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Veröffentlicht am 22.03.2020

Schnitzeljagd, Puzzle, Labyrinth

Miracle Creek
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Toll gemacht, auch wenn die Ausgangsidee nicht neu ist: ein Ereignis integriert jedes beteiligte Individuum in ein unsagbar kompliziertes Geflecht von Beziehungen.
Involviertheit, Abhängigkeit, Schuld, ...

Toll gemacht, auch wenn die Ausgangsidee nicht neu ist: ein Ereignis integriert jedes beteiligte Individuum in ein unsagbar kompliziertes Geflecht von Beziehungen.
Involviertheit, Abhängigkeit, Schuld, nur drei Determinanten, die den Leser atemlos in diesen Mikrokosmos einer amerikanischen Kleinstadt eintauchen lassen.
Von Kapitel zu Kapitel, jedesmal aus einem anderen Blickwinkel dem Geschehen folgend, zwingt die Lektüre beständig, als wahr erachtete Positionen zu revidieren. Jedes Mosaiksteinchen verändert kontinuierlich das Bild der Kleinstadtidylle, die für immer zerstört ist.
Dieses literarische Debüt wird in dem Genre des Gerichtsromans einen ehrenvollen Platz einnehmen: ein ausgefeilter Plot, eine beständig sich steigernde Spannung, eine Charakterzeichnung, die nicht eindeutig die Figuren nach gut und böse sortiert, sondern oszillierende Portraits schwankender, getriebener, dem Schicksal ausgelieferter Menschen bietet, sorgen für ein ausgesprochenes Lesevergnügen, bei dem der Leser begeistert an der literarischen Schnitzeljagd teilnimmt, das Puzzle zu vervollständigen sucht, seinen Weg durch das Labyrinth zu finden hofft!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.11.2019

Polit-Thriller

Alles, was wir sind
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Doktor Schiwago, wie der Titel von Psternaks Hauptwerk in der deutschen Übersetzung lautet, ist als Buch ein Welterfolg, moderne Weltliteratur - ergreifend, spannend, ein historisches Panorama aus der ...

Doktor Schiwago, wie der Titel von Psternaks Hauptwerk in der deutschen Übersetzung lautet, ist als Buch ein Welterfolg, moderne Weltliteratur - ergreifend, spannend, ein historisches Panorama aus der Zeit der Revolution, als Film ein Klassiker der Cineasten. Der jungen Autorin Lara Prescott ist es zu danken, dass der Blick jetzt auch auf die Hintergründe der Veröffentlichung gelenkt wird. Mehrere Aspekte kommen in ihrem Debütroman zum Tragen: mehrere Liebesgeschichten sind mit dem Geschehen verwoben, am ergreifendsten die Beziehung zwischen dem Dichter Psternak und seiner langjährigen Geliebten. Daneben erhält der Leser Einblick in Willkür und Terror des Sowjet-Regimes. Millieuschilderungen aus verschiedenen Lebensbereichen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs bereichern das Bild. Doch atemlos macht die Lektüre des Polit-Thrillers, der letztlich auch zur Verbreitung von Pasternaks Werk im Land seiner Entstehung führte. Schon der Auftakt ein Meisterstück: ein geschickt komponierter Romananfang, aufgebaut in strengem Antagonismus, in Nuancen der Verschiebung. Die beiden Schauplätze jeweils in den Hauptstädten der beiden Großmächte lokalisiert, Washington und Moskau. Die Atmosphäre in beiden Kapiteln aufgeladen durch die Ansiedelung im Geheimdienstmilieu. Zwei weibliche Personen, die nurmehr Atome der Bedeutungslosigkeit repräsentieren, austauschbare Schreibkraft die eine, Opfer des Systems die andere, die im gefürchteten Labyrinth der Lublianka verschwindet, der Willkür des Verhörs ausgeliefert. Ärgerlich nur der eher dümmlich-nichtssagende deutsche Titel - der lässt eher eine anspruchslose Schmonzette vermuten!

Veröffentlicht am 18.10.2019

Drei Leben - eine Frau

Die Zeit des Lichts
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Die Autorin gestaltet ihren Debütroman mit einem ambitioniertem Aufbau. Staunend registriert der Leser, dass ihm in der Gestalt der bekannten amerikanischen Fotografin Lee Miller drei vollkommen unterschiedliche ...


