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Veröffentlicht am 09.04.2020

Authentisch, emotional, berührend!

All In - Tausend Augenblicke
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"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und ...

"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und auch die Autorin von ihrer besten Seite, sodass ich Zwischenzeitlich gute Hoffnung hatte, dass "All In" zu meinem ersten richtigen Jahreshighlight 2020 wird, also mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, doch leider blieb mir die Geschichte an manchen Stellen zu oberflächlich und geschönt um vollends zu überzeugen.


"Ich werde dich allein lassen", sagte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die Worte hingen zwischen uns, der Kern all unserer Schmerzen und Tränen und Bedenken. Aber Kacey lächelte - sie lächelte tatsächlich - während ihr Tränen die Wangen hinabliefen.
"Noch nicht. Nicht heute. Wir haben vielleicht keine Monate oder Jahre, aber wir haben Augenblicke. Tausende und Abertausende davon. Lass uns jeden Moment leben, ihn nutzen und bis zum Letzten auskosten."


Das Cover ist sehr schön anzusehen mit dem dunkel-violetten Grund und den Lichtpunkten in verschiedenen warmen Farben, bei denen man erst auf den zweiten Blick sieht, dass sie von einem aufflammenden Streichholz erzeugt werden. Dieses Motiv, das sich nicht aufdringlich in den Vordergrund drängt sondern erst auf den zweiten Blick offenbart, passt wunderbar zur Geschichte. Denn auch die Liebe zwischen Jonah und Kacey flammt hier schnell auf, brennt hell und lodernd, hat aber ein absehbares Ende und erlischt früher als wir uns das gewünscht hätten. Der Titel "All in" bezieht sich sowohl auf Kaceys und Jonahs Ausflug in die Casinos von Vegas als auch auf ihre Beziehung, die sie ohne Rücksicht auf Verluste ganz ihrem Herzen folgend anstatt ihrem Verstand eingehen und ganz versuchen, sich auf den Moment zu konzentrieren. Warum aber der Originaltitel "Full Tilt", ebenfalls ein Ausdruck beim Pokern und ebenfalls passend auf Kacey und Jonah nicht übernommen und stattdessen der Originaltitel des englischen zweiten Teils auf beide Bände übertragen wurden, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nichtsdestotrotz ist die Gestaltung wundervoll und passt gut zur Geschichte.


Erster Satz: "Weißes Licht blendete mich."


Die Geschichte von Jonah und Kacey beginnt mit einem Prolog, in dem der Leser schon erfährt, was Jonahs Problem ist, sodass mir von Beginn an klar war: das wird keine lockere, lustige Heile-Welt-Geschichte mit strahlendem Happy End. Auch in Kaceys Leben sieht es zu Beginn alles andere als freundlich aus. Sie hat zwar keine schreckliche Diagnose, tanzt aber derart am Abgrund entlang, dass sie trotz ihres kometenhaften Aufstiegs mit ihrer Rockband "Rapid Confession" kurz davor ist, sich ins Abseits zu katapultieren. Ständig betrunken, haltlos vom einen Bett ins nächste taumelnd und mit regelmäßigen Blackouts hat sie komplett die Kontrolle über ihr Leben verloren und bracht dringend eine Pause. Die findet sie zu ihrer Überraschung bei ihrem Chauffeur Jonah, der sie nach einem Absturz zu sich nach Hause nimmt und ihr anbietet, ein paar Tage bei ihm zu bleiben. Auch wenn sie nicht auf der Suche nach einer neuen Liebe ist und auch Jonah alles andere als vorhat, von seiner wichtigen Routine abzuweichen und sich zu verlieben, kommen sich die beiden schnell näher. Er gibt ihr Halt und rettet sie, erdet sie und sie belohnt ihn mit bedingungsloser Liebe und Hilfe in der schlimmsten Phase seines Lebens...


"Roter Lippenstift, schwarzer Eyeliner. Ich sah vielleicht nach Rock´n´Roll aus, aber ich fühlte mich wie zerbrochenes Glas, das überall verstreut war. Ich wusste nicht mehr, wer oder was ich war, aber ich glitzerte hübsch im Rampenlicht."


Etwas überrascht hat mich, dass Jonahs Welt, sein Alltag und sein Umfeld einen viel größeren Raum einnehmen als Kaceys Rockstar-Leben, was ich mir aufgrund des Klapptexts anders vorgestellt hatte. Ich will mich aber auf keinen Fall darüber beschweren, dadurch dass ihre Karriere nur Ausgangspunkt aber nicht Thema des Romans ist, reiht sich die Geschichte nicht in die lange Reihe spaßiger aber bedeutungsloser Rockstar-Romanzen ein sondern sticht aus dem eintönigen Meer der Klischeehaftigkeit angenehm hervor. Etwas schade ist dabei nur, dass es zeitweise kaum eine Rolle zu spielen scheint, dass Kacey Musikerin ist, da das bis auf ein paar Stellen nicht vorkommt (vielleicht ändert sich das ja im zweiten Teil noch). Sehr gut gefallen wiederum hat mir, dass Kaceys und Jonahs Annäherung nicht überstürzt ist und plötzlich große Gefühle aus dem Nichts auftauchen.


"Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie auf einer Bühne stand und vor einem kreischenden Publikum E-Gitarre spielte. Sie schien kurz davor, auseinanderzubrechen, und außer dieser Freundin mit dem zweifarbigen Haar schien sie niemanden auf der Welt zu haben, der ihr half, ganz zu bleiben."


Die Autorin erzählt abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Kacey und Jonah und lässt uns so an deren Lage, ihren Gefühlen und ihrer zarten Verbindung teilhaben. Ihr langsames, authentisches Kennenlernen so süß, dass wir den Beiden von Herzen eine gemeinsame Zukunft wünschen und die letzten Seiten einen mit erbarmungsloser Härte treffen. Man weiß als Leser zwar noch vor Kacey, dass diese nicht gut ausgehen wird, dass am Ende eine Person mit gebrochenem Herzen zurückgelassen wird (jedoch aus einem anderen Grund als viele von euch jetzt vielleicht erwarten würde). Und dennoch: man muss sich genau wie Kacey in diese Geschichte stürzen, all die schönen Momente auskosten und von Herzen hoffen, dass das Schöne am Ende das Hässliche aufwiegt.


"Sterben, das hatte ich gelernt, war kein Mannschaftssport. Es war ein einsames Unterfangen. Alle, die ich liebte, standen am trockenen Ufer, während ich allein in einem Boot saß, das sich langsam von der Küste entfernte, aber niemand konnte etwas tun. Sie konnten nur dabei zusehen."


Und das tut es tatsächlich. Emma Scott, von der ich bislang schon "The Light In Us" und "Bring Down The Stars" gelesen habe, hat hier eine weitere Geschichte voller Schmerz, Liebe und Wahrheit geschrieben, die mich zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern gebracht, vor allem aber tief berührt hat. Ihr wundervoller Schreibstil erschafft eine bittersüße Grundstimmung, denn wir lesen hier nicht nur vom Beginn und Höhepunkt einer Liebe mit einer bedeutungsvollen Zukunft sondern auch vom Ende. Was passiert, wenn man die große Liebe erst trifft, wenn es schon fast zu spät ist? Ist eine Liebe mit Ablaufdatum trotzdem wert gelebt zu werden? Welches Vermächtnis hinterlassen wir, wenn wir gehen? All diesen Fragen geht sie nach - tragisch, berührend, emotional und unvergesslich! Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Sie erschafft durch die Mischung von zwei zerbrechlichen und doch starken Protagonisten, einer wunderschöner und doch hässlicher Stadt und herzzerreißend traurigen und anrührend süßen Momenten einen ambivalenten Mix voller Kontraste, Wahrheit und Tiefgründigkeit.


"Ich weiß, dass du ein wunderschönes Kunstwerk hinterlassen willst. Aber du konzentrierst dich nur auf das Ziel, nicht auf den Weg." Dena legte ihre Hand auf meine Wange. "Solltest du nicht auf dem, Weg tun, was am wichtigsten ist?"
Ich legte meine Hand auf ihre. "Und was wäre das?"
"Glücklich sein."



Doch warum konnte mich die Geschichte trotz all dem nicht komplett überzeugen? Trotz der tragischen Momente und des berührenden Schreibstils ist diese Geschichte eher auf emotionale Art und Weise anspruchsvoll und bleibt trotz allem noch ein Young Adult Roman, sodass dies kein Roman ist, über den man auch noch in Jahrzehnten Hymnen schreibt, sondern der dem Leser schöne Stunden beschert und danach weggelegt werden kann. Ich weiß nicht wie ich es schildern soll, ohne der Geschichte ihren Zauber abzuerkennen, aber insgesamt blieb mir der Roman (so wie viele des Genres) stellenweise zu oberflächlich, sodass "All In" dem Thema nicht zu 100% gerecht wird. Beispielsweise zu Beginn konzentriert sich die Autorin ganz auf die Liebesgeschichte statt Kaceys Entwicklung genügend Raum zu geben, dann nimmt die rein körperliche Beziehung der Beiden sehr viel Raum ein und verhindert, dass wir sie als funktionierendes Paar wirklich ernst nehmen können und gegen Ende geht alles relativ schnell und so friedlich von statten, als hätte die Autorin sich nicht getraut, dem Leser die volle Last der Trauer und ein langsames Dahinsiechen zuzumuten. Trotz der vielen Dramatik lief zeitweise vieles sehr glatt, sodass ich mir ein bisschen mehr von der hässlichen Seite gewünscht hätte (trotz dass mein Leserherz sich natürlich über weniger Leid gefreut hat). So ist die Geschichte zwar tragisch und konnte mich zum Großteil auch emotional abholen, an einigen Stellen erscheint sie aber auch ein wenig unehrlich, weil dem Leser viele Probleme verschwiegen wurden.


