Als Beate Rygiert im Alter von fünf Jahren ihr erstes Blumenbeet gestaltete, wurde damit der Grundstock für ihre Faszination für die Welt der Pflanzen gelegt. "Und obwohl es noch Jahrzehnte dauern sollte, ...
Als Beate Rygiert im Alter von fünf Jahren ihr erstes Blumenbeet gestaltete, wurde damit der Grundstock für ihre Faszination für die Welt der Pflanzen gelegt. "Und obwohl es noch Jahrzehnte dauern sollte, bis ich einen eigenen Garten besaß, so hatte ich den Kreislauf von Säen, Pflegen, Bewundern und Ernten und vor allem von Werden und Vergehen ein für allemal verinnerlicht", schreibt die Autorin im Vorwort von "Das Buch der Blumen". Durch seine blumenverzierte Gestaltung springt einem das Buchcover direkt ins Auge und wenn man es in der Hand hält, fühlt es sich sehr natürlich an. Naturhaft ist auch sein Inneres: Beate Rygiert macht uns mit einer großen Vielzahl an Pflanzen vertraut: Da wären zum einen die allseits bewunderten Blumen wie die Rose, die Tulpe, die Kamelie, die Orchidee, die Nelke und das Veilchen zu nennen. Auch die persönlichen Favoriten der Autorin wie die Kuhschelle und in Vergessenheit geratene Blumen wie die Zinnie und die Kapuzinerkresse werden behandelt. Zum anderen finden auch Pflanzen Eingang in das Buch, die nicht nur wegen ihres Äußeren eine Faszination auf die Menschen ausüben, wie der Mohn oder der Kaktus. Last but not least werden in einem Kapitel all diejenigen Pflanzen zusammengefasst, die von uns so leichtfertig als Unkraut bezeichnet werden.
Die Autorin liefert uns in ihrem Blumen-Werk mit dem einnehmenden Schreibstil nicht nur eine anschauliche Kulturgeschichte der obengenannten Blumen und informiert uns über deren Wirkstoffe, sie plädiert auch für einen umweltbewussten Umgang mit den Pflanzen, die wir in unserem Garten anbauen. Bei aller Blumenliebe sollte man sich doch stets vor Augen halten, dass die Blumen ihre ganze Pracht nicht etwa für uns Menschen, sondern für das Insektenreich entfalten und damit auch ihnen den Vorrang lassen.
"Das Buch der Blumen" ist ein schönes, ein informatives und ja vor allem ein wichtiges Buch. Ich kann es jedem nur wärmstens ans Herz legen.
„Leben ist nicht die Länge der Zeit, sondern die Breite der menschlichen Erfahrung.“
Stephan Graham war ein leidenschaftlicher Wanderer. Wer glaubt, mit dem Buch „Die Kunst des stilvollen Wanderns“ nimmt ...
„Leben ist nicht die Länge der Zeit, sondern die Breite der menschlichen Erfahrung.“
Stephan Graham war ein leidenschaftlicher Wanderer. Wer glaubt, mit dem Buch „Die Kunst des stilvollen Wanderns“ nimmt er einen Ratgeber in die Hand, der ihn darin unterweist, wie er kleine Wanderungen, Tagesausflüge am besten bewerkstelligt, der irrt sich gewaltig. Stephan Graham möchte uns beibringen wie wir ganze Länder zu Fuß erforschen können, er schildert die Art des Reisens und Erkundens eines „wahren Bohemiens und Lebenswanderers“. Das Wandern ist für Graham nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern eine eigene Lebensform, die eine einzigartige Philosophie und Stärke in sich birgt: „Wandern ist eine Kunst: Derjenige, der weiß, wie man wandert, weiß auch, wie man lebt.“
Das Wandern ist in vieler Hinsicht absolut einzigartig. Man fühlt sich eins mit der Natur und dem Universum. „Sie werden spüren können, wie wohltuend es ist, sich ins rechte Verhältnis zu Gott, der Natur und den Mitmenschen zu setzen.“ Man versteht intuitiv so vieles, was man in der Stadt, in seinem eingefahrenen zivilisatorischen Leben nicht versteht: „Das Leben wird nicht etwa von Stunde zu Stunde, Tag zu Tag, Jahr zu Jahr immer großartiger - sein Wert steckt im Augenblick, nicht im Langstreckenlauf.“ Deshalb ermuntert Graham den Wanderer auch zum Verweilen: „Die Natur versucht, uns etwas mitzuteilen. Sie spricht zu uns auf einer Langwelle.“
