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Veröffentlicht am 20.06.2020

Was lange währt ...

City of Girls
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Ich habe das Rezensionsexemplar angefordert, weil es nach einem Roman über New York und das Theater klang und nach starken Frauen. Lange Zeit ließ mich das Buch im Ungewissen, war letztlich aber ziemlich ...

Ich habe das Rezensionsexemplar angefordert, weil es nach einem Roman über New York und das Theater klang und nach starken Frauen. Lange Zeit ließ mich das Buch im Ungewissen, war letztlich aber ziemlich bereichernd.

Spoiler: Es ist keine "klassische" Liebesgeschichte. Aber eine Geschichte über die Liebe zum Leben.

Rezi enthält (wirklich) Spoiler!

**Worum geht es?*

Der Text ist ein Brief, den Vivian an Angela schreibt. In diesem berichtet sie davon, wie sie vom Land nach New York kam und im Theater ihrer "Tante" als Schneiderin arbeitete und dabei aufregende Zeiten erlebte, ohne wirklich dazuzugehören. Nach einem öffentlichen Fehltritt kehrt sie nach Hause zurück, nur, um nach einem Jahr wieder zu kommen. Und dann trifft sie (zum zweiten Mal) die Person, die ihr Leben verändern wird.

*Meine Meinung *

Bei diesem Buch wusste ich lange nicht, worauf es hinausläuft - geht es um das Theater, geht es um die Stadt, geht es um das Erwachsenwerden oder einfach das turbulente Leben eines jungen Mädchens? Hinzu kommt, dass anfangs nicht klar ist, wem die Hauptfigur den Brief schreibt - ich dachte an eine alte Freundin oder die Tochter, doch es ist kompliziert.

Vivian gehört nirgendwo hin - von ihren Eltern wird sie wenig beachtet, von ihrer Oma lernt sie nähen und hartes Arbeiten. In New York ist sie das junge, unerfahrene Mädchen, das hineinpurzelt in eine Welt, die einerseits glamourös ist, gleichzeitig immer am Rand des Abgrunds steht. Und die keine Aufstiegschancen bietet. Vivian wird die Gefährtin eines Showgirls und zieht mit ihr durch die Nacht. Bis sie aus Frust und ohne Lust den Mann einer befreundeten Schauspielerin küsst. Und dabei fotografiert wird. Während dieses "Vergehen" für andere völlig normal ist, wird Vivian geächtet und aus dem Theater "entfernt". Und schließlich sogar von ihrem Bruder beschimpft. Zurück bei ihren Eltern arbeitet sie im Büro des Vaters und verlobt sich kurz nach Kriegseintritt der USA mit einem jungen Soldaten. Doch zur Freude beider heiratete sie ihn nicht, geht zurück nach New York und baut sich ein Brautmodengeschäft auf. Nachdem der Krieg vorbei ist, trifft sie auf einen traumatisierten Soldaten, der jetzt als Streifenpolizist arbeitet - jener Mann, der im Auto saß, als ihr Bruder seiner Verachtung Ausdruck verlieh und der damals nichts tat. Sein Schweigen war es, das ihr Selbstbewusstsein ruinierte. Doch es ist nicht die aufrichtige Entschuldigung, die sie rettet. Sondern die Erkenntnis, dass die beiden "seelenverwandt" sind, dass sie sich ähnlich fühlen. Und obwohl der Soldat keine körperliche Nähe zulassen kann und immer in Bewegung sein muss, führen beide eine jahrelange Beziehung, die von Intimität geprägt ist.

Das zentrale Thema für mich ist "Schuld" - Vivian fühlt sich schuldig, weil sie etwas moralisch Verwerfliches getan hat, der Soldat, weil er überlebt hat; er wurde bei einem Angriff ins brennende Wasser geschleudert und hat zufällig überlebt; er hat niemanden gerettet. Beide verzweifeln daran und geben sich Halt. Vivian lernt auch, dass ihre Probleme nicht die einzigen sind.