"Er lächelte. "Nur eine freundliche Erinnerung."
"Woran?"
"Daran, dass man überall Schönheit findet. Auch in den Dingen, die einem am meisten Angst machen."


Auch auf die beiden Protagonisten, die ich an sich ganz wunderbar fand, hat sich das Problem ausgeweitet. Zu Beginn braucht man eine ganze Weile um mit Kacey warm zu werden, da ihre selbstzerstörerische, unachtsame Art gemischt mit einer eher derben Ausdrucksweise und keinerlei Selbstachtung eine eher schwierige Kombination ist. Nach der plötzlich sehr schnellen Entwicklung, für die sich die Autorin meiner Meinung nach nicht genügend Zeit genommen hat, macht sie mir nichts dir nichts einen kalten Entzug, ihr Alkoholproblem ist Geschichte, sie kommt problemlos aus ihrem Vertrag beim Label heraus und wird stattdessen von Jonah in gewisser Weise abhängig. Danach entwickelt sie sich zu einem einnehmenden, rücksichtsvollen, selbstbewussten Wesen, das sie vielleicht die ganze Zeit schon war und die Tatsache, dass viele ihrer Dämonen (ihre Unfähigkeit, eigene Lieder zu schreiben, ihre offene Zukunft, ihre Probleme mit ihrer Familie) auf den nächsten Teil verschoben werden, sorgt dafür, dass sie und ihre Bedürfnisse zeitweise hinter der Einheit "Kacey und Jonah" sehr in den Hintergrund treten. Auch Jonah blieb mir ein wenig zu konstant und in seinen Ängsten und Hoffnungen zu blass. Bis auf eine kurze Phase mit leichten Stimmungsschwankungen scheint er sein Schicksal überraschend gelassen zu nehmen. Ich weiß nicht ob er Angst, Wut und Verleugnung oder andere Emotionen schon vor dem Beginn der Geschichte hinter sich gelassen hat, aber dass sich in seinem Inneren außer Liebe kaum etwas tut ist auch nicht ganz realistisch. Sehr einfallsreich und nett gemacht ist jedoch seine große Leidenschaft, die Kunst des Glasblasens, von dem ich bislang wirklich noch nirgends gelesen habe.


"Ich liebe dich", wiederholte sie noch einmal. Die Worte sanken in mein Herz. Und damit meine ich nicht das Organ, das in meiner Brust versagte, sondern den Teil von mir, der für sie lebte. Ich war vollkommen erfüllt von einer Wärme und einem Glück, das ich nicht für möglich gehalten hatte. Nicht zu einer solchen Zeit. Nicht an einem solchen Ort. "



Alles in allem will ich nochmal wiederholen, dass diese Geschichte trotz weniger Kritikpunkte einfach unglaublich und ein heller Lichtblick im Sumpf der immergleichen, bedeutungslosen Geschichten des Genres ist. Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, bin ich sehr gespannt auf den nächsten Teil und werde diesen unbedingt lesen. Denn auch wenn "All In" mich fluchen, weinen und ab und zu auch mal die Augen hat verdrehen lassen, ist es dennoch so wunderschön gewesen, dass man es nicht verpassen will.




Fazit:


"All In" ist authentisch, emotional, berührend und mit zwei ganz besonderen Protagonisten, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden! Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, kann ich dieses "New Adult"-Highlight nur empfehlen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.04.2020

Authentisch, emotional, berührend!

All In - Tausend Augenblicke
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"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und ...

"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und auch die Autorin von ihrer besten Seite, sodass ich Zwischenzeitlich gute Hoffnung hatte, dass "All In" zu meinem ersten richtigen Jahreshighlight 2020 wird, also mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, doch leider blieb mir die Geschichte an manchen Stellen zu oberflächlich und geschönt um vollends zu überzeugen.


"Ich werde dich allein lassen", sagte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die Worte hingen zwischen uns, der Kern all unserer Schmerzen und Tränen und Bedenken. Aber Kacey lächelte - sie lächelte tatsächlich - während ihr Tränen die Wangen hinabliefen.
"Noch nicht. Nicht heute. Wir haben vielleicht keine Monate oder Jahre, aber wir haben Augenblicke. Tausende und Abertausende davon. Lass uns jeden Moment leben, ihn nutzen und bis zum Letzten auskosten."


Das Cover ist sehr schön anzusehen mit dem dunkel-violetten Grund und den Lichtpunkten in verschiedenen warmen Farben, bei denen man erst auf den zweiten Blick sieht, dass sie von einem aufflammenden Streichholz erzeugt werden. Dieses Motiv, das sich nicht aufdringlich in den Vordergrund drängt sondern erst auf den zweiten Blick offenbart, passt wunderbar zur Geschichte. Denn auch die Liebe zwischen Jonah und Kacey flammt hier schnell auf, brennt hell und lodernd, hat aber ein absehbares Ende und erlischt früher als wir uns das gewünscht hätten. Der Titel "All in" bezieht sich sowohl auf Kaceys und Jonahs Ausflug in die Casinos von Vegas als auch auf ihre Beziehung, die sie ohne Rücksicht auf Verluste ganz ihrem Herzen folgend anstatt ihrem Verstand eingehen und ganz versuchen, sich auf den Moment zu konzentrieren. Warum aber der Originaltitel "Full Tilt", ebenfalls ein Ausdruck beim Pokern und ebenfalls passend auf Kacey und Jonah nicht übernommen und stattdessen der Originaltitel des englischen zweiten Teils auf beide Bände übertragen wurden, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nichtsdestotrotz ist die Gestaltung wundervoll und passt gut zur Geschichte.


Erster Satz: "Weißes Licht blendete mich."


Die Geschichte von Jonah und Kacey beginnt mit einem Prolog, in dem der Leser schon erfährt, was Jonahs Problem ist, sodass mir von Beginn an klar war: das wird keine lockere, lustige Heile-Welt-Geschichte mit strahlendem Happy End. Auch in Kaceys Leben sieht es zu Beginn alles andere als freundlich aus. Sie hat zwar keine schreckliche Diagnose, tanzt aber derart am Abgrund entlang, dass sie trotz ihres kometenhaften Aufstiegs mit ihrer Rockband "Rapid Confession" kurz davor ist, sich ins Abseits zu katapultieren. Ständig betrunken, haltlos vom einen Bett ins nächste taumelnd und mit regelmäßigen Blackouts hat sie komplett die Kontrolle über ihr Leben verloren und bracht dringend eine Pause. Die findet sie zu ihrer Überraschung bei ihrem Chauffeur Jonah, der sie nach einem Absturz zu sich nach Hause nimmt und ihr anbietet, ein paar Tage bei ihm zu bleiben. Auch wenn sie nicht auf der Suche nach einer neuen Liebe ist und auch Jonah alles andere als vorhat, von seiner wichtigen Routine abzuweichen und sich zu verlieben, kommen sich die beiden schnell näher. Er gibt ihr Halt und rettet sie, erdet sie und sie belohnt ihn mit bedingungsloser Liebe und Hilfe in der schlimmsten Phase seines Lebens...


"Roter Lippenstift, schwarzer Eyeliner. Ich sah vielleicht nach Rock´n´Roll aus, aber ich fühlte mich wie zerbrochenes Glas, das überall verstreut war. Ich wusste nicht mehr, wer oder was ich war, aber ich glitzerte hübsch im Rampenlicht."


Etwas überrascht hat mich, dass Jonahs Welt, sein Alltag und sein Umfeld einen viel größeren Raum einnehmen als Kaceys Rockstar-Leben, was ich mir aufgrund des Klapptexts anders vorgestellt hatte. Ich will mich aber auf keinen Fall darüber beschweren, dadurch dass ihre Karriere nur Ausgangspunkt aber nicht Thema des Romans ist, reiht sich die Geschichte nicht in die lange Reihe spaßiger aber bedeutungsloser Rockstar-Romanzen ein sondern sticht aus dem eintönigen Meer der Klischeehaftigkeit angenehm hervor. Etwas schade ist dabei nur, dass es zeitweise kaum eine Rolle zu spielen scheint, dass Kacey Musikerin ist, da das bis auf ein paar Stellen nicht vorkommt (vielleicht ändert sich das ja im zweiten Teil noch). Sehr gut gefallen wiederum hat mir, dass Kaceys und Jonahs Annäherung nicht überstürzt ist und plötzlich große Gefühle aus dem Nichts auftauchen.


"Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie auf einer Bühne stand und vor einem kreischenden Publikum E-Gitarre spielte. Sie schien kurz davor, auseinanderzubrechen, und außer dieser Freundin mit dem zweifarbigen Haar schien sie niemanden auf der Welt zu haben, der ihr half, ganz zu bleiben."