Dabei legt er uns nicht nur ganz konkrete Ratschläge zur Hand, die u. a. die Ausrüstung, das Entfachen von Feuer und die Schutzsuche bei Gewittern betrifft, sondern möchte uns auch auf philosophische Weise mit dem Lebensgefühl vertraut machen, welches das Wandern vermittelt. So spricht der Autor beispielsweise davon, welche Bedeutung Lieder und Dichtung auf die Qualität des Wanderns hätten: „Die Unbeschwertheit bringt Lieder hervor. Wir singen beim Gehen und gehen beim Singen und lassen so Kilometer um Kilometer hinter uns. [...] Gesang und Dichtung machen den Wanderer zum Bürger des Universums, ein paar Augenblicke lang kennt er sämtliche Geheimnisse und Mysterien, Tiefen und Höhen.“ Oder wie erquicklich es sei, ein Wandertagebuch zu führen: „Ihr eigener Gedanke, niedergeschrieben an dem Tag, an dem er Ihnen kam, ist wie ein mentaler Schnappschuss. [...] Am Ende einer langen Wanderung werden Sie sich freuen, ein Buch vor sich zu haben, das über und über mit Notizen bedeckt ist. Es protokolliert gewissermaßen die geistige Dimension Ihres Abenteuers und erinnert Sie daran, wenn Sie in späteren Jahren darin blättern.“
Stephan Graham, der ein äußerst belesener Schriftsteller ist, ergötzt uns immer wieder mit passenden Zitaten aus der schönen Literatur – vornehmlich Shakespeare und Kipling – sowie, zum Teil abgewandelten, Bibelzitaten. Ein erheiterndes Beispiel für ein abgewandeltes Bibelzitat wäre zum Beispiel folgendes: Der Autor beschreibt wie er mit seiner Frau, die von ihm entwickelte Zickzack-Methode bei der Erkundung von Städten auf London anwandte, wobei sie auf eine vermeintliche Sackgasse stießen: „Wir fürchteten [...] umkehren zu müssen, da entdeckten wir ein Nadelöhr, durch das der reiche Mann ins göttliche Reich des Green Park gelangt.“
„Die Kunst des stilvollen Wanderns“ ist nicht nur ein interessantes Zeitdokument, das uns Aufschluss über den damaligen Lebensstil, gesellschaftliche Zustände und den Zugang zur Natur gibt, sondern ist eine Quelle der Inspiration und des Vergnügens. Es ist sowohl kurzweilig als auch philosophisch. Gelten viele der Empfehlungen und Ratschläge für heute als überholt – schließlich ist der Ratgeber fast hundert Jahre alt – bleibt doch vieles von dem, was der Autor schreibt, für immer zeitlos: „Es ist nicht die Luft allein, die heilt und erfüllt, sondern das, was man mit ihr atmet: den Geist der freien Natur, die weite des Himmels. Man greift nach dem grenzenlosen Horizont. Das lässt einen Menschen wachsen, verleiht ihm innere Stärke. [...] Ganz allein soll man im Mittelpunkt der Welt stehen, und das göttliche Bilderbuch wird einem in die Hände gelegt, damit man es öffnen, betrachten und in seinen prachtvollen Seiten blättern kann.“
„Die Kunst des stilvollen Wanderns“ ist zweifellos ein Klassiker, der in keinem Bücheregal fehlen sollte!
„Das hier war mal ein Unfall, aber durch das ständige Vertuschen sind wir alle zu Mördern geworden.“
Pak, Young und Mary Yoo, eine Immigrantenfamilie aus Südkorea, betreiben in Miracle Creek, einem kleinen ...
„Das hier war mal ein Unfall, aber durch das ständige Vertuschen sind wir alle zu Mördern geworden.“
Pak, Young und Mary Yoo, eine Immigrantenfamilie aus Südkorea, betreiben in Miracle Creek, einem kleinen Städtchen im Staat Virginia, die so genannte „Miracle Submarine“ – eine spezielle Druckkammer zur hyperbaren Sauerstofftherapie, der man gute Resultate bei der Behandlung von Autismus, Nervenleiden, Unfruchtbarkeit und vielen anderen Krankheiten nachsagt. Am 26. August 2008 ereignet sich dort ein schreckliches Unglück. Während einer Behandlungssitzung bricht an einem der Sauerstofftanks Feuer aus und fordert zwei Todesopfer – Kitt, Mutter von fünf Kindern, und Henry, einen achtjährigen autistischen Jungen – sowie mehrere Verletzte – Matt, der beim Versuch Henry zu helfen, seine Hände verliert, Pak erleidet eine Lähmung, Mary liegt im Koma, die restlichen Patienten tragen wie durch ein Wunder lediglich eine Lungenvergiftung davon. Als ein Jahr später der Prozess wegen Brandstiftung und Mord gegen Henrys Mutter, Elizabeth Ward, geführt wird, sollen auch die Youngs gegen sie aussagen. Doch je weiter der Prozess voranschreitet, desto dünner wird die Beweislage gegen Elizabeth und das Netz aus Lügen und Verheimlichungen zieht sich zu einer immer engeren Schlinge zusammen, die nicht nur den Anklägern und Zeugen, sondern auch dem Leser die Luft abschnürt ...
