Großartige und originelle Unterhaltung
Fantasy hat als Genre seit meiner Kindheit einen großen Wandel durchgemacht. Ich bin noch mit Büchern aufgewachsen, in denen im Wesentlichen versucht wurde, Tolkien zu imitieren. Dann kamen die Vampirbücher ...
Fantasy hat als Genre seit meiner Kindheit einen großen Wandel durchgemacht. Ich bin noch mit Büchern aufgewachsen, in denen im Wesentlichen versucht wurde, Tolkien zu imitieren. Dann kamen die Vampirbücher und mit ihnen eine Welle der Romantasy, die bis heute boomt. Seit einigen Jahren beobachte ich sehr starke Bemühungen um originelle Konzepte und vor allem originelles Worldbuilding, denn der Markt ist von den „Klassikern“ schlicht übersättigt. Dieses Buch ist ein besonders positives Beispiel dafür, wie eine Verflechtung von ganz unterschiedlichen fantastischen Motiven zu etwas Neuem gelingen kann.
Die Beschreibung klingt erst einmal wild. Magische Pfeifer? Der Rattenfänger von Hameln? Und Drachen? Doch die Mischung funktioniert und ich wurde lange nicht mehr so gut unterhalten. In dieser Welt sind die Pfeifer Helden, die aufgrund der Magie, die sie mit ihren Flöten vollbringen können, verehrt werden. Flick Klarwasser ist ein Schüler der Pfeiferschule auf Burg Tiviscan, wo auch der Sitz des Pfeiferrats sitzt. Durch unglückliche Umstände – und, zugegeben, auch ein paar fragwürdige Entscheidungen – landet er allerdings im Gefängnis von Burg Tiviscan mit Aussicht auf eine SEHR lange Haftstrafe. Dort sitzt auch der schreckliche Rattenfänger von Hameln ein, denn er hat vor zehn Jahren hundert Menschen- und Drachenkinder entführt. Wegen ihm wird die Burg schließlich auch von einem Schwarm Drachen angegriffen. Der Rattenfänger wird dabei getötet und – als netter Nebeneffekt – Flick befreit, aber nicht bevor er erfährt, dass der Getötete gar nicht der Rattenfänger war. Das bedeutet aber, dass der richtige noch irgendwo draußen frei herumläuft! Und niemand hat je herausgefunden, was aus den Menschen- und Drachenkindern geworden ist, die der Rattenfänger vor zehn Jahren entführt hat...
Der größte Vorzug des Buches ist, dass es so unglaublich witzig geschrieben ist. Das liegt zum einen an der Erzählweise, zum anderen an Flick und seinen sympathischen und originellen Freunden, allen voran die verzauberte Ratte, die eigentlich ein Mädchen namens Rena Sommerfeld ist. Viele der Witze waren sicher nicht leicht zu übersetzen, deswegen an dieser Stelle ein großes Lob an die Übersetzerin Anne Emmert. Dank ihrer Leistung hatte ich das Gefühl, dass ich keine Übersetzung lese, sondern ein Original und das ist selten. Sehr gut hat mir auch die Mechanik der Magie gefallen, die sehr überzeugend beschrieben wurde und die Welt glaubwürdig gemacht hat.
Bevor ich dieses Buch gelesen und dann ein wenig recherchiert habe, war mir gar nicht klar, wie bekannt die Sage vom Rattenfänger von Hameln ist. Diese grausige Geschichte wird hier auf die Spitze getrieben. Anfangs habe ich noch witzige Wendungen mit dem Rattenfänger erwartet, aber er ist einfach ein grausames Monster. Im Kontrast dazu wirkt die Schilderung der Verwechslung des unschuldigen Rattenfängers mit dem echten fast als zu schlicht und beinahe albern. Gerade am Ende wirkte "Die Dunkelheit der Drachen" mehr wie ein Kinderbuch, wohingegen es sonst nur bedingt unter zehn oder elf Jahren zu empfehlen ist. Stellenweise war die Erzählweise aber auch etwas unelegant, z.B. bei den zahlreichen Dingen, die Flick entgehen und vom Erzähler angedeutet werden.
Trotz der Kritik möchte ich dieses herrliche Buch Groß und Klein weiterempfehlen. Das Motiv hinter den Entführungen ist bis zum Ende nicht zu 100% aufgeklärt worden und nicht nur deswegen freue ich mich auf den zweiten Band.