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Veröffentlicht am 24.04.2020

Ich liebe, liebe, liebe dieses Buch

Pandatage
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James Gould-Bourn hat mit „Pandatage“ einen absolut großartigen Erstling vorgelegt. Er ist so unfassbar komisch, dass ich oft laut lachen musste. Meine Umwelt starrte mich an, als würde ich ein Pandakostüm ...

James Gould-Bourn hat mit „Pandatage“ einen absolut großartigen Erstling vorgelegt. Er ist so unfassbar komisch, dass ich oft laut lachen musste. Meine Umwelt starrte mich an, als würde ich ein Pandakostüm tragen. Der Sprachwitz ist einfach klasse. Gleichzeitig sind die beiden Hauptfiguren, Vater und Sohn, so verletzlich, dass man sie ständig in den Arm nehmen möchte.

Danny Maloony ist Hilfsarbeiter auf Baustellen und versucht nach dem Unfalltod seiner Frau, sich und seinen elfjährigen Sohn Will in London über Wasser zu halten. Das gelingt ihm leider nicht. Seit Will seine Mutter vor über einem Jahr verloren hat, spricht er kein Wort mehr. Danny findet einfach keinen Zugang mehr zu seinem Sohn, weil er selbst vor Trauer nicht weiß wohin.
Obendrein verliert er seinen Job und ist aufgrund fehlender Qualifikationen auch nicht in der Lage, einen neuen zu finden. Da kommt ihm die Idee, als Straßenkünstler zu arbeiten, denn einige können auch nicht viel (oder gar nichts) und haben trotzdem volle Hüte. Das billigste Kostüm, das er sich gerade noch leisten kann, ist eine stinkende Pandaverkleidung und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf. Als Panda-Danny seinen Sohn vor pöbelnden Mitschülern rettet, beginnt Will wieder zu sprechen - und zwar nur mit dem Panda.

Wie Danny sich aus dieser Situation „rettet“, endlich als Panda ein paar Pfund verdient und wieder zurück ins Leben findet, ist wahrlich toll zu lesen. Gould-Bourn hat eine kleine Gruppe von Figuren geschaffen, die allesamt so liebenswert sind, dass man sie glatt adoptieren möchte. Ich würde auch Ivan, den ukrainischen Bauarbeiter nehmen, Mr. Colemann und Mo. Lediglich die Tänzerin Krystal ist eine Figur, die nicht mit ganz so viel Tiefe dargestellt wird. Die beiden Fieslinge des Romans, der Vermieter Reg und der Künstler El Magnifico, sind ebenso unsympathisch wie unfreiwillig komisch. Eine wirklich bunte Truppe, mit denen man mitfühlt, leidet und sich unbändig freuen kann.

Die Dialoge sind großartig, typisch britisch eben. Wenn es solche skurrilen Unterhaltungen tatsächlich geben kann, dann in Großbritannien. Man konnte sich beim Lesen schon vorstellen, dass dieser Roman einen wirklich guten Film abgeben wird. Die Szenen sausten vor meinem inneren Auge nur so vorbei. Allein die Szene in dem Kostümladen - ein Genuss!

Die Geschichte liest sich sehr flott, weil immer etwas passiert und relativ viele Nebenfiguren die Handlung beleben. Das Buch war für mich an keiner Stelle langweilig.
Die äußere Gestaltung ist sehr liebevoll gemacht: Der gelbe feste Einband, dessen tieferer Sinn sich im Verlauf des Romans ergibt, die Pandaohren auf dem Vorsatzpapier und der kleine Pandaoberkörper zu Beginn jedes der 34 Kapitel. Lediglich die Bilddarstellung auf dem Schutzumschlag ist etwas kitschig geraten. Im Englischen gibt es eine Ausgabe mit gezeichneten Figuren, die mir wesentlich besser gefällt.

Das Buch hat alle Qualitäten, um zum „Liebling der unabhängigen Buchhändler*innen“ zu werden. Noch mehr loben kann ich „Pandatage“ nicht. Wer einen leichten, gleichzeitig tiefgehen, ruhigen, unglaublich witzigen und zu Herzen gehenden Roman über einen trauernden Vater und seinen nicht minder stark trauernden Sohn lesen möchte, MUSS hier zugreifen.
Bisher mein Lieblingsbuch 2020..