Die Autorin erzählt abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Kacey und Jonah und lässt uns so an deren Lage, ihren Gefühlen und ihrer zarten Verbindung teilhaben. Ihr langsames, authentisches Kennenlernen so süß, dass wir den Beiden von Herzen eine gemeinsame Zukunft wünschen und die letzten Seiten einen mit erbarmungsloser Härte treffen. Man weiß als Leser zwar noch vor Kacey, dass diese nicht gut ausgehen wird, dass am Ende eine Person mit gebrochenem Herzen zurückgelassen wird (jedoch aus einem anderen Grund als viele von euch jetzt vielleicht erwarten würde). Und dennoch: man muss sich genau wie Kacey in diese Geschichte stürzen, all die schönen Momente auskosten und von Herzen hoffen, dass das Schöne am Ende das Hässliche aufwiegt.


"Sterben, das hatte ich gelernt, war kein Mannschaftssport. Es war ein einsames Unterfangen. Alle, die ich liebte, standen am trockenen Ufer, während ich allein in einem Boot saß, das sich langsam von der Küste entfernte, aber niemand konnte etwas tun. Sie konnten nur dabei zusehen."


Und das tut es tatsächlich. Emma Scott, von der ich bislang schon "The Light In Us" und "Bring Down The Stars" gelesen habe, hat hier eine weitere Geschichte voller Schmerz, Liebe und Wahrheit geschrieben, die mich zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern gebracht, vor allem aber tief berührt hat. Ihr wundervoller Schreibstil erschafft eine bittersüße Grundstimmung, denn wir lesen hier nicht nur vom Beginn und Höhepunkt einer Liebe mit einer bedeutungsvollen Zukunft sondern auch vom Ende. Was passiert, wenn man die große Liebe erst trifft, wenn es schon fast zu spät ist? Ist eine Liebe mit Ablaufdatum trotzdem wert gelebt zu werden? Welches Vermächtnis hinterlassen wir, wenn wir gehen? All diesen Fragen geht sie nach - tragisch, berührend, emotional und unvergesslich! Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Sie erschafft durch die Mischung von zwei zerbrechlichen und doch starken Protagonisten, einer wunderschöner und doch hässlicher Stadt und herzzerreißend traurigen und anrührend süßen Momenten einen ambivalenten Mix voller Kontraste, Wahrheit und Tiefgründigkeit.


"Ich weiß, dass du ein wunderschönes Kunstwerk hinterlassen willst. Aber du konzentrierst dich nur auf das Ziel, nicht auf den Weg." Dena legte ihre Hand auf meine Wange. "Solltest du nicht auf dem, Weg tun, was am wichtigsten ist?"
Ich legte meine Hand auf ihre. "Und was wäre das?"
"Glücklich sein."



Doch warum konnte mich die Geschichte trotz all dem nicht komplett überzeugen? Trotz der tragischen Momente und des berührenden Schreibstils ist diese Geschichte eher auf emotionale Art und Weise anspruchsvoll und bleibt trotz allem noch ein Young Adult Roman, sodass dies kein Roman ist, über den man auch noch in Jahrzehnten Hymnen schreibt, sondern der dem Leser schöne Stunden beschert und danach weggelegt werden kann. Ich weiß nicht wie ich es schildern soll, ohne der Geschichte ihren Zauber abzuerkennen, aber insgesamt blieb mir der Roman (so wie viele des Genres) stellenweise zu oberflächlich, sodass "All In" dem Thema nicht zu 100% gerecht wird. Beispielsweise zu Beginn konzentriert sich die Autorin ganz auf die Liebesgeschichte statt Kaceys Entwicklung genügend Raum zu geben, dann nimmt die rein körperliche Beziehung der Beiden sehr viel Raum ein und verhindert, dass wir sie als funktionierendes Paar wirklich ernst nehmen können und gegen Ende geht alles relativ schnell und so friedlich von statten, als hätte die Autorin sich nicht getraut, dem Leser die volle Last der Trauer und ein langsames Dahinsiechen zuzumuten. Trotz der vielen Dramatik lief zeitweise vieles sehr glatt, sodass ich mir ein bisschen mehr von der hässlichen Seite gewünscht hätte (trotz dass mein Leserherz sich natürlich über weniger Leid gefreut hat). So ist die Geschichte zwar tragisch und konnte mich zum Großteil auch emotional abholen, an einigen Stellen erscheint sie aber auch ein wenig unehrlich, weil dem Leser viele Probleme verschwiegen wurden.


"Er lächelte. "Nur eine freundliche Erinnerung."
"Woran?"
"Daran, dass man überall Schönheit findet. Auch in den Dingen, die einem am meisten Angst machen."


Auch auf die beiden Protagonisten, die ich an sich ganz wunderbar fand, hat sich das Problem ausgeweitet. Zu Beginn braucht man eine ganze Weile um mit Kacey warm zu werden, da ihre selbstzerstörerische, unachtsame Art gemischt mit einer eher derben Ausdrucksweise und keinerlei Selbstachtung eine eher schwierige Kombination ist. Nach der plötzlich sehr schnellen Entwicklung, für die sich die Autorin meiner Meinung nach nicht genügend Zeit genommen hat, macht sie mir nichts dir nichts einen kalten Entzug, ihr Alkoholproblem ist Geschichte, sie kommt problemlos aus ihrem Vertrag beim Label heraus und wird stattdessen von Jonah in gewisser Weise abhängig. Danach entwickelt sie sich zu einem einnehmenden, rücksichtsvollen, selbstbewussten Wesen, das sie vielleicht die ganze Zeit schon war und die Tatsache, dass viele ihrer Dämonen (ihre Unfähigkeit, eigene Lieder zu schreiben, ihre offene Zukunft, ihre Probleme mit ihrer Familie) auf den nächsten Teil verschoben werden, sorgt dafür, dass sie und ihre Bedürfnisse zeitweise hinter der Einheit "Kacey und Jonah" sehr in den Hintergrund treten. Auch Jonah blieb mir ein wenig zu konstant und in seinen Ängsten und Hoffnungen zu blass. Bis auf eine kurze Phase mit leichten Stimmungsschwankungen scheint er sein Schicksal überraschend gelassen zu nehmen. Ich weiß nicht ob er Angst, Wut und Verleugnung oder andere Emotionen schon vor dem Beginn der Geschichte hinter sich gelassen hat, aber dass sich in seinem Inneren außer Liebe kaum etwas tut ist auch nicht ganz realistisch. Sehr einfallsreich und nett gemacht ist jedoch seine große Leidenschaft, die Kunst des Glasblasens, von dem ich bislang wirklich noch nirgends gelesen habe.


"Ich liebe dich", wiederholte sie noch einmal. Die Worte sanken in mein Herz. Und damit meine ich nicht das Organ, das in meiner Brust versagte, sondern den Teil von mir, der für sie lebte. Ich war vollkommen erfüllt von einer Wärme und einem Glück, das ich nicht für möglich gehalten hatte. Nicht zu einer solchen Zeit. Nicht an einem solchen Ort. "



Alles in allem will ich nochmal wiederholen, dass diese Geschichte trotz weniger Kritikpunkte einfach unglaublich und ein heller Lichtblick im Sumpf der immergleichen, bedeutungslosen Geschichten des Genres ist. Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, bin ich sehr gespannt auf den nächsten Teil und werde diesen unbedingt lesen. Denn auch wenn "All In" mich fluchen, weinen und ab und zu auch mal die Augen hat verdrehen lassen, ist es dennoch so wunderschön gewesen, dass man es nicht verpassen will.




Fazit:


"All In" ist authentisch, emotional, berührend und mit zwei ganz besonderen Protagonisten, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden! Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, kann ich dieses "New Adult"-Highlight nur empfehlen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.04.2020

Authentisch, emotional, berührend!

All In - Tausend Augenblicke
0

"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und ...

"All in - Tausend Augenblicke" von Emma Scott lag ein paar Wochen auf meinem SuB, bevor mir diese tragische Liebesgeschichte spektakulär das Herz gebrochen hat. Hier zeigen sich das New Adult Genre und auch die Autorin von ihrer besten Seite, sodass ich Zwischenzeitlich gute Hoffnung hatte, dass "All In" zu meinem ersten richtigen Jahreshighlight 2020 wird, also mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, doch leider blieb mir die Geschichte an manchen Stellen zu oberflächlich und geschönt um vollends zu überzeugen.


"Ich werde dich allein lassen", sagte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die Worte hingen zwischen uns, der Kern all unserer Schmerzen und Tränen und Bedenken. Aber Kacey lächelte - sie lächelte tatsächlich - während ihr Tränen die Wangen hinabliefen.
"Noch nicht. Nicht heute. Wir haben vielleicht keine Monate oder Jahre, aber wir haben Augenblicke. Tausende und Abertausende davon. Lass uns jeden Moment leben, ihn nutzen und bis zum Letzten auskosten."


