Absolut solider Thriller mit viel Undurchsichtigkeit
In „Ein Tod ist nicht genug“ begnen wir gleich mehreren Hauptfiguren, die scheinbar alle einen entscheidenden Teil zur Handlung beitragen. An vorderster Front steht Harry Ackerson, ein 22-jähriger junger ...
In „Ein Tod ist nicht genug“ begnen wir gleich mehreren Hauptfiguren, die scheinbar alle einen entscheidenden Teil zur Handlung beitragen. An vorderster Front steht Harry Ackerson, ein 22-jähriger junger Mann, dem mit einer einzigen Nachricht der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Sein Vater soll verunglückt sein. Doch nicht nur, weil Harry seinen Vater gut kannte und wusste, dass er fit war, sondern auch weil sein Bauchgefühl ihm das verriet, glaubt er nicht an einen Unfall. Harry ist ein interessanter Charakter, wirkte auf mich aber oft wesentlich älter als Anfang 20. Allein von seinem Auftreten her und seine Handlungen wirkte er mehr wie Mitte/Ende 30 und ich tu mir noch immer schwer, das alles in Einklang zu bringen. Sehen wir über diesen Punkt aber man hinweg, war Harry ein Mann, den man durchaus nachvollziehen konnte und der stets bedacht und überlegt handelte. Teilweise etwas schweigsam, teilweise ein wenig „altmodisch“, aber im Großen und Ganzen sympathisch. Er hatte einfach eine ganz eigene, eher distanzierte Art an sich, mit der man sich als Leser erst einmal anfreunden muss. Eine gesunde Neugier, die er scheinbar in die Wiege gelegt bekommen hat, treibt ihn an und hält die Story am Laufen.
Neben Harry lernen wir aber auch seine Stiefmutter Alice kennen, indem sie vom Autor eine eigene Zeitebene verpasst bekommen hat. Das heißt, wir springen regelmäßig zwischen der Gegenwart von Harry und der Vergangenheit von Alice hin und her. Dies sorgte vor allem dafür, dass wir Alice ziemlich eingehend und über eine sehr langen Zeitraum begleiten, immerhin spielt sie auch in der heutigen Zeit noch eine wichtige Rolle und begegnet uns da, neben Harry, ebenfalls noch. Alice ist ein total vielschichtiger Charakter, der überrascht, schockiert und irgendwie begeistert. Diese Frau, die in ihrem Leben schon so viel erleben musste, passt exakt zu der Alice, die wir an Harry’s Seite kennenlernen. Und sie passt in dieses Buch wie keine andere. Dabei lässt sich gar nicht so recht in Worte fassen, was sie so anders macht – aber sie ist es; definitiv. Sie ist so unnahbar, so gefühllos und trotzdem irgendwie ein Sympathieträger. Das hilft jetzt sicher keinem groß weiter, der mehr über meine Meinung zu ihr erfahren will, aber ich kann es nicht greifen, was sie zu dem machte, was sie ausmachte. Wichtig ist eigentlich aber nur, dass sie eine wahre Bereicherung für die Geschichte war und so viel an Spannung, interessanten Elementen und Tiefgang mit sich brachte, dass man sie einfach gern begleitete.
Daneben gab es aber noch andere Persönlichkeiten, die die Charaktere aufwerteten. Da war die mysteriöse Frau bei der Beerdigung, von der man unbedingt und möglichst schnell so viel wie möglich wissen möchte, um aufzuklären, wer sie ist. Und es gab Jake, Alice’s Mutter und Gina – sie alle waren ausreichend detailliert und tiefgründig ausgearbeitet und dargestellt, um sich ein Bild von ihnen zu machen. In Sachen Charaktere hat Peter Swanson also wieder sämtliche Punkte abgeräumt – war aber auch nicht anders zu erwarten.