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Veröffentlicht am 14.04.2020

Ein akustischer Profiler im Gefängnis und eine Podcasterin, die ihn retten will

Auris
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Das Cover ist simpel und doch sehr treffend gestaltet. Der titelgebende Name des Protagonisten ( Auris, lat. Ohr) steht in einer angedeuteten Schallwelle bzw. einer Soundwave, die in Prägedruck dargestellt ...

Das Cover ist simpel und doch sehr treffend gestaltet. Der titelgebende Name des Protagonisten ( Auris, lat. Ohr) steht in einer angedeuteten Schallwelle bzw. einer Soundwave, die in Prägedruck dargestellt ist.

Vincent Kliesch hat Prof. Matthias Hegel nach einer Idee von Sebastian Fitzek zum Leben erweckt. Gleich in der Eingangsszene kann der forensische Phonetiker sein außergewöhnliches Gehör unter Beweis stellen und ein mögliches Blutbad verhindern. Dann geht er ins Gefängnis. Er gibt zu, eine Obdachlose umgebracht zu haben. Jula (ohne „i“) ist eine Berliner Radiomoderatorin und Podcasterin, die mit einer brutalen Szene im Buch eingeführt wird. Sie glaubt nicht an die Schuld des charismatischen Hegel und versucht alles, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Als dies schließlich gelingt wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die Tote fordert und auch Jula in höchste Gefahr bringt.

Kliesch hat einen erstaunlichen Charakter mit verblüffenden Fähigkeiten erschaffen. Dass es eine solche kriminalistische Disziplin wie forensische Phonetik tatsächlich gibt, war mir unbekannt. Eine überraschende Idee, die ganz spezielle Möglichkeiten für einen Thriller bietet. Auch die Podcasterin Jula ist als Charakter spannend. Ihre schrecklichen Erlebnisse in Argentinien sind wichtige Impulsgeber für den Fortgang der Handlung in Berlin.

Der Thriller konnte von Beginn an fesseln und hat mich sehr gut unterhalten. Ganz in fitzekscher Manier gibt es viele kurze Kapitel (hier 79), die oft mit einer neuen Erkenntnis, einer überraschenden Wendung oder einem Cliffhanger enden. Das ganze ist überaus flott geschrieben, manchmal für meinen Geschmack fast zu rasant. Gelegentlich bin ich mit den Entwicklungen im Buch gedanklich gar nicht hinterher gekommen, weil der spannende Inhalt keine Zeit zum Nachdenken ließ. Es gab auch einige Stellen, die nicht hundertprozentig logisch waren, aber was soll’s. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und das Ende hat mich völlig überrascht.

Der zweite Teil liegt schon bereit und ich kann kaum erwarten, mehr von Hegel und Jula zu lesen und zu erfahren, wie es weitergeht.

Fünf Thriller-Sterne für Auris und Jula.

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Veröffentlicht am 07.04.2020

Träume können wahr werden - unterhaltsamer Küstenroman

Küstenträume
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Marlies Folkens hat einen flotten und unterhaltsamen Schmöker geschrieben. Ich habe ihn in einem Rutsch durchgelesen.

Zwei unterschiedliche Frauen und eine gemeinsame Erbschaft: Unverhofft treffen Tanja, ...

Marlies Folkens hat einen flotten und unterhaltsamen Schmöker geschrieben. Ich habe ihn in einem Rutsch durchgelesen.

Zwei unterschiedliche Frauen und eine gemeinsame Erbschaft: Unverhofft treffen Tanja, Juristin mit Cabrio, und Judith, Mutter einer achtjährigen Tochter, bei der Testamentseröffnung von Henry Reimann aufeinander. Die beiden sind Cousinen, wussten bisher nichts von einander und haben gemeinsam einen alten Bauernhof in der Wesermarsch geerbt. Beide sind praktischerweise gerade ohne Job und Partner und starten zu einer ersten Besichtigung. Und es kommt natürlich wie es kommen muss, aber wie man es als Leser*in auch haben möchte. Umzingelt von Tieren, norddeutschen Originalen und attraktiven Herren, wollen die beiden den heruntergekommenen Hof nicht so schnell wieder verlassen.