Das Cover ist sehr schön anzusehen mit dem dunkel-violetten Grund und den Lichtpunkten in verschiedenen warmen Farben, bei denen man erst auf den zweiten Blick sieht, dass sie von einem aufflammenden Streichholz erzeugt werden. Dieses Motiv, das sich nicht aufdringlich in den Vordergrund drängt sondern erst auf den zweiten Blick offenbart, passt wunderbar zur Geschichte. Denn auch die Liebe zwischen Jonah und Kacey flammt hier schnell auf, brennt hell und lodernd, hat aber ein absehbares Ende und erlischt früher als wir uns das gewünscht hätten. Der Titel "All in" bezieht sich sowohl auf Kaceys und Jonahs Ausflug in die Casinos von Vegas als auch auf ihre Beziehung, die sie ohne Rücksicht auf Verluste ganz ihrem Herzen folgend anstatt ihrem Verstand eingehen und ganz versuchen, sich auf den Moment zu konzentrieren. Warum aber der Originaltitel "Full Tilt", ebenfalls ein Ausdruck beim Pokern und ebenfalls passend auf Kacey und Jonah nicht übernommen und stattdessen der Originaltitel des englischen zweiten Teils auf beide Bände übertragen wurden, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nichtsdestotrotz ist die Gestaltung wundervoll und passt gut zur Geschichte.


Erster Satz: "Weißes Licht blendete mich."


Die Geschichte von Jonah und Kacey beginnt mit einem Prolog, in dem der Leser schon erfährt, was Jonahs Problem ist, sodass mir von Beginn an klar war: das wird keine lockere, lustige Heile-Welt-Geschichte mit strahlendem Happy End. Auch in Kaceys Leben sieht es zu Beginn alles andere als freundlich aus. Sie hat zwar keine schreckliche Diagnose, tanzt aber derart am Abgrund entlang, dass sie trotz ihres kometenhaften Aufstiegs mit ihrer Rockband "Rapid Confession" kurz davor ist, sich ins Abseits zu katapultieren. Ständig betrunken, haltlos vom einen Bett ins nächste taumelnd und mit regelmäßigen Blackouts hat sie komplett die Kontrolle über ihr Leben verloren und bracht dringend eine Pause. Die findet sie zu ihrer Überraschung bei ihrem Chauffeur Jonah, der sie nach einem Absturz zu sich nach Hause nimmt und ihr anbietet, ein paar Tage bei ihm zu bleiben. Auch wenn sie nicht auf der Suche nach einer neuen Liebe ist und auch Jonah alles andere als vorhat, von seiner wichtigen Routine abzuweichen und sich zu verlieben, kommen sich die beiden schnell näher. Er gibt ihr Halt und rettet sie, erdet sie und sie belohnt ihn mit bedingungsloser Liebe und Hilfe in der schlimmsten Phase seines Lebens...


"Roter Lippenstift, schwarzer Eyeliner. Ich sah vielleicht nach Rock´n´Roll aus, aber ich fühlte mich wie zerbrochenes Glas, das überall verstreut war. Ich wusste nicht mehr, wer oder was ich war, aber ich glitzerte hübsch im Rampenlicht."


Etwas überrascht hat mich, dass Jonahs Welt, sein Alltag und sein Umfeld einen viel größeren Raum einnehmen als Kaceys Rockstar-Leben, was ich mir aufgrund des Klapptexts anders vorgestellt hatte. Ich will mich aber auf keinen Fall darüber beschweren, dadurch dass ihre Karriere nur Ausgangspunkt aber nicht Thema des Romans ist, reiht sich die Geschichte nicht in die lange Reihe spaßiger aber bedeutungsloser Rockstar-Romanzen ein sondern sticht aus dem eintönigen Meer der Klischeehaftigkeit angenehm hervor. Etwas schade ist dabei nur, dass es zeitweise kaum eine Rolle zu spielen scheint, dass Kacey Musikerin ist, da das bis auf ein paar Stellen nicht vorkommt (vielleicht ändert sich das ja im zweiten Teil noch). Sehr gut gefallen wiederum hat mir, dass Kaceys und Jonahs Annäherung nicht überstürzt ist und plötzlich große Gefühle aus dem Nichts auftauchen.


"Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie auf einer Bühne stand und vor einem kreischenden Publikum E-Gitarre spielte. Sie schien kurz davor, auseinanderzubrechen, und außer dieser Freundin mit dem zweifarbigen Haar schien sie niemanden auf der Welt zu haben, der ihr half, ganz zu bleiben."


Die Autorin erzählt abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Kacey und Jonah und lässt uns so an deren Lage, ihren Gefühlen und ihrer zarten Verbindung teilhaben. Ihr langsames, authentisches Kennenlernen so süß, dass wir den Beiden von Herzen eine gemeinsame Zukunft wünschen und die letzten Seiten einen mit erbarmungsloser Härte treffen. Man weiß als Leser zwar noch vor Kacey, dass diese nicht gut ausgehen wird, dass am Ende eine Person mit gebrochenem Herzen zurückgelassen wird (jedoch aus einem anderen Grund als viele von euch jetzt vielleicht erwarten würde). Und dennoch: man muss sich genau wie Kacey in diese Geschichte stürzen, all die schönen Momente auskosten und von Herzen hoffen, dass das Schöne am Ende das Hässliche aufwiegt.


"Sterben, das hatte ich gelernt, war kein Mannschaftssport. Es war ein einsames Unterfangen. Alle, die ich liebte, standen am trockenen Ufer, während ich allein in einem Boot saß, das sich langsam von der Küste entfernte, aber niemand konnte etwas tun. Sie konnten nur dabei zusehen."


Und das tut es tatsächlich. Emma Scott, von der ich bislang schon "The Light In Us" und "Bring Down The Stars" gelesen habe, hat hier eine weitere Geschichte voller Schmerz, Liebe und Wahrheit geschrieben, die mich zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern gebracht, vor allem aber tief berührt hat. Ihr wundervoller Schreibstil erschafft eine bittersüße Grundstimmung, denn wir lesen hier nicht nur vom Beginn und Höhepunkt einer Liebe mit einer bedeutungsvollen Zukunft sondern auch vom Ende. Was passiert, wenn man die große Liebe erst trifft, wenn es schon fast zu spät ist? Ist eine Liebe mit Ablaufdatum trotzdem wert gelebt zu werden? Welches Vermächtnis hinterlassen wir, wenn wir gehen? All diesen Fragen geht sie nach - tragisch, berührend, emotional und unvergesslich! Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Sie erschafft durch die Mischung von zwei zerbrechlichen und doch starken Protagonisten, einer wunderschöner und doch hässlicher Stadt und herzzerreißend traurigen und anrührend süßen Momenten einen ambivalenten Mix voller Kontraste, Wahrheit und Tiefgründigkeit.


"Ich weiß, dass du ein wunderschönes Kunstwerk hinterlassen willst. Aber du konzentrierst dich nur auf das Ziel, nicht auf den Weg." Dena legte ihre Hand auf meine Wange. "Solltest du nicht auf dem, Weg tun, was am wichtigsten ist?"
Ich legte meine Hand auf ihre. "Und was wäre das?"
"Glücklich sein."



Doch warum konnte mich die Geschichte trotz all dem nicht komplett überzeugen? Trotz der tragischen Momente und des berührenden Schreibstils ist diese Geschichte eher auf emotionale Art und Weise anspruchsvoll und bleibt trotz allem noch ein Young Adult Roman, sodass dies kein Roman ist, über den man auch noch in Jahrzehnten Hymnen schreibt, sondern der dem Leser schöne Stunden beschert und danach weggelegt werden kann. Ich weiß nicht wie ich es schildern soll, ohne der Geschichte ihren Zauber abzuerkennen, aber insgesamt blieb mir der Roman (so wie viele des Genres) stellenweise zu oberflächlich, sodass "All In" dem Thema nicht zu 100% gerecht wird. Beispielsweise zu Beginn konzentriert sich die Autorin ganz auf die Liebesgeschichte statt Kaceys Entwicklung genügend Raum zu geben, dann nimmt die rein körperliche Beziehung der Beiden sehr viel Raum ein und verhindert, dass wir sie als funktionierendes Paar wirklich ernst nehmen können und gegen Ende geht alles relativ schnell und so friedlich von statten, als hätte die Autorin sich nicht getraut, dem Leser die volle Last der Trauer und ein langsames Dahinsiechen zuzumuten. Trotz der vielen Dramatik lief zeitweise vieles sehr glatt, sodass ich mir ein bisschen mehr von der hässlichen Seite gewünscht hätte (trotz dass mein Leserherz sich natürlich über weniger Leid gefreut hat). So ist die Geschichte zwar tragisch und konnte mich zum Großteil auch emotional abholen, an einigen Stellen erscheint sie aber auch ein wenig unehrlich, weil dem Leser viele Probleme verschwiegen wurden.


"Er lächelte. "Nur eine freundliche Erinnerung."
"Woran?"
"Daran, dass man überall Schönheit findet. Auch in den Dingen, die einem am meisten Angst machen."