Ich fand es sehr beklemmend zu lesen, wie sehr der Soldat vom Krieg geschädigt wurde und dass es für ihn nur schwer möglich ist, eine Beziehung zu führen, sich um sein Kind zu kümmern. Dass das System auf diese Spätfolgen nicht ausgerichtet war. Gleichzeitig macht es mich wütend zu sehen, dass junge Frauen (und Männer) vor hundert Jahren so strenge Maßstäbe angelegt wurden - man kann leben, wie man möchte - solange man es im Verborgenen tut. Wenn Frauen nicht sittsam und Männer nicht stark sind, gibt es kaum jemanden, der zu ihnen hält.

Gut gefallen hat mir auch die Darstellung New Yorks. Es ist schwer, Schauplätze in Worte zu fassen, aber hier fühlte ich mich mittendrin.

Das Figurenkollektiv in der ersten Hälfte, in New York, ist bunt - die flippige Tante, die konservative Buchhalterin (?), die Tänzerinnen, die kluge Tochter der Betreiber des Lumpenlagers. Dazu die Schauspielerin. Sie bilden eine Ersatz-Familie und sind vielfältig. Später ist das Ensemble reduziert, der Schwerpunkt des Buches wechselt.

Für mich ließ sich der Text gut lesen, ich habe niemals das Gefühl gehabt, festzustecken oder mich zu langweilen.

*Fazit**

"City of Girls" ist nicht das, was es zu sein scheint, sondern eine Achterbahnfahrt, bei der man hochfährt, um dann in die Tiefe zu stürzen. Wenn man die Unsicherheit des ersten Teils überwindet und sich treiben lässt, wird man mit einer gefühlvollen zweiten Hälfte belohnt, die ich beeindruckend fand.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.03.2020

Sie hat Bock, aber sie traut sich nicht

Sie hat Bock
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Nachdem ich bisher Bücher zur Treue und auch zu Frauen gelesen haben, wagte ich mich an dieses. Geködert hat mich das bunte Cover und der freche Titel. Humor habe ich in diesem Buch wenig gefunden, stattdessen ...

Nachdem ich bisher Bücher zur Treue und auch zu Frauen gelesen haben, wagte ich mich an dieses. Geködert hat mich das bunte Cover und der freche Titel. Humor habe ich in diesem Buch wenig gefunden, stattdessen Melancholie. Denn obwohl die Autorin in einer erstrebenswerten Situation lebt (eine offene Beziehung, die von allen Beteiligten akzeptiert wird), scheint sie mit sich, ihrer Beziehungsform und ihrem Frau-Sein und der Liebe zu hadern. Aber vielleicht ist genau das die Botschaft.

"Bento" hat das Buch in die Top 5 der Bücher gepackt, die man als Mann lesen sollte, wenn man mit Frauen diskutieren will - ich denke, das Buch ist ein Ansatz, aber kein Endpunkt.

**Warum geht es?*

In 29 Kapiteln spricht Lewina an, was Frauen bewegt - das Alter, die Periode, Aufklärung, Mastrubation, Grenzen usw. Jeder Abschnitt ist autobiografisch geprägt.

Die Texte stellen erweiterte Kolumnen dar, die die Autorin für zahlreiche Magazine geschrieben hat.

*Was hat mir gut gefallen?*

Es gibt Sätze, die ich mir in Stein über mit Bett meißeln würde, weil ich sie noch nicht kannte. Prägnant war, dass Frauen kritisiert werden, wenn sie offen über Sexualität reden - Männer sprechen das überhaupt nicht an. Es waren kleine Momente, in denen ich mich verstanden fühlte.

Außerdem hat das Buch mein Selbst-Bewusstsein als Mensch gestärkt. Wie oft ich im Alltag Kompromisse eingehe, weil mir die Beziehung wichtiger ist als meine Bedürfnisse. Wie selbstverständlich das geworden ist. "Sie hat Bock" hat mich wieder aufgeweckt.

