Spannend und tiefgründig
Die Verstoßene„...Ja, er meint, Lügen haben kurze Beine. Aber das verstehe ich nicht. Lügen können doch gar nicht laufen...“
Wir befinden uns im Juli des Jahres 1914. Baronesse Lydia von Gedigk unterrichtet in einem ...
„...Ja, er meint, Lügen haben kurze Beine. Aber das verstehe ich nicht. Lügen können doch gar nicht laufen...“
Wir befinden uns im Juli des Jahres 1914. Baronesse Lydia von Gedigk unterrichtet in einem Pensionat. Da bekommt sie die Stelle als Erzieherin für die Nichte des Grafen Claus Ferdinand Grüning von Wedell angeboten. Schnell wird klar, dass die Leiterin des Pensionats sie loswerden will. Der Grund liegt in Lydias Vergangenheit. Sie hat einen Fehler gemacht und das wirft ein schlechtes Licht auf das Pensionat. Allerdings verhindert die Leiterin gekonnt, dass Lydia mit den Graf über eben diesen Fehler spricht.
Der Autor hat einen spannenden historischen Roman geschrieben. Es ist der fünfte Teil der Hochwald – Saga. Wie seine Vorgänger zeichnet sich das Buch dadurch aus, dass es christliche Aspekte in den Mittelpunkt stellt.
Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Mal darf ich das Geschehen aus Lydias Sicht, mal aus der des Grafen verfolgen.
Viola, die Nichte des Grafen, ist die Tochter von Franziska. Sie und Lydia kennen sich, haben sich aber seit Jahren aus den Augen verloren, da Franziska nun in Afrika lebt. Viola ist eine aufgeschlossenes Kind, was sagt, was sie denkt. Das Eingangszitat stammt von ihr.
Lydia hadert mit den Folgen ihrer Vergangenheit. Sie hat ihre Schuld bekannt und weiß sie vergeben – von Gott, aber nicht von den Menschen. Bevor sie mit dem Grafen darüber sprechen kann, wird der Graf von Erika von Steinbach, der Pensionsleiterin, informiert. Das hat Lydias Entlassung zum Jahresende zur Folge. Der Graf reagiert knallhart und sehr selbstherrlich.
Bis zu dieser Stelle war mir Lydia sympathisch. Was geht andere ihre Vergangenheit an? Und wer hat das Recht, ihr Dinge vorzuwerfen, die vor Gott vergeben waren?
Dann aber kommt der Krieg und jetzt reagiert Lydia irrational. Dass sie völlig unerfahren als Schwester an die Front geht, ist noch nachvollziehbar. Dass sie aber Franzi, die aus Afrika zurück ist, überredet, mitzukommen, obwohl die zweifache Mutter ist, finde ich unüberlegt. Gut, dass Franzi ihren trockenen Humor nicht verliert:
„...Es ist noch nie gut ausgegangen, wenn ich als blinder Passagier gereist bin...“
Die Szenen des Kriegsgeschehens werden sehr realistisch wiedergegeben. Graf Wedell bleibt sich anfangs treu, muss aber feststellen, dass moralische Werte an der Front schnell den Berg hinuntergehen. Auch er muss begreifen, dass Befehl Befehl ist.
Eines kommt mir zu kurz, obwohl es an mehreren Stellen eine Rolle spielt. Wenn die personellen Ressourcen begrenzt sind und die Zeit nicht für alle reicht, wem wird dann geholfen und wem nicht? Hier hatte ich oftmals den Eindruck, dass die persönliche Einstellung und der Egoismus entscheidend sind.
Die beeindruckendste Protagonistin ist für mich die französische Krankenschwester Denise. Sie lebt ihren Glauben ohne Wenn und Aber. Sie macht keine Unterschiede im Lazarett zwischen Freund und Feind. Und sie zeigt Graf Wedell, was Vergebungsbereitschaft heißt. Wenn es ein muss, spricht sie auch Klartext:
„...Vielleicht haben Sie das Leben eines Menschen durch ihr Misstrauen und ihre Unversöhnlichkeit verletzt. […] Vielleicht haben Sie das Leben dieses Menschen zerstört, vielleicht krankt er daran – und Sie könnten es mit einem Satz heilen. Stattdessen bemitleiden Sie sich selbst...“
Sehr informativ fand ich das Gespräch zu Weihnachten zwischen Graf Wedell und einem französischen Offizier, wo es einerseits um den Glauben ging, andererseits über den Sinn des Krieges debattiert wurde. Was beide sehr ernsthaft diskutieren, klingt bei Viola so:
„...Warum muss es denn diesen dummen Krieg geben? Ich will, dass Onkel Claudinand zurückkommt...“
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es zeigt, wie wichtig Vergebung für beide Seiten ist, dem, der vergibt, und dem, dem vergeben wird.