Auch auf die beiden Protagonisten, die ich an sich ganz wunderbar fand, hat sich das Problem ausgeweitet. Zu Beginn braucht man eine ganze Weile um mit Kacey warm zu werden, da ihre selbstzerstörerische, unachtsame Art gemischt mit einer eher derben Ausdrucksweise und keinerlei Selbstachtung eine eher schwierige Kombination ist. Nach der plötzlich sehr schnellen Entwicklung, für die sich die Autorin meiner Meinung nach nicht genügend Zeit genommen hat, macht sie mir nichts dir nichts einen kalten Entzug, ihr Alkoholproblem ist Geschichte, sie kommt problemlos aus ihrem Vertrag beim Label heraus und wird stattdessen von Jonah in gewisser Weise abhängig. Danach entwickelt sie sich zu einem einnehmenden, rücksichtsvollen, selbstbewussten Wesen, das sie vielleicht die ganze Zeit schon war und die Tatsache, dass viele ihrer Dämonen (ihre Unfähigkeit, eigene Lieder zu schreiben, ihre offene Zukunft, ihre Probleme mit ihrer Familie) auf den nächsten Teil verschoben werden, sorgt dafür, dass sie und ihre Bedürfnisse zeitweise hinter der Einheit "Kacey und Jonah" sehr in den Hintergrund treten. Auch Jonah blieb mir ein wenig zu konstant und in seinen Ängsten und Hoffnungen zu blass. Bis auf eine kurze Phase mit leichten Stimmungsschwankungen scheint er sein Schicksal überraschend gelassen zu nehmen. Ich weiß nicht ob er Angst, Wut und Verleugnung oder andere Emotionen schon vor dem Beginn der Geschichte hinter sich gelassen hat, aber dass sich in seinem Inneren außer Liebe kaum etwas tut ist auch nicht ganz realistisch. Sehr einfallsreich und nett gemacht ist jedoch seine große Leidenschaft, die Kunst des Glasblasens, von dem ich bislang wirklich noch nirgends gelesen habe.


"Ich liebe dich", wiederholte sie noch einmal. Die Worte sanken in mein Herz. Und damit meine ich nicht das Organ, das in meiner Brust versagte, sondern den Teil von mir, der für sie lebte. Ich war vollkommen erfüllt von einer Wärme und einem Glück, das ich nicht für möglich gehalten hatte. Nicht zu einer solchen Zeit. Nicht an einem solchen Ort. "



Alles in allem will ich nochmal wiederholen, dass diese Geschichte trotz weniger Kritikpunkte einfach unglaublich und ein heller Lichtblick im Sumpf der immergleichen, bedeutungslosen Geschichten des Genres ist. Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, bin ich sehr gespannt auf den nächsten Teil und werde diesen unbedingt lesen. Denn auch wenn "All In" mich fluchen, weinen und ab und zu auch mal die Augen hat verdrehen lassen, ist es dennoch so wunderschön gewesen, dass man es nicht verpassen will.




Fazit:


"All In" ist authentisch, emotional, berührend und mit zwei ganz besonderen Protagonisten, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden! Trotz dass mir bei dieser etwas anderen Rockstar-Lovestory an einigen Stellen ein bisschen Tiefgang gefehlt hat und zwischendurch leider die Sexszenen mal etwas überhand nehmen, kann ich dieses "New Adult"-Highlight nur empfehlen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.03.2020

Düster aber zugleich auch bunt und auf kuriose Weise schön!

The Doll Factory
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Ich habe schon seit Längerem keinen historischen Roman mehr gelesen, da mein großes Problem mit dem Genre ist, dass die Geschichten häufig entweder zum Einschlafen langweilig oder absolut unglaubwürdig ...

Ich habe schon seit Längerem keinen historischen Roman mehr gelesen, da mein großes Problem mit dem Genre ist, dass die Geschichten häufig entweder zum Einschlafen langweilig oder absolut unglaubwürdig aus der Luft gegriffen sind. Es ist wirklich schwierig, historische Romane zu finden, die den Spagat zwischen korrekter Darstellung und spannender Unterhaltung schaffen, doch da ich mein Leseprogramm gerne bunt durchmische und die Geschichte interessant klang, habe ich mir trotzdem ein Exemplar angefragt. Gut für mich, denn statt einer netten Abwechslung erhielt ist eine eindrückliche, düstere aber zugleich auch bunte und auf kuriose Weise schöne Geschichte, die ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde.


"Ich will Sie malen, weil Sie interessant sind. Ihre Erscheinung ist majestätisch. Ihr Gesicht... Ihr Gesicht ist ebenso schön wie verwirrend. Und Ihr Haar! Ein Wald aus Nadeln könnte es nicht bändigen, davon bin ich überzeugt. Wirklich außergewöhnlich!"


Der blaue Buchumschlag aus Papier zeigt im Mittelpunkt ein vergilbtes Mannequin mit dem Abdruck alter Zeitungsausschnitte, hinter dem braue Schmetterlingsflügel hervorschauen. Umrankt wird das Hauptmotiv von Rosen und noch geschlossenen Iris, wodurch alle Teile der Geschichte auf wundervolle Art und Weise mit eingebracht wurden: Iris und ihre Schwester Rose, die Puppenmanufaktur, Silas mit seiner Kuriositätensammlung und Schmetterlingsfenstern und die Kunst, um die sich alles dreht. Der Titel "The Doll Factory" wurde in 3D-Schrift auch haptisch hervorgehoben und ist nicht unpassend, auch wenn es sich mir nicht ganz erschließt, warum die Geschichte ausgerechnet nach der Puppenmanufaktur benannt ist, die bestenfalls eine Nebenrolle spielt. Auch das Originalcover ist ein kleines Kunstwerk und enthält sogar noch mehr Details, wirkt aber viel verspielter. Das ernstere, düstere deutsche Cover gefällt mir da besser! Innerhalb der Buchdeckel ist die Gestaltung schlicht aber angenehm. Die Innenseiten der Buchdeckel sind mit Schmetterlingen und Faltern bedeckt, unter dem Umschlag blitzt ein schlichtes Hellblau hervor. Geteilt ist die Geschichte in drei Teile, die durch passende Zitate eingeleitet werden. Außerdem gibt es keine durchnummerierten Kapitel, nur Abschnitte mit Überschriften, die ab und an von Briefen, Notizen und Infoschreiben in schmuckloser Kursivschrift unterbrochen werden. Abgerundet wird die Gestaltung von einem blauen Lesebändchen.


Erster Satz: "Wenn die Straßen am stillsten und dunkelsten sind, setzt eine junge Frau sich im Keller der Puppenmanufaktur an ein kleines Pult."


So beginnen wir die Geschichte der jungen Iris Whittle, die gefangen im Korsett ihrer gesellschaftlichen Stellung von Freiheit und Erfüllung in der Malerei träumt. Auch nach zwanzig Stunden Arbeit in der kleinen Puppenmanufaktur, in der sie zusammen mit ihrer von den Pocken entstellten Zwillingsschwester Rose Porzellanpuppen herstellt, setzt sie sich bei kostbarem Kerzenlicht hin und malt mit Farben, die sie mit mühsam zusammengekratztem Lohn gekauft hat. Als sie von dem jungen Maler Louis Frost gebeten wird, für ihn gegen eine gute Bezahlung und Unterricht Modell zu stehen, klingt das Angebot viel zu gut um wahr zu sein und sie vermutet eine Falle. Doch dann siegen ihre Neugier und ihr Traum über die Stimme der Vernunft und sie taucht ein in eine ihr bislang unbekannte Welt voller Farben, Glück und Liebe.

Abwechselnd mit ihr erhalten wir auch Einblick in das Leben des Kuriositätensammlers Silas Reed, der sich nach einem Treffen auf der Straße sofort in die majestätische Erscheinung von Iris verliebt. Als diese jedoch nicht auf seine Annäherungsversuche reagiert und für ihn nur die kalte Schulter übrig hat, auch als seine Leidenschaft sich zur Besessenheit steigert, beginnt ein Plan in ihm zu reifen. Mit jeder Verschmähung, Demütigung oder Ausgrenzung, die er erdulden muss, rückt die Eskalation näher und über dem jungen Glück von Louis und Iris schwebt ein Damoklesschwert...


"Und da verschmelzen alle Visionen zu einem glasklaren Bild. Zitternd vor Dankbarkeit erkennt er, was zu tun ist, wie er sich dieses Blickes würdig erweisen und sie ganz für sich allein haben kann. Wie er sie entzücken und die Traurigkeit von ihr abwaschen wird. Ein Glücksgefühl durchflutet ihn, ein bebender, zögerlicher Nervenkitzel, den er nicht benennen kann und den er am liebsten in einen Flakon abfüllen würde. Die Empfindung ist schöner als in Shaffordshire über die Wiesen zu laufen oder den gehörnten Schädel eines Widders zu finden, oder als Flick endlich zu besitzen, ihren Mund ganz allein für sich zu haben. Sie wird ihm gehören."


Ein weiterer Handlungsstrang ist der des kleinen Straßenjungens Albie, der zusammen mit seiner großen Schwester in einem heruntergekommenen Bordell wohnt und mit niederen Arbeiten über die Runden zu kommen versucht. Während seine Schwester sich prostituiert, sammelt er für Silas Tierkadaver von den Straßen auf, die er dann ausstopfen kann, näht für Iris´ Puppen kleine Leibchen und Röcke und steht später ebenfalls für Louis Modell. So verbinden sich die drei unterschiedlichen Handlungsstränge und die Protagonisten aus den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten finden u einer spannenden Geschichte zusammen, die nicht für alle von ihnen gut ausgehen wird...


"Lügner, Teufel, Spanner. So viele Leute haben ihn ausgelacht, abgelehnt und gequält. Er schlägt mit der Faust auf die Tischplatte und steht so abrupt auf, dass der Stuhl beinahe umkippt. Er beschließt, ihr einen Besuch abzustatten."


