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Veröffentlicht am 07.04.2020

Wenn das Leben trotzdem weitergehen muss

Nach Mattias
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Mit einem Mal ist Mattias weg, tot. Und er lässt Familie und Freunde einfach zurück. Sein schicksalhaftes Verschwinden reißt eine Lücke in das Leben seiner Partnerin Amber, seiner Mutter Kristianne und ...

Mit einem Mal ist Mattias weg, tot. Und er lässt Familie und Freunde einfach zurück. Sein schicksalhaftes Verschwinden reißt eine Lücke in das Leben seiner Partnerin Amber, seiner Mutter Kristianne und seines Kumpels Quentin, die nun mit dem Verlust klarkommen müssen. Auch die Wege fünf weiterer Menschen haben sich vor seinem Tod mit Mattias gekreuzt. Was ist mit dem jungen Mann passiert? Und wie geht es für die Hinterbliebenen weiter?

„Nach Mattias“ ist ein Roman von Peter Zantingh.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus neun Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird im ersten und letzten Kapitel aus der Sicht von Amber und ansonsten aus der Sicht von acht weiteren Personen, teils in der Ich-Perspektive und immer im Präsens. Die Handlung spielt an unterschiedlichen Orten in der Niederlande, die nicht näher bezeichnet werden. Dieser Aufbau wirkt gut durchdacht.

Dem Autor ist es ausgezeichnet gelungen, den Stil jeweils an die unterschiedlichen Charaktere anzupassen. Eine Gemeinsamkeit ist es, dass er jeweils recht nüchtern daherkommt, aber dennoch eindringlich ist. In vielen der Kapitel tauchen schöne Sprachbilder auf. Manche Formulierungen kommen jedoch etwas seltsam daher, manche Wörter sind unverständlich, weshalb ich davon ausgehe, dass die Übersetzung leider Schwächen hat.

Die Protagonisten sind authentisch und stellen eine interessante Auswahl an Personen dar. Es gibt nicht nur Menschen, die Mattias sehr nahestanden, sondern auch solche, mit denen die Verbindung nur lose oder weniger direkt war. So ergibt sich mehr und mehr ein Bild des Verstorbenen. Als Leser taucht man in die jeweiligen Leben der unterschiedlichen Personen ein, sodass fast der Eindruck einer Sammlung an Kurzgeschichten entsteht, die für sich allein jedoch keinen Sinn ergeben und nur durch das gemeinsame Element, also Mattias, verstanden werden können. Beim aufmerksamen Lesen sind auch Verknüpfungspunkte untereinander erkennbar, die der Autor geschickt – mal auffällig, mal weniger prominent – in den Roman eingeflochten hat und die sich am Ende vollständig erschließen.

Die Thematik von Tod und Trauer macht die Lektüre sehr berührend, wobei mich jedoch nicht alle Kapitel emotional erreicht haben. Da der Roman inhaltlich auch zu anderen Themen wie Fußballsimulationen abdriftet, habe ich den Mittelteil als ein wenig langatmig empfunden. Eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt außerdem die Musik. Eine schöne Idee ist daher die Playlist mit passenden Titeln zum Roman.

Die unterschiedlichen Schicksale und Lebensgeschichten der Protagonisten sorgen nicht nur für Abwechslung, sondern regen auch zum Nachdenken an. Dabei blitzt im Roman immer wieder auf recht dezente Art Gesellschaftskritik durch.

Das für den Verlag typische Cover passt gut zum Roman, vor allem zum letzten Kapitel. Der knackige Titel ist treffend gewählt und erfreulicherweise wortgetreu aus dem niederländischen Original („Na Mattias“) übernommen worden.

Mein Fazit:
„Nach Mattias“ von Peter Zantingh ist ein raffiniert konstruierter Roman darüber, welche Spuren ein Mensch nach seinem Tod hinterlässt. Eine berührende, aber nicht kitschige Lektüre.

Veröffentlicht am 02.04.2020

Ein englisches Provinzstädtchen während der Industrialisierung

Middlemarch
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Die englische Kleinstadt Middlemarch in den Midlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die 17-jährige Dorothea Brooke ist eine Waise, die in einem Internat in der Schweiz erzogen wurde. Zusammen ...