Die Autorin gestaltet ihren Debütroman mit einem ambitioniertem Aufbau. Staunend registriert der Leser, dass ihm in der Gestalt der bekannten amerikanischen Fotografin Lee Miller drei vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten entgegentreten. Herzzerreißend ist die Darstellung der alternden Frau, die alkoholkrank und nur mühsam organisiert eine Abendeinladung für liebe Freunde zu bewältigen sucht. Dieses Eingangskapitel verfügt über eine ungeheure atmosphärische Dichte. Wie die Protagonistin des Romans zu einem solchen körperlichen und emotionalen Wrack hat werden können, verdeutlichen die beiden anderen Perspektiven auf diese prominente Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Zu knapp fällt dabei der Blick auf die Rolle der Kriegsberichterstatterin aus, ein Novum in der Zeit des 2. Weltkriegs. Wie sehr diese Erfahrungen die Hauptfigur mental zerrüttet haben, hätte vom Umfang her weit mehr in den Vordergrund gestellt werden können. Stattdessen wird die Ambivalenz von Millers Beziehung zu Man Ray viel zu kleinschrittig dargestellt. Eine Verknappung dieses Handlungsstrangs hätte ein wesentlich prägnanteres Bild, ein viel überzeugenderes Porträt der Wandlung, der Emanzipation, oder wie das aktuelle Modewort lautet, des empowerment der Lee Miller zu einer eigenständigen, souveränen, zutiefst schöpferischen Künstlerpersönlichkeit geschaffen. Gelungen ist hingegen das vermittelte Bild vom Paris der frühen 30er Jahre als Weltmetropole der Kunst: die großen Namen der Epoche treten dem Leser in griffigen, scharfumrissenen Entwürfen entgegen. Alles in allem eine lohnende Lektüre, um eine plastische Vorstellung einer entscheidenden Facette des Kunstlebens vor und im 2. Weltkrieg zu bekommen.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Karl Kraus ...

Otto
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... sagt, dass das Wort Familienbande einen Beigeschmack von Wahrheit hat. Wie wahr, man kann ihm nur zustimmen, wenn man Dana von Suffrins Romandebüt gelesen hat: Sowohl eine tiefe Bindung als auch perfide ...

... sagt, dass das Wort Familienbande einen Beigeschmack von Wahrheit hat. Wie wahr, man kann ihm nur zustimmen, wenn man Dana von Suffrins Romandebüt gelesen hat: Sowohl eine tiefe Bindung als auch perfide Abwehrstrategien kennzeichnen die Beziehungen in diesem Familienkosmos. ‚Otto‘ gehört in die Gattung der jüdischen Familiengeschichte und bedient damit einige der gängigen Genremerkmale, vielleicht sogar Klischees und Stereotypen. Die ältere Tochter Timna äußert sich unumwunden über ihren anstrengenden, besitzergreifenden, krankhaft geizigen Vater. Die Deutlichkeit ihrer Sprache lässt nichts zu wünschen übrig. Doch die Skurrilität der Episoden und der trockene Humor der Erzählerin täuschen nicht darüber hinweg, dass sie ebenso wie die jüngere Schwester, ‚der Baba‘, traumatisiert, fürs Leben gezeichnet ist wie der Vater. Vor dem Leser entfaltet sich Ottos Lebenslauf voller burlesker Ereignisse, die den Vater zu einer lebensvollen, aber zutiefst gestörten Persönlichkeit werden lassen. Und diese Dominanz wiederum wird zur Lebenshypothek der Töchter. Auch der erratische Erzählstil ist untrennbares Merkmal Geschichte, die dem Ostjudentum entspringt.

Veröffentlicht am 17.07.2019

Originell

Kalte Wasser
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Die junge Autorin Melanie Golding liefert, worauf der Leser kaum noch zu hoffen wagte: ein Thriller, der sein Spannungsmoment nicht aus dem Bemühen bezieht, nie zuvor erdachte Grausamkeiten haarklein und ...

Die junge Autorin Melanie Golding liefert, worauf der Leser kaum noch zu hoffen wagte: ein Thriller, der sein Spannungsmoment nicht aus dem Bemühen bezieht, nie zuvor erdachte Grausamkeiten haarklein und blutrünstig zu präsentieren. Stattdessen wählt sie ein Sujet, das ganz harmlos daherkommt, vollkommen aus der Alltagserfahrung erwächst: Mutterschaft und alle Überforderung, alle Ängste, die mit ihr verbunden sind. Höchst gekonnt orientiert sie sich an dem Kunstgriff, wie ihn der Altmeister des suspense, Henry James, in seiner „Drehung der Schraube“ etabliert hat: greift das Übersinnliche wahrhaftig in das Leben der Romanfiguren ein, oder hat der Leser es ausschließlich mit den Hirngespinsten eines kranken Bewusstseins zu tun? Ausgesprochen charmant, wie sie am Anfang mancher Kapitel literarische und kulturhistorische Zeugnisse zitiert. Das aktuelle Geschehen, dem der moderne Mensch wenig geneigt ist, mythische Dimensionen zuzubilligen, erhält doch plötzlich eine Aura archaischer Wucht. Eine spannende Lektüre, die vermag, den Leser in Bann zu schlagen.