Vor dem Hintergrund einer menschlichen Tragödie und eines spannungsreichen Gerichtsprozesses tauchen wir in das Innenleben von sieben Figuren ein. Wir tauchen in die Innensicht von Elizabeth Ward ein, die ihren Sohn von morgens bis abends zu verschiedenen Spezialisten und Therapieformen fährt, die keiner Mühen und Kosten scheut, um den Gesundheitszustand ihres Sohnes zu verbessern. Die aber auch oft die Geduld mit ihm verliert, die sogar Hass und Scham empfindet...
Da ist Teresa Santiago, die von allen Mutter Teresa aufgrund ihrer selbstlosen Aufopferung, mit der sie ihre im Rollstuhl sitzende Tochter Rosa pflegt, genannt wird. Trotz ihrer aalglatten Reputation ist auch sie nicht frei von dunklen Gedanken, die so dunkel sind, dass sie eigentlich nicht gedacht, geschweige denn ausgesprochen werden sollten – und die doch nur menschlich sind...
Wir tauchen in Janine Chos Innenleben ein, die mit Matt verheiratet ist. Sie ist eine strebsame Ärztin, die ihr Leben lang alle Ziele, die sie sich gesetzt hat, erreicht und stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist. Mit derselben Beharrlichkeit, um nicht zu sagen Fanatismus, verschreibt sie sich dem Ziel schwanger zu werden. Da es nicht gelingt, sieht sich Matt gezwungen zweimal täglich an Sitzungen in der Luftdruckkammer teilzunehmen...
Matt, der 33-jährige Arzt, verbittert und von jeglichem sexuellen Verlangen gegenüber seiner Ehefrau beraubt, rebelliert gegen Janines verkrampfte und sterile Umgangsweise mit dem Problem, indem er sich mit Mary Yoo trifft und die beiden zusammen heimlich rauchen. Mit Mary kann Matt sich nicht nur wunderbar unterhalten, sie ist auch schön und voller jugendlichem Reiz. Und so merkt Matt selbst nicht, wie er immer stärkere Gefühle für Mary entwickelt...
Die siebzehnjährige Mary, die vor fünf Jahren mit ihrer Mutter nach Baltimore kam, findet sich weiterhin in ihrer neuen Heimat nicht zurecht. Sie rebelliert gegen ihre Eltern und das ihr von den beiden aufgezwungene Leben und bringt sich selbst damit in Schwierigkeiten...
Auch Pak findet sich in Amerika nicht zurecht: „Pak auf Englisch war ein anderer Mensch als Pak auf Koreanisch. Wahrscheinlich konnten Einwanderer überhaupt nicht anders, als sich in eine neue kindliche Ausgabe ihrer selbst zu verwandeln – ihres Redeflusses beraubt und damit automatisch teilweise ihrer Kompetenz und Reife. [...] Auf Koreanisch war er ein selbstbewusster Mann, angesehen und gebildet. Auf Englisch war er ein taubstummer Trottel, nervös und ungebildet.“
Und schließlich Young – die wohl stärkste Person in diesem Roman, die sich ihrer eigenen Stärke nicht bewusst ist. Sie ist klug und bewundernswert aufopferungsvoll. Ihr einziger Fehler besteht darin, in den falschen Momenten nachgegeben zu haben. Und doch ist sie es, die im entscheidenden Moment nicht schwankt: „Wir haben alle irgendwelche Erklärungen für unser Verhalten. [...] Ein ganzes Jahr lang haben wir in Bezug auf so viele Dinge gelogen, haben eigenmächtig entschieden, was richtig ist und was nicht, was wichtig ist und was nicht. Wir alle tragen Schuld.“
Angie Kim stellt sich als Meisterin darin heraus, uns die Handlungen verschiedenster Menschen begreiflich zu machen. Sie verfolgt die Ursprünge bis zu ihren Wurzeln zurück. Hadert man auch hin und wieder mit einer der Figuren, komplett ablehnen kann man sie nicht, denn es wird deutlich, dass sie alle in ihren Handlungen von zutiefst menschlichen Gefühlen getrieben werden.