Die englische Kleinstadt Middlemarch in den Midlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die 17-jährige Dorothea Brooke ist eine Waise, die in einem Internat in der Schweiz erzogen wurde. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Celia lebt sie bei ihrem Onkel, einem Vertreter des Landadels. Als junger Frau bleibt ihr der Zugang zu Wissen und Bildung verwehrt. Doch damit will sie sich nicht abfinden. Um ihre Wissbegier zu befriedigen, lässt sie sich auf eine Heirat ein. Auch Tertius Lydgate, ein junger Arzt, will Grenzen überschreiten. Er forscht nach neuen Behandlungsmethoden. Beide sind bereit, einiges aufs Spiel zu setzen…

„Middlemarch“ ist ein Roman von George Eliot, der erstmals bereits im Jahr 1874 erschien.

Meine Meinung:
Der Roman ist stark strukturiert. Es besteht aus acht Büchern, die wiederum in insgesamt 86 Kapitel mit einer angenehmen Länge unterteilt sind. Vorangestellt ist ein kurzes „Vorspiel“, dem ich nicht so viel abgewinnen konnte. Der Roman endet mit einem „Finale“, das als Epilog verstanden werden kann und erklärt, was aus den Figuren geworden ist. Erzählt wird aus der Sicht unterschiedlicher Figuren. Teilweise richtet sich der Erzähler direkt an den Leser.

Der Schreibstil ist recht ungewöhnlich, was nicht nur der für Klassiker üblichen etwas antiquierten Sprache, sondern auch der sehr speziellen Syntax geschuldet ist. Komplexe und komplizierte Satzstrukturen sind gleichzeitig ein Genuss und eine Herausforderung für den Leser. Die Beschreibungen sind detailliert, manchmal etwas ausschweifend, aber pointiert. Ein wirkliches Manko ist für mich die Übersetzung, die immer wieder unelegant und nicht besonders idiomatisch klingt. Sie wurde zwar von Rainer Zerbst vollständig überarbeitet. Allerdings basiert der Text nach wie vor auf der ersten deutschen Übersetzung von ihm aus dem Jahr 1985.

Im Mittelpunkt des Romans stehen zunächst einmal Dorothea und Lydgate. Eine wichtige Rolle spielen neben Dorothea weitere Frauen, die sich in einer von Männern und dem Patriarchat dominierten Welt zurechtfinden müssen: zum Beispiel Rosamond Vichy, Mary Garth und Dorotheas Schwester Celia. Darüber hinaus verfügt der Roman über viele weitere Figuren, die ein authentisches und vielfältiges Bild der englischen Mittelschicht in der Provinz erschaffen. Allerdings wäre an der einen oder anderen Stelle eine Personenübersicht hilfreich gewesen.

Vor 200 Jahren wurde Mary Ann Evans, die unter dem männlichen Pseudonym George Eliot schrieb, geboren. Zum runden Geburtstag sind daher neue Ausgaben ihres Klassikers „Middlemarch“ erschienen. Mich freut, dass der Roman somit wieder Aufmerksamkeit erhält und nicht in Vergessenheit gerät, denn er ist auch für heutige Leser interessant. Die Autorin zeigt ein Panorama an gesellschaftlichen und politischen Themen der Zeit der Industrialisierung. Es geht unter anderem um die Reform des Wahlrechts, den Bau der Eisenbahn, die Arbeit der Mediziner in jener Zeit und einiges mehr. Der Roman ist ungeheuer umfassend und facettenreich. Bei mehr als 1000 Seiten bleibt es natürlich nicht aus, dass es die eine oder andere Länge gibt. Insgesamt konnte mich die Autorin jedoch bei der Stange halten, denn ihre treffliche Beobachtungsgabe und die teils humorvollen Anmerkungen sind dafür umso unterhaltsamer. Obwohl die Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt und damit schon zu Lebzeiten Eliots Historisches behandelt hat, lassen sich auch aktuelle Bezüge herstellen.