*Was hat mir nicht gefallen?*

Die Tiefe: Ich fand es sehr schade, dass das Buch aufhört, wenn es am spannendesten ist. Das ist gut, um fokussiert zu bleiben und das Thema "Sexualität und Selbstbewusstsein" abzuarbeiten. Aber es nimmt der Erzählerfigur sehr viel. Zum Thema "offene Beziehung" gibt es weiterführende Texte der Autorin auf "Vice" und "Jetzt" - hier bleibt sie an der Oberfläche, erklärt nicht, wie das konkret funktioniert und wie sie das den Kindern vermittelt hat. Es wird dem Thema und der Kraft, die dahinter steht, nicht gerecht. Auch beim Bereich Mastrubation geht der Text nicht in die Tiefe, er diskutiert keine Möglichkeiten, er zeichnet ein einziges Bild. Hinter jeder Maschine liegt ein Mensch, der sie benutzt. Das liegt aber vielleicht am Medium - eine Kolumne soll provozieren, soll ein Thema knackig umreißen, soll zur Diskusion anregen. Und wenn sie in einem Männermagazin erscheint, erwartet man in einer Kolumne keine differenzierte Auseinandersetzung mit Männlichkeit, sondern eine Löwin, die den Leser zeigt, wo der Eierstock hängt.

die Klischees: Das Buch zeichnet viele Frauen, Männer nur selten. Und noch seltener positiv. Die Welte ist dunkel und fies. Ich habe nur wenige neue Gedanken mitgenommen, stattdessen wirkt auch das Frauen-Bild altbacken. Es reduziert Frauen auf ihre Problem, anstatt die Stärken zu betonen. Wenn Männer positiv erwähnt werden z.B. weil sie sich jeder Berührung versichern, dann ist das außergewöhnlich. Von diesen Stellen, der Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen, hätte ich mir mehr gewünscht.

die Erzählerin: Ich konnte mich mit der Erzählerin nicht identifizieren. Einen Text tippen, danach ein Akt mit dem Freund und dann in einer Bar abhängen, überhaupt viel Alkohol trinken, viel feiern, viele Akte mit unterschiedlichen Menschen haben - das ist eine Welt, die sehr schön klingt, die aber von meiner weit entfernt ist. Entfernt von einem klassischen Alltagsjob, in der Hobbys eine größere Rolle spielen und Kontakte zu Männern und Frauen ein meist positives Extra sind. Und trotzdem ist auch dieser Alltag nicht frei von Konflikten. Ich hätte mich gefreut, wenn die Erzählfigur mehr "auf dem Boden", nahbarer wäre. Aber auch das kann dem geschuldet sein, dass es Kolumnen sind.

*Fazit**

"Sie hat Bock" will Positives bewirken und hat sicher manchen Lesern, ob männlich, weiblich oder divers, Denkanstöße geliefert. Für mich zeichnet aber auch dieses Buch den ständigen Kampf um die Interpretation nonverbaler Signale und die Anforderungen der Gesellschaft nach. Es wirkt ehrlich und von einer interessanten Persönlichkeit geschrieben, hat aber eine Atmosphäre, die nicht sagt, dass "Bock haben" Spaß macht, sondern eine Protesthaltung ist. Und es war nicht das richtige Medium für mich.

Veröffentlicht am 26.10.2019

Viel zu sagen, aber zu wissenschaftlich

Yalla, Feminismus!
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Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Autorin aus den Medien kenne. Ich habe sie als eine mutige Frau bewundert, die oft auf ihre Provokation reduziert wird. Ich hatte gehofft, dass es sie es schafft, ...

Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Autorin aus den Medien kenne. Ich habe sie als eine mutige Frau bewundert, die oft auf ihre Provokation reduziert wird. Ich hatte gehofft, dass es sie es schafft, das Thema "Feminismus" vielseitig darzustellen. Letzlich war das Buch für mich überwiegend das - eine Provokation, der besonders in der ersten Hälfte die Argumentation fehlt.

Worum geht es?

Um Sprache im Rap. Kopftuch. Und Rassismus und Sexismus im akademischen Betrieb.