Einige Figuren sind Standardtypen, aber das macht nichts. Ich finde, wenn man sich auf ein Buch dieses Genres einlässt, dann muss man mit diesen Stereotypen auch rechnen. Alle Charaktere sind sympathisch, es gibt keinen Fiesling in diesem Roman und am Ende wird alles gut. Marlies Folkens hat mir mit flotter Feder und Humor einige schöne Lesestunden bereitet. Ich wollte auch unbedingt wissen, wie Tanja und Judith in der Wesermarsch zurechtkommen und musste bis zum Schluss durchlesen. Flucht aus dem Alltag gelungen. Dafür gibt es fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 31.03.2020

Schmerzliches Drama über Mutterliebe, Lügen und Träume - sehr lesenswert

Miracle Creek
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Wenn man das verwunschene Cover von „Miracle Creek“ anschaut, ist nicht klar, um was für eine Art Geschichte es sich hier handelt; von Liebesgeschichte bis Highschool-Drama könnte es alles sein. Es ist ...

Wenn man das verwunschene Cover von „Miracle Creek“ anschaut, ist nicht klar, um was für eine Art Geschichte es sich hier handelt; von Liebesgeschichte bis Highschool-Drama könnte es alles sein. Es ist tatsächlich ein bewegendes Drama, eine tragische Familiengeschichte und ein aufrüttelnder Gerichtskrimi.

Miracle Creek ist eine kleine, unbedeutende Stadt in der Nähe Washingtons. Dort verdient die aus Südkorea stammende Familie Yoo ihr Geld mit Überdruckbehandlungen. Eines Tages explodiert durch ein Feuer einer der Sauerstofftanks, der an die Überdruckkammer angeschlossen ist. Es gibt Tote und Verletzte. Ein Jahr später beginnt der Prozess und auf der Anklagebank sitzt die Mutter des kleinen Henry, der bei der Explosion starb. Aber hat Elizabeth das Feuer wirklich gelegt, um sich von ihrem autistischen Sohn zu „befreien“?

Angie Kims Debütroman beginnt mit der Explosion, die aus der Sicht von Young Yoo, der Ehefrau des Betreibers geschildert wird. Der einzige Abschnitt, der in der Ich-Perspektive verfasst ist. Die folgenden Kapitel sind auf vier Prozesstage verteilt, die im August 2009 stattfinden. An diesen vier Tagen kommen alle Beteiligten mehrfach zu Wort. Die Abschnitte tragen jeweils den Namen der Person, die gerade im Fokus steht. Nicht nur deren Aussagen vor Gericht, auch Rückblenden werden den Lesern durch einen personalen Erzähler vermittelt. So kommen nach und nach die Geschehnisse ans Licht, die Verflechtungen untereinander, aber auch die Lügen. Und davon gibt es eine ganze Menge.
Unkonventionell ist das Stilmittel, Schaubilder, die vor Gericht verwendet werden, auch als entsprechendes Bild abzudrucken. Das hilft, als Leser einen besseren Überblick zu erhalten. Eine gute Idee.

Die Geschichte über eine südkoreanische Familie, die eine Überdruckkammer betreibt, um vor allem autistische Kinder zu behandeln, hat mich gerade wegen dieses ungewöhnlichen Inhalts angesprochen.
Das Buch ist sehr ergreifend, traurig und schmerzlich. Alle Personen wollen das Richtige tun und doch geschehen schlimme Dinge. Kim bringt Themen mit viel Konfliktpotenzial zusammen und macht daraus eine stimmige Geschichte: Mutterliebe, Autismus, familiäre Traditionen, kulturelle Unterschiede und rebellierende Teenager.
Young Yoo ist der Hauptcharakter. Ihr Schicksal und das der anderen wichtigen Personen hat mich tief bewegt. Die Autorin versteht es großartig, alle Figuren mit Leben zu füllen und uns ihr Handeln nahezubringen. Sie läßt uns ganz tief in das Innerste schauen, zeigt uns ihre Träume und Wünsche, ihre Ängste und Zweifel.

Ich kann das Buch daher nur empfehlen. Es ist hervorragend geschrieben und wirkt noch lange nach. Allerdings verspricht der Klappentext einen Gerichtsthriller, den es so nicht gibt. Das Buch ist spannend und vor Gericht gibt es Überraschungen und unvorhergesehene Entwicklungen, aber ein Thriller ist es nicht.