Neben dem Text des Romans bietet die dtv-Ausgabe Zusatzmaterial. Das Vorwort von Elisabeth Bronfen ist interessant, aber für Nichtkenner des Werkes an dieser Stelle völlig ungeeignet, denn es nimmt sehr viel Inhalt vorweg. Im Anhang ist das Nachwort von Rainer Zerbst zu finden, das die Entstehungsgeschichte des Romans erklärt, eine inhaltliche Analyse vornimmt und biografische Informationen zur Autorin liefert. Leider sind auch die Fußnoten zum Roman und zum Nachwort in den Anhang verlagert worden, was bei der Lektüre ein Hin- und Herblättern nötig macht.

Die dtv-Ausgabe verfügt nicht nur über einen schmucken Schutzumschlag, sondern auch über einen ebenso sehenswerten Einband.

Mein Fazit:
„Middlemarch“ von George Eliot verlangt dem Leser angesichts seines Umfangs und seiner stilistischen Herausforderungen zwar einen langen Atem ab. Wer sich auf diesen besonderen Roman, der zu recht ein Klassiker ist, einlässt, wird jedoch mit einer beeindruckenden Lektüre belohnt.

Veröffentlicht am 31.03.2020

Eine Geschichte der Angst

Rote Kreuze
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Minsk im Jahr 2001: Kaum ist der 30-jährige Alexander in die neue Wohnung eingezogen, da lernt er bereits seine Nachbarin kennen. Die 91-jährige Tatjana Alexejewna ist körperlich zwar ansonsten noch ganz ...

Minsk im Jahr 2001: Kaum ist der 30-jährige Alexander in die neue Wohnung eingezogen, da lernt er bereits seine Nachbarin kennen. Die 91-jährige Tatjana Alexejewna ist körperlich zwar ansonsten noch ganz fit, doch ihre Alzheimer-Krankheit raubt ihr mehr und mehr ihre Erinnerungen. Dabei hat sie viel zu erzählen, was nicht in Vergessenheit geraten soll. In der Vergangenheit hat die Seniorin ein Leben voller Schrecken geführt. Sie beschließt, ihre Geschichte ihrem Nachbarn anzuvertrauen, ohne zu wissen, dass der junge Fußballschiedsrichter selbst ein trauriges Schicksal zu verarbeiten hat…

„Rote Kreuze“ ist ein Roman von Sasha Filipenko.

Meine Meinung:
Der Roman ist lediglich in Abschnitte, nicht jedoch in Kapitel eingeteilt. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Alexander. Darüber hinaus gibt es aber immer wieder lange Monologe von Tatjana, wobei die Wechsel oft plötzlich kommen, was den Roman vor allem zu Beginn nicht so gut lesbar macht. Außerdem sind zwischendurch Gedichte, Briefe, Telegramme und sonstige Dokumente eingefügt. Diese wiederholen sich zum Teil inhaltlich und bremsen den Lesefluss, sodass ich es vorgezogen hätte, diese stärker komprimiert präsentiert zu bekommen oder sie in einem Anhang zu finden.

Der Schreibstil ist recht nüchtern und schnörkellos, aber dennoch eindringlich. Es gibt viel wörtliche Rede und wenige beschreibende Passagen. Wie Alexander selbst wird der Leser sehr direkt in die Erzählungen Tatjanas geworfen. Dennoch lässt sich die Geschichte gut nachverfolgen.

Mit Alexander und Tatjana stehen zwei gegensätzliche Protagonisten im Vordergrund, die zwar sehr reizvoll ausgestaltet sind, mir aber nicht gleich sympathisch waren. Mit der unhöflichen, abweisenden Art des jungen Mannes und dem penetrant aufdringlichen Verhalten der alten Frau hatte ich zu Beginn so meine Probleme. Später erfährt der Leser jedoch ihre Beweggründe und kann die Gedanken und Gefühle der beiden sehr gut nachvollziehen. Nur in einem Punkt erscheint mir das Denken Tatjanas ziemlich naiv und unlogisch.