Inhalt im Detail

Der erste Teil bezieht sich auf Sprache im Rap und die Darstellung queerer und weiblicher Menschen innerhalb dieser Kunstform. Zwei Aspekte sind mir dabei in Erinnerung geblieben: Dass bei männlichen Gangster-Rappern vorausgesetzt wird, dass es stark überzeichnet ist und dass das Lyrische Ich wenig mit der Person dahinter zu tun hat. Bei weiblichen Rapperinnen erwartet man dagegen, dass sie meinen, was sie in ihren Texten sagen - und deswegen härter beurteilt werden. Derbe Sprache oft als Einladung verstanden wird, fröhlich beleidigen. Interessant war auch, dass Frauen sich die Verhaltensweisen der Männer aneignen, um respektiert zu werden. Ob das der "richtige" Weg ist, darüber darf man grübeln. Auch die sehr einseitige Darstellung von Frauen, die Heilige, mutter-ähnliche Figur im Gegensatz zur promiskuitiven, offenen Frau, hat die Autorin gut erklärt. Weniger gefallen hat mir, dass die Quellenlage dürftig ist. Es werden nur wenige positive Beispiele für feministische Rap-Texte genannt und überhaupt kommen nur "Mainstream-Rapperinnen" vor. Dass es einige unbekannte Rapperinnen gibt, die auch ohne Gangster-Slang auskommen, wird wenig erwähnt. Oder die Tatsache, dass eine weibliche Rapperin in einem Wettbewerb weit gekommen ist - und dafür von einigen als Quotenfrau verspottet wurde, von anderen gelobt wurde, dass sie eine gute Rapperin ist, obwohl sie sich gegen all die Männer behaupten muss. Mich hätte die Auseinandersetzung damit interessiert. Schwierig finde ich auch, dass die Autorin einen Einblick in das Musikgeschäft gibt, aber an der Oberfläche bleibt. Sie arbeitet gut heraus, wie vermeintlich selbstbewusste Frauen von männlichen Produzenten ein Stück passend gemacht werden, damit sie als besonders feministisch erscheinen. Oder den Spagat, mit berühmten Rappern kooperieren zu können, dabei aber nur Klischees zu bedienen. Aber mir fehlt die Reflexion, warum - dass dahinter viel Geld steckt usw. Besonders bei Äußerungen zu und über Frauen bezieht sich die Autorin oft auf Interviews - und setzt sich nicht damit auseinander, dass sich Künstler in diesen Situationen repräsentieren und ein Bild von sich zeichnen wollen. Man kann argumentieren, dass auch die Leser dieser Medien glauben, was sie dort lesen. Und dass es wichtig ist, dass zu hinterfragen. Aber ich denke, wenn sie manche Künstlerin in anderem Rahmen befragt hätte, wäre das Ergebnis vielschichtiger gewesen.

Erzählt wird auch von Belästigungen. Schockierend fand ich, dass die Autorin selbst von einem bekannten Rapper öffentlich belästigt wurde - aber die Medien das nicht erwähnt haben. Allerdings wird das Bild an anderer Stelle verzerrt: Im Buch wird beschrieben, wie eine Musikjournalistin bei einem Interview von einem männlichen Rapper verbal und körperlich angegriffen wird, was aber von ihrem Kollegen und von ihr selbst heruntergespielt wird. In der Fußnote am Ende des Buches (!) erfährt man, dass der Kollege nur per Telefon zugeschaltet war. Belästigungen sind schrecklich, aber dass hier ein unvollständiger Eindruck erweckt wird, das fand ich schlecht für die Glaubwürdigkeit.

Ohnehin ist die Präsenz der Ich-Erzählerin in diesem Abschnitt sehr stark. Es geht um ihre Jugend, um den Mut, auf Bühnen zu gehen. Aber auch darum, dass sie wegen ihrer Texte oft abgelehnt wurde, von Männern und Frauen. Dass es an Solidarität fehlt. Mein Eindruck ist, dass die Ich-Erzählerin ein Mensch ist, der viel zu sagen hat und sich gern für andere einsetzt. Eine Löwin. Die nicht gehört wird und daher versucht, mit Provokation Aufmerksamkeit zu erregen. Womit sie manche Leser - auch mich - vor den Kopf stößt und neue Klischees bedient z.B. die Abwertung arbeitsloser Menschen.

Außerdem stört mich, dass im Abschnitt oft von queeren Menschen gesprochen wird, aber keiner zu Wort kommt. Weder Rapper, die offen nicht-binär sind, noch andere Künstler. Nur auf die Kunstfigur Juicy Gay wird verwiesen.