Der Schreibstil punktet genau so. Peter Swanson hat eine sehr angenehme Art, eine Geschichte zu erzählen und schafft es trotz einfacher Sprache und wenig Aufwand, eine packende, düstere Stimmung zu erzeugen. Die war es dann letztlich auch, was so fesselt. Man kann ohne Anstrengung, einfach abtauchen und sich von den Worten des Autors mitreißen lassen. Dabei bringt er gar nicht so viele Beschreibungen oder Details ein, erzeugt aber trotzdem ein klares, fortlaufendes Bild der Geschehnisse. Auch die Gliederung begeistert wieder – wie oben schon angeteasert, hat sich Peter Swanson wieder für zwei Zeitebenen entschieden. Wir lesen also die Gegenwart an Harry’s Seite, bekommen aber eben auch besagten Einblick in Alice‘ Vergangenheit, der durch diese eigene Ebene enorm eingehend ausfällt. Anfangs befürchtete ich noch, das würde dem Ganzen zu viel vorweg nehmen, doch schnell wird klar, dass eigentlich beide Aspekte quasi ihre eigene Geschichte erzählen, die dann einfach später ineinandergreifen. Für mich ein absolutes Phänomen, weil sich beides so gut ergänzt und die Spannung so noch einmal auf eine andere Stufe angehoben wird. Top gemacht! Ehrlich!
Die Idee hinter diesem Thriller ist grundsätzlich, von oben betrachtet, nichts Neues. Ein mysteriöser Unfall, der den Verdacht aufkommen lässt, dass mehr dahinter steckt. Die Ermittlungen der Polizei sind ebenfalls ein Faktor, nehmen aber einen eher geringen Teil des Buches ein. Stattdessen konzentriert sich der Autor rein auf die Familien; auf die Lebensumstände; auf die vielen kleinen Nebeneinflüsse, die der Geschichte so viel Gutes tun. Die Spannung ist von der ersten Sekunde an greifbar, weil sich prompt einige Fragen auftun, die es zu klären gibt. Dabei fährt die Handlung hier, im Gegensatz zu „Alles was du fürchtest“, nicht mit angezogener Handbremse, sondern ist durchgängig zügig und temporeich. Interessante neue Entdeckungen von Harry oder andere Wendungen treiben die Story ebenfalls voran und lassen so keine Langeweile entstehen. Dazu kommt, dass sich immer, wenn eine offene Frage beantwortet wird, etliche neue aufkommen. Man weiß einfach nie so recht, woran man gerade ist und jedes Mal, wenn man meint, man habe das Ziel des Buches durchschaut, wird die Geschichte in eine andere Richtung gelenkt. Obwohl ich kein Neuling auf diesem Gebiet bin und behaupten kann, dass ich vieles kommen sehe, war ich hier durchweg komplett planlos. Im Nachhinein hat sich allerdings dann herausgestellt, dass es dem Leser ohnehin nicht möglich gewesen wäre, die Auflösung zu entschlüsseln, ehe sie vonstatten geht. Dafür lagen durchweg zu wenige Infos offen, um auf diese Idee zu kommen. Das ist dann leider auch der entscheidende Punkt: ich hätte mir ein wenig mehr Hinweise gewünscht, die auf das Ende hindeuten, damit das ganze Mitraten und Miträtseln auch einen Sinn ergibt.
Das Ende hatte es aber, in Sachen Spannung und Überraschung noch einmal in sich. Hoch brisant wird das Ganze aufgelöst und ist voller Höhepunkte. Selbst innerhalb der Schluss-Teils wechselt Peter Swanson noch einmal die Richtung und ändert im letzten Moment einfach alles. Vor allem die allerletzte Szene lässt einen beinah aufkeuchen, weil man damit einfach nicht gerechnet hätte.
Alles in allem eine bekannte Idee, geschickt insziniert und erzählt. Mit viel Spannung, vielen Wendungen, einem (fast zu) neugierigen Protagonisten, der die Arbeit der Polizei übernimmt und einer unvorhersehbaren (ob das nun so gut ist, lasse ich mal dahin gestellt) Auflösung und einem spektakulären Schlusspart.
FAZIT:
„Ein Tod ist nicht genug“ von Peter Swanson ist ein undurchsichtiger, temporeicher Thriller, der einfach Spaß macht. Außergewöhnliche Charaktere, ein angenehmer, flüssiger und leicht zu lesender Schreibstil und eine stimmige, düstere Atmosphäre runden das Ganze schließlich ab. Einziger Fleck auf der ansonsten reinweißen Weste: zu wenig Hinweise um auf diese Auflösung zu kommen; so war das Mitraten und Miträtseln einfach irgendwie sinnlos. Ansonsten gibt’s aber wieder eine Empfehlung und ich freue mich, auf das nächste Buch des Autors!