Ein großes Plus des Romans ist seine wichtige Thematik. Mit der Geschichte Tatjanas lenkt der Autor die Aufmerksamkeit auf die unmenschlichen Schrecken und Grausamkeiten des Sowjetregimes zu der Zeit Stalins. Er betreibt damit Aufklärung und Aufarbeitung zugleich, indem er ein Kapitel der russischen Historie wieder in den Fokus rückt, das bei vielen seiner Landsleute bereits verdrängt worden ist. Ich selbst konnte durch die Lektüre vieles über die Vergangenheit der damaligen UdSSR lernen. Sie hat mich erschüttert und zum Nachdenken angeregt. Die sehr fundierte Recherche des Autors ist dem Roman an vielen Stellen anzumerken. Ebenfalls positiv aufgefallen ist mir, dass sich das Motiv des Kreuzes immer wieder in sprachlicher und inhaltlicher Sicht durch den Roman zieht.

Das für den Verlag typische Cover passt gut zum Roman. Den knappen Titel, der mehrdeutiger ist als zunächst gedacht, finde ich sehr gelungen.

Mein Fazit:
Mit „Rote Kreuze“ hat mich Sasha Filipenko zwar nicht in allen Aspekten gänzlich überzeugt. Dennoch wird sein Roman noch lange Zeit in mir nachhallen. Eine empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 27.03.2020

Erinnerungen

Die Glasschwestern
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Während die 39-jährige Dunja Lenzing mit ihren Kindern Jules und Augusta in der Großstadt lebt und dort Deutschkurse gibt, ist ihre Zwillingsschwester Saphie in einem Hotel in einem thüringischen Dorf ...

Während die 39-jährige Dunja Lenzing mit ihren Kindern Jules und Augusta in der Großstadt lebt und dort Deutschkurse gibt, ist ihre Zwillingsschwester Saphie in einem Hotel in einem thüringischen Dorf an der ehemals deutsch-deutschen Grenze heimisch. Dann schlägt der Zufall auf irrwitzige Weise zu: An ein und demselben Tag sterben ihre langjährigen Lebenspartner. Restaurator Winne, der Vater von Jules und Augusta, kommt bei einem Sturz ums Leben. Hotelchef Gilbhart stirbt durch einen Schlaganfall. Obwohl sich Dunja bereits von Winne getrennt hatte und der alkoholabhängige Gilbhart es Saphie zuletzt schwergemacht hat, leiden die beiden Schwestern unter dem Verlust und nähern sich einander wieder an. Dunja entscheidet sich, in Saphies Hotel zu ziehen und somit in die Heimat ihrer Kindheit zurückzukehren. Dort werden beide mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

„Die Glasschwestern“ ist ein Roman von Franziska Hauser.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 40 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Jedes ist mit einem anderen Sprichwort überschrieben – eine sehr schöne Idee. Erzählt wird im Präsens zunächst nur aus der Sicht von Dunja, später auch aus der von Saphie. Der Roman ist chronologisch aufgebaut, aber es gibt immer wieder kurze Rückblenden in die Vergangenheit in Form von Erinnerungen. Der Aufbau ist sehr durchdacht und funktioniert gut.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman sehr gut gefallen, denn sein Stil ist besonders. Ungewöhnliche Bilder und Vergleiche konnten mich begeistern. Dabei wirkt der Schreibstil eindringlich und stellenweise poetisch, aber nicht blumig oder gekünstelt. Der Roman ist unaufgeregt und atmosphärisch recht dicht.

Die zu Beginn ziemlich unterschiedlichen Zwillingsschwestern, die ich als interessante Charaktere empfunden habe, stehen im Vordergrund. Beide machen eine Entwicklung durch. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Allerdings habe ich mit den meisten Figuren zunächst gefremdelt, denn viele der Personen erscheinen etwas seltsam. Dazu passen die ausgefallenen Namen in der Geschichte, die nicht nur die Protagonisten, sondern auch einige der Nebenfiguren tragen.

Die Handlung braucht ein wenig, um Fahrt aufzunehmen. Dennoch konnte mich die Geschichte von Anfang an fesseln. Zwischendurch gibt es auf den mehr als 400 Seiten zwar einige kleinere Längen. Im Großen und Ganzen bleibt die Geschichte aber abwechslungsreich und unterhaltsam.

Inhaltlich ist der Roman sehr vielschichtig. Es geht um die Zeit vor der Wende und die Vergangenheit der Protagonisten, um Tod und Trauer, um wichtige Entscheidungen und die Suche nach einem neuen Sinn im Leben. Zugleich ist es aber auch eine Familiengeschichte und ein Generationen umfassender Roman, der Geheimnisse und Lügen beinhaltet. Eine Lektüre, die Fragen aufwirft und dazu einlädt, das Buch immer wieder zur Seite zu legen, um eigenen Gedanken nachzuhängen.