Die Autorin hat einiges aus ihrem eigenen Leben in den Roman einfließen lassen. So wie die Yoos stammt sie aus Südkorea und ist im Alter von elf Jahren mit ihren Eltern nach Baltimore gezogen, wo ihre Eltern ein Lebensmittelgeschäft eröffneten. Aus ihrem späteren Leben als Anwältin sollte sie ihr juristisches Wissen in diejenigen Romanpassagen, die im Gerichtsaal spielen, einfließen lassen. Die wichtigste Inspirationsquelle für „Miracle Creek“ sollte aber sicherlich die einmonatige HBO-Therapie sein, der sich ihr damals zweijähriger Sohn, der an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung litt, unterzog und den sie zu den Behandlungssitzungen begleitete. In dieser Zeit hatte Angie Kim Einblick in das Leben von Müttern autistischer und behinderter Kinder. Auf diesem Wege, so die Autorin, änderte sich ihre Sichtweise auf das Leben selbst und die Relativität des Glücks. Diese Relativität des Glücks versucht die Autorin in ihrem Roman zu ergründen, was ihr auch wunderbar gelingt.
Angie Kim legt uns mit „Miracle Creek“ nicht nur sieben psychologische Persönlichkeitsstudien dar, die uns in menschliche Abgründe eintauchen lassen. Sie bietet uns nicht nur ein spannungsreiches und bewegendes Justizdrama. Sie konfrontiert uns nicht nur mit der Problematik der Identitätskrise von Immigranten und wie Sprache eine Identität mitbegründen kann. Sie führt uns auch behutsam und doch so frappierend intensiv in die Realität eines Lebens mit einem autistischen Kind und in die Extreme von mütterlicher Aufopferung ein.
Es ist nicht nur ein Roman, den man nicht aus der Hand legen kann, nicht nur ein Roman, der bewegt und erschüttert, und auch nicht nur ein Roman, der nachhallt. Es ist ein Roman, der uns durchdringt und verändert, ein Roman „über die Wahrheiten, die jeder von uns verbirgt.“
„Vielleicht geht es um Wiedererkennen, sagte ich, so wie man sich von gewissen Menschen angezogen fühlt, auch von gewissen Büchern, gewissen Bildern und gewisser Musik. Man erkennt etwas aus der eigenen ...
„Vielleicht geht es um Wiedererkennen, sagte ich, so wie man sich von gewissen Menschen angezogen fühlt, auch von gewissen Büchern, gewissen Bildern und gewisser Musik. Man erkennt etwas aus der eigenen tiefsten Tiefe wieder, etwas, was den Boden für all das bildet, was man ist.“
Auf diese magische Weise fühlt sich die Autorin, Astrid Seeberger, bereits seit ihrer Kindheit zu ihrem Onkel Bruno, den sie nur von Fotos kennt, hingezogen. „Als ich klein war und in meinem Bett lag, dachte ich oft an Bruno.“ Von Beruf Förster, war er im Zweiten Weltkrieg Pilot, von dem es hieß, er wäre in Stalingrad gefallen. Es stimmt auch, dass er über Stalingrad abgeschossen wurde, aber gestorben ist er damals nicht. Er starb erst im Jahr 1994 im Alter von 77 oder 78 Jahren auf deutschem Boden.
Selbst im Alter um 65 macht sich die Autorin auf die Suche nach Bruno. Sie beginnt ihre Suche da, wo ihre Mutter aufgehört hat - bei Dmitri Fjodorow alias Hannes Grünhoff, dem Sohn einer Deutschen und eines Russen, der in Berlin lebt. Dieser erzählt ihr sein ganzes Leben - im Vergleich zu ihrer Mutter möchte sie nicht nur von der Zeit hören, in der er Bruno kennengelernt hatte. Bekanntschaft mit Bruno machte er, als er im Alter von sechzehn Jahren zu sechs Jahren Zwangsarbeit in Kasachstan verurteilt wurde. Die einzigen beiden Häftlinge, die außer ihm auch Deutsch sprechen, sind Dinu, der Pianist aus Bukarest, und Bruno. Eine enge Freundschaft entwickelt sich zwischen den dreien und lässt sie die harte Zeit im Straflager überstehen. Als Bruno und Dinu ohne Dmitri schließlich zusammen nach Bukarest gehen, reißt er jeglichen Kontakt mit ihnen ab. Hier endet auch die erste Spur, die zu Bruno führt.
