Man kann vor der Wahrheit nur eine Zeit lang davonlaufen
Ein neuer HimmelMan kann vor der Wahrheit nur eine Zeit lang davonlaufen
„Warum haben wir einen anderen Glauben, Mama? Warum werden wir politisch verfolgt?“ Hannah war ratlos. Wie sollte man eine so irrsinnige Ideologie ...
Man kann vor der Wahrheit nur eine Zeit lang davonlaufen
„Warum haben wir einen anderen Glauben, Mama? Warum werden wir politisch verfolgt?“ Hannah war ratlos. Wie sollte man eine so irrsinnige Ideologie wie die Weltanschauung der Nationalsozialisten einem Kind erklären?
Für die Jüdin Hannah Rosenberg wird die Situation im Frühling des Jahres 1939 in Berlin unerträglich. Aufgrund ihrer Abstammung hat die Musiklehrerin und talentierte Geigerin nicht nur ihre Anstellung, sondern auch ihre Wohnung verloren. Gemeinsam mit ihrer dreijährigen Tochter Melina macht sie sich auf den Weg in ein Dorf namens Erlenthal in der Nähe von Würzburg, wo sie auf Unterkunft und Arbeit hofft. Hannah und Melina finden auf dem Sandnerhof herzliche Aufnahme und ein liebevolles neues Zuhause, sie fühlen sich geborgen und werden wie Familienmitglieder behandelt. Doch als der Sturm gegen die Juden losbricht, brennen in den Städten die Synagogen und auch die neue Zuflucht auf dem Land bietet bald keinen Schutz mehr vor der Gewalt der Nationalsozialisten…
Margit Steinborn präsentiert mit ihrem Erstlingswerk die Geschichte einer ledigen Mutter, die in ihren jungen Jahren nicht nur die Liebe ihres Lebens, sondern zudem auch noch ihre Sicherheit, ihre Anstellung und ihr Zuhause verliert. Die Protagonistin dieses Buches begegnet auf ihrem Lebensweg, der beginnend vom Jahr 1932 erzählt wird, Menschen, die stillen Widerstand leisten. Im kleinen Dorf Erlenthal finden sich selbstlose und hilfsbereite Einwohner, die Angehörige jüdischer Abstammung vor den Zugriffen der Nationalsozialisten beschützen, sie verstecken und ihnen zur Flucht ins sichere Ausland verhelfen. Friedrich und Klara Sandner und ihre Angehörigen Konrad, Annie, Maria, Hans und David sowie Pfarrer Simon Petersen verurteilen die menschenverachtende Einstellung der Nazis. Sie sind neben Hannah Rosenberg die wichtigsten Figuren dieses Buches. Der Autorin ist es gelungen, mich mit der Charakterzeichnung ihrer handelnden Figuren sowie den emotionalen Passagen in ihrer Geschichte tief zu berühren. Der Zweite Weltkrieg mit der Verwandlung Deutschlands von einer parlamentarischen Demokratie in eine nationalsozialistische Diktatur, die tödliche Ideologie mit ihrer Rassenlehre, dem Ariertum, der systematischen Ermordung unzähliger Kranker und Behinderter sowie die unfassbare Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung und die Gräueltaten in den Konzentrationslagern bilden einen schrecklichen und beklemmenden Hintergrund. Margit Steinborn lässt die unheilvollen Jahre der Regentschaft des „unberechenbaren Verrückten aus Berlin, den alle unterschätzt haben“ wiederaufleben und erzählt beispielhaft das Schicksal einer Jüdin namens Hannah. Eine nicht unrelevante Rolle in diesem Geschehen spielt Dr. Peter Hagen, der sich in ranghoher Stellung an den furchtbaren Aktivitäten der SS beteiligt. Peters anfänglicher Enthusiasmus, seine Leichtgläubigkeit, seine langsam aufkeimenden Bedenken und Skrupel, und angesichts des vollen Ausmaßes des Grauens schließlich sein Beschluss, dieses Regime zu bekämpfen, werden dem Leser eindrucksvoll vor Augen geführt. Margit Steinborn beschreibt, wie das Leben eines verliebten jungen Mannes, das gerade noch klar und voller Verheißungen vor ihm lag, eine unerwartete Wendung nahm und dass letztendlich sogar Selbstbeschwichtigung und Verleugnung der Wahrheit sein Gewissen nicht mehr beruhigen können. Zu den fiktiven Figuren gesellen sich in diesem Buch auch berüchtigte Persönlichkeiten wie beispielsweise Reinhard Heydrich oder Heinrich Himmler als Hauptorganisatoren des Holocausts und Verantwortungsträger für die Ermordung von Millionen Menschen.
Bereits angesichts der Thematik dieses Buches war mir bewusst, dass Margit Steinborns Roman aufrüttelt, tief bewegt und angesichts der Einblicke in historische Fakten keine leichte Lektüre darstellt. Die Autorin besitzt jedoch einen flüssigen und einnehmenden Schreibstil, ihre Erzählung beinhaltet trotz der schrecklichen geschichtlichen Fakten auch Hoffnung und erzählt von der Liebe ihrer Protagonistin zu ihrer kleinen unschuldigen Tochter, die sie dazu veranlasst, auch die schlimmsten Erfahrungen im Lebens auszuhalten und zu versuchen, um jeden Preis zu überleben. Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft, und die Hoffnung auf ein Ende des Krieges durchdringen die Seiten dieses Buches und machen es zu einem beeindruckenden Lese-Erlebnis.
„Ein neuer Himmel“ von Margit Steinborn hat mir ausgezeichnet gefallen und ich kann dafür eine klare Leseempfehlung aussprechen.