Toll finde ich auch das ansprechende Cover, denn es greift die melancholische Stimmung der Geschichte auf und symbolisiert durch die Spiegelung die Zwillingsschwestern. Auch der Titel, der sich schon nach wenigen Kapiteln erklärt, aber auch mehrdeutig interpretiert werden kann, passt sehr gut.

Mein Fazit:
Mit „Die Glasschwestern“ ist Franziska Hauser ein ungewöhnlicher, komplexer Roman gelungen, der mich sprachlich beeindrucken konnte. Das lesenswerte Buch ist nicht nur unterhaltsam, sondern bietet auch eine Menge Denkimpulse.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Geschichte
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 24.03.2020

Der Trost, der in den schönen Künsten liegt

Die Frau im Musée d'Orsay
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Antoine Duris ist Professor an der Hochschule der Schönen Künste in Lyon, als ein Ereignis sein Leben erschüttert. Mit Ende 30 gibt er Hals über Kopf sein bisheriges Leben auf, kündigt seinen Job und seine ...

Antoine Duris ist Professor an der Hochschule der Schönen Künste in Lyon, als ein Ereignis sein Leben erschüttert. Mit Ende 30 gibt er Hals über Kopf sein bisheriges Leben auf, kündigt seinen Job und seine Wohnung – um nach Paris zu ziehen und als einfacher Wärter im Musée d’Orsay zu arbeiten. Freunde und Verwandte sind ratlos und glauben, dass eine Trennung dafür ursächlich sein könnte. Niemand ahnt, welcher traurige Grund wirklich hinter seiner plötzlichen Flucht steckt…

„Die Frau im Musée d’Orsay“ ist ein Roman von David Foenkinos.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vier Teilen, die wiederum in mehrere kurze Kapitel untergliedert sind. Teil 1 und 4 spielen in der Gegenwart, Teil 2 und 3 in der Vergangenheit. Der Roman endet mit einem Epilog. Erzählt wird zunächst überwiegend aus der Sicht von Antoine, danach auch aus der Sicht einer weiteren Person, die der Leser erst später kennenlernt. Der Aufbau funktioniert ganz gut.

Der Schreibstil ist schnörkellos, wenig raffiniert, recht nüchtern und reduziert, aber dennoch eindringlich und stimmungsvoll. Der Roman ist ziemlich dialoglastig. Der Einstieg in die Geschichte fällt nicht schwer.

Mit Antoine steht ein etwas eigensinniger, aber interessanter Charakter im Vordergrund. Er und die übrigen Personen wirken authentisch.

Erwartet hatte ich eine Geschichte, die sich viel mit den Themen Kunst und romantischer Liebe beschäftigt. Ersteres trifft tatsächlich auf den Roman zu. Aber die Romantik spielt nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr stecken in der eher kurzen Geschichte mehrere düstere Facetten, bei denen es um Schuld, dunkle Geheimnisse und ein Verbrechen geht. Der Roman macht betroffen und regt zum Nachdenken an. Mehrere Wendungen sorgen für Überraschungen und Kurzweil. Die Erklärung für Antoines Abtauchen hat mich allerdings nicht ganz überzeugt. Zudem kommt das Ende des Romans ein wenig überhastet.

Ich habe die ungekürzte Lesung angehört. Sprecher Erich Wittenberg macht mit seiner sehr akzentuierten Aussprache einen guten Job.

Die deutsche Vermarktung des Romans finde ich etwas unglücklich. Weder das an sich hübsche Cover noch der Titel werden dem Inhalt gerecht und schüren falsche Erwartungen. Schade, dass man sich nicht stärker an der französischen Originalausgabe („Vers la beauté“) orientiert hat.

Mein Fazit:
„Die Frau im Musée d’Orsay“ von David Foenkinos ist ein Roman, der ganz anders ist als das, was ich vermutet hatte. Dennoch hat mich die Geschichte nicht enttäuscht und wird sicher noch eine Weile nachhallen.