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Veröffentlicht am 15.03.2020

Gebrochene Herzen einer Insel-Sommerliebe - Roman für alle Sinne

Die Inselfrauen
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„Die Inselfrauen“ ist nicht Sylvia Lotts erster Roman, aber einer ihrer erfolgreichsten. Das Cover schreckt mich eigentlich eher ab, es ist mir zu beliebig und ja, auch zu kitschig. Der Inhalt hätte eine ...

„Die Inselfrauen“ ist nicht Sylvia Lotts erster Roman, aber einer ihrer erfolgreichsten. Das Cover schreckt mich eigentlich eher ab, es ist mir zu beliebig und ja, auch zu kitschig. Der Inhalt hätte eine außergewöhnlichere Verpackung verdient gehabt. Die Geschichte ist vielschichtiger und bietet mehr als eine simple Liebesgeschichte auf Borkum:

Nina, lebenserfahrene und kosmopolite Jounalistin, kehrt nach 40 Jahren auf die Nordseeinsel Borkum zurück. Hier führt ihre mittlerweile fast 80jährige Tante eine schon deutlich in die Jahre gekommene Pension. Was Nina im Sommer 1967 dorthin führte, hat auch jetzt ihre junge Nichte Rosi zu Tant‘ Theda gebracht: jobben in der Pension. Rosi arbeitet zeitgleich an ihrer Examensarbeit über das Leben der Frauen auf Borkum durch die Jahrhunderte. Nina erholt sich von einem Burnout und Theda will nach dieser Saison die Pension verkaufen. Probleme genug, aber natürlich gibt es auch noch Männer in diesem Roman: Klaas, der Nina vor Jahrzehnten das Herz brach. Fabian und David, grundverschieden und doch beide an Rosi interessiert. Schließlich Herr Müller-Marienthal, dem die gute Inselluft so gut tut und nicht nur die ...


Man meint ja, seit die „Bäckerei am Strandweg“ veröffentlicht wurde, schießen Bücher mit ähnlichem Inhalt wie Pilze aus dem Boden. Tatsächlich ist Sylvia Lotts Roman sogar einige Monate früher erschienen. In den Grundzügen sind auch hier Ähnlichkeiten zu finden. Ein heruntergekommenes Haus, Backen als Therapie, Selbstfindung, Liebesverwicklungen, Missverständnisse und die große Liebe.

Für mich hebt sich dieser Roman aber von der Masse des Genres ab. Das hat zum einen mit dem beruflichen Hintergrund der Autorin zu tun. Sylvia Lott arbeitete als freie Journalistin für zahlreiche renommierte Magazine. Ihr Schreibstil ist sehr bildlich, gefühlvoll und voller sinnlicher Eindrücke. Da werden Augen, Ohren und Nase intensiv angesprochen. Natürlich bieten eine Insel und das therapeutische Backen reichlich Material für alle Sinne. Aber diese Eindrücke über das Papier an die Leserinnen weiterzugeben, sie an diesen Empfindungen ganz unmittelbar teilhaben zu lassen, das vermag nicht jeder Autorin. Besonders am Herzen liegt Sylvia Lott dabei auch ein spezieller Walzer, der sie zu diesem Roman inspiriert hat.

Zum anderen ist die Geschichte in drei Erzählebenen geteilt. In 2010 kommt Nina zurück nach Borkum und erzählt ihrer Nichte vom Sommer ihres Lebens 1967. Aus Rosis Examensarbeit erfahren die Leser*innen von besonderen Frauenschicksalen auf der Insel. So liegt hier nicht nur der Generationenroman einer Familie vor, sondern die spannende Geschichte von „Inselfrauen“ aus mehreren Jahrhunderten.
Die verschiedenen Ebenen wechseln sich ab und halten die Geschichte lebendig. Die übersichtlichen Kapitel und der besondere Schreibstil sorgen für einen guten Lesefluss.

Mir hat die Lektüre großen Spaß gemacht. Besonders der Sommer 1967 ist wirklich fabelhaft geschildert. Zeitgeist, Kultur und Stimmungen sind wunderbar eingefangen, untermauert durch damals hippe Musik, Kleidung und Filme.

Ein schöner Schmöker, durchaus mit Anspruch. Einigen mag die Art der detailreiche Schilderung zu viel sein, mich hat gerade das angesprochen. Und ich muss zugeben, dass ich am Ende eine Träne weggeblinzelt habe.

Für „Die Inselfrauen“ vergebe ich fünf Sterne.

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