"The Doll Factory" ist kein sonniges Buch, sondern ein sehr authentisches Porträt des viktorianischen Londons gemischt mit einer romantischen Liebesgeschichte. Und wenn ich authentisch schreibe, muss ich anmerken, dass es mir an manchen Stellen fast ein wenig zu authentisch für meinen Geschmack war, sodass ich fast glaubt, den bestialischen Gestank der Gosse durch die Seiten riechen, das Klappern der Kutschräder in den engen, dreckigen Gassen hören, die madigen Kadaver von unter die Räder gekommenen Tieren sehen, die Bisse der Flöhe auf meiner Haut spüren und den Geschmack von glibberigem Rindertalg auf meiner Zunge schmecken zu können. Eine Erfahrung, auf die ich sehr gut hätte verzichte können... Der sehr direkte, detailreiche Schreibstil der Autorin schreckt vor teilweise ekelhafter, expliziter Darstellung nicht zurück und erzählt schonungslos von verwesende Leichen, ausgeleerten Nachttöpfe, Gewalt, Prostitution, allerlei Blut, Schleim und diversen andere Körperflüssigkeiten. Meine ausdrückliche Warnung an alle zartbesaiteten Leser: Elizabeth Macneal nimmt keinerlei Rücksicht auf den empfindlichen Magen oder das mitleidende Herz des Lesers (Stichwort für alle, die das Buch gelesen haben: Albie). Sehr beeindruckend ist jedoch, dass der ausschweifende, bildhafte Schreibstil, der ein lebensechtes Bild von London um 1850 malt, der Handlung niemals im Weg steht und die Geschehnisse nur geringfügig ausbremst.


"Albie rennt, wie er noch nie gerannt ist. Er rennt, als treibe eine Dampfmaschine seine Beine an. Die kühle Luft brennt ihm in der Kehle, der Weg scheint Stunden zu dauern. Er besinnt sich auf die besten Abkürzungen und wählt Straßen, die er kennt wie seine Westentasche. Er ist noch ein Kind, ein Junge aus der Gosse, aber er fühlt sich groß und stark. Er wird sie warnen. Er hat Silas nicht aus den Augen gelassen und den richtigen Moment abgewartet. Er weiß, was niemand sonst weiß."


Neben dem abstoßenden Teil kommt die Aufbruchsstimmung der fortschreitenden Industrialisierung und des technischen Fortschritts, die das Setting prägt sehr schön durch. Neben der Neugier der Menschen wegen der Weltausstellung und einem Bild der Gesellschaft durch verschiedene Schichten, konzentriert sich Elizabeth Macneal vor allem auf die Kunst und die frisch gegründete Präraffaelitische Bruderschaft, die als Reaktion auf die festgefahrene akademische Tradition in der Malerei entstand. Ich gebe zu, dass ich mich mit Kunstgeschichte nicht besonders gut auskenne und nach dem Lesen erstmal Dr. Wikipedia zurate ziehen musste, um zu verstehen, dass die dargestellte Geschichte und die vorkommenden Figuren zu einem großen Teil auf wirklichen historischen Begebenheiten beruhen. So lernen wir unter anderem die jungen Künstler John Millais, William Hunt und die Brüder Rossetti kennen, von denen es heute etliche Bilder zum Bestaunen gibt, erfahren beiläufig etwas über die Motive, künstlerische Ziele und Ausdrucksweise der Bruderschaft und bekommen durch etliche real existierenden Bildern und Anspielungen bewiesen, dass die Autorin gut für ihre Geschichte recherchiert hat. Zum Beispiel sind wir live dabei, als John Millais bei einem gemeinsamen Abendessen seinen größten Erfolg, die "Ophelia" plant, für das sein Modell Elizabeth Siddall (später Siddal), in einer Badewanne liegen muss, wobei sie sich eine lebensgefährliche Lungenentzündung zuziehen wird. Auch die ab und an abgedruckten Briefe an die Times des bedeutendsten Kunsthistorikers der Zeit, John Ruskin, die der Auslöser für den Wandel der öffentlichen Wahrnehmung der Bruderschaft waren, zeugen von guter Recherche.


"Es ist, als wäre ihr Leben eine nüchterne Kohleskizze gewesen, die plötzlich mit lebhaften Ölfarben übermalt wurde. (…) Sie öffnet den Mund, eine Schneeflocke landet auf ihrer Zunge. "Kannst du die fangen?", fragt sie und zeigt auf eine riesige Flocke, fast so groß wie eine Pusteblume. Louis stellt sich darunter und schnappt zu wie ein Terrier. "Was gibt es zu gewinnen?"
"Ewigen Ruhm."
"Ach so", sagt er. "Ich wusste nicht, dass es so einfach ist."


Mit Louis und Iris hat die Autorin zwei fiktive Charaktere gewählt, um frei eine Geschichte rund um die wahren Begebenheiten erzählen zu können. Zwar zeigen die beiden Parallelen zu wirklichen Charakteren (der Künstler und seine schöne Muse könnten eine etwas abgewandelte Form von Rossettis und Liddalls Geschichte sein), da aber die wirklichen Charaktere separat in der Geschichte vorkommen wird klar, dass die Autorin sich hier künstlerische Freiheit erlaubt hat. Die eingebettete zarte Liebesgeschichte zwischen Louis und Iris, die sich ganz langsam, getragen von einer gemeinsamen Leidenschaft und dem Wunsch nach Freiheit, entwickelt, wirkt fast zu rein und sanft, um Teil der dreckigen, stinkenden, unheimlich fremden Welt zu sein, die Elizabeth Macneal hier geschaffen hat. Der Maler mit den dunklen Locken, seine Freunde und die kleine Wombat-Dame Guineveres eroberten schnell mein Herz. Genau wie für Iris ist die kleine schöne, heile Welt voller Kunst, Glück und Licht, die sie bei Louis findet, eine herrliche Abwechslung, eine Insel in all dem Leid und Dreck um sie herum. Iris´ Charakter selbst war wunderbar komplex, gegen Ende aber leider ein wenig unrealistisch. Von einer prüden, verklemmten, wohlerzogenen grauen Maus, also einer Frau ihrer Zeit wandelt sie sich in eine zielstrebige, beinahe feministisch anmutende Königin, die ihr Leben stark selbst in die Hand nimmt. Ausgelebte Kunst und Brechen mit Tabus hin oder her - ob dies tatsächlich eine glaubhafte Entwicklung im viktorianischen Zeitalter ist, bleibt fragwürdig. Die Darstellung ihrer neu entdeckten Leidenschaft für die Kunst, ihrer von der Gesellschaft abgesprochenen Sexualität und ihre eigene Entscheidungsfreiheit hat mir aber sehr imponiert. Ein wenig haben mich die Kunstbeschreibungen an "Das Lapislazuliherz" erinnert, auch wenn dieses in einer ganz anderen Zeit spielt.


"Dort drüben", sagt sie. Louis dreht sich um. Es hängt auf Augenhöhe, absolut gerade und in der Mitte des Westsaals. Ein schimmernder, von bräunlichen Gemälden umrahmter Farbfleck. Sie ist vor aller Welt ausgestellt. Er hat sie auf der Leinwand fixiert und in ein vergoldetes Rechteck gesperrt. Da steht sie, lebensecht und im Augenblick erstarrt. Er hat sie in ihrer ganzen Schönheit eingefangen."


Beeindruckend ist, dass neben der sich entwickelnden Romanze, Iris´ Selbstfindung und künstlerischer Emanzipation und den historischen Begebenheiten noch Raum für weitere Entwicklungen und Aspekte bleibt. Gut gefallen hat mir die Darstellung von Iris´ Beziehung zu ihrer Zwillingsschwester Rose, die zwar von Neid, Bitterkeit und Missverständnissen, aber auch von enger Verbundenheit und Liebe geprägt ist. Auch der kleine Albie ist ein einfach gestrickter aber doch vielschichtiger Protagonist, bei dem einem einfach das Herz aufgeht.

Für ordentlich Spannung sorgen hingegen die Einblicke in das kranke, verdrehte Gehirn des Kuriositätensammlers Silas Reed, der zu Beginn noch gar nicht so verrückt, sondern in erster Linie einsam und etwas verschroben wirkt. Erst nach einigen hundert Seiten und vielen kleinen Anspielungen wird dem Leser klar, dass wir in die verquere Gedankenwelt eines Serienmörders eingestiegen sind. Die Art und Weise wie die Autorin unser Bild von dieser Figur immer wieder aufs Neue ändert, unsere Gefühle von Zuneigung über Mitleid bis hin zu Abscheu, Ekel und ungläubigem Schock wechseln lässt, ist wirklich krass. Exzessives Stalking, krankhafte Besessenheit, immense Selbstleugnung, das Abtauchen in Fantasiewelten und ein gefährlicher Plan - bald mutet die Geschichte an wie ein Psychothriller. Die kommende Eskalation erscheint bald zum Greifen nahe und wir bangen und hoffen, dass die liebgewonnenen Protagonisten diese überstehen.


"Komm herunter, denkt sie, sprich mit mir, gib mir etwas zu essen. Was sie meint: Lass mich nicht hier unten sterben. Sie hat Todesangst.
Der Vogel.
Die verklebten Flügel.
Nun sitzt sie im Käfig, und kein Kind ist in der Nähe, das die Gitterstäbe zerbrechen könnte."