Astrid Seeberger reist nach Bukarest, wo sie jedoch nicht viel in Erfahrung bringen kann. Lediglich ein Musiker, mit dem sie spricht, erwähnt den Namen Wolfgang Müllers. Diesen verband eine kurze Liebschaft mit Dinu, einen wichtigen neuen Hinweis kann Wolfgang ihr liefern: Bruno hatte einen Sohn mit Naja, der Schwester Dinus. So sucht und findet die Autorin Jakob Seeberger in München, der nichts über die Familie Brunos wusste. Jakob erzählt ihr alles von seinem Leben mit seinen Eltern in Bukarest und dann von der Zeit mit Bruno und Dinu in Bayern. Abgerundet wird alles von Dinus Erinnerungen, die dieser vor seinem Tod auf eine CD aufgenommen hatte.
Wie überaus edel, großmütig und auch altruistisch ist es von der Autorin, Astrid Seeberger, dass sie ihre Geschichte und die Geschichten dieser Menschen - Dmitris und seiner Eltern, Dinus und seiner Schwester Naja, Brunos und Jakobs - mit uns, Lesern, teilt! Denn niemand von uns kann sagen, er wüsste bereits genug über den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach - bis zur Befreiung des Ostblocks vor der sowjetischen Übermacht. Und es sind doch immer die Einzelschicksale, die uns berühren, bestürzen, unser Herz zum Bluten bringen. Wir können immer nur vom Kleinen aufs Ganze schließen. Ein abstraktes Geschichtswissen - und ist es auch noch so umfangreich - bringt uns nicht als Menschen weiter. Und eins wird deutlicher als alles andere, was Lech, der Ehemann der Autorin, so wunderschön in Worte fasst: „Aber, sagte Lech, ist es nicht so, dass es etwas gibt, was uns möglich macht, unsere Bedrohtheit zu ertragen? Etwas, das uns die Hoffnung nicht aufgeben lässt, obwohl die Ruinenberge wachsen: diese erstaunliche Fähigkeit, die wir Menschen besitzen, füreinander Schutzräume zu errichten, mitten in aller Bosheit, mitten im Krieg und Unterdrückung. [...] Doch es gibt sie. Schutzräume, in denen wir das Glück verspüren können, das kleine störrische Glück. Obwohl es das Unglück gibt.“
Astrid Seeberger gibt uns mit „Goodbye, Bukarest“ ein Buch in die Hand, in dem mehrere Biografien, eingebettet in ihr eigenes Leben, zu finden sind. Sie, die mit siebzehn nach Schweden ausgewandert ist - „Ich wollte keine Deutsche sein. Ich wollte zu keinem Land gehören, das so Schreckliches verbrochen hatte.“ - zeigt uns wie wichtig es ist, für eine Sache zu brennen. Sie hat keiner Mühen gescheut, um alles über Brunos Leben herauszufinden, was im Rahmen menschlicher Möglichkeiten steht.
Danke, Frau Seeberger, dass Sie die Geschichte Brunos, die auch Ihre Geschichte ist, und die Geschichte vieler anderer - nicht zuletzt auch unsere Geschichte - in Ihrer sanften und doch so starken Sprache mit uns geteilt haben!
Der Aal ist der rätselhafteste Fisch der Welt. Seine Existenz und sein Lebenswandel werfen uns seit jeher viele Fragen auf und bis heute hat man noch nicht alle mit Bestimmtheit beantworten können beziehungsweise ...
Der Aal ist der rätselhafteste Fisch der Welt. Seine Existenz und sein Lebenswandel werfen uns seit jeher viele Fragen auf und bis heute hat man noch nicht alle mit Bestimmtheit beantworten können beziehungsweise die Frage nach dem „Warum?“ aus der Dunkelheit ans Licht hervorholen können. So haben viele passionierte Forscher sehr viel Zeit und Energie – nicht selten ihr halbes Leben – der sogenannten Aalfrage gewidmet. Der Däne Johannes Schmidt ist beispielsweise 18 Jahre lang durch die Meere gefahren, bevor er den Ursprungsort des Aale – die Sargassosee – entdeckt hat. Auch so manches poetische Werk, wie Günter Grass‘ „Die Blechtrommel“, Boris Vians „Die Gischt der Tage“ oder Graham Swifts „Wasserland“ haben sich dem Aal auf literarische Weise genährt. Die Reihe wird nun von Patrik Svensson fortgesetzt, der uns behutsam an die Hand nimmt und uns auf verständliche, berührende und poetische Weise in die Geschichte des Aals einführt.