Der zweite Teil ist wesentlich fundierter - was auch daran liegt, dass Frauen mit Kopftuch das zentrale Thema der Doktorarbeit waren. Das Thema wurde vielschichtig und anfänger-freundlich aufbereitet. Ich fand es sehr interessant zu lesen, welche Gründe das Tragen oder Nicht-Tragen des Kopftuches hat und dass die Auseinandersetzung mit Feminismus in islamischen Störmungen sehr tief geht. Es ist eine Beschäftigung mit der Interpretation und Übersetzung von Stellen aus dem Koran - so, wie man es auch von anderen theologischen Diskussionen kennt. Etwas, dass man als Mensch ohne religösen Hintergrund schwer verstehen kann.

Später geht es um Belästigungen im akademischen Betrieb. Ich fand es spannend, wie vielschichtig auch hier die Benachteiligungen sind und wie sehr das System sich selbst schützt z.B. in dem die Ansprechpartner gleichzeitig die Täter sind. Oder manche nicht zwischen Mensch und Künstlerin unterscheiden können. Leider fehlen auch hier Beispiele, die sie nicht selbst erlebt hat. Was aber auch daran liegt, dass Menschen das selten öffentlich machen.

Allerdings fehlt mir hier ein menschliches Puzzle-Teil: Sie betont oft, dass sie gern in der Wissenschaft arbeitet, dass ihr die Studien wichtig sind - aber die Begeisterung wird nicht spürbar. Wo ist die Verbindung zwischen der Frau, die sich benachteiligt fühlt und der Leidenschaft für das Fach?


Gestaltung und Schreibstil

Am Anfang des Buches findet man ein Glossar - was ich gut fand. Leider werden nur sehr wenige Begriffe erklärt und besonders im Kopftuch-Teil fehlt sovieles, das man in einem Glossar nicht erklären kann. Außerdem hatte ich bis zur zweiten Hälfte einige Begriffe wieder vergessen.

Große Probleme bereitet mir das Gender-Sternchen. Ich habe schon verschiedene Varianten gesehen und bis zum Ende gehofft, dass ich damit warm werde. Aber es hat mich ständig aus dem Fluss gebracht, weil ich dachte, dass eine wichtige Stelle kommt. Vor allem sind die tatsächlich wichtigen (und sehr interessanten!) Fußnoten untergegangen.

Den Schreibstil finde ich mittelmäßig wissenschaftlich. Es klingt nicht so korrekt wie in einer wissenschaftlichen Arbeit, aber die Autorin versucht, alles sehr genau zu beschreiben - und bläst damit das Buch auf. Bespielsweise ist im ersten Teil von der "deutschen Mehrheitsbevölkerung" die Rede. Das ist passend, weil es um Rassismus geht. Aber der Begriff wurde bereits erklärt, sodass es nicht notwendig ist, ihn immer auszuschreiben. Wenngleich natürlich jede Erwähnung ein Zeichen ist.

Auch das Nachwort ist eine tolle Zusammenfassung des Buches - liest sich aber wie in einer wissenschaftlichen Arbeit.

Menschen, die mit den Themenkomplexen nicht vertraut sind, werden mit dem Buch Schwierigkeiten haben.

Fazit

Gut gedacht, nicht so gut gemacht. Der Stil wirkt hoch, aber die Recherche hätte im ersten Teil tiefer sein können. Das Buch möchte "Lücken füllen", bleibt aber manchmal bei Klischees kleben. Dennoch wirft es interessante Gedanken auf und hat mich zum Nachdenken angeregt.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Wichtige Thema mit Luft nach oben

84 Monate
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Ein unerfüllter Kinderwunsch - selten öffentlich thematisiert, und wenn, dann stehen sich oft "erfolgreiche" Mütter und Menschen gegenüber, für die Kinderkriegen egoistisch ist. Äpfel, Birnen, ein ganzer ...

Ein unerfüllter Kinderwunsch - selten öffentlich thematisiert, und wenn, dann stehen sich oft "erfolgreiche" Mütter und Menschen gegenüber, für die Kinderkriegen egoistisch ist. Äpfel, Birnen, ein ganzer Obstkorb an Menschen, die aneinander vorbei reden.

Was ich aus diesem Buch mitnehme, ist u.a. das Bewusstsein, dass es Dinge gibt, die man nicht nachvollziehen kann, wenn man sie nicht erlebt hat. Aber auch, dass der Kinderwunsch nicht das Problem ist, sondern die Gesellschaft.

