Widerstand gegen die Opferrolle
Das wirkliche LebenIrgendwo in Frankreich in den 90ern: Ein zehnjähriges Mädchen lebt mit ihrem Bruder in einer eintönigen Reihenhaussiedlung und versucht, die Attacken ihres jähzornigen Vaters auf ihre Mutter zu ignorieren. ...
Irgendwo in Frankreich in den 90ern: Ein zehnjähriges Mädchen lebt mit ihrem Bruder in einer eintönigen Reihenhaussiedlung und versucht, die Attacken ihres jähzornigen Vaters auf ihre Mutter zu ignorieren. Ihr jüngerer Bruder ist ihr einziger Vertrauter. Bis ein gravierendes Ereignis den Wendepunkt ihres Lebens markiert.
Bisher war es das Milchzahnlachen ihres Bruders, welches Licht in ihr graues Leben brachte. Ihr einziger Vertrauter gegen den großen Feind „Vater“, der auf eine ungesunde Art von Macht und Waffen begeistert ist. Doch besagtes Ereignis entzweit die beiden Kinder mehr und mehr, lenkt ihren Bruder in Richtung des Vaters, während das Mädchen versucht, alleine stark zu werden, Ziele zu verfolgen und zugleich den hormonellen Veränderungen standzuhalten, welche sie und ihre Mitschüler nun überkommen. Ihre Mutter ist ihr dabei keine Hilfe, diese in ihren Augen schwache Frau ohne jegliche Ambitionen, welche von der eigenen Tochter als Amöbe bezeichnet wird.
Das Buch zieht sich über fünf Jahre, in denen die Kinder sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickeln, in denen der Vater beginnt, in seiner heranwachsenden Tochter ein weiteres Opfer zu sehen und in denen das Mädchen versucht, nicht zur gejagten Beute zu werden, der „Opferrolle Frau“ zu entkommen. In vielen Dingen kam sie mir dabei pfiffig und mutig vor, während sie auf anderen Gebieten erstaunlich naiv wirkte. Inhaltlich ist das Buch stark auf die Ich-Erzählerin und ihr familiäres Umfeld sowie einige wenige Erwachsene beschränkt, Interaktionen mit Mitschülern sowie anderen Gleichaltrigen kamen kaum vor, was ich doch recht schade fand, da somit viel an Information über das Mädchen auf der Strecke blieb. Die Entwicklung der beiden Kinder, vom Wendepunkt bis hin zum Endpunkt der Erzählung, ist bewegend und ich hab mich als Leser fast schon hilflos gefühlt, dem Kind nicht helfen zu können bei seinen Problemen. Wobei fraglich ist, ob sie überhaupt Hilfe hätte annehmen wollen. Sie wirkt wie eine Einzelkämpferin, die versucht, den richtigen Weg zu finden, raus aus der Rolle der Beute hin zur selbstbewussten Frau. Ein Weg, der sich lohnt, gelesen zu werden.