„Das Evangelium der Aale“ ist halb Sach-, halb Erinnerungsbuch, denn in sich abwechselnden Kapiteln erzählt uns der Autor von wichtigen Stationen in der Mensch-Aal-Geschichte und gewährt uns Einblicke in seine eigene Geschichte, dessen Schwerpunkt die Vater-Sohn-Beziehung ausmacht. Wie sich schnell herausstellt, war das Aalfangen diejenige Tätigkeit, die Patrik Svensson und seinen Vater verbunden hat und ihr Verhältnis zueinander geprägt hat. So wird die allgemeine Aalfrage zu seiner ganz eigenen Frage nach der Herkunft, dem Sinn des Lebens und seinem Ziel, das sich auch jeder andere Mensch in unterschiedlicher Gewichtung stellt. „Das Rätselhafte, schwer Durchschaubare des Aals wird zum Echo der Fragen, die jeder Mensch in sich trägt: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin bin ich unterwegs?“
Im einführenden Kapitel wird uns das Grundwissen über den Aal vermittelt. So erfahren wir, dass der Aal nur an einer einzigen Stelle im gesamten Ozean – der Sargassosee – das Licht der Welt erblickt und zunächst als ‚Weidenblättchen‘ und nach der ersten Metamorphose zum Glasaal bis zu drei Jahre durch das Meer treibt, bevor er sich als Gelbaal in einem Bach, Teich oder Binnensee entschließt, angekommen zu sein. In seinem selbstgewählten Zuhause führt er fortan das Leben eines Einzelgängers, bis ihn irgendwann – normalerweise im Alter zwischen fünfzehn und dreißig Jahren – eine innere Kraft dazu antreibt zwecks der Fortpflanzung an seinen Ursprungsort zurückzukehren. Während er zurückschwimmt, bilden sich seine Geschlechtsorgane aus, während sein Verdauungssystem sich zurückbildet. In der Sargassosee angelangt, findet das Ablaichen statt, nachdem der Aal verstirbt.
Wie wir später erfahren, wurde dieses Wissen über Jahrhunderte zusammengetragen. Die Geschichte beginnt bei Aristoteles, der sich als erster großer Gelehrter ganz besonders für den Aal interessiert hat, und reicht von Sigmund Freud, dem Dänen Johannes Schmidt und der Meeresbiologin Rachel Carson bis in unsere jüngste Gegenwart hinein. Vieles von dem, was wir zu wissen glauben, ist aber bis heute nicht bestätigt. So hat kein Mensch jemals zwei Aale bei der Fortpflanzung beobachtet, noch hat man je einen ausgewachsenen Aal in der Sargassosee gesehen. Und eine weitere wichtige Tatsache: Der Aal vermehrt sich nicht Gefangenschaft. „Es war fast, als wehre sich der Aal dagegen, jemand anderem die Kontrolle über den Schöpfungsakt zu überlassen, als wäre seine Existenz ganz allein seine Sache.“ Das heißt, dass der vom Aussterben bedrohte Aal womöglich irgendwann wie der vom Autor herangeführte Dodo oder die Sehkuh für immer von der Erdoberfläche verschwunden sein wird, „bis es nichts mehr [über ihn] zu wissen gibt“.
„Das Evangelium der Aale“ ist eine ganz besondere Art von Buch. Es ist halb Sach-, halb Erinnerungsbuch, aber nicht das allein ist das Besondere daran. Es ist der Versuch das Lebewesen, „das sich aktiv der menschlichen Erkenntnis entzieht“, zu begreifen. Und es ist ein Plädoyer für den Aal als Lebewesen, aber gleichzeitig auch für den Aal als eine große verbindungsstiftende Symbolkraft, die die Geschichte der Menschen im Allgemeinen und das Verhältnis des Autors zu seinem mittlerweile verstorbenen Vater im Speziellen bestimmt. Wer hätte gedacht, dass ein Buch über Aale so bewegend sein kann? Und doch ist es so, denn oftmals ist nicht das Was, sondern das Wie entscheidend und das beherrscht Patrik Svensson meisterhaft! Ich kann dieses poetische Debüt über die Natur, die Suche nach Wissen, Menschlichkeit und Verstehen jedem nur wärmstens ans Herz legen.