**Meine Meinung*

Das Buch pendelt zwischen der Jetzt-Zeit, in der "Julie" mit starker Regelblutung auf dem Boden liegt, getröstet von ihren zwei Hunden, und ihrem Weg - von der Idee eines Kindes, über die Fehlgeburt hin zu unzähligen Behandlungen.

Das Buch voran treibt die Frage, ob Julie ein Kind bekommt. Spoiler: Ja. Aber die Hälfte der Geschichte hat keinen Platz. Entweder, weil es zu viel geworden wäre. Oder weil zwei Bücher besser als eines sind. In der Jetzt-Zeit passiert wenig, die Figur pendelt zwischen Wasserhahn, Hund und Boden, was ich nicht so gut fand.

In der Vergangenheit begleiten wir Julie durch die Behandlungen. Und obwohl sie ständig redet, bleibt das Buch für mich ein Stück oberflächlich. Obwohl sie oft erzählt, wie zerstörerisch die Behandlungen für die Beziehung sind, erfährt man wenig. Auch Fachinfos gibt es nicht so viele. Die Stimmungsschwankungen blieben unklar, genauso wie die Frage, wie sie die Behandlungen und ihren Beruf vereinbart. Was mit den Ärzten passiert, die sie "falsch" behandelt haben. Mit "Heilern", die ihre Patientinnen benutzen. Auch die "Grenzüberschreitung", die die Hormontherapien bis hin zu eingefrorenen Eizellen darstellen, konnte ich nicht nachfühlen. Oft betont sie, dass ein Kinderwunsch kein Luxusproblem sei, sondern das Selbst und die Beziehun zerstöre - bis auf Schuldgefühe gegenüber ihrem Mann bleibt auch das vage.

Gut gefallen hat mir das Buch an den Stellen, an denen die Figur reflektiert - über eine Industrie, die vom Leid der Paare profitiert; die den Frauen vorgaukelt, dass gerade der perfekte Embryo eingesetzt wird, obwohl es wohl nicht am Embryo, sondern an der Gebärmutter liegt. Von Ärzten, für die Fehlgeburten Routine sind und die der Patientin keine psychologische Betreuung anbieten. Aber auch: Die paradoxe Gesetzteslage in Deutschland, dass Herzen gespendet werden dürfen, aber keine Embryonen (?) Dass Verbrechen härter bestraft werden, wenn sie an Müttern verübt wurden. Sie deutet gut an, welchen Status "Kinder kriegen" in der Gesellschaft hat.

Allerdings wurde mir die Figur in diesen Punkten ein Stück unsympatisch, weil sie die psychologischen Mechanismen beschreibt, aber wenig erkennt. Sie erzählt an zwei Stellen, dass sie wohl eine Post-Traumatische Belastungsstörung bekam, aber es ist nicht klar, ob sie letztlich etwas dagegen tut. Auf mich wirkt es, als ob sie die Fehlgeburt in eine Schuld-Spirale getrieben hat, gemeinsam mit dem Gedanken, dass man so weit gekommen ist und soviel Geld investiert hat, dass man nichtmehr aufhören will. Sie hinterfragt den Kinderwunsch auch nicht.

Ein Symptom davon ist auch, dass sie sich durch den Kinderwunsch definiert und fast nur noch Eltern sieht. Sie wünscht sich, dass die anderen in ihr nicht nur den Kinderwunsch sehen, sie will am Leben teilhaben, was ich gut verstehe. Aber sie begreift nicht, dass es für andere belastend sein kann, einem geliebten Menschen dabei zuzusehen, wie er leidet und man nichts tun kann. Sie reduziert ihre Mitmenschen darauf, ob sie ihren Kinderwunsch verstehen können.

Die Julie der Jetzt-Zeit hat das begriffen - aber die Julie der Vergangenheit kommt nicht an diesen Punkt. Das macht das Buch für mich unstimmig, weil ich die Auflösung nicht gesehen habe.

*Fazit**

"84 Monate" bringt Licht ins Dunkle und bereicherte mich mit vielen Erkenntnissen. Allerdings ist es ein Erfahrungsbericht, der sich auf das Leiden konzentriert. Mir war es oft nicht vielseitig genug. Ich denke, dass es für Leute gut ist, die ähnliches erlebt haben. Aber für Menschen, die damit noch nicht in Berührung gekommen sind, war es nicht tief genug.

