch vor allem daran liegt, dass sie von ihrem Herzensprojekt, einem Museumsbau, abgezogen wird, was dann auch wieder irgendwo verständlich ist. Ihre Haltung gegenüber Tieren und speziell Hunden wird im Laufe der Geschichte offener, und sie interessiert sich nicht mehr nur für die Architektur der Tierheime, sondern auch für seine Bewohner.

Jedes Tierheim wird zuerst mit einem doppelseitigen Foto und der Information über Anzahl der Hunde, Anzahl der Mitarbeiter und Größe des Heimes vorgestellt. Danach wird Natalies Besuch geschildert, garniert mit vielen Fotos. Der Leser lernt ganz viele verschiedene Konzepte kennen: Von kleinen Pflegestellen über kleinere, gut durchdachte Tierheime bis hin zu großen Heimen mit für die Tiere nicht sonderlich guten Haltungsbedingungen. Man lernt, wie in welchem Land mit dem Thema "Streunerhunde" umgegangen wird und welche Ziele Tierschützer verfolgen (und wie lang der Weg noch bis dahin ist).

Man könnte natürlich fragen: Wieso nicht einfach eine reine Fotoreportage? Aber die Kombination von Roman und Dokumentation fand ich gelungen, für mich war das neu und deshalb reizvoll. Es ist einfach mal was Anderes. Und anstatt die Besuche durch die Augen der Autorin zu erleben, die für das Projekt brennt und sich dafür begeistert, ist es vielleicht auch ganz interessant, die Tierheime durch die Augen einer Person zu sehen, die anfänglich Tieren gegenüber recht abweisend ist und an die Sache erstmal desinteressiert und naiv herangeht. Übrigens ein Aspekt, der mich zu dem Schluss kommen lässt, dass das Buch auch durchaus etwas für "Nicht-Tierliebhaber" ist, die sich dem Thema nicht ganz verschließen.

Auch Format und Layout des Buches sind speziell und gefallen mir sehr gut. Normalerweise erwähne ich das Aussehen eines Buches nicht in einer Rezension, aber hier ist es unerlässlich, darauf einzugehen. Die vielen Farbfotos machen den Roman anschaulich und lebendiger. Das Buch ist kleiner als die gängigen Formate, nach Abnehmen des Umschlags ist die Fadenbindung sichtbar, der Buchdeckel ist aus dickem, festen Karton. Für mich sind Optik und Haptik wirklich etwas Besonderes.

Ein paar Kritikpunkte habe ich jedoch auch:

Ich fand die Geschichte um Natalie nicht immer stimmig. Ihre Haltung zu Hunden, die anfänglich extrem abweisend war, änderte sich für meinen Geschmack viel zu schnell. Nachdem sie sich erst total gegen das Projekt sträubte, brennt sie nach ein paar Tierheimbesuchen total dafür, lässt ihr Museumsprojekt dafür liegen und riskiert sogar eine Kündigung. Natürlich habe ich eine solche Wandlung erwartet, aber es ging mir zu schnell. Die letzten Kapital wirkten dann auch etwas gehetzt und wie ein Stilbruch, und das Ende war etwas seltsam, auch wenn es sicherlich eine (versteckte) Botschaft enthielt.

Die Fotos sind schön und künstlerisch, aber manchmal hätte ich mir ein paar Bilder gewünscht, die die Architektur der Heime genauer erkennen lässt und das Erzählte anschaulicher macht. Ich habe es nicht so mit räumlicher Vorstellung, und es fiel mir schwer, Natalies Überlegungen zur Architektur immer folgen zu können.

Der Schreibstil ist zuweilen etwas holprig. Etwas schade sind zudem die vielen Fehler, über die ich gestolpert bin, z. B. "Augenlieder", "aufwänden", "sag" statt "sah" u.ä., die falsche Anwendung von "das/dass" oder eine eigenartige Trennweise (sch-reiben). Ich persönlich kann solche Sachen halt leider nicht ausblenden, aber das stört ja auch nicht jeden Leser. Es ist zudem klar, dass sich Selfpublisher in der Regel kein teures Lektorat leisten können. Aber ich würde raten, für die nächste Auflage nochmal jemanden Korrektur lesen zu lassen.