Die letzten Kapitel lesen sich spannend wie ein Thriller und ich musste einfach in dem Wettlauf gegen die Zeit mit fiebern: wird Iris es schaffen, den Fängen ihres Verehrers zu entwischen? Gibt es ein Happy End? Ab gewissen Stellen der Geschichte, die mein armes Leserherz gebrochen haben, hätte ich ihr wirklich alles zugetraut. Und so wollte ich gleichzeitig, dass das Buch endlich aufhört und dass es niemals endet. Das wirkliche Ende hätte ich mir noch ein wenig ausführlicher gewünscht. Man erfährt in einer kurzen Bildbeschreibung von Iris Meisterwerk zwar alles, was man über den weiteren Fortgang der Handlung wissen muss, dennoch hätte sich mein Leserherz ein paar detailliertere Ausführungen gewünscht.



Fazit:


Ein beeindruckend vielschichtiger, düsterer aber zugleich auch bunter und auf kuriose Weise schöner historischer Roman, der mich mitgerissen, beschäftigt und berührt hat, sodass ich ihn gewiss lange nicht vergessen werde.

Auch wenn das lebensechte Porträt des viktorianischen Londons, die gute Recherche der Autorin, die komplexen Charaktere und der Thriller-Showdown mich wirklich überzeugt haben, war der Roman für meinen Geschmack zu düster, zu eklig und im Erzähltempo streckenweise zu langsam und überladen, als dass ich 5 Sterne vergeben würde.

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.03.2020

Düster aber zugleich auch bunt und auf kuriose Weise schön!

The Doll Factory
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Ich habe schon seit Längerem keinen historischen Roman mehr gelesen, da mein großes Problem mit dem Genre ist, dass die Geschichten häufig entweder zum Einschlafen langweilig oder absolut unglaubwürdig ...

Ich habe schon seit Längerem keinen historischen Roman mehr gelesen, da mein großes Problem mit dem Genre ist, dass die Geschichten häufig entweder zum Einschlafen langweilig oder absolut unglaubwürdig aus der Luft gegriffen sind. Es ist wirklich schwierig, historische Romane zu finden, die den Spagat zwischen korrekter Darstellung und spannender Unterhaltung schaffen, doch da ich mein Leseprogramm gerne bunt durchmische und die Geschichte interessant klang, habe ich mir trotzdem ein Exemplar angefragt. Gut für mich, denn statt einer netten Abwechslung erhielt ist eine eindrückliche, düstere aber zugleich auch bunte und auf kuriose Weise schöne Geschichte, die ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde.


"Ich will Sie malen, weil Sie interessant sind. Ihre Erscheinung ist majestätisch. Ihr Gesicht... Ihr Gesicht ist ebenso schön wie verwirrend. Und Ihr Haar! Ein Wald aus Nadeln könnte es nicht bändigen, davon bin ich überzeugt. Wirklich außergewöhnlich!"


Der blaue Buchumschlag aus Papier zeigt im Mittelpunkt ein vergilbtes Mannequin mit dem Abdruck alter Zeitungsausschnitte, hinter dem braue Schmetterlingsflügel hervorschauen. Umrankt wird das Hauptmotiv von Rosen und noch geschlossenen Iris, wodurch alle Teile der Geschichte auf wundervolle Art und Weise mit eingebracht wurden: Iris und ihre Schwester Rose, die Puppenmanufaktur, Silas mit seiner Kuriositätensammlung und Schmetterlingsfenstern und die Kunst, um die sich alles dreht. Der Titel "The Doll Factory" wurde in 3D-Schrift auch haptisch hervorgehoben und ist nicht unpassend, auch wenn es sich mir nicht ganz erschließt, warum die Geschichte ausgerechnet nach der Puppenmanufaktur benannt ist, die bestenfalls eine Nebenrolle spielt. Auch das Originalcover ist ein kleines Kunstwerk und enthält sogar noch mehr Details, wirkt aber viel verspielter. Das ernstere, düstere deutsche Cover gefällt mir da besser! Innerhalb der Buchdeckel ist die Gestaltung schlicht aber angenehm. Die Innenseiten der Buchdeckel sind mit Schmetterlingen und Faltern bedeckt, unter dem Umschlag blitzt ein schlichtes Hellblau hervor. Geteilt ist die Geschichte in drei Teile, die durch passende Zitate eingeleitet werden. Außerdem gibt es keine durchnummerierten Kapitel, nur Abschnitte mit Überschriften, die ab und an von Briefen, Notizen und Infoschreiben in schmuckloser Kursivschrift unterbrochen werden. Abgerundet wird die Gestaltung von einem blauen Lesebändchen.


Erster Satz: "Wenn die Straßen am stillsten und dunkelsten sind, setzt eine junge Frau sich im Keller der Puppenmanufaktur an ein kleines Pult."


So beginnen wir die Geschichte der jungen Iris Whittle, die gefangen im Korsett ihrer gesellschaftlichen Stellung von Freiheit und Erfüllung in der Malerei träumt. Auch nach zwanzig Stunden Arbeit in der kleinen Puppenmanufaktur, in der sie zusammen mit ihrer von den Pocken entstellten Zwillingsschwester Rose Porzellanpuppen herstellt, setzt sie sich bei kostbarem Kerzenlicht hin und malt mit Farben, die sie mit mühsam zusammengekratztem Lohn gekauft hat. Als sie von dem jungen Maler Louis Frost gebeten wird, für ihn gegen eine gute Bezahlung und Unterricht Modell zu stehen, klingt das Angebot viel zu gut um wahr zu sein und sie vermutet eine Falle. Doch dann siegen ihre Neugier und ihr Traum über die Stimme der Vernunft und sie taucht ein in eine ihr bislang unbekannte Welt voller Farben, Glück und Liebe.

Abwechselnd mit ihr erhalten wir auch Einblick in das Leben des Kuriositätensammlers Silas Reed, der sich nach einem Treffen auf der Straße sofort in die majestätische Erscheinung von Iris verliebt. Als diese jedoch nicht auf seine Annäherungsversuche reagiert und für ihn nur die kalte Schulter übrig hat, auch als seine Leidenschaft sich zur Besessenheit steigert, beginnt ein Plan in ihm zu reifen. Mit jeder Verschmähung, Demütigung oder Ausgrenzung, die er erdulden muss, rückt die Eskalation näher und über dem jungen Glück von Louis und Iris schwebt ein Damoklesschwert...


"Und da verschmelzen alle Visionen zu einem glasklaren Bild. Zitternd vor Dankbarkeit erkennt er, was zu tun ist, wie er sich dieses Blickes würdig erweisen und sie ganz für sich allein haben kann. Wie er sie entzücken und die Traurigkeit von ihr abwaschen wird. Ein Glücksgefühl durchflutet ihn, ein bebender, zögerlicher Nervenkitzel, den er nicht benennen kann und den er am liebsten in einen Flakon abfüllen würde. Die Empfindung ist schöner als in Shaffordshire über die Wiesen zu laufen oder den gehörnten Schädel eines Widders zu finden, oder als Flick endlich zu besitzen, ihren Mund ganz allein für sich zu haben. Sie wird ihm gehören."


Ein weiterer Handlungsstrang ist der des kleinen Straßenjungens Albie, der zusammen mit seiner großen Schwester in einem heruntergekommenen Bordell wohnt und mit niederen Arbeiten über die Runden zu kommen versucht. Während seine Schwester sich prostituiert, sammelt er für Silas Tierkadaver von den Straßen auf, die er dann ausstopfen kann, näht für Iris´ Puppen kleine Leibchen und Röcke und steht später ebenfalls für Louis Modell. So verbinden sich die drei unterschiedlichen Handlungsstränge und die Protagonisten aus den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten finden u einer spannenden Geschichte zusammen, die nicht für alle von ihnen gut ausgehen wird...


"Lügner, Teufel, Spanner. So viele Leute haben ihn ausgelacht, abgelehnt und gequält. Er schlägt mit der Faust auf die Tischplatte und steht so abrupt auf, dass der Stuhl beinahe umkippt. Er beschließt, ihr einen Besuch abzustatten."


"The Doll Factory" ist kein sonniges Buch, sondern ein sehr authentisches Porträt des viktorianischen Londons gemischt mit einer romantischen Liebesgeschichte. Und wenn ich authentisch schreibe, muss ich anmerken, dass es mir an manchen Stellen fast ein wenig zu authentisch für meinen Geschmack war, sodass ich fast glaubt, den bestialischen Gestank der Gosse durch die Seiten riechen, das Klappern der Kutschräder in den engen, dreckigen Gassen hören, die madigen Kadaver von unter die Räder gekommenen Tieren sehen, die Bisse der Flöhe auf meiner Haut spüren und den Geschmack von glibberigem Rindertalg auf meiner Zunge schmecken zu können. Eine Erfahrung, auf die ich sehr gut hätte verzichte können... Der sehr direkte, detailreiche Schreibstil der Autorin schreckt vor teilweise ekelhafter, expliziter Darstellung nicht zurück und erzählt schonungslos von verwesende Leichen, ausgeleerten Nachttöpfe, Gewalt, Prostitution, allerlei Blut, Schleim und diversen andere Körperflüssigkeiten. Meine ausdrückliche Warnung an alle zartbesaiteten Leser: Elizabeth Macneal nimmt keinerlei Rücksicht auf den empfindlichen Magen oder das mitleidende Herz des Lesers (Stichwort für alle, die das Buch gelesen haben: Albie). Sehr beeindruckend ist jedoch, dass der ausschweifende, bildhafte Schreibstil, der ein lebensechtes Bild von London um 1850 malt, der Handlung niemals im Weg steht und die Geschehnisse nur geringfügig ausbremst.