Veröffentlicht am 28.06.2019

Spritzig, aber dann ...

Most Wanted Billionaire
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Zwei Irrtümer in einem Buch: 1. Hinter einem austauschbaren, beliebigen Titel kann sich eine tolle Geschichte verbergen. 2. Eine tolle Geschichte ist nur so lange gut, bis die Figuren zusammen kommen. ...

Zwei Irrtümer in einem Buch: 1. Hinter einem austauschbaren, beliebigen Titel kann sich eine tolle Geschichte verbergen. 2. Eine tolle Geschichte ist nur so lange gut, bis die Figuren zusammen kommen. Danach fährt die Story unaufhaltsam auf den Klischeegraben zu.

Inhalt

Unsere weibliche Hauptfigur ist super qualifiziert, arbeitet aber unterfordert bei einem Chemie-Unternehmen. Der Clou: Sollte sie es schaffen, einen Monat zu überstehen, gibt es zusätzlich zum Gehalt einen Bonus! Und unsere Prota kann das Geld gebrauchen, weil ihr ein Mann das Leben und vor allem die Finanzen ruiniert hat. Aber alles läuft schief, bis ihr der Firmen-Chef einen Weckdienst sucht - und ihm die Prota versehentlich die Meinung sagt. Mann, welcher die Nase voll hat von untergebenen Schoßhündinnen, findet das toll und so entspinnt sich ein Wechselspiel, das erst bei der Auflösung an Dynamik verliert.

Was hat mir gut gefallen?

Die Dramaturgie: Die Autorin schafft es die Figur auf mehreren Ebenen spielen zu lassen - im Job ist sie die selbtbewusste Frau, die auf Anweisung ihrer Chefin die Unterwürfige spielen muss. Am Telefon muss sie wiederum sehr taff sein, was ihr nicht leicht fällt. Ein zusätzlicher Konflikt entspinntlich, als auch die Chefin eigene Interessen offenbahrt.

Ich fand die Stellen sehr dynamisch, witzig, spannend. Ich hatte großen Spaß.

Das Kräftegleichgewicht: Im Buch ist es oft der Mann, der die Beziehung will, die Frau lehnt aber ab. Das erzeugte viel Spannung.

Was hat mir nicht gut gefallen

Glaubwürdigkeit: Ich habe beiden Figuren ihre zentralen Motive nicht abgekauft. Das Problem der weiblichen Figur ist, dass sie Männern nicht mehr traut und eine Beziehung ablehnt, weil ihr Ex-Freund gemein war. Sie wirkt manchmal trotzig, was gut war. Aber ich sehe bei ihre keine Reaktionen, die ich mit Angst vor Beziehungen verbinde - das Gefühl, dass man nicht mehr denken, nicht mehr atmen kann. Dass plötzlich alle Gefühle tot sind und man nur noch aus der Situation flüchten will. Dass man simple Vorschläge sehr deutlich und nachdrücklich ablehnt, weil sie zuviel bedeuten könnten. Die Figur macht oft eines: sie redet. Sie redet viel und tötet das Thema.

Auch das zweite zentrale Thema, das Hobby der Figur, dient eigentich nur als Rahmen - wir erfahren sehr, sehr wenig darüber.

Bei der männlichen Hauptfigur fand ich es schade, dass zuwenig Chemie vorkommt. Es ist eine Sache der Abwägung, denn man will die Leser nicht langweilen, aber ... besonders am Ende wirkte er oft liebestoll. Das war sehr schade, weil ich sie anfangs mochte. Das Motiv der Figur war interessant und die Erklärungen nett, aber es war nicht intensiv genug.

Die Nebenfiguren: Abgesehen von der Chefin gibt es nur zwei interessante Nebenfiguren - die aber kaum erwähnt werden. Eine ist sogar so austauschbar, dass ich ihren Namen vergessen habe.

Zeitraffung: Ab der zweiten Hälfte rafft der Roman an vielen kleine Stellen, die ich nicht erwartet habe. Das wirkte oft nicht stimmig.

Fazit
Stark ist der Roman an den Stellen, an denen sich die Figurn reiben. Danach fehlten die Ideen und das Gefühl.