Alles in Allem ist "2924 Hunde und 10 Tierheime" ein besonderes Buch mit einem für mich neuen, stimmigen Konzept. Das Thema ist eines, das mir persönlich auch sehr am Herzen liegt, weshalb ich dieses unterstützenswerte Projekt der Autorin jedem ans Herz legen möchte.

Veröffentlicht am 04.01.2017

Ganz guter Einstieg in das Thema ADHS

Ich dreh gleich durch!
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Ich wollte das Buch gerne lesen, um mehr über ADHS zu erfahren, da diese "Störung" ja mittlerweile doch recht viele Kinder betrifft. Ich wollte mich jedoch nicht durch trockene Sachbücher quälen, und genau ...

Ich wollte das Buch gerne lesen, um mehr über ADHS zu erfahren, da diese "Störung" ja mittlerweile doch recht viele Kinder betrifft. Ich wollte mich jedoch nicht durch trockene Sachbücher quälen, und genau das soll dieses Buch eben nicht sein. Stattdessen hat die Autorin, die selbst Mutter eines ADHS-Kindes ist, dieses fiktive Tagebuch über den elfjährigen Max verfasst, um dem Leser die Thematik näher zu bringen.

Neben Max kommen jedoch noch andere Menschen in seinem Umfeld zu Wort, und so finden sich neben seinen Einträgen auch Erzählungen seiner Eltern, seines Bruders sowie von Lehrern und Verwandten. So erhält man ein gutes Bild davon, wie ADHS-Kinder von ihrer Umwelt wahrgenommen werden. Meist ist diese Wahrnehmung äußerst negativ: ADHS-Kinder sind laut, wild, tollpatschig und nerven. Hier wird nun versucht, aus Max' Sicht zu zeigen, wieso diese Kinder sich so verhalten und dass sie oft leider einfach nicht anders können. Dass hinter ihrem Fehlverhalten keine Absicht oder gar Boshaftigkeit steht.

Vorbild für den fiktiven Max ist der mittlerweile 14jährige Sohn der Autorin, mit dem sie zusammen das Tagebuch erarbeitet hat, weshalb die Einträge als authentisch angesehen werden können. Die Sprache ist nicht sehr passend für einen Elfjährigen, aber dies wird bereits im Vorwort erwähnt und erklärt: Das Buch soll vorwiegend Jugendliche und Erwachsene ansprechen, dementsprechend sollte die Sprache nicht zu kindlich sein.

Durch die vielen Perspektivenwechsel werden die meisten Begebenheiten mindestens ein- bis zweimal wiederholt, was anfänglich interessant war, nach einiger Zeit dann aber etwas anstrengend, da die Erlebnisse nun nicht sonderlich aufregend sind, sondern eben das Verhalten eines ADHS-Kindes schildern. Deshalb habe ich das Buch öfter weggelegt, da sich die Lektüre etwas gezogen hat. Andererseits ist es halt eben auch kein Roman, den man in einem Rutsch runterliest.

Das Tagebuch umfasst einen Zeitraum von einem halben Jahr. In dieser Zeit fängt Max' Mutter erstmals an, sich genauer mit dem Thema ADHS zu befassen und die Symptome mit seinem Verhalten zu vereinbaren. Hier fließen dann auch öfter Zitate aus Fachbüchern ein. Ansonsten ist das Buch jedoch so geschrieben, dass es Laien auch gut verstehen. Schade finde ich, dass das Buch endet, bevor Max sich mit der Diagnose auseinander setzen kann.

"Ich dreh gleich durch!" ersetzt sicherlich keine Fachliteratur. Das möchte es auch nicht. Für eine Vertiefung bietet die Autorin ein sieben Seiten starkes Literaturverzeichnis und versieht zudem die Zitate aus Fachbüchern mit zahlreichen Anmerkungen in Fußnoten. So bleibt es jedem selbst überlassen, wie intensiv er sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Das Buch ist meines Erachtens aber ein sehr guter Einstieg für Interessierte und (vielleicht) Betroffene.