"Albie rennt, wie er noch nie gerannt ist. Er rennt, als treibe eine Dampfmaschine seine Beine an. Die kühle Luft brennt ihm in der Kehle, der Weg scheint Stunden zu dauern. Er besinnt sich auf die besten Abkürzungen und wählt Straßen, die er kennt wie seine Westentasche. Er ist noch ein Kind, ein Junge aus der Gosse, aber er fühlt sich groß und stark. Er wird sie warnen. Er hat Silas nicht aus den Augen gelassen und den richtigen Moment abgewartet. Er weiß, was niemand sonst weiß."


Neben dem abstoßenden Teil kommt die Aufbruchsstimmung der fortschreitenden Industrialisierung und des technischen Fortschritts, die das Setting prägt sehr schön durch. Neben der Neugier der Menschen wegen der Weltausstellung und einem Bild der Gesellschaft durch verschiedene Schichten, konzentriert sich Elizabeth Macneal vor allem auf die Kunst und die frisch gegründete Präraffaelitische Bruderschaft, die als Reaktion auf die festgefahrene akademische Tradition in der Malerei entstand. Ich gebe zu, dass ich mich mit Kunstgeschichte nicht besonders gut auskenne und nach dem Lesen erstmal Dr. Wikipedia zurate ziehen musste, um zu verstehen, dass die dargestellte Geschichte und die vorkommenden Figuren zu einem großen Teil auf wirklichen historischen Begebenheiten beruhen. So lernen wir unter anderem die jungen Künstler John Millais, William Hunt und die Brüder Rossetti kennen, von denen es heute etliche Bilder zum Bestaunen gibt, erfahren beiläufig etwas über die Motive, künstlerische Ziele und Ausdrucksweise der Bruderschaft und bekommen durch etliche real existierenden Bildern und Anspielungen bewiesen, dass die Autorin gut für ihre Geschichte recherchiert hat. Zum Beispiel sind wir live dabei, als John Millais bei einem gemeinsamen Abendessen seinen größten Erfolg, die "Ophelia" plant, für das sein Modell Elizabeth Siddall (später Siddal), in einer Badewanne liegen muss, wobei sie sich eine lebensgefährliche Lungenentzündung zuziehen wird. Auch die ab und an abgedruckten Briefe an die Times des bedeutendsten Kunsthistorikers der Zeit, John Ruskin, die der Auslöser für den Wandel der öffentlichen Wahrnehmung der Bruderschaft waren, zeugen von guter Recherche.


"Es ist, als wäre ihr Leben eine nüchterne Kohleskizze gewesen, die plötzlich mit lebhaften Ölfarben übermalt wurde. (…) Sie öffnet den Mund, eine Schneeflocke landet auf ihrer Zunge. "Kannst du die fangen?", fragt sie und zeigt auf eine riesige Flocke, fast so groß wie eine Pusteblume. Louis stellt sich darunter und schnappt zu wie ein Terrier. "Was gibt es zu gewinnen?"
"Ewigen Ruhm."
"Ach so", sagt er. "Ich wusste nicht, dass es so einfach ist."


Mit Louis und Iris hat die Autorin zwei fiktive Charaktere gewählt, um frei eine Geschichte rund um die wahren Begebenheiten erzählen zu können. Zwar zeigen die beiden Parallelen zu wirklichen Charakteren (der Künstler und seine schöne Muse könnten eine etwas abgewandelte Form von Rossettis und Liddalls Geschichte sein), da aber die wirklichen Charaktere separat in der Geschichte vorkommen wird klar, dass die Autorin sich hier künstlerische Freiheit erlaubt hat. Die eingebettete zarte Liebesgeschichte zwischen Louis und Iris, die sich ganz langsam, getragen von einer gemeinsamen Leidenschaft und dem Wunsch nach Freiheit, entwickelt, wirkt fast zu rein und sanft, um Teil der dreckigen, stinkenden, unheimlich fremden Welt zu sein, die Elizabeth Macneal hier geschaffen hat. Der Maler mit den dunklen Locken, seine Freunde und die kleine Wombat-Dame Guineveres eroberten schnell mein Herz. Genau wie für Iris ist die kleine schöne, heile Welt voller Kunst, Glück und Licht, die sie bei Louis findet, eine herrliche Abwechslung, eine Insel in all dem Leid und Dreck um sie herum. Iris´ Charakter selbst war wunderbar komplex, gegen Ende aber leider ein wenig unrealistisch. Von einer prüden, verklemmten, wohlerzogenen grauen Maus, also einer Frau ihrer Zeit wandelt sie sich in eine zielstrebige, beinahe feministisch anmutende Königin, die ihr Leben stark selbst in die Hand nimmt. Ausgelebte Kunst und Brechen mit Tabus hin oder her - ob dies tatsächlich eine glaubhafte Entwicklung im viktorianischen Zeitalter ist, bleibt fragwürdig. Die Darstellung ihrer neu entdeckten Leidenschaft für die Kunst, ihrer von der Gesellschaft abgesprochenen Sexualität und ihre eigene Entscheidungsfreiheit hat mir aber sehr imponiert. Ein wenig haben mich die Kunstbeschreibungen an "Das Lapislazuliherz" erinnert, auch wenn dieses in einer ganz anderen Zeit spielt.


"Dort drüben", sagt sie. Louis dreht sich um. Es hängt auf Augenhöhe, absolut gerade und in der Mitte des Westsaals. Ein schimmernder, von bräunlichen Gemälden umrahmter Farbfleck. Sie ist vor aller Welt ausgestellt. Er hat sie auf der Leinwand fixiert und in ein vergoldetes Rechteck gesperrt. Da steht sie, lebensecht und im Augenblick erstarrt. Er hat sie in ihrer ganzen Schönheit eingefangen."


Beeindruckend ist, dass neben der sich entwickelnden Romanze, Iris´ Selbstfindung und künstlerischer Emanzipation und den historischen Begebenheiten noch Raum für weitere Entwicklungen und Aspekte bleibt. Gut gefallen hat mir die Darstellung von Iris´ Beziehung zu ihrer Zwillingsschwester Rose, die zwar von Neid, Bitterkeit und Missverständnissen, aber auch von enger Verbundenheit und Liebe geprägt ist. Auch der kleine Albie ist ein einfach gestrickter aber doch vielschichtiger Protagonist, bei dem einem einfach das Herz aufgeht.

Für ordentlich Spannung sorgen hingegen die Einblicke in das kranke, verdrehte Gehirn des Kuriositätensammlers Silas Reed, der zu Beginn noch gar nicht so verrückt, sondern in erster Linie einsam und etwas verschroben wirkt. Erst nach einigen hundert Seiten und vielen kleinen Anspielungen wird dem Leser klar, dass wir in die verquere Gedankenwelt eines Serienmörders eingestiegen sind. Die Art und Weise wie die Autorin unser Bild von dieser Figur immer wieder aufs Neue ändert, unsere Gefühle von Zuneigung über Mitleid bis hin zu Abscheu, Ekel und ungläubigem Schock wechseln lässt, ist wirklich krass. Exzessives Stalking, krankhafte Besessenheit, immense Selbstleugnung, das Abtauchen in Fantasiewelten und ein gefährlicher Plan - bald mutet die Geschichte an wie ein Psychothriller. Die kommende Eskalation erscheint bald zum Greifen nahe und wir bangen und hoffen, dass die liebgewonnenen Protagonisten diese überstehen.


"Komm herunter, denkt sie, sprich mit mir, gib mir etwas zu essen. Was sie meint: Lass mich nicht hier unten sterben. Sie hat Todesangst.
Der Vogel.
Die verklebten Flügel.
Nun sitzt sie im Käfig, und kein Kind ist in der Nähe, das die Gitterstäbe zerbrechen könnte."


Die letzten Kapitel lesen sich spannend wie ein Thriller und ich musste einfach in dem Wettlauf gegen die Zeit mit fiebern: wird Iris es schaffen, den Fängen ihres Verehrers zu entwischen? Gibt es ein Happy End? Ab gewissen Stellen der Geschichte, die mein armes Leserherz gebrochen haben, hätte ich ihr wirklich alles zugetraut. Und so wollte ich gleichzeitig, dass das Buch endlich aufhört und dass es niemals endet. Das wirkliche Ende hätte ich mir noch ein wenig ausführlicher gewünscht. Man erfährt in einer kurzen Bildbeschreibung von Iris Meisterwerk zwar alles, was man über den weiteren Fortgang der Handlung wissen muss, dennoch hätte sich mein Leserherz ein paar detailliertere Ausführungen gewünscht.



Fazit:


Ein beeindruckend vielschichtiger, düsterer aber zugleich auch bunter und auf kuriose Weise schöner historischer Roman, der mich mitgerissen, beschäftigt und berührt hat, sodass ich ihn gewiss lange nicht vergessen werde.

Auch wenn das lebensechte Porträt des viktorianischen Londons, die gute Recherche der Autorin, die komplexen Charaktere und der Thriller-Showdown mich wirklich überzeugt haben, war der Roman für meinen Geschmack zu düster, zu eklig und im Erzähltempo streckenweise zu langsam und überladen, als dass ich 5 Sterne vergeben würde.

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